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E-Book

Lost in the Sixties

Über MAD MEN

AutorDaniela Sannwald
VerlagBertz + Fischer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783865056108
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Mad Men aus der New Yorker Madison Avenue - in der man die großen US-amerikanischen Werbeagenturen findet - sind die titelgebenden Helden der Fernsehserie, die von Publikum wie Kritik gleichermaßen gefeiert wird. Die auch für ihre stilsichere Ausstattung ausgezeichnete Serie - nicht zufällig flankiert von der Wiederentdeckung der Sixties in Mode, Kunst und Design - setzt eine ganze Dekade optisch ins allerbeste Licht. Sie porträtiert aber auch kritisch und eindringlich eine Epoche, die von gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet ist: vom Kalten Krieg, vom Civil Rights Movement, den Anfängen der counter culture - und nicht zuletzt wollen sich selbstbewusste Frauen nicht länger mit der Rolle der Sekretärin oder Hausfrau begnügen, sodass die (weiße) Männerwelt der Mad Men gründlich durcheinandergerät.

Daniela Sannwald, Dr. phil., Filmhistorikerin, arbeitet als Ausstellungs-Kuratorin, zuletzt »Romy Schneider« (Bundeskunsthalle, Bonn, 2012 und Caermersklooster, Gent, 2012/13), und Publizistin, u.a. für den Tagesspiegel und ray. Buchveröffentlichungen u.a. Filmkonzepte 21 »Michael Haneke« (Hg., 2011) und »Die Frauen von Babelsberg« (Hg. mit Christina Tilmann, 2012).

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Leseprobe

Petes eigener Vater kommt bei einem Flugzeugunglück ums Leben (MM 2-2), und es wirkt wie eine postume Rache, dass Pete diesen Umstand benutzt, um den Etat von American Airlines, die nach dem Absturz ein schweres Image-Problem haben, an Land zu ziehen.6 Um den Kunden zu gewinnen, muss die Agentur sich von einer sehr viel kleineren Fluglinie verabschieden, die sich auf Don verlassen hatten. Pete, den sein Darsteller Vincent Kartheiser im Interview7 als ehrgeizig, rücksichtslos und gefährlich beschreibt, gelingt es schon jetzt gelegentlich, Don zu übertrumpfen.

Pete weiß vorläufig noch nicht, wie viel sein Familienname wert ist. Er ist fast durchgehend sauer – auch auf Don, den er um seine Kreativität und seinen Erfolg bei Frauen beneidet, auf Roger Sterling wegen seines Geldes, auf Bert Cooper, der ihn in die Schranken weist, auf seine gleichaltrigen Kollegen in der Agentur, die leichtlebiger, anspruchsloser, aber vielleicht auch begabter und damit glücklicher zu sein scheinen als er selbst, und viel später dann, als er mit Anfang 30 seinen Führerschein macht, auf die Teenager in der Fahrschule (MM 5-5), die unbeschwert das sind, was er nie sein durfte oder konnte: jung, locker, fröhlich.

Frauen


Noch schwieriger ist Petes Verhältnis zu Frauen. Eine Szene in MM 1-6 spricht Bände, da nimmt er mit dem für ein doppeltes Hochzeitsgeschenk eingetauschten Gewehr nacheinander die Frauen im Büro ins Visier. Vor seiner Hochzeit hatte er einen überstürzten One-Night-Stand mit Peggy, ahnt aber nicht, dass er dabei ein Kind gezeugt hat, das Peggy verleugnet und das bei ihrer Schwester aufwächst. Unglücklich weist er, als seine Ehefrau Trudy später nicht schwanger wird, darauf hin, dass er ein »red-blooded American male« sei (MM 2-5), zweifelt aber doch heimlich an seiner so nachdrücklich behaupteten Männlichkeit. Trudy ist Pete gegenüber völlig loyal; sie füllt ihre Rolle als repräsentative Ehefrau und Gastgeberin, als geschmackssichere Einrichterin8 und geduldige Zuhörerin vorbildlich aus. Sie geht sogar so weit, ihren ersten Verlobten, der inzwischen bei einem Verlag arbeitet, zu treffen, um Petes prätentiöse Kurzgeschichte zu lancieren. Pete hat sie geschrieben, um mit Ken gleichzuziehen und will großzügig darüber hinwegsehen, dass er nicht Trudys »Erster« ist, wenn sie beim Verlagsmitarbeiter ihr – oder besser sein – Glück versucht. In wenigen Momenten sieht man Pete und Trudy glücklich vereint: Als sie bei der Hochzeit von Roger Sterling ausgelassen miteinander tanzen (MM 3-3) oder als sie nach Kennedys Ermordung vor dem Fernsehgerät sitzen bleiben, anstatt zur Hochzeit von Rogers Tochter zu gehen (MM 3-12).

