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E-Book

Nichts gegen blasen

AutorJacinta Nandi
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783843711234
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
'Das Problem beim Blasen ist immer: Macht man es richtig, wird man geil und will ficken. Und nur zu blasen, ist langweilig. Macht man es normal, ist es nur langweilig. Deswegen übe ich dabei das Einmaleins im Kopf, manchmal liste ich alle britischen Könige seit 1066 auf oder stelle mir vor, dass jemand ein Gedicht von Sylvia Plath auf den Bauch tätowiert hat.' Eine verrückte Familie in England und Chaos in Berlin: Jacinta hat einen transsexuellen ehemaligen Stiefvater, eine behinderte Mutter, einen kleinen Sohn. Vor ihrem Exmann flüchtete sie ins Frauenhaus, und gerade hat sie ihr geliebter Freund verlassen. Seither sammelt Jacinta Ficktermine mit schönen Penissen. Darunter ist der effiziente deutsche Mann, der gleichzeitig mit dem Fuß die Tür zuschiebt und mit der Hand die Kondompackung aufreißt ? so unromantisch, dass es schon fast wieder romantisch ist. Sie beschreibt den ungeschönten Alltag alleinerziehender Frauen, die Tapferkeit bleicher dünner Teenie-Mütter und die selbstzufriedenen Sozialarbeiterinnen im Frauenhaus. Was für ein wunderschön beschissenes Leben. Explizit und authentisch, mit Tempo und Pointe.

Jacinta Nandi wurde 1980 in Ost-London geboren und kam mit zwanzig nach Berlin. Sie schreibt für die taz die Kolumne 'Die gute Ausländerin' und den Blog 'Riotmama' sowie als Amok-Mama einen Blog für das englischsprachige Stadtmagazin Exberliner. Jacinta Nandi ist Mitglied der Lesebühne Rakete 2000.

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Leseprobe

FICKTERMINEPLANUNG


Das Schlimmste an Trennungen ist, wie engherzig man wird. Man schreit sich an wegen Küchentischen und Reclam-Heften, bis der Hals weh tut. Kurz nachdem Peter weg war, habe ich ernsthaft überlegt, über die Zitty einen Afrikaner zu bestellen, der vorbeikommt und irgendwelche männlichen Sachen in der Wohnung macht: Löcher in die Wände bohren zum Beispiel, irgendetwas Männliches eben. Nur damit mein Freund – ich meine: mein Exfreund, das Arschloch, wenn er vorbeikommen sollte, um seine Sachen zu packen, abzuholen und so weiter –, nur damit er sehen würde, dass ich in der Zwischenzeit männlichen Besuch hatte, echten männlichen Besuch von einem echt männlichen, handwerklich begabten Mann, nicht nur einen Ficktermin, sondern Besuch von einem männlichen, bohrbereiten Mann. Letztendlich habe ich es nicht getan, aber ich habe in der Zitty schon nach Afrikanern geguckt.

Nach dieser Hochzeit in England zurück in Berlin – schon am Flughafen – rief ich eine meiner besten deutschen Freundinnen, Martha, an und sagte ihr, ich wolle Selbstmord begehen, könne aber nicht, wegen des Scheißkinds.

Wenn du Selbstmord begehen willst, es aber nicht kannst, wegen des Scheißkinds, gibt es kaum andere Optionen. Das ist das Problem daran. Außer sehr laut weinen. Also habe ich meine Freundin Martha angerufen und sehr laut geweint.

Danach dachte sie, sie müsse auf mich aufpassen, und rief mich ständig an.

»Komm zum Karneval der Kulturen!«, sagte sie.

»Nein.«

»Du musst zum Karneval kommen!«

»Ich will nicht. Karneval ist so stressig.«

»Aber letztes Jahr warst du da! Wir haben uns dort gesehen!«

»Ja, ich war aber mit Lenny da. Ich kann da nur mit dem Kind hingehen, sonst kotze ich vor Stress mit den ganzen Leuten und so.«

»Aber mit einem Kind ist es noch stressiger als ohne! Komm doch mit!«

»Mit einem Kind ist das Leben immer total stressig, man merkt nicht, ob man beim Karneval der Kulturen ist oder nicht. Aber ich bin nicht bescheuert, ich gehe nicht ohne ein Kind zum Scheißkarneval der Scheißkulturen.«

»Das macht total Spaß und ist voll multikulti und so«, sagte Martha.

