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E-Book

Nelson Mandela

AutorAlbrecht Hagemann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644532410
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Nelson Mandela ist weltweit zum Symbol geworden für unbeugsamen Widerstand gegen Rassismus und Willkürherrschaft, aber auch für Versöhnungsbereitschaft gegenüber dem Feind von einst. Seine Lebensgeschichte liest sich wie eine Legende und ist doch ein Tatsachenbericht: vom Hirtenjungen in der Transkei zum Anwalt in der Goldstadt Johannesburg, vom «Angeklagten Nummer eins» im Rivonia-Prozess zum lebenslänglich Inhaftierten auf Robben Island, vom berühmtesten Gefangenen der Welt zum ersten schwarzen Staatspräsidenten Südafrikas. Diese kurze Biographie schildert die Lebensgeschichte Mandelas und beschreibt zugleich die politische Geschichte Südafrikas. In einem aktualisierten Schlusskapitel wird auch die Entwicklung bis zu Mandelas Tod im Dezember 2013 thematisiert. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Albrecht Hagemann, geb. am 27. Februar 1954 in Detmold; Studium der Neueren und Osteuropäischen Geschichte sowie der Slawistik in München und Bielefeld; Promotion im Fach Geschichte in Bielefeld, Dissertation «Südafrika und das ?Dritte Reich?. Rassenpolitische Affinität und machtpolitische Rivalität» (Frankfurt, Campus, 1989). Biographien über Fidel Castro und Mahatma Gandhi (beide München, dtv); weitere, vor allem Südafrika betreffende Arbeiten für Hörfunk, Fernsehen und Zeitschriften; unterrichtet an einem Gymnasium in Herford.

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Leseprobe

Die grünen Hügel


Nelson Rolihlahla Mandela wurde am 18. Juli 1918 in dem Dorf Mvezo am Ufer des Mbashe-Flusses in der Transkei geboren. Mit ihren grünen Hügeln, tiefen Tälern und ihrer wilden Küste am Indischen Ozean bildet die Transkei den südöstlichen Teil Südafrikas, und sie wird überwiegend vom Volk der Xhosa bewohnt.

Rolihlahla war der Vorname Mandelas, den der Vater auswählte und der wörtlich bedeutet: «Am Ast eines Baumes ziehen». Umgangssprachlich heißt er so viel wie «Unruhestifter»[4]. Den britischen Namen Nelson erhielt Mandela erst an seinem ersten Schultag.

Der junge Rolihlahla, der drei Schwestern und drei Brüder hatte, wurde entscheidend durch seine Zugehörigkeit zum Königshaus des Thembustammes geprägt, der zum Xhosa-Volk gehört. Jedoch war er innerhalb der Thembu-Monarchie Angehöriger des sogenannten Hauses Linker Hand, das in erster Linie für die königliche Hofhaltung und die Beratung des Monarchen verantwortlich zeichnete, während das «Haus Rechter Hand» traditionell den König stellte. Somit war zwar Rolihlahla der Thron aus genealogischen Gründen versperrt, doch entdeckte er frühzeitig, dass sein Vater, der vier Frauen besaß, nicht nur Königsberater, sondern darüber hinaus auch «Königsmacher» war.

In seiner Autobiographie kommt Mandelas Bewusstsein seiner monarchischen Xhosa-Abstammung zum Ausdruck: Die Xhosa sind stolze, patrilineare Menschen mit einer ausdrucksstarken, wohlklingenden Sprache und einem unerschütterlichen Glauben an die Bedeutung von Recht, Erziehung und Höflichkeit. Die Xhosa-Gesellschaft hatte eine ausgewogene, harmonische Sozialordnung, in der jeder Einzelne seinen Platz kannte. Jeder Xhosa gehörte zu einem Clan, der seine Herkunft auf einen bestimmten Vorfahren zurückführt. Ich bin Angehöriger des Madiba-Clans, der nach einem Thembu-Häuptling benannt ist, der im 18. Jahrhundert in der Transkei herrschte. Oft spricht man mich mit Madiba an, meinem Clan-Namen, was als respektvolle Bezeichnung gilt.[5]

