2. Grumpy Old Men.
Schlechte Laune ist unterhaltsam
»Das Leben hat an und für sich nur lauter Nachteile.«
THOMAS BERNHARD
Ove ist ein grauer alter Mann. Jeden Morgen patrouilliert er durch sein Viertel und prüft, ob die Garagen ordentlich verschlossen sind. Stellt ein Jugendlicher sein Fahrrad unerlaubt ab, wird es von Ove konfisziert, und selbst bei Krankentransporten besteht er auf Einhaltung des Fahrverbots innerhalb seiner kleinen schwedischen Vorortsiedlung. Ove duldet keine Regelübertretungen. Der 59-jährige Witwer in seinem schlecht sitzenden Anzug ist ein mürrischer Pedant, der am liebsten den Gehweg unter Strom setzen würde, um dem kleinen Hund seiner Nachbarin das Pinkeln ein für alle Mal abzugewöhnen.
Ove ist eine Erfindung von Fredrik Backmann, dessen Roman Ein Mann namens Ove ihn zum erfolgreichsten schwedischen Autor des Jahres 2015 machte. Die Verfilmung sahen 1,6 Millionen Schweden, also rund zwanzig Prozent der Bevölkerung, und auch in Deutschland verkaufte sich die Geschichte des gnadenlosen Prinzipienreiters ausgesprochen gut. »Alle lieben Ove« lautete der Werbeslogan für die deutsche Buchausgabe, was die Frage aufwirft: Warum lieben alle einen kleingeistigen, unsympathischen Spießer, den man auf keinen Fall als Nachbarn haben möchte?
Im fiktiven Leben, also in Literatur, Film oder Theater, genießen wir es, schlecht gelaunten Stinkstiefeln dabei zuzusehen, wie sie ihre Mitmenschen drangsalieren. Mürrische alte Männer bestreiten in Hollywood ein eigenes Genre. Walter Matthau und Jack Lemmon schufen 1968 mit der Komödie Ein seltsames Paar (im Original Grumpy Old Men) einen Evergreen, in dem der Ordnungsfanatiker und Hypochonder Felix vorübergehend bei seinem Freund, dem lässigen Sportreporter Oscar, einzieht und dessen Nervenkostüm durch seine Schrullen strapaziert.
Einige Schauspieler sind auf missmutige Charaktere geradezu abonniert wie Bill Murray, der als griesgrämiger Wettermoderator Phil in der Komödie Und ewig grüßt das Murmeltier ebenso überzeugt wie als ironischer Melancholiker in Sofia Coppolas Film Lost in Translation. Die Französin Isabelle Huppert bedient virtuos sämtliche Facetten gereizter, man könnte auch sagen, zickiger Frauenfiguren, und ihr amerikanischer Kollege Jack Nicholson bestreitet große Teile seines Spätwerks als launischer Chefgrantler in Tragikomödien wie Besser geht’s nicht oder About Schmidt, in dem der Regisseur Alexander Payne sehr frei nach einem Roman von Louis Begley die Geschichte des in unterdrückter Wut erstarrten Oberspießers Warren Schmidt erzählt.
Josef Hader spielt den Privatdetektiv Brenner in den Verfilmungen von Wolf Haas’ Kriminalromanen als depressiv getönten Mieselsüchtigen und nennt als Vorbilder für diese Rolle die lakonischen Darstellungen Lino Venturas und den trotzig wortkargen Gene Hackman. Der österreichische Regisseur David Schalko hat Fernsehserien wie Braunschlag und Altes Geld gedreht, in denen es so gut wie keine gut gelaunten oder sympathischen Figuren gibt und die in seiner Heimat Kultstatus haben.
Die Sympathie der Zuschauer für missmutige Charaktere ist aber nicht nur in unserer Zeit groß. Bereits in den 1970er-Jahren war die Serie Ein Herz und eine Seele ein Straßenfeger, deren Hauptfigur Alfred Tetzlaff als »Ekel Alfred« in die Fernsehgeschichte eingegangen ist: ein ständig nörgelnder, aggressiv lästernder, permanent unzufriedener Kleinbürger, der seine Frau wie ein Dienstmädchen behandelt und Tochter und Schwiegersohn als Störfälle der häuslichen Ordnung wahrnimmt.
Viele Fans hatte auch die mürrische Hausmeisterin Else Kling aus der Lindenstraße, wenn auch nicht ganz so viele wie der Vater aller grantigen Kleinbürger, der österreichische Schauspieler Hans Moser, der schon in der Schwarz-WeißFilm-Ära ständig vor sich hin schimpfende Kellner und Kleinbürger so famos verkörperte, dass man meinen möchte, ihm sei das schöne Verb herummosern zu verdanken (das aber vom jiddischen massern = ausplaudern, verraten abstammt). Ihm sowie dem französischen Obercholeriker Louis de Funès, dem neapolitanischen Schauspieler Totò und dem US-amerikanischen Komiker W.C. Fields widmete das österreichische Filmmuseum die Reihe Der große Grant, die nicht zuletzt das Subversive der beflissenen Kleingeister, auf die diese Schauspieler abonniert waren, verdeutlichte.
