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E-Book

Erinnerungen

AutorSiegfried Wagner
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl147 Seiten
ISBN9783849624064
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
In 'Erinnerungen' schreibt Siegfried Wagner über seinen weltberühmten Vater, den Komponisten Richard Wagner. Ein biografisches Meisterwerk mit vielen Hintergründen.

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Leseprobe

Erinnerungen


 

 

Wohl dem, der eine glückliche Jugend hatte. Kein Frost, kein Sturm des späteren Lebens kann die Wärme verscheuchen, welche die Sonnenstrahlen einer frohen Kindheit in die menschliche Seele gesenkt haben. Solch eine Jugend ward mir und meinen Schwestern zuteil, und dafür wissen wir unsern Eltern ewigen Dank. Zu heiteren, wahren Menschen uns zu erziehen, war ihr Grundsatz. Mürrische Gesichter durften sich nicht sehen lassen. Wenn meine Schwestern mit schriftlichen Arbeiten sich zu plagen hatten, draußen aber die Sonne herauslockte, wurde ich schnell zu den Eltern geschickt: »Papa,« rief ich, »ich bin ganz allein, habe niemanden zum Spielen! Können die Schwestern nicht in den Garten kommen?« Gleich darauf tobten wir zu fünfen im Garten. Meiner Mutter, die ganz nach den Gesetzen des ancien régime erzogen war, wurden manchmal auf diese Weise die Erziehungsprinzipien von meinem Vater durchkreuzt; doch ihre geniale Natur fand sich schließlich auch in diese Erschütterungen ihrer Pläne. Selbst nachmittägliche Gänge zum Konditor – der höchste Genuß waren uns solche in Venedig zu dem berühmten Lavena – selbst diese ließ sie geschehen, wenn sie merkte, daß es meinem Vater Freude machte, uns mit Leckereien zu traktieren. Mit Lernen wurden wir auf diese Weise nicht übermäßig geplagt. Unser schöner Wahnfriedgarten war unsere eigentliche Schule, unsere Kameraden Hunde, Hühner, Kanarienvögel, wohl auch Salamander und Frösche, die sich in den Kleiderschränken versteckt wohl fühlen sollten, wenn sie auch in ihrem feuchten Elemente sich sicherlich glücklicher gefühlt hätten. An das erste bedeutende Ereignis meiner Jugend, die Grundsteinlegung des Festspielhauses im Jahre 1872, habe ich nur noch eine schwache Erinnerung. Meine Familie erzählte mir, daß ich mich ausgezeichnet sittsam benommen hätte. Als man mich fragte, was ich von der Festrede verstanden hätte, antwortete ich: »Deutsche Männer, gute Männer.« Sehr früh lernten wir Sprachen. Englische Gouvernanten sorgten für Kenntnis ihres Idioms, meine Mutter hatte Mühe, uns mit dem Französischen zu befreunden, denn das Künstliche dieser Sprache hat eher etwas für Kinder Abstoßendes. Am leichtesten fiel uns Italienisch, das uns bei den wiederholten Fahrten nach Italien am lebendigsten ins Gehör fiel. Mit meinen Hauslehrern hatte ich nicht viel Glück. Eine Ausnahme bildete natürlich Heinrich v. Stein, der später auch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gewordene, leider viel zu früh verstorbene Freund unseres Hauses. Durch Malvida v. Meysenbug meinen Eltern empfohlen, kam er nach Beendigung seiner Universitätsstudien in unser Haus und folgte uns nach Neapel, um dort in der Villa d'Angri meine Erziehung zu übernehmen. Mein Vater wünschte, daß ich möglichst bald mit dem Griechischen vertraut würde; bevor ich mich also mit dem nüchternen Latein zu beschäftigen hatte, wurde ich mit der herrlichen Sprache Homers bekannt und im Laufe der Jahre so vertraut, daß sie mir wie eine lebende lieb wurde. Mit der Sprache kam auch die Begeisterung für die Kunst und Dichtung Griechenlands, eine Begeisterung, die bis jetzt im gleichen Maße anhält. Hellas blieb für mich das verlorene Paradies. Es selbst zu schauen, scheute ich mich, denn ich fürchtete, daß das heutige Griechenland das ideale Bild, wie es in meiner Phantasie lebendig war, zerstören könnte. Leider konnte Heinrich v. Stein nicht lange bei uns weilen. Seine Habilitation an der Berliner Universität zwang ihn, Wahnfried zu verlassen, das er später nur noch während der Ferien aufsuchen konnte.

 

Von entscheidendem Einflusse auf meine ganze Entwicklung waren unsere wiederholten Reisen nach Italien. Des ewig grauen Himmels in Deutschland satt – ich erinnere mich, wie mein Vater die geballten Fäuste gegen die Wolken erhob und ausrief: »Diese verdammten Kartoffelsäcke!« –, zog er mit Kind und Kegel, von König Ludwig II. gütigst unterstützt, über die Alpen, um seine Sorgen und Mühen wenigstens vorübergehend zu vergessen und um Sonne, bildende Kunst und heiteres Volksleben zu genießen. Außer der königlichen Hilfe war es noch das eben eingetroffene, für damalige Zeiten sehr üppige Honorar für den Festmarsch, das die Reise ermöglichte. Nach den künstlerisch wohl glänzend, aber finanziell traurig beendeten ersten Festspielen 1876 führte uns die Reise über Verona, Venedig, Bologna nach Rom und Neapel. Damals erwachte in mir die Leidenschaft für die Architektur. Wie besessen lief ich von Kirche zu Kirche, von Palast zu Palast, und die ersten Versuche, mit dem Bleistift auf dem Papiere diese Eindrücke wiederzugeben, wurden anfänglich recht unbeholfen, allmählich aber ganz annehmbar gemacht, so daß meine Eltern mit Lächeln, aber auch mit Freude dieses alle überraschende Talent beobachteten, das sich da entwickelte.

