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E-Book

Das wird mir nicht nochmal passieren

Meine fabelhafte Jugend

AutorTom Pauls
VerlagAufbau Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783841209153
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
'Lebe so, dass sich deine Freunde langweilen, wenn du gestorben bist.' Tom Pauls Tom Pauls, Kabarettist, Fernsehschauspieler und Musiker, gehört zu den unangefochtenen Stars des mitteldeutschen Kabaretts. Hier erzählt er erstmals und so persönlich wie nie zuvor von seinem Leben als Vollblutsachse und lässt den Leser hautnah teilhaben an den Siegen und Niederlagen des heranwachsenden Künstlers. Tom, der Junge mit den schwarzen Locken, ist Brandstifter, Grabräuber, Schulschwänzer, vor allem aber eine halbe Portion. Doch er hält von Anfang an dagegen: mit Schlagfertigkeit, Witz und der großen Gusche, für die ihn heute sein Publikum liebt. Wie Klamotten, Haare und Gesinnung einen Jugendlichen zum Kriminellen machen, warum es nicht ratsam ist, im Ferienlager an der Ostsee Sächsisch zu sprechen, und was passieren kann, wenn man in einer Leipziger Neubauwohnung mit einem Luftgewehr das Schießen übt - mitreißend und witzig erzählt Tom Pauls Anekdoten und Schoten aus seinem Leben.

Tom Pauls, geboren 1959 in Leipzig, ist Schauspieler und Kabarettist. Er ist Gründungsmitglied des 'Zwinger Trios', das über Sachsen hinaus große Bekanntheit erlangte. Bis 1990 war er für das Staatsschauspiel Dresden tätig. Gemeinsam mit Uwe Steimle und Holger Böhme kreierte er die Figuren Günther Zieschong und Ilse Bähnert. Seit 2007 ist Pauls Vorsitzender der Ilse-Bähnert-Stiftung, die sich für den Erhalt und die Förderung der sächsischen Sprache einsetzt. Er ist Prinzipal und Schauspieler des Theaters im Peter-Ulrich-Haus in Pirna, spielt dort seine erfolgreichen Programme und Stücke und begrüßt, wann immer er kann, die Gäste persönlich in seinem Theater. Zuletzt veröffentlichte er 'Ilse Bähnerts süßes Sachsen' und 'Deutschland, deine Sachsen'. Im Herbst 2013 erscheint im Aufbau Verlag 'Nischd wie hin. Unsere sächsischen Lieblingsorte' (zusammen mit Bernd-Lutz Lange).

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Leseprobe

Sprung in der Platte


Während der letzten Flut musste ich mit meiner Familie unser Dresdner Haus verlassen. Das Wasser der Elbe züngelte bedrohlich bis an die Sandsteinmauer des Grundstücks. Strom und Gas drehten wir ab. Der Hausrat war einige Tage sich selbst überlassen. Ich machte mir um vieles Sorgen, besonders um meine Schallplattensammlung. Sie lagerte im Keller. An die fünfhundert LPs standen dort in Kisten verpackt. Würden die schon betagten Cover von Led Zeppelin oder Pink Floyd die Feuchtigkeit überstehen? Es half nichts, ich musste die Zeit abwarten, bis der Fluss in sein Bett zurückkehrte. Wir bezogen unser Haus wieder. Sofort stieg ich in den Keller hinab und holte jede einzelne Scheibe hervor, um den Schaden zu prüfen. Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Nur die hohe Luftfeuchtigkeit hatte einige der Hüllen zu Wellpappe werden lassen.

Zwischen Rory Gallagher und Pink Floyd entdeckte ich ein fast vergessenes Foto aus den frühen siebziger Jahren. Das leicht knitterige Bild zeigte mich mit meinen besten Kumpels Schmerle und Schwimmbrot bei Schießübungen am Teich meiner Kindheit. Auf dem Schwarzweißabzug kneife ich ein Auge zu und ziele mit einer aus der ČSSR eingeschmuggelten imposanten Luftdruckpistole auf eine leere durchlöcherte Bierbüchse, den linken Zeigefinger am Abzug. Beim Schießen und beim Essen mit Messer und Gabel bin ich Linkshänder geblieben. Für die anderen Tätigkeiten trainierten mir die Lehrer in der Schule meine ursprüngliche Veranlagung ab, indem sie mich ab der ersten Klasse zwangen, den Stift in meine schwache Rechte zu nehmen. Auch Gitarre lernte ich als Rechtshänder. Das allerdings hatte einen pragmatischen Grund. Ich hätte sonst bei jedem fremden Zupfinstrument die Saiten neu aufziehen müssen.

