Codex galactica.
Spekulationen über Aliens
VON STD DIPL-HDL. PETER FIEBAG
Paläo-SETI, die Suche nach Spuren extraterrestrischer Intelligenzen in geschichtlichen, früh-, vor- oder erdgeschichtlichen Zeiten, klingt für manche wie ein Zwitterwesen aus Historie und Zukunftsforschung. Und doch haben sich viele in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt, hierin keinen Widerspruch zu sehen, auch wenn die zugrunde liegende Thematik mit teils heftigem Widerspruch leben muss. Aber wer die Wahrheit sucht, der wird sie nur durch Rede und Gegenrede finden können. Unser wissenschaftliches Weltbild ist nicht fertig und zementiert, es ist unabgeschlossen. In dieser Vorläufigkeit darf »Wissenschaft« nicht zum Disziplinierungsinstrument gegen andere Meinungen werden.
Denken in Alternativen
Gegensätzliche Positionen haben in einer offenen Gesellschaft ein Recht darauf, gleichberechtigt nebeneinanderzustehen und auch so behandelt zu werden. Der Altphilologe Prof. Walter Jens hat sich stets ganz im Sinne der Epoche der Aufklärung gegen die unkritische Bekräftigung des Vorhandenen gewandt. Nicht der Imperativ »So und nicht anders ist es!«, sondern das Bedenken einer Fülle von Gesichtspunkten, nicht »das Pochen auf die Wirklichkeit«, sondern »das Denken in Alternativen«, das ist es, was auch die Paläo-SETI fördern möchte. Gerade in einer Zeit, in der das Vorurteil, die Rechthaberei und die Besserwisserei zuzunehmen scheinen. These und Antithese ergeben am Ende nicht selten eine neue Synthese. Dies ist der Weg zur Vernunft.
Es war im Jahr 1997, als die Raumsonde Cassini zu ihrer Forschungsreise durch das Sonnensystem aufbrach. Vor ihr lagen Welten, die ihre Betrachter in Erstaunen versetzten. Eisbedeckte Monde und der riesige Titan, umhüllt von einer Atmosphäre, mit seinen Seen aus Flüssiggas – und Saturn selbst, über dem gewaltige Stürme wüten.
20 Jahre später erlebten wir das »große Finale«: Der ferne Botschafter der Menschheit richtete ein letztes Mal seine Antenne auf die Erde, während er sich spektakulär der Atmosphäre des Saturns entgegenstürzte. 8
Warum ließen die NASA-Wissenschaftler die Planetensonde nicht einfach weiterkreisen, bis sie irgendwann durch die Gravitationskräfte des Saturns angezogen oder auf einen der Monde stürzen würde? Die Antwort: Das hat sich die Sonde selbst zuzuschreiben, denn 2005 entdeckte sie auf dem Mond Enceladus hydrothermale Quellen. Wie auf der Erde, so war die Überlegung der NASA, könnten sie die Energie für Leben, für ein Ökosystem unter dem Eis, liefern. 9 Das Risiko einer Kontamination der dortigen Umwelt durch von der Erde stammendes Leben war den Forschern daher zu hoch.
Die radikale Vernichtung der irdischen Forschungsinstrumente, um eine potenzielle biologische Entwicklung einer fernen Welt im All nicht zu beeinflussen, war ein bis dahin einmaliger Vorgang. Sollten aber mögliche extraterrestrische Intelligenzen eine ähnliche Denkweise besitzen, würde dies das sogenannte Fermi-Paradoxon 10 zumindest teilweise erklären. Der Grundgedanke des Physikers Enrico Fermis war: Weil intelligente Außerirdische zwangsläufig irgendwann die gesamte Milchstraße besiedelt hätten, müssten wir sie sehen. Tun wir aber nicht.
Legen wir die Erfahrung mit der Sonde Cassini zugrunde, könnten wir vorsichtiger formulieren: Selbst wenn es fortentwickelte Sternenzivilisationen gäbe, nähmen wir sie vielleicht nicht wahr, weil jede Kontamination eines Sonnensystems ausgeschlossen werden soll. Folgen sämtliche hypothetisch existierenden außerirdischen Gesellschaften diesem »Codex galactica« 11 , dann wäre die Suche nach Spuren von Besuchen Außerirdischer in der Vergangenheit der Erde ziemlich sinnlos.
Die Thesen Martin Rees’
Viele angesehene Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren ein entgegengesetztes Denken gefordert, ein Denken, wie dies Erich von Däniken und viele andere, so auch die Forschungsgesellschaft für Archäologie, Astronautik und SETI (A.A.S.), schon seit Jahrzehnten vertreten. Einer der bedeutendsten Kosmologen, der britische Astrophysiker Prof. Lord Martin Rees 12 , geht gleich mit mehreren interessanten Thesen an die Öffentlichkeit.
