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E-Book

FILM-KONZEPTE 38 - Dominik Graf

Verlagedition text + kritik
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783869164038
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Das umfangreiche Werk des Rekord-Grimme-Preisträgers Dominik Graf ist so vielseitig wie kein anderes eines deutschen Filmemachers. Für Graf scheint es, was Sujet, Gattung oder Genre anbelangt, Kompetenzgrenzen schlicht nicht zu geben. Einerlei ob als Regisseur von Essayfilmen ('Das Wispern im Berg der Dinge'), Stadtporträts ('München - Geheimnisse einer Stadt') oder Melodramen ('Kalter Frühling'), von Kostümfilmen ('Die geliebten Schwestern') oder Polizeithrillern ('Im Angesicht des Verbrechens') - stets weiß der zumal fürs Fernsehen tätige Graf zu überzeugen. Und doch offenbart sich seine Könner- und Meisterschaft als 'auteur' vor allem dann, wenn er sich der von ihm selbst ausdrücklich als 'heilsam' bezeichneten Wirkung des Genrefilms und seiner Gesetze aussetzt, wenn er also die durch die Arbeit mit der existierenden Form entstehende Reibung nutzt, um aus und in dem schon unzählige Male Gesehenen das noch nicht Gesehene hervortreten zu lassen.

Jörn Glasenapp, Studium der Germanistik, Amerikanistik und Anglistik in Göttingen; 1999 Promotion; danach Wechsel in die Kultur- und Medienwissenschaft; 2006 Habilitation; seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Fotogeschichte, -ästhetik und -theorie; Filmgeschichte, -ästhetik und -theorie; Visual History; mediale Komik; Sigmund Freud.

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Leseprobe

Judith Ellenbürger

»Verzockt, verfressen, verkokst, verhurt, versoffen«


Zur Körperlichkeit des Geldes bei Dominik Graf

In puncto Geld ähneln sich viele von Dominik Grafs Filmen auf eine interessante Art und Weise: Zunächst scheint das Zahlungsmittel immer nur als Requisite, höchstens als marginaler Nebenaspekt der Geschichte zu fungieren; bei genauerer Betrachtung jedoch drängt es sich derart in den Vordergrund, dass es zu einer eigenständigen Handlungsgröße auswächst. Das erleben wir zum Beispiel in der 1990 erschienenen, in Nouvelle-Vague-Manier gedrehten Komödie SPIELER (1990). Laut Klappentext geht es hier um zwei junge Menschen: »Jojo (Peter Lohmeyer), Mitte 20, ist ein gescheiterter Philosophiestudent und notorischer Spieler. Kathrin (Anica Dobra), seine 19-jährige Cousine, ist ein außergewöhnlich schönes Mädchen. Bei einer Erbschaftsangelegenheit treffen sie sich nach Jahren wieder. Jojo, der Katzenliebhaber, erbt zu seinem Leidwesen eine Dogge, Kathrin 20.000 Mark. Jojo bringt das Geld an sich und verspielt es. Bei dem Versuch, es wieder zurückzugewinnen, geht alles schief, und ehe die beiden sich versehen, befinden sie sich auf einer wilden Flucht vor der Polizei …«1 Was in diesem Text verschwiegen wird, aber nicht weniger als den Kern des Films ausmacht, ist, dass die beiden sich verlieben werden und dass sich ihre Liebe den gesamten Film über am Geld ausrichtet. Dies in Rechnung gestellt, trägt es sich ungefähr so zu: Jojo, notorisch pleite, weil spielsüchtig, und Kathrin, schöne und reiche Erbin, treffen sich nach Jahren wieder. Obwohl die Zuneigung sofort da ist, muss Jojo ständig an ihr Geld denken. So klaut und verspielt er alles an nur einem Nachmittag.2 Erst während der wochenlangen erfolglosen Versuche, es wieder zurückzugewinnen, kann sich eine zarte wie wilde Liebe entwickeln, die aber in dem Moment, in dem das Geld tatsächlich zurück in ihr Leben tritt, auf eine harte Probe gestellt wird …

