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Die Entwicklung der Heimerziehung. Auf dem Weg zu mehr Qualität und Professionalität?

Auf dem Weg zu mehr Qualität und Professionalität?

AutorBettina Wagner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783638579155
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Geschichte der Päd., Note: 1,8, Universität Augsburg, 97 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Um die Organisationsveränderungen, die veränderten Leitbilder, Konzeptionen und das gegenwärtige Selbstverständnis der Heimerziehung zu verstehen, ist es unumgänglich, die Personen- und Ideengeschichte der Heimerziehung aufzuzeigen. Somit soll die folgende Arbeit mit einem detaillierten Abriss der historischen Entwicklung der Heimerziehung begonnen werden, angefangen bei ihren Wurzeln in den ersten Waisen- und Findelhäusern im Mittelalter über den Waisenhausstreit in der Aufklärung bis zu den Reformen ab Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. An dieser Stelle darf auch ein Porträt der Lebenswerke der Pioniere der Heimerziehung wie Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Hinrich Wichern, August Aichhorn, Janusz Korczak und Bruno von Bettelheim nicht fehlen. Im zweiten Kapitel liegt der Fokus auf der heutigen Situation der stationären Erziehungshilfen. Neben der Charakterisierung der Adressaten und der Beleuchtung der Anlässe für eine Heimeinweisung sowie der Darstellung der Aufgaben und Ziele der Heimerziehung geht es darum, die Effektivität dieser Hilfeform unter Bezugnahme auf Erkenntnisse der Wirksamkeitsforschung herauszuarbeiten, wobei hierfür v. a. die Ergebnisse des Forschungsprojekts Jugendhilfeleistungen (JULE) 'Leistungen und Grenzen von Heimerziehung' herangezogen werden. Des Weiteren erfolgt in diesem Abschnitt eine Vorstellung der verschiedenen Einrichtungsarten bzw. Betreuungsformen der gegenwärtigen stationären Erziehungshilfen. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen die rechtlichen Grundlagen der Heimerziehung. Neben der Verrechtlichung der stationären Erziehungshilfen im KJHG, den Rechten und Pflichten von Eltern und Kind sowie der Darstellung des Hilfeplanverfahrens soll auch auf die Träger und Finanzierung der Heimerziehung eingegangen werden. Der Schwerpunkt des vierten Kapitels liegt auf der Qualitätsentwicklung in den stationären Erziehungshilfen. Hier soll insbesondere die personelle Ausstattung sowie der Qualifizierungs- und Professionalisierungsgrad der Fachkräfte, die mitverantwortlich für den Erfolg der Maßnahmen sind, beleuchtet werden. Ebenfalls soll herausgearbeitet werden, inwieweit sich betriebswirtschaftliche Prinzipien wie Qualitätsmanagement in der Heimerziehung etabliert haben. Des Weiteren soll auch auf die Mitspracherechte, v. a. der jungen Menschen im Heim, eingegangen werden, die als wesentliches Qualitätsmerkmal moderner Heimerziehung gelten. [...]

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Leseprobe

Einleitung


 

Heime können ja doch nicht helfen, sie fördern die Jugendkriminalität und Aggressivität, Heimerziehung ist nur ein letztes Mittel und notweniges Übel, Heime schränken die Individualität ein und bieten keine Geborgenheit und Zuwendung (Günder 2003, S. 11 f.). Solche und ähnliche Vorstellungen tauchen immer wieder in Verbindung mit „Heimerziehung“ auf. Obwohl das Wort „Heim“ von seiner Bedeutung her eigentlich etwas Positives signalisiert, scheint es gegenüber dieser Einrichtung sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen viele Vorurteile zu geben. Laien assoziieren damit oft unterdrückende Institutionen mit Anstaltscharakter, in denen Zucht und Ordnung herrscht und große Gruppen von Kindern in riesigen Schlafsälen zusammenleben müssen.

 

Auch der Gesetzgeber bemühte sich durch die Jugendhilferechtsreform, den Ausdruck „Heim“ zu vermeiden, und verwendet im Kinder- und Jugendhilfegesetz die Umschreibung „Erziehungshilfe in einer Einrichtung über Tag und Nacht“. „Heimerziehung“ dagegen wird nur in Klammer gesetzt. Welche Beweggründe haben den Gesetzgeber hierzu veranlasst? Post führt dies auf zwei Ursachen zurück: Zum einen waren die Heime im 19. und 20. Jahrhundert aufgrund der Zwangserziehung und ihres Anstaltscharakters in Verruf geraten. Zum anderen wird Heimerziehung meist mit der Trennung des jungen Menschen von seiner Herkunftsfamilie verbunden, was als besonders schmerzlich und schicksalhaft empfunden wird (Post 1997, S. 11 f.).

