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Inszenierung von Weiblichkeit in ausgewählten Kurzgeschichten von Edgar Allan Poes 'Tales of the Grotesque and Arabesque'

AutorBenjamin Türksoy
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783656140313
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Anglistik - Literatur, Note: 1, Universität Hamburg (Anglistik und Amerikanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Ein sich auffallend oft wiederholendes Thema bei Edgar Allan Poe sind sterbende Frauen. Frauen werden in Poes Kurzgeschichten meist plötzlich von einer mysteriösen und unheilbaren Krankheit befallen, durchleben dann eine Phase des Leidens und sterben am Ende der Kurzgeschichte. Übrig bleibt ein völlig verwirrter bis wahnsinniger männlicher Erzähler, der sich mit übernatürlichen Ereignissen wie der Wiederauferstehung nach dem Tod oder der Reinkarnation der Frau mit einer anderen Person konfrontiert sieht. Das Bild der toten Frau beschäftigt seit mehreren Generationen Literaturwissenschaftler. Viele haben in der Vergangenheit versucht, einen Zusammenhang zwischen der Biografie Edgar Allan Poes und den mysteriösen Todesfällen in seinen Kurzgeschichten zu ziehen. Poes leibliche Mutter, Poes sieben Jahre jüngere Cousine und Ehefrau Virginia Clemm und seine Pflegemutter Frances Allan starben alle in einem relativ jungen Alter an der damals noch unheilbaren Krankheit Tuberkulose. Besonders der Tod von Poes leiblicher Mutter gibt vielen Literaturwissenschaftlern Anlass dazu, Poes Gedichte und Kurzgeschichten psychoanalytisch zu interpretieren und die Basis der Interpretation in Poes Vergangenheit zu suchen. Sie betrachten die sterbende Frau und deren Verlust als Vergangenheitsbewältigung des Erzählers der Kurzgeschichte und setzen den Erzähler mit Poe gleich. Es ist eine Art der Trauer, eine Rückkehr in die Vergangenheit, so als ob Poe versuchte, die Dinge wieder gut zu machen. In manchen Fällen erscheint diese Lesart sinnvoll, gerade in den Fällen der später geschriebenen Gedichte wie The Raven oder Annabel Lee. Für einige Kurzgeschichten in Tales of the Grotesque and Arabesque, halte ich diese Lesart nicht für sinnvoll. Die Kurzgeschichten Berenice, Morella, Ligeia und The Fall of the House of Usher handeln zwar von sterbenden Frauen, sollten dennoch nicht als Vergangenheitsbewältigung des Autors verstanden werden, weil der Erzähler in diesen Kurzgeschichten nicht mit einem naiven, schwachen und zärtlichen weiblichen Geschlecht konfrontiert wird, sondern mit einem starken, intellektuellen weiblichen Geschlecht. Wenn die Kurzgeschichten nicht von Frauen handeln, die stellvertretend für die Trauer um den Verlust von Poes leiblicher Mutter stehen, dann stellt sich die Frage, wofür diese Frauen stehen, was sie symbolisieren oder auf welches Problem Poe mit dieser Thematik hinweisen wollte.

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Leseprobe

3. Literatur als Gegenkultur: Der Geist der Erneuerung

 

3.1 Transzendentalismus

 

Die politische und ökonomische Konstellation trug zu der Herausbildung einer Gruppe von Intellektuellen bei, die sich als oppositionelle Gegenbewegung zur damaligen ge-sellschaftlichen Entwicklung sahen und sich um die damaligen gesellschaftlichen Zu-stände sorgten. Den innovativen Charakter der amerikanischen Literatur bildete nicht die Mainstream-Literatur[42], sondern die Literatur der Transzendentalisten. Der Begriff transzendental ist von Immanuel Kants Transzendentalphilosophie abgeleitet. Nach dem Verständnis der Transzendentalisten waltete Gott in Mensch und Materie. Da die Transzendentalisten biografisch dicht miteinander verbunden waren und sich Gemein-samkeiten in ihrem Denken herstellen lassen, werden sie als Gruppe wahrgenommen. Sie lehnten den allgemein vorherrschenden Profitgeist ihrer Zeitgenossen ab und stellten diesem ein selbstloseres Ideal gegenüber. Eine breite Gefolgschaft blieb ihnen versagt und ihr Intellektualismus hatte nur wenig Anziehungskraft für die meisten Amerikaner, weil ihrem pantheistischen Glauben, der von der natürlichen Güte des Menschen überzeugt war, tägliche Erfahrungen mit Kapitalismus, Egoismus und Bos-heit gegenüberstanden.[43]