»Ich will nicht.«

»Du kannst doch nicht den ganzen Tag allein zu Hause rumhocken.«

»Ich will nicht.«

»Du musst.«

»Schau mal, ich will wirklich nicht. Und außerdem habe ich einen Ficktermin«, sagte ich.

Martha war 36 Sekunden lang still. Ich weiß das, weil ich mitgezählt habe. Dann sagte sie: »Es ist. Viel. Zu früh. Du solltest zum Karneval kommen.«

»Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als wegen des Scheißkarnevals der Kulturen einen Ficktermin abzusagen. Ich finde es okay, dass dicke, blasse deutsche Hausfrauen sich Saris anziehen und Maracas schütteln. Schön sieht das nicht aus, aber ich würde es nicht verbieten. Ich will ihnen nur nicht dabei zugucken.«

»Jacinta«, sagte Martha, »hör auf mich. Du weißt gerade nicht, was du tust. Du machst einen Riesenfehler. Hör auf mich. Ich muss dir was Wichtiges sagen.«

»Ich höre«, antwortete ich.

Martha sagte, langsam und deutlich: »Sex. Hat. Sich. Geändert.«

»Was?«, fragte ich.

»Wann hast du das letzte Mal außerhalb einer Beziehung jemanden gefickt?«

Ich durchsuchte mein Hirn nach meinem letzten Ficktermin, bevor ich mit meinem Freund – ich meine, mit meinem Exfreund, dem Wichser – zusammengekommen war. Das bisschen Fremdficken sollte ich jetzt nicht erwähnen, dachte ich.

»2006. Oder vielleicht Januar 2007. Oder Februar. Aber lange her.«

Martha wiederholte: »Sex. Hat. Sich. Geändert.«

»Echt?«

»Echt.«

»Wie denn?«

Martha atmete tief aus, dann sagte sie: »Sex ist voll porno jetzt. 2006, 2007 hatte das noch nicht angefangen. Aber jetzt ist Sex voll porno. Die Erwartungen der Männer gegenüber den Frauen, mit denen sie ficken, sind deutlich gestiegen. Die Erwartungen sind jetzt unglaublich hoch. Die Leistungen, die erwartet werden, haben sich geändert

»Echt?«

»Jacinta, du bist wie eine Sekretärin, die Anfang der 80er Kinder gekriegt hat. Jetzt sind die frühen 90er und deine Kinder gehen in die Highschool, und du willst zurück in die Arbeitswelt. Aber diese Welt hat sich verändert. Die Spielregeln sind neu. In deiner Abwesenheit hat eine Computerrevolution stattgefunden. Die Fähigkeiten, die du in deiner Ausbildung erworben hast, sind nicht mehr relevant. Verstehst du, was ich meine?«

»Nein«, sagte ich. »Sag mir konkret, was sich geändert hat.«

Martha atmete wieder tief aus, dann sagte sie: »Analverkehr zum Beispiel.«

»Was, Analverkehr?«

»Analverkehr ist kein Extra mehr, das ist jetzt Standard.«

»Was?«

»Yep, Jacinta, Analverkehr ist jetzt Teil des Standardprogramms.«

»Nee.«

»Außerdem musst du jetzt viel, viel, viel deepthroaten.«

»Echt?«

»Ja, inzwischen sind Deep-throat-Blowjobs auch Standardprogramm.«

»Echt jetzt?«

»Auf jeden Fall. Und du solltest viel auf seinen Penis spucken«, sagte Martha.

»Ich sollte viel auf seinen Penis spucken«, wiederholte ich.

