Bier – eines der ältesten Lebensmittel der Menschheit
Bier ist keine Erfindung unserer bayrischen Vorfahren aus dem Mittelalter. Streng betrachtet ist es nicht einmal eine deutsche Spezialität, denn vor ungefähr 6000 Jahren, bei den Sumerern und später bei den Babyloniern, gab es schon eine ausgeprägte Kneipenkultur mit etwa zwanzig Biersorten.
Die Menschen brauten Schwarzbier, Dünnbier, Weißbier, ja sogar ein »Lagerbier«, das tausend Kilometer weit weg nach Ägypten exportiert wurde. Damals wurde im Zweistromland wohl ordentlich gezecht, denn fast die Hälfte der Getreideernte soll in die Bierproduktion geflossen sein. Offenbar hatten unsere Vorfahren ein besonderes Verhältnis zu diesem Getränk, und daran hat sich bis heute wohl nichts geändert!
Allerdings sahen das nicht alle Menschen so: Bier – das Gebräu der Barbaren. »Als Getränk haben die Germanen ein schauerliches Gebräu aus Gerste oder Weizen gegoren, ein Gebräu, welches mit Wein eine sehr entfernte Ähnlichkeit hat«, so beschrieb der römische Geschichtsschreiber Tacitus das Bier. Die Römer, verwöhnt von Sonne und Wärme, stillten ihren Durst hauptsächlich mit Wasser und Wein. Bier war für sie ein Getränk zweiter Wahl, doch historisch gesehen waren die Menschen schon Tausende von Jahren zuvor auf den besonderen Geschmack dieses Gebräus gekommen.
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Wandzeichnung eines ägyptischen Paares bei der Getreideernte. Gefunden in einem Grabmal bei Deir el-Medina
Eine Grundbedingung hierfür war die Sesshaftigkeit der Menschen, denn nur so konnten sie den Grundstoff des Bieres anbauen – das Getreide. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das erste »Bier« sogar durch ein Versehen entstand. Ein Brotteig begann zu gären, mit der Zeit entstand ein Brei, der eine leicht berauschende Wirkung hatte, denn Bier ist im Prinzip flüssiges vergorenes Brot. Der erste schriftliche Hinweis auf ein Brauverfahren ist etwa 6000 Jahre alt. Er stammt von den Sumerern, die im Zweistromland, dem heutigen Irak, zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris lebten. Auf einigen Keilschrift-Tontäfelchen, die nach ihrem Entdecker Monsieur Bleu auch »Monument bleu« genannt werden, wird ein Brauverfahren im Detail beschrieben: Das Getreide Emmer wird enthülst, aus den gereinigten Körnern werden Fladen gebacken, und daraus wird dann Bier hergestellt. Aus anderen Quellen geht hervor, dass die Sumerer ihr Bier, das auch Kasch genannt wurde, mit Honig und allerlei Gewürzen aufpeppten. Bis heute kursieren sagenumwobene Geschichten, so z. B. von der schönen Kubaba, einer wohl bildhübschen Sumererin, die außerhalb von Babylon eine Bierschänke betrieb. Ob es an ihrer Schönheit oder am guten Bier lag, bleibt offen, doch mit der Zeit entstand rings um die Wirtschaft die Stadt Kisch. Im zweiten Jahrtausend v. Chr. zerfiel das Reich der Sumerer und die Babylonier kamen an die Macht. Die Tatsache, dass man in Babylon bereits zwanzig verschiedene Biersorten kannte, spricht für die Beliebtheit des Getränkes. Einige Sorten waren Mischbiere aus Emmer und Gerste, und der berühmte König Hammurabi legte sogar lange vor dem »Reinheitsgebot« auch die Qualität der Biersorten genau fest. So heißt es im »Codex Hammurabi«, den man heute im Louvre-Museum in Paris bestaunen kann:
- Die Wirtin, die sich ihr Bier nicht in Gerste, sondern in Silber bezahlen lässt, oder die minderwertiges Bier teuer verkauft, wird ertränkt.
- Eine Priesterin, die eine Wirtschaft aufsucht oder gar eine Wirtschaft eröffnet, wird verbrannt.
- Bierpanscher werden in ihren Fässern ertränkt oder so lange mit Bier voll gegossen, bis sie ersticken.
Mit der Zeit versuchten die Menschen das Bier mit allerlei Zusätzen sowohl haltbarer zu machen als auch den Alkoholgehalt zu steigern. Die Ägypter versüßten ihr Bier, indem sie zum Beispiel süße Datteln hinzu gaben.