 

Transzendentalismus ist eine äußerst vage Bezeichnung für eine durchaus heterogene Gruppe von Intellektuellen und Schriftstellern, die in Opposition zu den vor-herrschenden religiösen, philosophischen, politischen und literarischen Auffassungen ihrer Zeit standen. Der Begriff wird nicht als eine literarische Epocheneinteilung gesehen, sondern als loser Begriff, der die Tendenz zur Überschreitung einer bestehenden Grenze oder eines bestehenden Denkmusters meint. [44] Der Transzendentalismus bildete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts heraus und wirkte bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur auf Literatur, sondern auch auf die Religion, die Kultur und die Philosophie Nordamerikas.

 

Die europäische Romantik hatte einen großen Einfluss auf die Schriften der Transzen-dentalisten, aber auch die Aufklärung, der östliche Mystizismus, sowie der Puritanismus wirkten inspirierend auf die Transzendentalisten. Zu den Hauptvertretern gehörten vor allem Ralph Waldo Emerson, Margaret Fuller und Henry David Thoreau. Ohne den innovativen und intellektuellen Einfluss der Transzendentalisten wäre Poe nicht zu verstehen. Das Zentrum der Transzendentalisten formierte sich in Concord, Massachusetts, in der Nähe von Boston. Die Transzendentalisten bildeten einen radikalen Gegenpol zu der damals tonangebenden kulturellen Klasse. Sie setzten auf Kritik und Veränderung, weil sie die politische Emanzipation der USA auch auf kultureller und geistiger Ebene erreichen wollten. Durch diese Überschreitung wollten die Transzendentalisten alternative Möglichkeiten des Denkens, Schreiben und Lebens entwickeln.

 

Das romantische Element des Transzendentalismus war durch die Abkehr vom Ratio-nalismus und Materialismus sowie durch das Interesse am Übernatürlichen gekenn-zeichnet. Der Transzendentalismus galt als Zauberformel für die Existenz einer im-materiellen, geistig-seelischen Wirklichkeit. Der Natur kam dabei eine äußerst große Bedeutung zu, weil diese als Quelle der Inspiration des Geistes galt. Der Transzen-dentalismus strebte die Freisetzung des selbstbestimmten Individuums aus jedem äußeren Systemzwang an und aspirierte die Abkehr von einer allzu konservativen Aus-legung von Tradition und Hierarchie.

 

In diesem Zusammenhang ist eine Parallele zu Poes Anstrengungen zu erkennen, da sich auch Poe gegen ein Festhalten an einem konservativen hierarchischen System aus-sprach, was er in vielen seiner Kurzgeschichten thematisierte. Nichtsdestoweniger untersuchte Poe in seinen Kurzgeschichten die dunklen Seiten des menschlichen Seins und nahm in dieser Hinsicht auch eine Gegenposition zu den Transzendentalisten ein. Die Quelle literarischen Schaffens der Transzendentalisten bildete die ungehinderte Selbstentfaltung des Individuums, welche als Keimzelle einer progressiven Perfek-tionierung der Gesellschaft galt.[45] Im Gegensatz zur europäischen Romantik, die sich nach dem Scheitern der anfänglichen revolutionären Haltung nach Innen kehrte und sich von der Umwelt abzugrenzen suchte, war der  Transzendentalismus stets optimistisch orientiert und zum Teil sogar von einem utopischen Zukunftsglauben geprägt.