 

Mein Vater war während dieser Reise in bester Laune. Nur in Rom wollte es zu keiner guten Stimmung kommen. Er wurde von taktlosen Menschen viel belästigt, der Anblick der zahllosen Priester reizte ihn; dazu mochten wohl auch schlechte Nachrichten über das Defizit der Festspiele aus Bayreuth eingetroffen sein. Ein Lichtblick war nur das erste Zusammentreffen mit dem Grafen Gobineau. Wir Kinder merkten natürlich weder von dem einen noch von dem andern etwas. Wir freuten uns, wenn die liebe Gräfin Isa Voß uns zu Schokolade einlud, und freuten uns weniger, wenn wir die Fürstin Karoline Wittgenstein zu besuchen hatten. Schon die Luft in ihrem Zimmer (es wurde anscheinend nie gelüftet), der penetrante Geruch stark duftender Blumen, brennende Wachskerzen und ihr eigentümliches Aussehen wirkten erschreckend auf unsere kindliche Phantasie. Nachdem sie uns zahlreiche Photographien von Antiken gezeigt hatte, mußten wir zum Abschied einzeln vor ihr niederknien, um von ihr einen recht lang ausgedehnten und mit ritualen Gebärden ausgestatteten Segen zu empfangen, was uns einerseits – da wir so etwas noch nie erlebt hatten – ängstigte, anderseits aber auch zum Lachen reizte. Ich fürchte, daß sie das leise Kichern gehört hat, denn wir wurden nie mehr eingeladen. Die Schokoladennachmittage bei der Gräfin Voß mit ihrem reichlichen Kuchensegen waren uns jedenfalls damals lieber als der polnisch-kirchliche Segen!

 

In Sorrent trafen meine Eltern mit Malvida von Meysenbug und mit Nietzsche zusammen. Malvida hatte einige Jahre vorher den Versuch gemacht, sich in Bayreuth niederzulassen, da sie aber das Klima nicht vertrug, zog sie nach dem Süden. Diese räumliche Trennung vermochte aber nicht die freundschaftlichen Beziehungen zu meinen Eltern zu lockern. Bei unserm langen Aufenthalte in Neapel 1880/81 weilte sie einige Zeit als Gast in der Villa d'Angri. Ihre geniale Heiterkeit war eigentlich das Band, das diese langjährige Freundschaft immer wieder von neuem knüpfte. Denn ich kann mich wohl besinnen, daß es in manchen Fragen oft große Gegensätze gab, die zu ernsten, ja heftigen Auseinandersetzungen führten, so zum Beispiel in Fragen des Christentums, ferner der Vivisektion, für die Malvida eintrat, und in politischen Dingen war sie auf dem Standpunkt von 1848 stehen geblieben, während mein Vater diesen längst überwunden hatte. Für Cavour hatte sie gar kein Interesse, während ihr Männer von der Richtung Mazzinis ans Herz gewachsen waren. Als es einmal wieder zu einer heftigen Diskussion kam und Malvida sichtlich irritiert und gekränkt sich in ihr Zimmer zurückzog, sandte mich mein Vater mit Blumen und einigen heiteren Zeilen zu ihr, um sie wieder zu versöhnen. Ich höre noch ihr lautes Lachen beim Lesen dieser Zeilen, und im Gegensatz zu manchen andern Freunden, die, die heftige Art meines Vaters mißverstehend, nach solchen Ausbrüchen gekränkt sein zu müssen glaubten, kam sie sofort mit mir in den Salon zurück, wo durch ihr Erscheinen alle Wolken der Mißstimmung verscheucht wurden.

 

Bei meinen späteren Aufenthalten in Rom hatte ich die große Freude, mit dieser an Herz und Geist so reich begabten Frau viel zu verkehren. Ich wohnte ganz in ihrer Nähe am Kolosseum, und es verging wohl kein Tag, an dem ich sie nicht besucht hätte. Gemeinsame Lektüre regte die Konversation an; wir lasen Thukydides, Platon und andre griechische Autoren zusammen; auch mußte ich ihr öfters aus meinen soeben beendeten Opern Bärenhäuter und Herzog Wildfang vorspielen. Ihr außerordentlich stark entwickelter Sinn für Humor fand in diesen beiden Werken Befriedigung. Beim Anhören der Dichtung zu Herzog Wildfang rief sie aus: »Mein Fidi,« – dies ist mein Kindername – »da brauchst du ja gar keine Musik dazu zu schreiben. Das solltest du als Schauspiel aufführen lassen.« Zwei Jahre später habe ich ihr noch die Dichtung meines Kobolds vorlesen können, und ich bin stolz darauf, aus dem Munde einer solchen Frau ehrliche Anerkennung vernommen zu haben. Die heitere Seite Malvidas kannten und weckten wohl am besten die Wahnfriedler. Andre wollten immer mehr aus ihr eine Art Egeria oder Makarie machen. Wenn diese Tonart angeschlagen wurde, kniff ich meistens aus, besonders wenn die Politik drankam. Tiefgewurzelt war in Malvida die Begeisterung für die Werke und Schriften meines Vaters; ihre Memoiren sind zu allgemein bekannt, als daß es nötig wäre, hier noch etwas darüber zu schreiben. Noch in ihren letzten Lebensjahren inszenierte sie, unterstützt von ihrer langjährigen Freundin, der Fürstin Marie v. Bülow, ein großes Wagnerkonzert in Rom, dessen Leitung ich übernahm.

 

Das...

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