In der Tat werden die wichtigsten Wendepunkte der Geschichte durch eine Veränderung der monetären Situation eingeleitet. Aufgrund des Geldes, das Kathrin erbt bzw. Jojo nicht erbt, lernen sie sich näher kennen. Waren beide nach ihrem letzten Kuss auf einer Beerdigung vor vier Jahren noch getrennte Wege gegangen, läuft Jojo Kathrin nun nach – quer durch die Stadt, in ein Café, in einen Park. »Vielleicht«, so der Erzähler, »ist dies der Augenblick, in dem Jojo sich wirklich verliebt, vielleicht auch nicht, auf jeden Fall übersieht er, dass er gute fünf Minuten lang Kathrins Tasche mit den 20.000 Mark um den Hals trägt, und als es ihm einfällt, ist es bereits zu spät, um mit dem Geld einfach zu verschwinden.« Jojo scheint hin- und hergerissen zwischen Geld und Liebe zu sein. Das manifestiert sich auch in der folgenden Szene, in der Jojo und Kathrin miteinander schlafen wollen, denn – um Kathrins Worte aufzugreifen – »es tut sich nichts«.3 In Anwesenheit des Geldes ist Jojo impotent. Bezeichnenderweise steckt er sich den Briefumschlag mit den 20.000 Mark, als Kathrin kurz zur Tür heraus ist, vorn in die Hose und eilt ins Wettbüro. Getreu dem Motto Pech im Spiel, Glück in der Liebe tritt mit der Pleite im Wettbüro ein Wendepunkt ein: Sie küssen sich »zum ersten Mal ohne Hintergedanken«, und in einer anderen Umgebung klappt es dann auch mit dem Sex. Von da an läuft es gut für die beiden: Kathrin will bleiben, bis sie das Geld wieder zusammen hat; sie zieht bei Jojo ein; Jojo spielt kaum noch; das Paar streitet und verträgt sich.

Eine fatale Wendung nimmt das Geschehen erst wieder, als die beiden die 20.000 Mark zurückgewinnen, und das liegt weniger daran, dass sie sich auch auf der Flucht vor der Polizei befinden, als daran, dass Kathrin Jojo nun endgültig verlassen will. »Ich hab die 20.000 Mark endlich zusammen und, ich meine, es ist doch klar, was passiert, wenn ich jetzt nicht gehe«, sagt sie.4 Interessant ist, dass der Film nach einer kurzen Darstellung des Trennungsschmerzes in Bezug auf die Beziehung der Protagonisten erneut vorne anzusetzen und sich wie in einer Schlaufe zu wiederholen scheint: Denn nachdem die beiden durch einen Zwischenfall mit der Polizei wieder zusammengetrieben werden, ist es auch wieder Kathrin, die Geld mitbringt bzw. Jojo, der es verspielt, und wieder müssen sie erst alles (»Alles?«, fragt Kathrin, »Moment noch, ja, alles«, bestätigt Jojo) Geld verlieren, bevor die Zeichen auf eine glückliche gemeinsame Zukunft – nun mit Baby im Bauch – stehen. Konsequenterweise ist die Geschichte hier wie in der ersten Fassung nicht zu Ende; sie setzt sich abermals mit einem Geldgewinn, mit einem furiosen Feldzug im Casino fort, nach dem dieses Mal Jojo die Bremse zieht, er sich »beschissen und leer« fühlt. Kathrins Antwort, »Du darfst ab jetzt auch immer verlieren, dein Leben lang«, wird zur Vorausdeutung auf die Katastrophe, durch die er sterben wird.5 Mit diesem Plot veranschaulicht der Film nicht nur diverse Geldtheorien von Georg Simmel über Lewis Hyde und Christina von Braun bis hin zu Eva Illouz,6 in denen das Kapital oder der Kapitalismus – wenn auch auf verschiedene Arten und Weisen – als Störfaktor für die Liebe angezeigt wird, sondern er knüpft den Stand der Beziehung direkt an die monetäre Lage.