 

In der Geschichte der Heimerziehung hat sich somit ein erheblicher Begriffswandel vollzogen. Bezeichnungen wie Waisenhaus, Besserungs- und Erziehungsanstalt, Rettungsanstalt, Fürsorgeerziehungsanstalt oder Arbeits- und Jugendschutzlager haben sich aufgelöst, stattdessen setzte sich der Ausdruck „Heim“ ab Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend durch (Günder 2003, S. 17). Folglich stellt sich die Frage, was man sich denn nun genau unter der Einrichtung „Heim“ vorzustellen hat.

 

Einerseits ist ein Heim als Institution konzipiert, in der möglichst effektiv und effizient spezifische Dienstleistungen erbracht werden sollen. Andererseits stellt es auch ein Lernfeld dar, in dem junge Menschen Lernerfahrungen geboten werden (Freigang 2003, S. 41).

 

Wolf geht von zwei Hauptströmungen im Verständnis von Heim bzw. Heimerziehung aus. Auf der einen Seite steht das Konzept des Heimes als pädagogisches Krankenhaus. Diese Form zielt darauf ab, Kinder mit abweichenden bzw. „kranken“ Verhaltensweisen wie Verhaltensstörungen, Dissozialität und Milieuschädigung mit Hilfe von therapeutischer und heilpädagogischer Intervention in Richtung „Normalverhalten“ zu verändern. Auf der anderen Seite findet man das Konzept des Heimes als lohnender Lebensort für eine kurze Zeit, in dem günstige Lebens- und Lernbedingungen geschaffen werden. Unter dem Stichpunkt „Lebensweltorientierung“ steht die Normalisierung der Lebensverhältnisse sowie die Förderung der Entwicklung der jungen Menschen im Mittelpunkt der Heimerziehung (Wolf 2003, S. 28 f.).

 

Auf der Suche nach einer zutreffenden Definition von „Heimerziehung“ stößt man in der Literatur auf eine Vielzahl von Möglichkeiten:

 

Unter anderem bezeichnet Trede die Erziehung im Heim als eine klassische Form der Fremdplatzierung und außerfamiliären Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in einer Einrichtung, sei es ein traditionelles Kinder- und Jugendheim mit mehreren Heimgruppen in einem Gebäude oder auf einem Gelände, eine Wohngruppe oder eine sonstige institutionell vorgehaltene und professionell (häufig im Schichtdienst) betreute Wohnform (Trede 2001, S. 788). Mit der Formulierung „sonstige betreute Wohnform“ sind hauptsächlich betreute Jugendwohngemeinschaften und betreutes Einzelwohnen gemeint, die in der Praxis häufig eine Übergangsform zwischen Heim und selbständiger Lebensführung bilden. (Fieseler/Herborth 2005, S. 334).

 

Das bayerische Landesjugendamt definiert Heimerziehung als die älteste und bekannteste Form der Erziehungshilfe. „Als Hilfe zur Erziehung nach §34 SGB VIII soll Heimerziehung Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Diese Hilfe wird heute in der Regel zeitlich befristet geleistet mit dem Ziel, eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie nach Verbesserung der dortigen Erziehungsbedingungen zu ermöglichen. Auch der Wechsel in eine andere (Pflege-, in Ausnahmefällen vielleicht sogar Adoptiv-) Familie oder die Verselbstständigung des Jugendlichen kann infrage kommen. Neben der materiellen (Wohnung, Kleidung, Nahrung, Taschengeld) und pädagogischen Grundversorgung werden natürlich auch Leistungen der Krankenhilfe sichergestellt, und vor allem wird - gemessen an den Möglichkeiten des jungen Menschen - die Schul- oder Berufsausbildung gewährleistet (www.blja.bayern.de/Aufgaben/HilfenzurErziehung/%A7_34/Heimerziehung.Startseite.htm).“

 

