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E-Book

Von der Wüste und vom Meer

Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht

AutorAchill Moser, Wilfried Erdmann
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783455850499
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Den Weltumsegler Wilfried Erdmann und den Wüstenwanderer Achill Moser verbindet der gelebte Traum von Freiheit, Abenteuer und selbstbestimmtem Leben. Beide haben die Gesetze absoluter Extreme erfahren. In diesem Buch erzählen sie von den Herausforderungen ihrer Reisen und was man von Meer und Wüste lernen kann. Der eine segelte als erster Deutscher allein um die Welt, umrundete die Erde nonstop in 271 Tagen und durchsegelte ganz allein die Weltmeere gegen den Wind in 343 Tagen, was vor ihm erst vier Segler geschafft hatten. Der andere erwanderte sich als erster Deutscher Chinas Wüste Gobi, zog wie ein Nomade in 135 Tagen von Westen nach Osten durch die Sahara und durchquerte als Erster 25 Wüsten der Welt zu Fuß oder mit Kamelen. Beide haben in Meereswüste und Sandozean die Magie der Einöde und den Zauber zeitloser Leerräume zu spüren bekommen, in denen Leben und Tod dicht beieinander liegen. Für dieses Buch trafen sie sich zum Gedankenaustausch.

Wilfried Erdmann ist einer der bekanntesten deutschen Seesegler. 1940 in Pommern geboren, lebt er heute in Schleswig-Holstein. Im Alter von 18 Jahren setzte er sich aufs Fahrrad und fuhr nach Indien. 1966 -1968 gelang ihm als erstem Deutschen die Einhand-Weltumseglung, 2000/2001 segelte er gegen die vorherrschenden Winde in 343 Tagen nonstop um die Welt. Er veröffentlichte Reportagen, Filme und Bücher, darunter den Bestseller Allein gegen den Wind (2007). Mehr unter www.wilfried-erdmann.de

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Leseprobe

Den Sand lieben und mit dem Wind wandern

Achill Moser

Jeder von uns bewahrt mehr oder weniger verborgen eine Sehnsucht nach dem Nomadenleben.

Michel Butor

Als ich fünfzehn war, wollte ich zum Mare Tranquilitatis. Ein lateinischer Name, der soviel wie »Meer der Ruhe« bedeutet. Ein Meer ohne Wasser, deren steinerne Wellen von einem nicht vorhandenen Wind aufgekräuselt wirken. Von diesem Mare Tranquilitatis träumte und schwärmte ich, sodass mich meine Freunde zuweilen für total verrückt hielten. Und recht hatten sie, denn der Haken war, dass das Mare Tranquilitatis ein Mondmeer ist auf dem Erdtrabanten, das sich auf den selenographischen Koordinaten 8° 30' N 31° 24' E befindet. Eine lebensfeindliche Region, die in Äquatornähe des Mondes liegt, der seit Tausenden Millionen Jahren ein toter Trabant ist.

Ohne einen Tropfen Wasser, ohne Pflanzen, ohne Menschen und ohne Tiere ist das Mare Tranquilitatis ein wüstes Meer, das einen mittleren Durchmesser von 873 Kilometern hat. Dort, inmitten einer relativ ebenen Oberfläche, landete am 20. Juli 1969 die erste bemannte Mondfähre von Apollo 11. Wie eine überdimensionale Spinne wirkte die in einer Prismenform gebaute Landefähre Eagle mit ihren vier Teleskopbeinen. Als sie mit den amerikanischen Astronauten Neil Armstrong und Edwin Aldrin sanft auf der Mondoberfläche aufsetzte, wirbelte sie Milliarden Jahre alten Wüstenstaub auf, während Michael Collins an Bord des Mutterschiffes Columbia blieb und den Mond umkreiste. Aus den Sichtluken des Raumschiffs behielt er den Erdtrabanten im Blick, wo die Sonneneinstrahlung, durch keinerlei Atmosphäre gefiltert, auf über 100 Grad Celsius steigt, während die Temperatur auf der Schattenseite des Mondes auf mehr als 200 Grad unter null fällt.

In der Einsamkeit und Weite der Wüste wird das Gehen zur Meditation.