Schmerle, Schwimmbrot und ich spielten und hantierten unheimlich gern mit Revolvern, Gewehren und mit scharfer Munition. Teilweise bauten wir derlei selbst, manchmal fanden wir so was in Leipziger Abfallcontainern oder auf Müllkippen. In den sechziger und siebziger Jahren liebten alle Jungs Western und Indianerfilme. Wir schauten sie im Kino oder im Fernsehen und spielten die Szenen draußen detailgetreu nach. Das Foto am Teich stammte in etwa aus dieser Zeit. Dieses Gewässer befand sich auf dem Gelände eines Betriebes zur Herstellung von Kunstmarmor, an der Leninstraße, im Süden der Stadt, wo ich aufgewachsen bin. In dem Weiher gab es eine kleine Insel. Und als die Eltern meines Freundes, denen das Areal gehörte, einmal mehrere voll funktionstüchtige Pistolen und Seitengewehre im finsteren Nass versenkten, tauchten wir tagelang, um sie wieder zu heben. Wir konnten diese Schätze jedoch leider niemals finden. Die Erwachsenen hatten das Waffendepot bei Aufräumarbeiten in einem Gartenhaus gefunden, jedes Stück war in braunes Ölpapier eingewickelt. Für sie bedeuteten die Knarren nur drohenden Ärger. Deshalb ließen sie die wundervollen Schießeisen und Bajonette auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Wir wollten so etwas nicht verstehen. Wie konnte jemand derart zerstörerisch mit dem Erbe unserer Vorväter umgehen?

Der Teich diente uns viele Sommer lang als Badegewässer. Beim Gedanken daran schüttelt es mich bis heute. Denn wenn wir aus der Brühe herausstiegen, hingen Blutegel an unseren nackten Körpern.

»Du siehst aus wie enne verweste Wasserleiche«, foppte mich Schmerle.

»Passe du off, dass sich die Würmer nich durch de Haut fressen und dir de Eingeweide wegspachteln«, sagte ich und betrachtete angewidert unsere Leiber.

Lachend pflückten wir die Weichtiere von der Haut und wischten uns den Schleim mit dem Handtuch ab.

Ich legte das Foto zurück zwischen die Schallplatten und kontrollierte meine Vinyl-Schätze weiter auf etwaige Flutschäden. Mit Daumen und Zeigefinger lupfte ich eine Langspielplatte mit dem Konterfei Bob Dylans. Meine Laune verdüsterte sich. Ich wusste auch sofort, warum. Genau diese Scheibe hatte mir einst sehr viel Kummer und tiefe Trauer beschert. Ich zog den flachen schwarzen Tonträger aus der Hülle. Wie in einer Rückblende erinnerte ich mich an das, was damals in Leipzig passiert war.

Die Platten, deren Interpreten und Lieder wir so liebten, gingen von Hand zu Hand. Wir überspielten sie auf Audiokassetten, um sie jederzeit und überall hören zu können. Dank meiner spendablen Westverwandtschaft besaß ich einige begehrte Stücke wie die Alben von Emerson, Lake and Palmer oder von Led Zeppelin. Sie verlieh ich im Tausch gegen andere rare Scheiben. »Bob Dylans Greatest Hits« von CBS gehörte zu meinen absoluten Schätzen. Das Cover zeigte den noch jugendlichen lockigen Meister mit einem Buch im Arm. Auf der kostbaren Langrille vereinten sich seine großen Songs. »Blowin’ In The Wind«, »Mr. Tambourine Man«, »Like A Rolling Stone« oder »I Want You«.

Jedes Mal legte ich das Werk mit allergrößter Vorsicht auf den Plattenteller, brachte die empfindliche Nadel behutsam in die dafür vorgesehene Position und ließ sie so sanft auf die rotierende Scheibe niedersinken, als würde mein Leben davon abhängen. Wenn ich meinen Dylan abgespielt hatte, steckte ich ihn sofort wieder in die Originalhülle, um ihn vor Staub, Kratzern oder Schlimmerem zu schützen.

Eines Tages verlieh ich das Wertstück an einen entfernteren Freund. Wenn ich mich richtig erinnere, hieß er Frank oder Falk. Jedenfalls bekam ich meinen Tonträger eine Ewigkeit lang nicht zurück. Ich wartete geduldig mehrere Wochen, dann hakte ich nach. Frank oder Falk, wie auch immer – er stand weinend vor meiner Tür in der Kommandant-Prendel-Allee und brachte kaum ein Wort über seine Lippen. Das Cover hatte er dabei.