 

Hätten ein Traumpaar sein können: Trudy Campbell (Alison Brie) und Pete

Von Trudys bedingungsloser Hingabe in der ersten Staffel bis zu ihrer Emanzipation in der sechsten, als sie Pete schließlich rausschmeißt und sogar damit droht, ihn zu zerstören, falls er ihr jemals wieder nahe käme (MM 6-3), ist es ein weiter Weg, dessen Zwischenstationen nur angedeutet werden: Zunächst ist es Petes unaufhaltsamer Ehrgeiz, der ihn die Belange der Agentur über alles stellen lässt, dann die Vernachlässigung des gemeinsamen Kindes, Petes Absicht, das fürs Eigenheim zurückgelegte Geld in die Firma zu stecken (MM 4-12) und schließlich – als die beiden dann doch aus dem Apartment in Manhattan in die Schlafstadt umgezogen sind – sein immer späteres Heimkommen aus der City und seine damit verbundenen Frauengeschichten, die sie so lange zu ignorieren bereit ist, wie sie ihr nicht unter die Nase gerieben werden.

Pete, den Kostüm und Maske im Verlauf der Serie Don äußerlich immer ähnlicher werden lassen, verfolgt seine egomanischen Interessen mit der gleichen Verzweiflung wie Don, nur aus anderen Motiven und mit viel weniger Eleganz. Wo Don ein Geheimnis hat, herrscht bei Pete Leere, Dons Appetit auf Frauen ist bei Pete Hunger, und die Entspanntheit des ersteren im Umgang mit ihnen ist bei Pete ein verkrampftes, maßloses Bemühen. Don mag Frauen, Pete hat im Grunde Angst vor ihnen. In einer der für die Pete-Figur wichtigsten Folgen (MM 5-5) spielt Pete Roger bei der Kundenwerbung die Bälle zu, so dass Kunde, Roger, Don und Pete den Abend in einem Edelbordell beschließen. Während Don an der Bar sitzenbleibt, verschwindet Pete mit einer der Frauen und stellt sie vor die Aufgabe, den richtigen Satz zu finden, um ihn scharf zu machen. Nach mehreren Versuchen kommt sie auf »you are my king« und bringt genau auf den Punkt, woran es bei Pete hapert. Später beichtet er dem unbeeindruckten Don seinen Lebensekel. Und nicht einmal jetzt bekommt Pete von Don die Anerkennung, die er so dringend braucht.

Konkurrenz


Im professionellen Bereich allerdings ist Pete mit seinem sicheren Gespür für Trends, Märkte und die Bedürfnisse der Kunden mutig und manchmal sogar visionär. Als Bert Cooper daran zweifelt, dass Kennedy noch einmal die Wahlen gewinnen wird – »he doesn’t even wear a hat« (MM 1-6), weist Pete darauf hin, dass Elvis auch keinen trage.