Einen Tag später, am 21. Juli, setzte Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf die Oberfläche des Mondes und schickte per Funk einige Worte zum amerikanischen Raumfahrtzentrum Houston. Worte, die um die ganze Welt gingen: »Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit.« Anschließend spazierten Armstrong und Aldrin in ihren Raumanzügen durch das »Meer der Ruhe«. Mit Raumhelm und Sauerstofftank, der wie ein großer Buckel auf dem Rücken befestigt war, hüpften sie wie ungelenke Gespenster über die Mondoberfläche. Deutlich spürten sie in ihren schwerfälligen Bewegungen die Leichtigkeit einer verringerten Schwerkraft, während kaltes Wasser kontinuierlich in kleinen Röhrchen durch ihre Kunststoffanzüge floss und für Kühlung sorgte.

Nur 21 Stunden blieben Armstrong und Aldrin auf dem Erdtrabanten, sie machten Fotos, sammelten Steine und nahmen Staubproben. Zudem stellten sie eine Fahne, einen Spiegel und einen Seismographen auf, ehe sie zu ihrem Mutterschiff zurückkehrten.

Begeistert verfolgte ich damals am flackernden Bildschirm – zusammen mit weltweit 600 Millionen Fernsehzuschauern – die schemenhaften Bilder vom Spaziergang auf dem Mond. Bilder, die aus der Unermesslichkeit des Alls zur Erde gefunkt wurden und den Beginn einer neuen Epoche einleiteten. Bilder, die mein Vorstellungsvermögen nährten und nur schwer zu fassen waren. Bilder, die mich niemals so ganz losließen.

Zum Mare Tranquilitatis bin ich natürlich nie gelangt, doch fand ich mein »Meer der Ruhe« zwei Jahre nach der ersten Mondlandung im Süden Marokkos, wo sich die Sahara ausdehnt, die größte Wüste der Welt, die die Araber Bahr bela Ma nennen – »Meer ohne Wasser«. Nichts konnte damals meinen Blick mehr bannen als diese endlose Weite, in der ich glückliche Tage voller faszinierender Naturerscheinungen erlebte. Meine Begeisterung und Neugier für die Wüsten der Welt und mein Wunsch, ihre Geheimnisse zu durchdringen, waren geweckt. Damals ahnte ich schon, dass mich die Wüste nicht mehr loslassen würde. Denn es war Liebe auf den ersten Blick.

Seit jenen Tagen – ich war damals siebzehn – hat nichts mein Leben, mein Denken und Fühlen nachhaltiger beeinflusst und verändert als die Wüsten der Erde, die für mich atemberaubende Räume der Schönheit und Stille sind. Magische Räume jenseits aller Vorstellungskraft, maßlos, unberechenbar, lebensfeindlich. In vier Jahrzehnten habe ich mir zu Fuß und per Kamel 27 Wüsten erwandert. Mehr als 2000 Tage habe ich in den Einöden verbracht und rund 20 000 Kilometer wie ein Nomade zurückgelegt. Im Laufe der Zeit ließ mich das Wüstenwandern regelrecht süchtig werden. Die schier grenzenlosen Weiten aus Sand und Stein wurden für mich zur Droge, von der ich nicht mehr lassen kann.

Als ich mich damals auf die Wüste einließ, war alles so herrlich fremd. Ich erlebte eine Welt der Widersprüche, die sich mir einerseits sehr karg und abweisend zeigte, andererseits aber auch bunt und belebt. Denn auch hier gab es Bäume, Büsche und Blüten sowie Menschen und Tiere, die mehr oder weniger perfekt angepasst lebten und sich an die schwierigen Lebensumstände dieser scheinbar unbewohnbaren Extremwelt gewöhnt hatten. Diese Beobachtung war mir in der Wüste unglaublich hilfreich. Ich spürte, dass auch ich mich in diese extreme Welt einfügen musste, sodass die wesentlichen Hindernisse nicht nur in den äußeren Umständen lagen, sondern vor allem in mir selbst.

Auch begriff ich, dass es eine gewisse Zeit der Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse brauchte, um das ureigene Universum der Nomaden kennenzulernen – ein Wunsch, der für mich zu einem einzigartigen Abenteuer wurde und die Erfüllung all meiner Träume war.