Rolihlahla verlebte eine glückliche, überaus naturverbundene Kindheit in relativem Wohlstand. Sitten, Rituale und Tabus der Thembu waren Selbstverständlichkeiten seiner Existenz. Die Mutter trat zum methodistischen Christentum über, der Vater blieb der traditionellen religiösen Vorstellungswelt der Xhosa verhaftet, die, wie Mandela hervorhebt, von kosmischer Ganzheit geprägt ist, sodass zwischen dem Heiligen und dem Säkularen, zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen nur geringe Unterschiede bestehen[6]. Der Vater stellte die maßgebliche Bezugsperson für den heranwachsenden Rolihlahla dar. Zwar sei er der Ansicht, urteilt Mandela rückblickend, dass hauptsächlich die Umwelt und nicht die Veranlagung den menschlichen Charakter forme, doch lässt er gleichwohl Genugtuung über die vom Vater ererbte Aufsässigkeit und seinen unbeugsamen Sinn für Fairness erkennen[7].

Nach einem Streit mit der weißen Provinzregierung verlor der Vater Häuptlingswürde und Vermögen. Daraufhin zog der Junge mit der Mutter einige Täler weiter in das Dorf Qunu, unweit Umtata, der Hauptstadt der Transkei. Sofort erkannte Rolihlahla, dass er dort fast nur unter Frauen, Kindern und alten Männern lebte. Die arbeitsfähigen Männer schufteten weitab in den Goldminen um Johannesburg und sahen ihre Familien nur selten. Die Minenarbeit im Erz von eGoli, wie die Afrikaner die «Goldstadt» nennen, hatte, erinnert sich Mandela, etwas von einem «Übergangsritual» hin zur Mannbarkeit für die jungen Männer, sie war ein populärer Mythos, der den Minenbesitzern mehr half als meinem Volk[8].

 

Traum und Wirklichkeit der Arbeit unter Tage klafften in Wahrheit weit auseinander: Assoziierten die Männer vor allem Kraft, Männlichkeit, Ansehen und bescheidenen Wohlstand mit ihr, bestand sie tatsächlich aus Plackerei in Hitze, Staub und Lärm, verbunden mit einem hohen Unfallrisiko.

Das Leben Rolihlahlas in Qunu verlief unbeschwert. Den wenigen Weißen, die dort auftauchten, brachte er eine für selbstverständlich angesehene Achtung entgegen. Im Kampf und Spiel mit Gleichaltrigen erkannte er, dass einen anderen Menschen zu demütigen bedeutet, ihn ein unnötig grausames Schicksal erleiden zu lassen. Schon als Junge lernte ich es, meine Gegner zu bezwingen, ohne sie zu entehren.[9]

Das Lernen des jungen Mandela vollzog sich im Kindesalter – anders als bei den Europäern – fast ausschließlich durch Beobachten und Nachahmen, nicht durch Befragen der Eltern und anderer Erwachsener. Auf Wunsch der Mutter wurde Rolihlahla im Bekenntnis der methodistischen Wesleyan Church getauft. Er behielt jedoch in seiner Jugendzeit ein eher distanziertes Verhältnis zu Kirche und Christentum.

Der Vater schickte ihn auf die winzige Methodistenschule von Qunu. Hier empfing er eine Erziehung, in der britische Gedanken, britische Kultur, britische Institutionen automatisch als höherwertig angesehen wurden. So etwas wie eine afrikanische Kultur kam nicht vor.[10] Dennoch stellte Mandela unter dem Strich dem Missionsschulwesen in Südafrika ein insgesamt gutes Zeugnis aus, gemessen vor allem an der rassistischen Grundhaltung der regierungseigenen Schulen.

Der Vater starb, als Nelson neun Jahre alt war. Noch vor seinem Tode hatte der Vater entschieden, dass der Sohn vom Regenten des Thembulandes, Jongintaba Dalindyebo, vormundschaftlich erzogen werden sollte. Die Zeit am Regierungssitz des Regenten, dem Großen Platz, Mqhekezweni, weitete den Horizont Nelsons. In der örtlichen Methodistenschule erzielte er Fortschritte, wie er rückblickend feststellt, weniger aufgrund seiner Klugheit als vielmehr dank seiner Zähigkeit[11]. Das Lernpensum umfasste jetzt Fächer wie Englisch, Xhosa, Geschichte und Geographie.