Dies in Rechnung gestellt, ist es nicht übertrieben, das Geld als eigenständigen Protagonisten zu bezeichnen. Wirft man einen Blick auf das Werk Dominik Grafs, die Themen, die darin verhandelt werden, ja vor allem die Gesprächsthemen, die seine Charaktere umtreiben, wird schnell augenscheinlich, dass SPIELER mit dieser besonderen Hauptfigur kein Einzelfall ist. Bereits in TREFFER (1984) – nach Eigenaussage Grafs erster gelungener Film7 – können die drei jungen Freunde von Anfang bis Ende kaum an etwas anderes als ihre teuren Motorräder, sprich: Schecks, Preise, Gehälter, Schulden, Kredite usw. denken. Albi (Maximilian Wigger) formuliert es sogar aus, wenn er sagt: »Scheine sind das Einzige, was mich noch interessiert.« Spätestens von da an zieht sich das Geldmotiv sowohl durch Grafs SPERLING-, FAHNDER- und POLIZEIRUF-110-Folgen (wie DAS VERSPRECHEN, 1992, LAUTER GUTE FREUNDE, 1986, SPERLING UND DAS LOCH IN DER WAND, 1996, SPERLING UND DER BRENNENDE ARM, 1998) als auch durch seine alleinstehenden Filme (zu SPIELER und TREFFER kommen DIE FREUNDE DER FREUNDE, 2002, HOTTE IM PARADIES, 2002, oder KALTER FRÜHLING, 2004) sowie seine Miniserie IM ANGESICHT DES VERBRECHENS (2010). Die Spur des Geldes ist geradezu auffällig breit – wie auch die damit verbundenen Themen von Spielsucht und Prostitution bis hin zu Schutzgelderpressung oder Drogengeschäften im Mafiamilieu sowie die atmosphärischen Filmräume vom heiterleichten komödiantischen bis hin zum tödlichbitteren melodramatischen Ton.

Dieser Befund mag zunächst verwundern, ist es doch Grafs Überzeugung, dass der Film erst bei den »eindeutig körperlichen Erfahrungen des Lebens (…) ganz bei sich«8 sei. Auch vonseiten der Forschung wird konstatiert: »Graf erarbeitet (…) eine Physis, die die Drehbucharchitektur mit lebensvoller Unberechenbarkeit und Körperlichkeit aufbricht.«9 Geld aber ist zunächst ein Medium, das im Laufe seiner Geschichte zunehmend an Körperlichkeit eingebüßt hat. Anfangs stand es zwar noch in einer engen Verbindung zu einem hochwertigen Material – einem Metallbarren, einer Gold- oder Silbermünze. Doch ab dem 11. Jahrhundert dann, in dem die ersten Papierscheine eingeführt bzw. ab dem 15. Jahrhundert, in dem sie peu à peu in Europa verwendet wurden, verstärkte sich die Entwicklung, den Wert des Geldes allein an seiner ökonomischen Rolle zu bemessen. Heute, fast 100 Jahre nach der Aufhebung der Golddeckung, in einer Zeit, in der 90 Prozent aller Transaktionen per »electronic money«10 durchgeführt werden, scheint sie ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Spätestens jetzt ist das Geld der symbolischen statt der körperlichen Sphäre zuzurechnen. Aus diesem Grund weicht das Gros der Filmemacher bei der Darstellung der unsichtbaren Größe auf visuell wahrnehmbare Äquivalente aus, wie Börsenticker, abstrakte Kurven und Zirkulationsmodelle oder die Gegenüberstellung von Arm und Reich. Prominente Beispiele dafür sind unter anderem Marcel L’Herbiers LARGENT (GELD! GELD! GELD!, 1928), Michelangelo Antonionis LECLISSE (LIEBE 1962, 1962), Oliver Stones WALL STREET (1987) oder J. C. Chandors MARGIN CALL (DER GROßE CRASH – MARGIN CALL, 2011). »Geld kann«, so heißt es in der Literatur, »wohl im Unterschied zu allen anderen filmischen Medieninszenierungen, zentrales Thema eines Films sein, ohne dass seine Materialität und Sichtbarkeit im Mittelpunkt stehen.«11 Wieso aber sollte sich ein Regisseur, für den Materialität und Sichtbarkeit offenbar zu den wichtigsten Regeln für die eigene filmische Praxis gehören, gerade für diesen ungreifbaren Gegenstand interessieren? Schauen wir uns die Darstellung des Geldes en détail an.

In SPIELER sehen wir bei der Aushändigung der Erbschaft in Nahaufnahme zwei Stapel von abgezähltem und zusammengebundenem Papiergeld. Es wirkt sauber und ordentlich wie auch so perfekt präpariert, dass Kathrin es mit nur einem Handgriff in den dafür bereitgelegten Umschlag stecken kann. In dieser kontrollierten Form allerdings wird das Geld nicht lange...

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