Warum durfte ich während meiner Schulzeit an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland nur äußerst selten außerschulisches Lernen erfahren? Diese Frage stellte sich mir, nachdem ich ein Schuljahr an einer High School in den USA verbracht und dort das Fach „Environmental Science“ kennengelernt hatte. In diesem naturwissenschaftlichen Schulfach mit Schwerpunkt Biologie war es selbstverständlich, dass der Unterricht fast ausschließlich außerhalb des Schulgebäudes stattfand. Einen Großteil der Zeit hielt man sich in der freien Natur auf und machte Beobachtungen der heimischen Flora und Fauna, die protokolliert und später ausgewertet wurden.
Diese Form des außerschulischen Lernens mit vielen Primärerfahrungen war für mich in diesem Umfang neu und blieb mir als ein sehr eindrückliches und positives Erlebnis in Erinnerung.
Die Möglichkeiten solcher Primärerfahrungen werden für die Schülerinnen und Schüler in der heutigen Zeit immer geringer, so führt zum Beispiel die starke Medienpräsenz dazu, dass Kinder und Jugendliche immer mehr Sekundärerfahrungen machen. Für die Schule bedeutet dies, dass sie die veränderte Kindheit berücksichtigen und mehr Primärerfahrungen ermöglichen sollte. Hierfür würde sich Lernen an außerschulischen Lernorten hervorragend anbieten, denn Primärerfahrungen sind ein wesentliches Merkmal des Konzepts des außerschulischen Lernens.
Dies ist auch einer der Gründe, weshalb einige Schulen das außerschulische Lernen verstärkt fördern. Eine dieser Schulen ist eine Grund- und Werkrealschule im Kreis Esslingen, die mit ihren Schülern zweiwöchige Aufenthalte auf einem Schulbauernhof durchführt und von positiven Erfahrungen berichtet.
Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich deshalb den Schulbauernhof als außerschulischen Lernort besonders berücksichtigen. Dabei soll schwerpunktmäßig untersucht werden, welche pädagogischen Begründungen und Bedingungen für erfolgreiches außerschulisches Lernen erfüllt sein müssen und welche Möglichkeiten es bietet.
Neben der historischen Entwicklung außerschulischen Lernens widme ich mich auch den aktuellen Entwicklungen zu außerschulischem und informellem Lernen.
Um zu ermitteln, wie erfolgreich außerschulisches Lernen ist, beschreibe ich die Ergebnisse einer Studie zu Biologieexkursionen. Zwei weitere Studien befassen sich mit außerschulischem Lernen auf Schulbauernhöfen in den Niederlanden und in Norwegen, eine weitere von mir selbst durchgeführte Studie mit einem Schulbauernhof in Deutschland.
Meine Studie ist Bestandteil des praktischen Teils dieser Arbeit. Sie beschreibt den Ablauf eines Besuches zweier Klassen einer Grund- und Werkrealschule auf dem Schulbauernhof Pfitzingen und die Ergebnisse einer Befragung zu den persönlichen Erfahrungen der teilnehmenden Schüler und Lehrer.
Für den Begriff „Lernort“ gibt es unterschiedliche Definitionen. Der Deutsche Bildungsrat definiert diesen Begriff folgendermaßen:
Unter Lernort ist eine im Rahmen des öffentlichen Bildungswesens anerkannte Einrichtung zu verstehen, die Lernangebote organisiert. Der Ausdruck ‚Ort’ besagt zunächst, dass das Lernen nicht nur zeitlich […], sondern auch lokal gegliedert ist. Es handelt sich aber nicht allein um räumlich verschiedene, sondern in ihrer pädagogischen Funktion unterscheidbare Orte (Deutscher Bildungsrat 1974, S. 69).
Etwas weitreichender ist die Definition von Reinhold, Pollak & Heim:
Als Lernorte gelten neben der Schule noch solche Orte oder Institutionen, an denen institutionalisiertes Lernen stattfindet, etwa ein Betrieb, eine Lernwerkstatt, Studio etc. Das Lernangebot wird durch die Pluralität der Lernorte differenziert. Ebenso werden aber auch solche Orte als Lernorte bezeichnet, an denen aber gleichwohl gelehrt und gelernt werden kann und die etwa im Rahmen von Projekten oder Exkursionen besucht werden können. Ein weiterer Aspekt des Lernortes ist der des Umfeldes, in dem Lehren und Lernen stattfindet […] (Reinhold, Pollak & Heim 1999, S. 367).
Das Wort „außerschulischer Lernort“ setzt sich aus zwei Begriffen zusammen.