Nelson schloss Freundschaft mit Justice, dem Sohn Jongintabas. Offenbar zogen sich dabei Gegensätze an, denn Justice war, erinnert sich Mandela, extrovertiert, ich eher introvertiert; er war stets unbeschwert, während ich ziemlich ernst war. Er war auf natürliche Weise geschickt […]; ich musste üben und mich selbst drillen.[12]

Das Häuptlingstum in Mqhekezweni rückte in den Mittelpunkt von Nelsons Aufmerksamkeit. Sein Interesse für Geschichte erwachte, und seine Vorstellungen von Führerschaft erfuhren ihre Grundlegung durch seine Beobachtungen des Regenten und des Hofes.

Mit wachsender Neugier verfolgte er die Stammestreffen und gelangte zu eigenen Schlussfolgerungen.[13] Besonders stark beeindruckten ihn die demokratischen Verfahren der Entscheidungsfindung unter der Leitung des Regenten. Sie konnten sich stunden-, ja tagelang hinziehen. Irgendwann jedoch erzielten die Häuptlinge einen Konsens: Demokratie bedeutete, dass alle Männer angehört werden mussten und dass eine Entscheidung gemeinsam getroffen wurde, als ein Volk. Herrschaft einer Mehrheit war eine fremdartige Vorstellung. Eine Minderheit würde nicht durch eine Mehrheit erdrückt werden.[14] Er selbst sei, hebt er in seinen Erinnerungen hervor, in seiner eigenen Rolle als Führer stets diesen Prinzipien der Führerschaft gefolgt, die ihm der Regent seinerzeit demonstriert habe. Und ein weiteres Prinzip grub sich damals in sein Unterbewusstsein ein: Ein Führer, hatte der Regent einmal geäußert, ist wie ein Hirte. Er hält sich hinter der Herde und lässt die Flinksten vorweggehen, woraufhin die anderen folgen, ohne zu erkennen, dass sie die ganze Zeit von hinten gelenkt werden.[15]

Mit sechzehn Jahren erlebte Mandela einen tiefen Lebenseinschnitt. Gemäß den Sitten und Gebräuchen seines Stammes entschied der Regent, dass sich Nelson zusammen mit anderen Jungen dem Mannbarkeitsritual der Beschneidung unterziehen müsse. Im Rahmen einer tagelangen Zeremonie entfernte der Beschneidungsexperte auch bei dem jungen Mandela die Vorhaut mit einem einzigen gezielten Hieb des Assegai, des Speers. Ein infernalischer Schmerz erschütterte ihn, dabei presste er das befreiende Wort – für alle Anwesenden hörbar – heraus: Ndiyindoda – Ich bin ein Mann! Kein noch so leises Jammern oder Zittern war gestattet, allein dieses eine Wort. Fortan galt der Beschnittene als Mann mit genau umrissenen Rechten und Pflichten. Den psychologischen Effekt der Prozedur sah Mandela selbst in der Tapferkeit angesichts des Unerträglichen, eine Tapferkeit, die einem Kraft für das ganze Leben gebe[16]. Die abgetrennte Vorhaut begruben die Beschnittenen nachts in einem Ameisenhaufen, um sie vor dem Zauberer zu verbergen, doch, so Mandela, symbolisch begruben wir auch unsere Jugend[17].

Für Nelson endete die Zeremonie mit einem weiteren prägenden Erlebnis. Die Abschlussrede eines Häuptlings enthielt scharfe Kritik an den weißen Herrschern in Südafrika. Das war unerhört. Immer hatte Mandela in dem Weißen weit eher den Wohltäter als den Unterdrücker gesehen – nun verwirrte der Häuptling ihn mit seiner Tirade. Nur wenig später spürte Mandela indes, dass dieser Häuptling seinen Samen gelegt hatte, und wenn ich diesen Samen lange auch gleichsam brachliegen ließ, so begann er schließlich doch zu wachsen[18].

Auf Betreiben des Regenten wechselte Mandela auf eine Art Internatsschule der Methodisten im nahe gelegenen Clarkebury. Nicht nur empfand er hier für den weißen Direktor Harris Hochachtung, weil dieser zwar...

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