Das Bier der Pharaonen
Die Geschichte des Biertrinkens ist so alt wie die geschriebene Menschheitsgeschichte. Zu einer Zeit, als bei uns Ötzi durch den Schnee der Alpen stapfte, hart an der Grenze zur Steinzeit, entwickelten sich einige Tausend Kilometer südöstlich die ersten Hochkulturen: Das Reich der Sumerer, der Babylonier und der Ägypter. Allen gemeinsam ist, dass sie damit anfingen, Wissenswertes niederzuschreiben – oder besser: in Stein zu meißeln. Wichtige Voraussetzung für diese Kulturentfaltung war, dass die Menschen sesshaft wurden. Dazu zwang Überbevölkerung die damaligen Jäger und Sammler; nomadisierende Stämme kamen sich immer öfter in die Quere, jagdbares Wild und essbare Pflanzen wurden zum knappen Gut. Aus den Jägern ohne festen Wohnsitz entwickelten sich Ackerbauern, die Gräser kultivierten – Frühformen unserer heutigen Getreidearten. Es entwickelte sich die Kunst des Brotbackens und Bierbrauens. Getrunken wurde damals mit Saugröhrchen aus großen Tonkrügen. Die überdimensionalen Strohhalme sollten verhindern, dass Rückstände des ungefilterten Bieres in den Mund gerieten. Aus dem sumerischen Reich entstand die Kultur der Babylonier, bekannt durch den Turmbau zu Babel. Etwa zeitgleich mit den Sumerern entwickelte sich auch in Ägypten die Bierbraukunst. Hier entstand die erste »Brauindustrie« großen Stils – Bierbrauerei war Staatsmonopol. Bier gehörte am Nil zum Alltag, war neben Brot das Grundnahrungsmittel. Für Bier und den Bierbrauer gab es eigene Hieroglyphen. Bier war Teil des Soldes in der Armee, auch Beamte wurden mit dem Getreidesaft entlohnt. Selbst Sklaven erhielten zwei Krüge pro Tag, eine Art staatlich verordnetes Existenzminimum. Dass wir heute so viel über das Bier der Pharaonen wissen, verdanken wir der Tatsache, dass die Ägypter an ein Leben nach dem Tod glaubten. So gaben sie den Verstorbenen auf ihrer letzten Reise alles mit, was sie für ihr neues Leben brauchten – auch Bier und Brauzutaten. In den Gräbern fanden sich zahllose Hinweise auf urägyptische Bierbraukunst. Neben Bierrohstoffen, also Getreidekörnern, und Krügen mit eingetrockneten Bierresten lieferten Wandmalereien, Bierbrau-Szenen auf Steinreliefs und Darstellungen auf Opferstellen Informationen über das Nationalgetränk der Nilbewohner. Diese Kunstwerke auslegend versuchten Forscher immer wieder, dem Rezept des Pharaonen-Bieres auf die Spur zu kommen. Die Quintessenz der gängigen Lehrmeinung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Aus gemahlenem Getreide und Wasser wurde ein Sauerteig hergestellt. In offenen Öfen buken die Ägypter den Teig zu Brotfladen, die außen zwar eine Kruste hatten, innen aber noch roh waren. Die Brote schnitt man in Stücke, weichte sie in Wasser ein und drückte sie durch ein Sieb in einen großen Bottich. Der wurde mit Wasser aufgefüllt, gut durchgerührt und stehen gelassen. Den Gärprozess haben vermutlich wilde Hefen aus der Luft oder den manchmal zugegebenen Datteln in Gang gesetzt. Das auf diese Weise entstandene Bier wurde schnell schlecht, musste also möglichst rasch getrunken werden. Geschmacklich hatte das Gebräu vermutlich kaum etwas mit dem zu tun, was wir heute darunter verstehen.
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Altägyptisches Holzmodell zur Bierherstellung im Ägyptischen Museum in San Jose, Kalifornien.
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Der Fundort der »Brauerei der Pharaonen« in Deir el-Medina
Im Jahre 1993 fanden britische Archäologen bei Ausgrabungen am Nil in der Gegend von Armana und Deir el-Medina Überreste, die neue Erkenntnisse über das Volksgetränk der alten Ägypter versprachen. Unter einer nur fünfzig Zentimeter dünnen Sandschicht entdeckten sie die Räume eines antiken Brauhauses. Tongefäße und sogar Trockenöfen kamen unversehrt ans Tageslicht. In den Bottichen hatten Rückstände von Bierzutaten im trockenheißen Wüstenklima Mittelägyptens die Jahrtausende nahezu unversehrt überstanden. Diese Bierreste nahm eine britische Forscherin genauer unter die Lupe. Bei ihren lichtmikroskopischen Untersuchungen entdeckte die Altertumsbiologin Delwen Samuel von der Universität Cambridge Bruchstücke von Getreidespelzen und Kleiesplitter. Es musste sich also ganz sicher um die Reste eines Getreideproduktes handeln. Infrage kam hier nur das Bier. Die Lichtmikroskopie förderte jedoch nur die verwendeten Rohstoffe zutage, verriet aber nichts über den Brauprozess. Hier musste ein anderer Weg gefunden werden. Samuel machte sich die Erkenntnisse der modernen Lebensmitteltechnologie zunutze: Sie konzentrierte sich auf die im Getreide enthaltene Stärke. Von der modernen Getreideforschung weiß man, dass sich die Struktur der Stärkekörnchen entsprechend dem Prozess der Getreidebehandlung verändert. Diese Erkenntnisse lieferten der Altertumsbiologin...