These: »Wir haben keine Ahnung, wie sich Leben da draußen entwickeln könnte. Außerirdische Lebensformen könnten sich extrem von unserer unterscheiden. Dann gäbe es andere Formen von Intelligenz, die wir vielleicht noch gar nicht aufspüren könnten.«
These: »Niemanden zu finden heißt nicht, dass niemand da ist. […] Es ist durchaus vorstellbar, dass uns da draußen eine übermenschliche Zivilisation seit Millionen Jahren beobachtet.« 13
Bleibt uns vorläufig also nur übrig, nach dem Ausschau zu halten, was wir kennen oder uns zumindest vorstellen können. Verschiedene Suchstrategien werden hierzu diskutiert. 14 Der lange Atem der Forschungsrichtung Paläo-SETI scheint sich somit allmählich auszuzahlen. Denn es tut sich auf diesem Gebiet plötzlich eine Menge. Beispielsweise wird ein brisantes astronomisches Ereignis heftig diskutiert: Mysteriöse Radioblitze im All setzen innerhalb von Millisekunden die Energie von 500 Millionen Sonnen frei. Spekulationen über Kollisionen von Neutronensternen oder Schwarzen Löchern werden diskutiert und führten sogar zu »Alien-Spekulationen«. So veröffentlichten zwei Astrophysiker, Avi Loeb und Manasvi Lingam 15 , 2017 eine Hypothese, derzufolge ein künstlicher Ursprung der Signale denkbar wäre. Die Frequenzverteilung der Radioblitze entspräche nämlich einer optimalen Frequenz für einen Lichtsegelantrieb für interstellare Sonden, die riesige Distanzen einer Galaxie überbrücken könnten. 16
Nach ihren Berechnungen würde Sonnenlicht ausreichen, das auf eine Fläche eines Planeten von der doppelten Größe der Erde fällt, um die benötigte Energie zu erzeugen. Damit die enorme Energie die Sendestruktur nicht schmelzen lässt, würde eine wassergekühlte Vorrichtung, doppelt so groß wie die Erde, vonnöten sein, um der Hitze standhalten zu können. »Solch ein riesiges Bauprojekt geht weit über unsere Technologie hinaus, aber es liegt im Bereich der Möglichkeiten physikalischer Gesetze.« Die Menge an Energie würde ausreichen, um eine Nutzlast von einer Million Tonnen, das entspräche 20 Kreuzfahrtschiffen auf der Erde, zu befördern. Manasvi Lingam argumentiert:
»Das ist groß genug, um lebende Passagiere über interstellare oder sogar intergalaktische Entfernungen hinweg zu transportieren […]. Um ein leichtes Segel anzutreiben, müsste der Sender einen Strahl kontinuierlich darauf fokussieren. Beobachter auf der Erde würden einen kurzen Blitz sehen, weil sich das Segel und sein Wirtsplanet, Stern und Galaxie relativ zu uns bewegen. Infolgedessen fegt der Strahl über den Himmel und zeigt nur für einen Moment in unsere Richtung. Wiederholte Erscheinungen des Strahls, die beobachtet wurden, aber nicht durch kataklysmische astrophysikalische Ereignisse erklärt werden können, könnten wichtige Hinweise auf seinen künstlichen Ursprung liefern.« 17
Ein Indiz für fortgeschrittene Alien-Technologie? Raumfahrtvisionäre haben eine solche Variante, allerdings in sehr viel sparsamerer Form, selbst ins Gespräch gebracht. Ihr Ziel: einen potenziellen Kandidaten für Leben im All, das Sonnensystem Alpha Centauri, zu besuchen, um es mit Nanosonden zu erkunden. 18
Die Beobachtung der Erde durch Außerirdische, die eine weit fortgeschrittene Raumfahrttechnologie besitzen, mit deren Hilfe sie unseren Planeten – bemannt oder in Form von Robotsonden – erreichen könnten, rückt, wie diese Überlegungen zeigen, immer weiter in den Arbeitshorizont unserer Ingenieure und Astronomen: passiv bei der Suche nach Alien-Technologie, aktiv bei der Schaffung eigener Kleinstraumschiffe, die zu den Sternen fliegen sollen.
Mit Lichtsegeln durch das All zu gleiten ist ein Konzept, das die NASA realisiert. Astronomen haben Hinweise darauf, dass solche Raumschiffantriebe in gigan tischem Ausmaß bereits von einer außerirdischen Zivilisation genutzt werden. (Foto: NASA)
These: »Es ist vorstellbar, dass eine außerirdische Zivilisation eine Menge Sonden in alle Richtungen ausgeschickt hat und manche in unserem Sonnensystem gelandet sind. Deshalb sollten wir nach Artefakten Ausschau halten, sowohl im Weltall als auch auf unserem Planeten. Diese wären ein Beweis für eine solche Zivilisation.« 19
Hier greift ein herausragender Astrophysiker eins zu eins das Gedankengut der Paläo-SETI-Ursprünge auf. Ein ernsthafter Blick in die zahlreichen Veröffentlichungen der Paläo-SETI hätte genau mit dieser Aussage schon vor Jahrzehnten Forschung vorantreiben können, und man stünde jetzt nicht an einer Stelle, an der man schon 50 Jahre zuvor stand. Doch innovative Ideen haben noch nie gut mit Mainstream-Wissenschaft zusammengepasst. Steht Theorie gegen Theorie, dann bedarf es letztlich einer Möglichkeit, sie objektiv zu prüfen. Martin Rees empfiehlt, Ausschau nach verdächtigen Artefakten zu halten. Schon heute könnten solche Objekte intensiv untersucht werden, um festzustellen, ob sie einen nicht-irdischen Ursprung aufweisen. Die...