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Bildung: Angebot oder Zumutung?

Ein Theorienvergleich von Bourdieu und Foucault

AutorLaura Kajetzke
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl289 Seiten
ISBN9783531908267
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis62,99 EUR
Auf den Begriff der Bildung ist Dieter Lenzen in seinen wissenschaftlichen Arbeiten immer wieder zurückgekommen. Wenn Bildung die Aneignung von Welt bedeutet, dann schienen lange Zeit insbesondere die hohen Freiheitsgrade dieser Aneignung entscheidend: 'Erziehung ist eine Zumutung, Bildung ein Angebot'. Der gemeinsame Bezugspunkt der Beiträge in diesem Sammelband ist der Begriff der Bildung. In den unterschiedlichen - historischen, systematischen und funktionalen - Analyseperspektiven entfalten die Autoren den Begriff in diversen thematischen Kontexten im Spannungsverhältnis von Angebot und Zumutung.

Dr. Yvonne Ehrenspeck ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Dr. Gerhard de Haan ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft und erziehungswissenschaftliche Zukunftsforschung an der FU Berlin.
Dr. Felicitas Thiel ist Professorin für Schulpädagogik an der FU Berlin.

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Leseprobe
4.2 Wissen als Ressource: kulturelles Kapital (S. 53)

Kulturelles Kapital tritt in drei möglichen Formen auf: als kulturelle Güter, d.h. in objektiver Form, z.B. als Bücher oder Gemälde, in institutionalisierter Weise als gesellschaftlich anerkannte Bildungstitel und schließlich in inkorporierter Form durch angeeignete ,,Bildung (Bourdieu 2001b: l13f.).

Bourdieu verwendet den Begriff des kulturellen Kapitals, um zu zeigen, dass das Wissen eines Akteurs das Resultat gesellschaftlicher Arbeit ist, die das Umfeld und der Akteur selbst in seine Bildungsentwicklung investiert haben. Die Aneignung kulturellen Kapitals durch Inkorporierung ist ein Prozess, der Kultur in den Körper einschreibt.

Diese Art des Wissenserwerbs als verinnerlichte kulturelle Fähigkeiten und Fertigkeiten bezeichnet Bourdieu als ,,Bildung (ebd.: 116). ,,Wissen stellt in diesem Fall eine Ressource des Akteurs dar, auf die zurückgegriffen werden kann, ist aber auch mehr als das: Es ist in Form des Habitus erlerntes und praktiziertes Wissen, d.h. Teil der Identität eines Akteurs. Diese Ressource ist sozial ungleich verteilt:

,,In Wirklichkeit jedoch vermittelt jede Familie ihren Kindern auf eher indirekten als direkten Wegen ein bestimmtes kulturelles Kapital, ein System impliziter und tief verinnerlichter Werte, das u.a auch die Einstellungen zum kulturellen Kapital und zur schulischen institution entscheidend beeinflusst. (ebd. 26, Hervorhebungen im Original, L.K.)

Das ,,kulturelle Erbe (ebd.) wird durch ,,soziale Vererbung weitergegeben, d.h. die Kapitalstruktur der Familie in ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht spielt eine erhebliche Rolle in Bezug auf die Inkorporierung des kulturellen Kapitals durch einen Akteur (ebd.: 114). Bildung zu inkorporieren heißt nicht nur schulisches oder akademisches Wissen zu erlangen, sondern auch Wissen über Verhaltensweisen, soziale Kompetenz und auch Wissen in der Form eines als wahrhaftig empfundenen Genusses eines sonst unverständlichen Kunstwerkes oder Musikstückes.

Kulturelles Kapital in objektivierter Form kann folglich nur mit einem ,,gebildeten Habitus erfasst werden, erfordert also vorangegangene inkorporierte Bildungsarbeit.

So kann festgestellt werden, dass Bildung elementarer Teil des Habitus ist. Da dieser die Machtverhältnisse zwischen Feld und Akteur repräsentiert, ist im Habitus nach den Möglichkeiten und Grenzen dessen zu suchen, was ein Akteur wissen kann. Das Feld setzt die institutionellen Voraussetzungen für die Verteilung des kulturellen Kapitals (Bourdieu 1987: 237).

Akteure, deren unmittelbares Umfeld mehr ökonomisches und kulturelles Kapital aufweist, haben, wie Bourdieu auch empirisch nachweist, bessere Chancen der Interessensdurchsetzung in der Schule und im späteren Berufsleben (Bourdieu 2001 b: 25ff., Bourdieu/Passeron 1971).

4.3 Wissen als Kognition: symbolisches Kapital

Unter symbolischem Kapital versteht Bourdieu das Kapital an Renommee und Prestige, das mit den jeweils anderen Kapitalsorten verbunden ist. Es handelt sich um die soziale Legitimation, welche der Handlung oder dem Besitz eines Akteurs von anderen Akteuren oder Gruppen im jeweiligen Feld entgegengebracht wird. Das symbolische Kapital beruht dabei auf der Akkumulation der anderen Kapitalsorten, ökonomisch, sozial und kulturell, und ist eine Wahrnehmungsinstanz:

Das symbolische Kapital (...) ist nicht eine besondere Art Kapital, sondern das, was aus jeder Art von Kapital wird, das als Kapital, das heißt als (aktuelle oder potentielle) Kraft, Macht oder Fähigkeit zur Ausbeutung verkannt, also als legitim anerkannt wird. (Bourdieu 2001 a: 311)
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort: Wer bestimmt, was Mensch wissen muss?10
1 Wissen und Diskurs in Theorie und Methode20
2 Wissen und Diskurs als Konzepte der Soziologie28
2.1 Wissen als Gegenstand der Soziologie28
2.2 Diskurs als Konzept der Soziologie30
3 Wissen bei Foucault34
3.1 Wissen und Macht35
3.2 Wissen und Subjekt38
3.3 Wissen im Dispositiv42
3.4 Wissen im Diskurs45
4 Wissen bei Bourdieu54
4.1 Wissen und Macht55
4.2 Wissen als Ressource: kulturelles Kapital59
4.3 Wissen als Kognition: symbolisches Kapital60
4.4 Wissen im Diskurs65
5 Wissen und Diskurs bei Foucault und Bourdieu: Ein Vergleich76
5.1 Wissen bei Foucault und Bourdieu77
5.2 Diskurs bei Foucault und Bourdieu84
5.3 Wissen in der PISA-Studie: Zahlen und Hintergrund87
5.4 Bourdieu: Die PISA-Studie als Häresie91
5.5 Foucault: Die PISA-Studie als Disziplinierung94
6 Methodologie: Von der Diskurstheorie zur Diskursanalyse100
6.1 Die Methode: Grounded Theory102
6.2 Kritik und diskursanalytische Erweiterung107
7 Wissen im PISA-Diskurs: Zwei Analysen116
7.1 Der Diskursstrang118
7.2 Die Diskursfragmente119
7.3 Die Diskursordnung123
7.4 Analyse I: Wissen und Bildung im PISA-Diskurs135
7.5 Analyse II: Das Wissen über das Schüler-Subjekt144
8 Die Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Deutungen156
8.1 Ein Resümee156
8.2 Ausblick160
Literaturverzeichnis164
Verzeichnis der Zeitungsartikel178
Artikel PISA 2001178
Artikel 2004183
Personenregister188
Sachregister190

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