Er hatte recht, weil er etwas erkannte, was die anderen ignorierten, etwas, das in der Situation von entscheidender Wichtigkeit war – Kennedys Jugendlichkeit. Pete, der selbst jung ist, sah, was Roger Sterling und Bert Cooper nicht sahen. Cooper erwog anscheinend noch nicht einmal die Möglichkeit, dass aus dem Blickwinkel der Jugend irgendwelche lohnenden Erkenntnisse beigesteuert werden könnten. »Erinnert mich daran, keine jungen Leute mehr einzustellen«, sagt er.9

Und als ein wichtiger Kunde, Bethlehem Steel, mit einer von Don vorgestellten Kampagne nicht zufrieden ist, erklärt Pete, dass die den WPA-Stil von vor 20 Jahren repräsentiere und Don damit gezielt zum alten Eisen. Die WPA (Work Progress Administration) war eine der Institutionen, mit denen die Roosevelt-Regierung die Arbeitslosigkeit in den Depressionsjahren bekämpfte, und natürlich gehört Don zu der Generation, die ihre Jugendjahre während des New Deals erlebte (MM 1-4). Don weiß um Petes Fähigkeiten, deshalb besteht er darauf, ihn mitzunehmen, als er zusammen mit Sterling, Cooper und Lane Pryce die neue Agentur gründet: »You’ve been ahead on a lot of things. Aeronautics, teenagers, the Negro market. We need you to keep us looking forward.« (MM 3-13) Campbell heißt nicht umsonst Peter: Es ist ein viel gebrauchter, solider Name10, den auch einer der zwölf Apostel trug, Petrus, der Fischer. Pete also ist ein Auserwählter und ein Kundenfänger.

Ein durchgängiger Erzählstrang der Serie behandelt Petes Beziehung zu Don. Pete ist so neidisch auf den anscheinend alles umfassenden Erfolg, auf die Eleganz, die Kreativität und den Wohlstand des Älteren, dass er nach Rissen in dessen perfekter Fassade geradezu sucht. Er geht so weit, ein für Don in der Agentur abgegebenes Päckchen heimlich zu öffnen (MM 1-12). Nachdem er darin die Beweise für Dons falsche Identität entdeckt hat, versäumt er keine Zeit, um von Don eine bessere Position in der Firma zu erpressen und, als das nicht gelingt, Don bei Bert Cooper anzuschwärzen. Beide Männer geben Pete deutlich zu verstehen, dass er ein Nichts sei, allenfalls ein präpotenter Wichtigtuer. Als Don sich breitschlagen lässt, mit seiner zweiten Ehefrau Megan eine Abendeinladung bei den Campbells in Cos Cob11 anzunehmen, empfinden Pete und der ebenfalls eingeladene Ken Cosgrove das noch als große Ehre (MM 5-5). In der sechsten Staffel (MM 6-1) wird Pete dem Älteren dann bereits von hinten die Schulter kneten und eine leutselige Bemerkung machen.

 

Petes ewiger Rivale Ken Cosgrove (Aaron Staton) steppt und rappt, um Don Draper (Jon Hamm) seinen Frust begreiflich zu machen.

Aber Pete verfügt auch über ein gewisses Maß an Loyalität: Als ein Auftrag des Verteidigungsministeriums im Zusammenhang mit der Raumfahrt Dons falsche Identität ans Tageslicht zu bringen droht, sagt Pete dem potentiellen Kunden unter einem Vorwand ab und nimmt den Verlust des Etats auf seine Kappe (MM 4-10). Zum Dank übernimmt Don stillschweigend Petes Partner-Einlage von 50.000 Dollar (MM 4-12). Dass Don Pete, der das Geheimnis ausspioniert hat, ins Vertrauen zieht, zeigt, dass er ihn mehr und mehr als Gleichen akzeptiert. Auch der Agentur gegenüber fühlt sich Pete zu Loyalität verpflichtet: Das Angebot einer anderen lehnt er ab (MM 4-11).

In MM 5-5 endet ein Streit zwischen Pete und dem britischen Immigranten und Finanzchef Lane Pryce mit einem Faustkampf, den Cooper, Sterling und Draper beobachten und bei dem Pete unterliegt. Joan tröstet nachher den zerknirschten Lane damit, dass jeder in der Agentur Pete schon mal eine reinhauen wollte, was Ken kurz darauf bestätigt. Als Pete jedoch mit geschwollenem Gesicht zu Don in den Fahrstuhl tritt, bemerkt er fast weinend, dass die Kollegen doch Freunde sein sollten. Die Szene ist eine von sehr wenigen, in denen man Mitleid mit und Sympathie für Pete hat, der auf...

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