Im Laufe ihrer Geschichte, insbesondere in den letzten 30 Jahren, war die Heimerziehung immer wieder massiver Kritik ausgesetzt und musste ihr negatives Image in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Unter anderem wurden die repressiven Erziehungspraktiken, die Abgeschiedenheit der Heime von der Außenwelt, die undemokratischen Strukturen, die Altersstufen- und Geschlechtertrennung, die zu großen Gruppen und die hohen Fluktuationsraten der Kinder und Erzieher bemängelt. Ebenfalls wurde der Heimerziehung vorgeworfen, dass sie eigene Entscheidungen und Initiative der Bewohner verhindere sowie zum Leben in der Institution, aber nicht zum Leben in der Gesellschaft und Familie befähige (Fieseler/Herborth 2005, S. 334 f.). Diese Kritik führte Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre zu einschneidenden Reformbewegungen innerhalb der Heimerziehung. Vielfältige neue Angebotsformen bildeten sich heraus wie z. B. Kinderheime, Außenwohngruppen und betreutes Wohnen. Früher verbreitete Heimformen wie Säuglingsheime oder geschlossene Fürsorgeerziehungsheime wurden weitgehend aufgelöst (Heitkamp 1989, S. 15).

 

Ein weiterer auch heute noch sehr aktueller Hauptkritikpunkt bezog sich auf den niedrigen Professionalisierungsgrad der pädagogischen Mitarbeiter. Die zahlreichen Reformen, veränderten Strukturen und Methoden in der Heimerziehung brachten natürlich auch völlig neue Anforderungen an die Erzieher mit sich. Zusätzlich machten die wachsenden sozioökonomische Belastungsfaktoren (Armutsanstieg, Bevölkerungsüberalterung, Ethnizität, Anstieg der Gewaltbereitschaft etc.) unserer Gesellschaft fachlich qualifiziertes Personal unentbehrlich. Der Ruf nach mehr Fachlichkeit und Qualität in der Heimerziehung wurde v. a. in den letzten Jahren immer lauter. Experten forderten kleinere Heime mit kleineren Gruppen bei gleichzeitig mehr Personaleinsatz. Diese strukturellen und qualitativen Verbesserungen sind aber gleichzeitig mit erheblichen Kostensteigerungen verbunden. Die Personalkosten allein machen bereits 70-80% der Heimkosten aus (Günder 2003, S. 21). Trotz allem führt an besseren Qualifikationen und an der Profilierung der pädagogischen Mitarbeiter kein Weg vorbei.

 

Der Wandel der Betreuungskonzepte, der auch zu einem neuen Selbstverständnis der Heimerziehung geführt hat, wirft unabwendbar die Frage auf, welchen Nutzen diese Form der Erziehungshilfe den jungen Menschen und unserer Gesellschaft bringt. Wie effektiv sind die erbrachten Dienstleitungen? Wo liegen ihre Grenzen? Insbesondere stellt sich jedoch die Frage, ob die zahlreichen Reformen auch mehr Qualität und Professionalität in der Heimerziehung hervorgebracht haben. Die Beantwortung dieser Fragen mit Hilfe einer ausführlichen Darstellung der Entwicklung der Heimerziehung und ihrer gegenwärtigen Situation ist das Hauptziel der folgenden Arbeit.

 

Um die Organisationsveränderungen, die veränderten Leitbilder, Konzeptionen und das gegenwärtige Selbstverständnis der Heimerziehung zu verstehen, ist es unumgänglich, die Personen- und Ideengeschichte der Heimerziehung aufzuzeigen. Somit soll die folgende Arbeit mit einem detaillierten Abriss der historischen Entwicklung der Heimerziehung begonnen werden, angefangen bei ihren Wurzeln in den ersten Waisen- und Findelhäusern im Mittelalter über den Waisenhausstreit in der Aufklärung bis zu den Reformen ab Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. An dieser Stelle darf auch ein Porträt der Lebenswerke der Pioniere der Heimerziehung wie Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Hinrich Wichern, August Aichhorn, Janusz Korczak und Bruno von Bettelheim nicht fehlen.

 

Im zweiten Kapitel liegt der Fokus auf der heutigen Situation der stationären Erziehungshilfen. Neben der Charakterisierung der Adressaten und der Beleuchtung der Anlässe für eine Heimeinweisung sowie der Darstellung der Aufgaben und Ziele der Heimerziehung geht es darum, die Effektivität dieser Hilfeform unter Bezugnahme auf Erkenntnisse der Wirksamkeitsforschung herauszuarbeiten, wobei hierfür v. a. die Ergebnisse des Forschungsprojekts Jugendhilfeleistungen (JULE) „Leistungen und Grenzen von Heimerziehung“ herangezogen werden. Des Weiteren erfolgt in diesem Abschnitt eine Vorstellung der verschiedenen Einrichtungsarten bzw. Betreuungsformen der gegenwärtigen stationären...

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