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Inklusion als Herausforderung an Schule und Unterricht

AutorMartin Linke
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl61 Seiten
ISBN9783656652687
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 2,0, Universität Duisburg-Essen (Bildungswissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit diskutiert das bildungspolitische Thema der Inklusion. Dabei werden der geschichtliche Kontext und Heterogenität als theoretisches Fundamentum herausgearbeitet. Im Anschluss daran folgt der Hauptteil: Die Umsetzung der Inklusion im aktuellen Schulsystem mit Kritik und Anregungen.

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Leseprobe

3. Heterogenität in inklusiven Lerngruppen


 

Das nachfolgende Kapitel beschreibt ein theoretisches Konstrukt heterogener Konzepte. Dazu wird zunächst Heterogenität an sich untersucht und Merkmale der Heterogenität herausgearbeitet, gefolgt von einem allgemein didaktischen Ansatz, der bei heterogenen Lerngruppen angewandt werden kann. Darauf aufbauend wird Feusers didaktisches Modell der entwicklungslogischen Didaktik untersucht, welches konkrete didaktische Ansätze enthält, die für einen inklusiven Unterricht erfolgsversprechend sind.

 

3.1. Heterogenitätskonzepte in inklusiver Pädagogik


 

Ein wesentliches Merkmal von Schulklassen ist eine vorherrschende Heterogenität, welche nicht nur in inklusiven Settings eine übergeordnete Rolle spielt, sondern in jeder Schulform. Heterogenität in pädagogischen Settings beschreibt eine ,Inhomogenität‘ einer Schülerschaft innerhalb einer bestimmten Lerngruppe. Dabei liegt der Fokus auf der Unterschiedlichkeit einzelner Schüler hinsichtlich verschiedener Eigenschaften, die zum Lernerfolg beitragen, wie z.B. Alter, Geschlecht, kulturelle Hintergründe oder Behinderung. Durch das Konzept der Inklusion wird die angestrebte Homogenität innerhalb des differenzierten Schulsystems aufgebrochen und Lerngruppen werden heterogener.

 

In der performativen Theorie der Behinderung wird der Zusammenschluss all derjenigen Erfahrungen, wie Behinderung als Differenz, bzw. Abgrenzung von Gleichheit zu Ungleichheit, und der zugehörigen Referenzposition, beschrieben, die die Theorie der Behinderung im Sinne eines Unterschiedes festhält, dass etwas nicht geht,[32] von dem man erwartet, dass es geht. Diese Theorie beschreibt somit die Verfahrensweise, auf welche Art und Weise etwas geschieht, wobei alle Formen des ,Sich-Bewegen, Sich-Verhalten, Agieren und Interagieren’ sowohl im Fokus von Personen, als auch von Einrichtungen und Strukturen der Gesellschaft stehen; sie zielt also auf die Beobachtung, „wie sich Menschen und Dinge verhalten, aufführen und organisieren, und welche Grenzeffekte dadurch als Behinderung hervorgebracht werden.“[33] Diese Theorie kann demzufolge als Heterogenitätskonzept interpretiert werden, welches den Beobachtungsschwerpunkt auf die Heterogenität in inklusiven Settings gelegt hat. Heterogenität gilt in diesem Konzept „als empirisches Maß für sozialen Austausch unter nominell Verschiedenen“[34] und steht folglich für die aus der Erfahrung gewonnenen sozialen Kompetenzen, die Schüler im Rahmen ihrer gegenseitigen Unterschiedlichkeit erwerben und somit von diesen Situationen profitieren können. Das Heterogenitätskonzept fasst ebenfalls verschiedene pädagogische Dimensionen zusammen, wie ,interkulturelle Pädagogik‘, oder eben in diesem spezifischen Zusammenhang, die ,Sonderpädagogik‘, welche schließlich als inklusive Pädagogik’ zusammengefasst werden können. Allerdings werden wiederholt Anmerkungen zu Ungleichheit, bzw. Gleichheit gemacht. Dies lässt die Frage der Relevanz aufkommen, wovon sich der ,ungleiche Schüler‘ denn unterscheidet. Differenzen sind logischerweise alltägliche und normale Beobachtungen und machen zudem einen wesentlichen Bestandteil der Heterogenität aus, jedoch umgeht die inklusive Pädagogik eine Forcierung einzelner Differenzen und somit sozialen und kategorisierten Schädigungen, sondern sieht sie als Chance und Herausforderung. In diesem Sinne bleiben „kategorisierte Schädigungen Ausganspunkt auch für die Kennzeichnung von Behinderungen im Sinne sozialer Barrieren.“[35] Die natürlich gegebene Heterogenität als pädagogisches Konzept sollte sich viel weniger um eine Kategorisierung im Sinne einer universalen Differenz als Behinderung/Nichtbehinderung bemühen, sondern die persönlichen Unterschiedlichkeiten als gegeben wahrnehmen: „Heterogenität wandelt sich in der Schulpädagogik von der ,Schere‘, die sich bedrohlich öffnet zur ,Chance‘, die Erneuerungen verheißt.“[36] Dennoch stellt Heterogenität komplexe Anforderungen an pädagogisches Handeln. Die sich ergebenden Vorteile einer ausgearbeiteten und differenzierten Pädagogik in heterogenen Lerngruppen sind zweifellos gegeben. In diesem Zusammenhang sollen möglichst die geheim vorherrschenden Leitbilder guten, bzw. richtigen Unterrichts aufgegeben werden, die im Vorfeld präzise geplant wurden und eindeutige Ergebnisse, die nach einem festgelegten Zeitfenster erreicht werden sollen; stattdessen sollten sich Pädagogen variabel auf sich immer wieder verändernde Lernsituationen und sich neu ergebenden Situationen einstellen können und dabei die Rolle eines Regisseurs annehmen.[37] Prinzipiell ändert sich in diesem Verständnis nichts, was nicht ohnehin schon als Grundprinzip guten Unterrichts gilt: Als Lehrkraft sollte man möglichst jeden Schüler individuell und differenziert fördern. Mit steigender Heterogenität in einzelnen Lerngruppen kommt es dennoch zu erhöhten fachlichen und persönlichen Anforderungen der Lehrkraft im Rahmen der individuellen Förderung, um den Entwicklungspotenzialen optimal gerecht zu werden. Aufbauend auf einer „hohen diagnostischen Kompetenz müssen Lehrkräfte über ein elaboriertes didaktisch-methodisches Wissen verfügen.“[38]