»Was issn los? Bringste endlich mal die Scheibe zurück?«, fragte ich

»Ja, aber – mir is was Forschdbares dadormit bassiert!«, schluchzte er.

»Wie? Wasn?«

Er zog die Platte aus der Tasche und zeigte mir, was er meinte.

»Die is mir offn Glastisch geknallt, genau off de Ecke. Das dud mir so leid!«, bat er flennend um Verzeihung.

Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Vom Rand der LP war ein Stück herausgebrochen, etwa so groß wie ein Daumennagel. Ich schaute starr vor Schreck auf Dylans Greatest Hits. Frank oder Falk stammelte weiter.

»Dommi, du hast een Gefalln gut bei mir, versprochen!«, sagte er.

Schweigend entriss ich ihm die Platte, schlug die Tür zu. Mit Frank (oder Falk?) wechselte ich nie mehr ein Wort. Weiß der Teufel, wie er den Zacken Vinyl aus der Platte herausbekommen hatte. Ersetzen konnte mir der linkische Unglücksrabe den Schaden sowieso nicht. Ich hätte heulen können. Die ersten beiden Songs auf der A- und auf der B-Seite waren für immer verloren, darunter »Blowin’ In The Wind« sowie »One Of Us Must Know«. Heute gibt es so was für fünfzehn Euro im Internet. Damals verlor ich etwas Unersetzliches.

Ich nahm die Platte aus dem Keller mit hoch unters Dach, in mein Arbeitszimmer. Nach einem kurzen nostalgischen Innehalten packte es mich. Ich griff zum Handy und wählte die Nummer meines alten Leipziger Kumpels. Es war der, mit dem ich am erwähnten Teich und am Völkerschlachtdenkmal so viele unglaubliche Abenteuer bestanden hatte.

»Hallo, mein Bester, hier ist Tom«, sagte ich, und wir unterhielten uns eine Weile darüber, wie es uns geht und was dieser und jener gerade so treibt. Dann fragte ich: »Sag mal, weißt du noch, wie damals dieser Vogel hieß, der mir meine Greatest Hits von Bob Dylan demoliert hat?«

Mein Kumpel überlegte und sagte: »Frank!« Dann schob er nach: »Oder Falk, so genau kann ich dir das nicht mehr sagen! Ist das wichtig?«

»Nein, mir fallen bloß gerade eine Menge Dinge aus dieser Zeit ein, nur dieser Name nicht!«

»Weil du gerade von Namen redest«, unterbrach mich mein Kumpel. »Ich habe in meinen Sachen aus den frühen siebziger Jahren eine Visitenkarte gefunden, sie stammte von deinem Vater! Willst du sie zurück?«

Ich wusste genau, was er meinte. Als Fünftklässler war ich eines Nachmittags an den Schreibtisch meines Vaters gegangen und hatte in der Schublade nach Sachen gekramt, die mir gefallen könnten. Ich fand eine kleine versilberte Blechdose zum Aufklappen. Darin lagen zwanzig blütenweiße Pappkärtchen, auf denen mit schwungvollen schwarzen Buchstaben der Name meines Vaters und unsere Adresse standen. Ich fand das faszinierend. In der DDR waren private Drucksachen kostbare Wertgegenstände. Wer eine Druckerei bemühen wollte, brauchte eine entsprechende Genehmigung und eine offizielle Freigabe, ob für Trauerkarten oder eben für Visitenkarten. Der Staat wollte stets wissen, was vervielfältigt wurde. Überall sahen die SED-Funktionäre die Gefahr illegaler Flugblätter und Agitation. Ich packte die Visitenkarten in meinen Ranzen und nahm sie am nächsten Tag mit in die Schule. Wie ein gönnerhafter Betriebsdirektor verteilte ich die Kärtchen während der großen Pause an alle Klassenkameraden, denen ich imponieren wollte. Sie fanden das witzig und nannten mich einen ganzen Tag lang »Herr Dr. Pauls«.

Es dauerte nicht lange, bis mein Vater den Verlust bemerkte. Es gab nur einen, der ihm seine Visitenkarten entwendet haben konnte – ich, sein ältestes Kind, ein Junge, der zu viele Dummheiten im Kopf hatte. Er nahm mich zur Brust und verlangte unmissverständlich, dass die Drucksachen bis zum Ende der Woche vollzählig wieder in der Blechschachtel liegen.

Mir blieb nichts anderes übrig, als in den folgenden Tagen meine Mitschüler abzuklappern, denen ich so ein Kärtchen in die Hand gedrückt hatte....

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