Es beschreibt zum einen den Ort an sich, an dem das Lernen stattfindet, aber auch die Tätigkeit, die an diesem Ort stattfindet, das außerschulische Lernen.
Sauerborn und Brühne sind der Auffassung, dass außerschulisches Lernen nur sehr schwer explizit definiert werden kann. Über eine Bausteindefinition versuchen sie, den zu definierenden Begriff über seine erforderlichen Bestandteile und Merkmal einzugrenzen:
Wesentliche Elemente dieser Bausteindefinition sind:
- die originale Begegnung
- die unmittelbare Auseinandersetzung des Lernenden mit seiner Umgebung
- die Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung
- Möglichkeiten zur Primärerfahrung
(vgl. Sauerborn & Brühne 2010, S. 27)
Auch Schaub und Zehnke liefern eine Definition zu außerschulischen Lernorten unter dem Lexikoneintrag „Erkundung (Syn. Erkundungsgang, Unterrichtsgang; engl. exploratory trip)“.
Sie bezeichnen die Erkundung beziehungsweise außerschulisches Lernen ebenfalls als eine „sinnlich-anschauliche[ ], reale[ ] Begegnung z. B. mit der Tier- und Pflanzenwelt, mit geographischen Besonderheiten, mit Arbeitsabläufen und Menschen in Betrieben und Behörden, mit Verkehrs-, Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen, mit historischen Baudenkmälern oder Gegenständen in Museen […]“ (Schaub & Zehnke 2007, S. 205).
Das außerschulische Lernen vermittelt ihrer Meinung nach Primärerfahrungen, das heißt, „Lernerfahrungen, [die] handlungsorientiert und unmittelbar vor Ort gemacht werden können.“ Somit stellt außerschulisches Lernen Sekundärerfahrungen in den Hintergrund: Erkundung soll dazu beitragen, dass die außerschulische Umwelt in Natur und Gesellschaft nicht nur über Medien vermittelt wird (vgl. Schaub & Zehnke 2007, S. 205).
Es ist zu beachten, dass einige Definitionen zum außerschulischen Lernen den „Unterricht an Außenlernorten“ vom „außerschulischen häuslichen Lernen“ abgrenzen. Das Lernen zu Hause kann durchaus als außerschulisches Lernen bezeichnet werden, da das Lernen nicht in der Institution Schule stattfindet. Jedoch muss bedacht werden, dass hierbei häufig nur die fachlichen Kompetenzen durch die Selbstständigkeit, Eigeninitiative und Eigenplanung der Schülerinnen und Schüler erlangt werden, andere Kompetenzen, beispielsweise die Sozialkompetenzen, und pädagogische Anleitungen keine Rolle spielen und daher durch die fehlende Lehrkraft kein gelenktes und geplantes Lernen stattfindet (vgl. Sauerborn & Brühne 2010, S. 26).
In dieser Arbeit wird das außerschulische häusliche Lernen nicht berücksichtigt.
Der Begriff des außerschulischen Lernens wird häufig auch im Zusammenhang mit „nicht formalem Lernen“ und „informellem Lernen“ verwendet (siehe auch Definitionen in Kapitel 4.3.1). Da informelles Lernen nicht in Bildungs- oder Ausbildungseinrichtungen stattfindet, handelt es sich hierbei auch immer um außerschulisches Lernen.
Als Lernort Bauernhof wird ein landwirtschaftlicher Betrieb bezeichnet, an dem Schülerinnen und Schülern, unter Berücksichtigung von pädagogischen und didaktischen Aspekten, ein aktives und selbstständiges Lernen ermöglicht wird. Die Schülerinnen und Schüler lernen durch Erleben, Erfahren und Erkunden des Betriebs wie landwirtschaftliche Lebensmittel erzeugt werden. Schockemöhle definiert den Lernort Bauernhof als einen landwirtschaftlichen Voll- und Nebenerwerbsbetrieb, der in erster Linie für die landwirtschaftliche Erzeugung von Lebensmitteln konzipiert ist und nur zeitweise als Lernort genutzt wird.
Sie macht zudem darauf aufmerksam, dass der Begriff „Lernort Bauernhof“ nicht für alle Institutionen in der Landwirtschaft gleichermaßen verwendet werden kann:
Der Begriff „Lernort Bauernhof“ umfasst nicht Einrichtungen und Initiativen wie beispielsweise Jugendfarmen, Tierfarmen oder Urlaub auf dem Bauernhof, bei welchen zum einen der Bezug zur Landwirtschaft sehr gering ist und/oder der pädagogische Nutzen eine untergeordnete Rolle spielt...