 

Zwei Aspekte sind wesentliche Grundpfeiler für einen allgemeindidaktischen Ansatz für heterogene Lerngruppen: Zum einen kann diese Didaktik nur in einer respektvollen Atmosphäre der Anerkennung funktionieren; zum anderen konkretisiert sich das Konzept der heterogenen Lerngruppe in Formen des Schullebens, die Halt geben, aber auch gleichzeitig flexible Freiräume und eröffnende Strukturen bieten.[39] Als Lehrkraft sind demnach für jede einzelne Unterrichtsstunde Fragen nach der Differenzierung einzelner Schüler zu beantworten. Dabei kann der Weg zu einer „elaborierten Differenzierungspraxis grundsätzlich über die zwei Modi der inneren undäußeren Differenzierung angegangen werden.“[40] Unter innerer Differenzierung in diesem Zusammenhang kann, neben der regulären und notwendigen Planungsarbeit des Pädagogen für die gesamte Lerngruppe, eine nachfolgende Differenzierung für einzelne Schüler verstanden werden, die sich an dem individuellen Erreichen des geplanten Lernziels orientiert; dabei sind schwierigkeitsdifferenzierte Aufgaben gemeint, die unter einem variablen Zeitfaktor zu bearbeiten sind.[41] Im Gegensatz zur inneren Differenzierung, die sich auf einzelne Lerngruppen bezieht, beschreibt die äußere Differenzierung die Gesamtheit einer Schülerschaft in einer Schule, wobei diese nur zum Einsatz kommen soll, wenn der Grad der Heterogenität in einzelnen Lerngruppen zu groß wird und in der Folge relativ homogene Lerngruppen angestrebt werden.[42] In dem Konzept der äußeren Differenzierung sind verschiedene Modelle denkbar, welche teilweise im heutigen Schulsystem schon umgesetzt sind, wie beispielsweise in der Gesamtschule mit differenzierten Erweiterungs- und Grundkursen in einzelnen Fächern, die sich aus verschiedenen ,Stammklassen’ zusammensetzen. Dieser Ansatz ist jedoch kritisch zu betrachten, da dieser zu einer Art Differenzierung aufgrund von persönlichen Merkmalen führen kann, der nicht dem Ansatz der inklusiven Pädagogik folgt. Eine mögliche gefährdende Folge wäre wieder eine gezielte Betreuung von subjektiv selektierten Schülern.

 

3.2. Entwicklungslogische Didaktik


 

Georg Feuser folgt dem allgemeindidaktischen Prinzip, das sich auf die vollständige Kunst des Lehrens bezieht unter der Fähigkeit, allen Menschen alles zu lehren, und zwar in dem Ausmaße, dass ein Lernerfolg nicht ausbleiben kann.[43] Die Vorstellung dieser Didaktik geht aus Feusers Kritik an dem damals vorherrschenden Schulsystem der Segregation hervor, welches im vorherigen Kapitel ausführlich behandelt wurde. Dabei kritisierte er zum einen, dass die damaligen Schulen „selbst nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen nicht mehr zumutbar ist“, und zum anderen kritisierte er die wissenschaftliche Pädagogik, der er vorwirft, „niemals eine einheitliche und allgemeine Pädagogik gewesen zu sein.“[44] Diese Grundannahme wird in der inklusiven Pädagogik, in der es nicht nur um Behinderungen geht, sondern auch um bereits bestehende Unterschiede innerhalb der Schülerschaft, wie Sprache oder Religion, auf eine neue und weitestgehend unbekannte Dimension erhöht. Dieser Anspruch der Inklusion „kann in der Pädagogik nur über eine Didaktik eingelöst werden, die es ohne inhaltlichen und sozialen Reduktionismus zu leisten vermag, sich curricular auf die Komplexität epochaltypischer Schlüsselprobleme einzulassen.“[45] Diese epochaltypischen Schlüsselprobleme sollen sowohl auf der Ebene des Inhalts, als auch auf der Ebene der Kommunikation behandelt und gelöst werden. Im Sinne der entwicklungslogischen Didaktik „bedarf eine Pädagogik, in der alle Kinder in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen in Orientierung auf die ,nächste Zone’ an und mit einem gemeinsamen Gegenstand’ spielen, lernen und arbeiten.“[46] Durch die Bezeichnung dieses didaktischen Ansatzes geht hervor, dass sich diese Didaktik um eine individuelle Zuwendung einzelner Schüler anhand des jeweiligen Entwicklungsstandes bemüht. Folglich müssen jedem Kind individuell angepasste Lernsituationen ermöglicht werden, in welcher diese trotz eines hohen Grades der Individualisierung in Kooperation miteinander lernen sollen. Feuser sieht den Begriff der ,Entwicklung’ unter zwei...

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