Was mir damals zudem sehr dienlich war, um den Geist und die Seele der Wüste zu erfassen, war die Begeisterung, die ich für die Landschaften der Ödnis empfand. Hingerissen von den Bühnenbildern erster Schöpfungstage, war ich tief bewegt von Sandmeeren und Gesteinskorridoren, von Salzseen und Hochplateaus, von bizarren Vulkangebirgen und himmelstürmenden Felswänden, von staubgefüllten Becken und ausgetrockneten Flussläufen. Hinzu kam das Farbenspiel des Lichts, wenn sich in der Abenddämmerung der Sand der Dünenketten auf der einen Seite rötete und die langen Schatten auf der anderen Flankenseite ganz schwarz wurden. Das waren Augenblicke, in denen ich erkannte, dass Weite und Enge in der Absolutheit eins sind.

Darüber hinaus erlebte ich jede Wüste als ein »Land der Ursprünge«, das vor allem anderen entstanden ist. Schon zu Beginn unserer Erdgeschichte beherrschten die Urwüsten alle kontinentalen Landmassen, nachdem die glutflüssigen Magmaströme erstarrt waren und erste Pflanzen die Vorzeitozeane verließen. Ihnen folgten vielfältigste Tiere, die als erste Landbewohner die Areale der Trockenheit eroberten. Auch heute noch sind 30 Prozent aller Kontinente von Einöden bedeckt, die sich über 31 Millionen Quadratkilometer erstrecken. Damit nicht genug: Unentwegt wachsen die Wüsten der Erde auf allen Kontinenten weiter und weiter. Jährlich gehen weltweit rund 200 000 Quadratkilometer Ackerland an die ariden Zonen verloren.

Kein Wunder also, dass die ozeangleichen Naturräume der Einöden von vielen Menschen als unwirtlich und lebensfeindlich empfunden werden. Vor allem die Angst vor dem Unbekannten führt dazu, dass die Wüste häufig als Todeszone bezeichnet wird, besonders wenn man weiß, dass die Hitze – wie zum Beispiel in der iranischen Wüste Lut – bis auf 70 Grad Celsius ansteigen kann. Dagegen sinkt die Temperatur in der ägyptischen Wüste Sinai während der Wintermonate nachts weit unter null Grad, sodass sich eisige Kälte ausbreitet, die das Trinkwasser in den Kanistern gefrieren lässt.

Gleichwohl mag ich die extremen Temperaturschwankungen der Wüsten, sind sie doch Ausdruck einer kompromisslosen Umwelt, die allen Lebewesen eine große Anpassung abverlangt. Zudem sind die enormen Temperaturschwankungen das prägendste Merkmal der Wüsten, denn sie formen das Bild der Einöde und verleihen ihr ihre bizarre Gestalt.

Vor allem in den heißen Sommermonaten habe ich in den vulkanischen Felsmassiven der Sahara immer wieder ein Krachen und Bersten gehört, wenn gewaltige Gesteinsplatten oder mächtige Felsblöcke plötzlich aufrissen und auseinanderbrachen. Für solche Erosionsprozesse sind die Kräfte der Verwitterung verantwortlich. Denn wenn ein Gesteinsblock erst einmal einen Riss zeigt, dringt in den Nächten Feuchtigkeit ein, Mineralien quellen auf, verschließen die vorhandenen Risse wieder und erzeugen eine enorme Sprengkraft. So verwandeln Hitze und Kälte in großen Zeiträumen ganze Bergmassive, die schließlich zu Trümmerlandschaften zerfallen, ehe der Wind hinzukommt und ein natürliches Sandstrahlgebläse das härteste Gestein zerlegt und zu feinstem Sand zerschmirgelt. Es entsteht eine Landschaft, die eigentlich gar keine Landschaft mehr ist, sondern das Antlitz eines abweisenden, unnahbaren Planeten. Eine Welt, wie sie schon im 1. Buch Mose beschrieben wird: Und die Erde war wüst und leer.

Ich liebe Sand. Er ist ein geheimnisvoller Stoff, der Endzustand aller Materie. Sand ist weder richtig fest noch flüssig. Ein Zwitterstoff, der gleichermaßen verzaubert und große Gefahren birgt: Sand bildet riesige Strandflächen, die wir als Badeplatz nutzen, er dient Kindern zum Spielen in der Sandkiste und dehnt sich in den Wüsten über weite Ebenen, wo er hohe Dünenmeere bildet. Ein Stoff zum Wohlfühlen, fein und geschmeidig, der, je nach Region, meist aus vielfältigen Mineralien besteht, die man unter dem Mikroskop betrachten kann: Mal sind es transparente, milchig trübe Quarzkörper, dann wieder ist es ein Gemenge aus Granit-,...

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