»Ja, das ist Etikette, das gilt jetzt als höflich.«

»Etikette?«

»Das wird jetzt halt erwartet.«

»Kommt mir ein bisschen unhöflich vor, auf seinen Penis zu spucken.«

»Ich sage dir was, Jacinta«, erklärte sie, »du denkst, du machst was Tolles und Befreiendes und oh, jetzt bin ich Single, jetzt ficke ich rum wie Carrie aus Sex and the fucking City, oh, ich bin so post-feministisch und befreit … aber ich sage dir, du hast keine Ahnung, was sich im Sexbereich getan hat, während du in einer Beziehung warst. Die Erwartungen sind dermaßen gestiegen. Sex ist jetzt Leistungssport.«

»Schlimmer als Karneval der Kulturen kann es nicht sein«, sagte ich. »Manche der dicken, blassen deutschen Hausfrauen, die Maracas schütteln, haben rosa Pickel auf dem Rücken.«

»Was ist mit deiner Muschi? Hast du deine Muschi komplett rasiert?«, fragte Martha. »Komplett rasiert? Und wenn ich sage komplett, meine ich total komplett. Total haarfrei solltest du sein.«

»Na ja, schon«, sagte ich.

»Hast du schon?«, fragte sie.

»Ja«, sagte ich.

»Und dein Poloch?«, fragte sie. »Hast du dein Poloch gewaxt?«

Ich sagte nichts. Ich wiederholte die Worte im Kopf. Dann fragte ich: »Habe ich was?«

»Hast du dein Popoloch gewaxt? Wenn du dein Popoloch nicht waxt, wird er nach eurem Ficktermin seinen gesamten Freundeskreis anrufen und allen erzählen, dass du ein haariges Arschloch hast.«

»Ich soll das Arschloch waxen?«

»Ich hab’s dir doch gesagt. Es ist zu früh. Komm mit zum Karneval.«

Ich sagte langsam, deutlich, vorsichtig: »Martha. Ich finde es okay, dass Frauen Männern mehr gefallen wollen, als die Männer uns gefallen wollen. Ich finde das wirklich okay. Es ist traurig, aber ich akzeptiere es. So ist es halt. Wir wollen denen gefallen und gefallen ihnen nicht, und dann tun wir Sachen, um ihnen zu gefallen, aber es funktioniert meistens nicht, weil die Arschlöcher lieber Snooker spielen oder so. Ich bin nicht die Art Feministin, die das nicht akzeptiert. Das akzeptiere ich. Ich akzeptiere, dass wir den Männern mehr gefallen wollen als sie uns. Aber, aber, aber ich kann doch nicht, ich kann doch nicht … ich kann doch nicht die Innenbereiche meines Körpers enthaaren.«

»Wenn du nicht vorhast, dir das Arschloch zu waxen, kannst du auch nicht erwarten, dass er es ausleckt.«

»Dass ich das erwarte, habe ich nie behauptet. Oder?«

»Gut.«

Vielleicht sollte ich wirklich zum Karneval gehen, dachte ich mir. Ich sollte mir einen Afrikaner schnappen und ihn zwingen, in alle Wände meiner Wohnung lauter männliche Löcher zu bohren. Oder vielleicht sollte ich lernen, wie man eine Bohrmaschine benutzt. Aber diesen Gedanken lösche ich sehr schnell aus meinem Gehirn, noch schneller eigentlich als den Plan, mein Arschloch zu waxen.

Ja, das Schlimmste an einer Trennung ist also, wie engherzig man wird, wie kleinlich, wie berechnend. Ich habe vorher nie gedacht, dass ich rechnen kann, jetzt verrechnete ich mein Leben und all die Blowjobs, die ich gegeben hatte, mit dem Deutsch-Latein-Wörterbuch und Hemingways Kurzgeschichtensammlung, die Peter in der Wohnung vergessen hatte. Jetzt plötzlich verstand ich, warum Männer Frauen Schmuck kaufen sollten – das hatte ich vorher nie verstanden –, aber jetzt verstand ich das, es war eine Art Versicherung. Nachdem die Arschlöcher dich verlassen haben, bringst du diesen Schmuck zum Laden, und mit dem Geld, was du dafür bekommst, betäubst du den Schmerz ein bisschen.

Aber es ist nicht alles schlimm an Trennungen.

Die Wahrheit ist, wenn ich ehrlich bin: Ein bisschen gefiel mir die Freiheit auch, die ein gebrochenes Herz mit sich bringt. Normalerweise bin ich eine Frau, die immer darüber nachdenkt, was sie tun darf und was nicht. Jetzt war es mir egal. Ich wollte sterben, und alles was ich tat, um nicht sterben zu müssen, war erlaubt. Ich durfte in der Küche rauchen und Beyoncés Single Ladies tausendmal auf YouTube abspielen, tagsüber Disney-Filme gucken...

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