Beinahe alle Kommissare – ob sie im Tatort ermitteln, in Bella Block, im Polizeiruf 110 oder bei den ins Melancholische gekippten skandinavischen Kollegen wie Wallander – sind permanent schlecht gelaunt und thematisieren diesen Zustand auch gern. Häufig, um ihr nicht vorhandenes Privatleben zu erklären. Wobei meist offenbleibt, ob zuerst die gute Laune oder der Partner weg war. Im Tatort Die Geschichte vom bösen Friederich mit den Frankfurter Ermittlern Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) fragt die Kommissarin ihren Kollegen: »Sie und diese Sabrina, ist das eigentlich was Ernstes?« Statt direkt zu antworten, fragt Brix seine Kollegin, weshalb sie eigentlich zur Mordkommission gekommen sei: »Sie werden nie wieder eine Beziehung haben, die diesen Namen auch verdient. Das ist einfach nicht möglich. Dieser Beruf macht dich am Ende einsam. Wer will schon mit jemandem zusammen sein, der immer zu spät kommt und dann auch noch schlecht gelaunt ist. Also fragen Sie mich bitte nie wieder, ob ich mit jemandem zusammen bin!«
Sowenig sie für die Liebe taugen, so beliebt sind diese mürrischen Verfechter von Wahrheit und Gerechtigkeit beim Publikum: einsame Kämpfer für das Gute in der haltlosen Welt, die sie und uns alle umgibt.
Auch die Tatsache, dass »Elizabeth Windsor« auf Twitter 1,2 Millionen Follower hat, weist auf eine gewisse Sehnsucht nach Muffeligkeit hin. Denn die Kunstversion der echten Queen liebt nicht nur Gin (ein Getränk, das nicht nur schlechte Laune, sondern sogar Depressionen befördern soll) und ist ständig verkatert, sie meckert auch über alles und jeden. Sogar die Wochentage können ihr die Laune verderben:
»Ist immer noch Donnerstag?# sodieNasevoll«
Das deutsche Pendant der schlecht gelaunten Queen ist »Grumpy Merkel«, die aber mit 17000 Followern noch als Geheimtipp vor sich hin grummelt, während der Twitter-Philosoph Eric Jarosinski es mit seinen nihilistischen Botschaften, die er unter »NeinQuarterly« verbreitet, auf weit über 150000 Anhänger bringt.
Kaum etwas scheint unterhaltsamer zu sein, als anderen dabei zuzusehen, wie sie sich schlecht gelaunt durchs Leben lavieren. Vorausgesetzt, ein gewisser Sicherheitsabstand ist gegeben. Nörgelt die griesgrämige Oma während der gesamten Weihnachtsfeiertage, einem zermürbenden Grundrauschen gleich, wird sich ihre muffige Stimmung wie ein lähmender Grauschleier ausbreiten. Die fröhlichsten Gemüter ermatten langsam, aber sicher, bis alle niedergeschlagen vor ihren Tellern sitzen und nicht erwarten können, dass Weihnachten endlich vorbei ist. Lachen wird jedenfalls keiner mehr.
Warum ist eine Gemütslage, die uns im Alltag auf die Palme bringt – die pampige Kellnerin, der wortkarge Busfahrer, der schimpfende Hausmeister und allen voran der mürrische Partner oder die trotzigen Kinder –, hochgradig amüsant, wenn sie uns in Büchern, Filmen, Theater, Musik oder Kunst begegnet?
»Fast jeder hat so einen Problemfall in der Verwandtschaft oder im Bekanntenkreis und kennt die Griesgrämigkeit seines Hauptdarstellers also aus eigener Erfahrung«, schreibt Filmkritikerin Anke Sterneborg über Ein Mann namens Ove.1
Nachahmung und Wiedererkennung an sich bereiten Freude, also auch die Imitation des Abschreckenden oder sogar Schrecklichen. Schon der antike Philosoph Aristoteles beschrieb diesen Effekt in seiner Poetik: »Denn von den Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude möglichst getreue Abbildungen, z.B. Darstellungen von äußerst unansehnlichen Tieren und von Leichen.« Aristoteles war überzeugt, dass die Tragödie uns mit »Furcht und Schauder« erfülle, dadurch unser Mitleid wecke und dies wiederum einen reinigenden, kathartischen Effekt habe.
Wobei wir nicht nur andere in diesen Kunstfiguren wiedererkennen, sondern vor allem uns selbst. Betrachtet man Privatdetektiv Simon Brenner, Ekel Alfred, Dr. House oder Ove durch die Brille Sigmund Freuds, könnte man sagen, hier erhält das »Verdrängte« eine Bühne, und die Zwangsneurose wird gleichsam als Fest inszeniert. Die moderne Literatur strotzt auch deshalb vor neurotischen Charakteren, so Freuds These, weil diese das charakterliche Spektrum der Leser spiegeln. Sich selbst mit einer gewissen Verdrehung behandelt zu sehen, erzeugt nicht nur Lust, sondern erlaubt darüber hinaus, die eigene Neurose zu akzeptieren und sie, so Freuds Formulierung, »ohne Schuld zu genießen«.
Ohnehin zeigt sich in den meisten Fällen auch bald ein weicher, liebenswerter Kern unter der rauen Schale, ein von Kummer verpupptes großes Herz, das nur von dem oder der Richtigen freigelegt werden muss. Wie bei Harriet Lauler, diese »schwarze Wolke in Menschengestalt«, die Shirley MacLaine in der Komödie Zu guter Letzt spielte. Damit der Nachruf, den die einst erfolgreiche, noch immer kontrollsüchtige Geschäftsfrau schon zu ihren Lebzeiten bei der jungen Journalistin Anne in Auftrag gibt, nicht nur Schlechtes enthält,...