 

3.2 Poe und die Schauerromantik

 

Edgar Allan Poe hätte sich aufgrund seines Alters und seiner Herkunft ideal in das Beziehungsnetz der Transzendentalisten integrieren können, doch sein Lebenslauf und besonders sein literarisches Gesamtwerk lassen dies nicht zu. Poe war literarisch und gesellschaftlich ein Außenseiter, er galt als einer der umstrittensten, aber auch faszi-nierendsten Schriftsteller der American Renaissance. Seine Lyrik und Prosa erkunden die dunklen Seiten und die Abgründe des menschlichen Lebens und der Psyche und zählen zur Schauerromantik bzw. Dunklen Romantik, einer literarischen Unterströmung der Romantik. Gerade in der sonst zukunftsorientierten Gesellschaft der USA des 19. Jahrhunderts, in der das Streben nach Glück, welches 1776 in der von Thomas Jefferson verfassten Unabhängigkeitserklärung manifestiert wurde, als eine der obersten Prioritäten ausgegeben wurde, stellte Poe nicht nur biografisch einen Gegen-pol dar.

 

Poes Leben wurde schon früh durch den Tod seiner leiblichen Mutter, Eliza Poe, gebeutelt. Die Beziehung zu seinen Pflegeeltern Frances und John Allan stellte sich als problematisch heraus, besonders Poes Verhältnis zu seinem Pflegevater John Allan, einem wohlhabenden Geschäftsmann, der sehr viel Wert auf Pflichtbewusstsein und Gehorsam legte. Die Beziehung der beiden wurde oft auf eine harte Probe gestellt, da Edgar Allan Poe gerne gegen gesellschaftliche Konventionen rebellierte. Poe führte das Leben eines Dandys, was in der damaligen Zeit ein sehr beliebter Typ war. Ein Dandy rauchte, trank und kleidete sich elegant.

 

Zu diesen exzentrischen Eigenschaften gesellten sich besonders während seines Studiums an der Militärakademie von West Point Spielleidenschaft, und exzessiver Opiumkonsum, das Trinken entwickelte sich zu einer Alkoholsucht.[46] Diese Ereignisse führten letzten Endes zu Poes Studienabbruch und der Entlassung aus dem Militär, was ihn dazu trieb, sich mittellos an seine leibliche Tante Maria Clemm zu wenden. Dort traf Poe auch auf Virginia Clemm, seine 13 Jahre jüngere Cousine, die er später hei-ratete.[47] Poes weiteres Leben war gekennzeichnet von kleinen Erfolgserlebnissen und großen Enttäuschungen, beruflich sowie privat. Poe arbeitete zwar bei mehreren angesehenen Literaturzeitschriften, wie dem Southern Literary Messenger, aber der gesellschaftliche Ruhm und die Anerkennung seiner Literatur bekam er erst nach seinem Tod. Poe, seine Tante Maria Clemm und seine Ehefrau Virginia lebten oft am Rande des Existenzminimums.[48] Für sie blieben der American Dream und das Streben nach Glück eine Utopie. Der frühe Tod Virginias markierte ein durch Tragik durchzogenes Leben. Nachdem Poe fast bewusstlos vor Trunkenheit, verwahrlost in einer Gosse in Baltimore liegend, gefunden wurde, erlag er fünf Tage später, am 7. Oktober 1849, seinem maßlosen Lebensstil.[49]

 

Dieser kurze Abriss von Poes Biografie verdeutlicht seine Positionierung am Rande der Gesellschaft und zeigt, dass Poe in der materialistisch eingestellten Gesellschaft keine Überlebenschance hatte. Durch diesen Lebensstil war eine enge Beziehung zu den optimistisch eingestellten Transzendentalisten unmöglich. In den Augen der Trans-zendentalisten galt Poe lange als Apostel der Unmoral. Der moralische Anspruch an die Literatur war besonders im tonangebenden Neuengland seit den Tagen der Puritaner tief verwurzelt. Amerikanische Literaturkritiker der damaligen Zeit hatten deshalb bis weit ins 19. Jahrhundert einen verstellten Blick für die Bedeutung von Poes Prosa und Lyrik. In Europa wurde die Bedeutung Poes schon viel früher erkannt, da der mo-ralische Anspruch an die Literatur in Europa eine weniger wichtige Rolle spielte.[50]

 

Allerdings stimmte Poe in manchen Punkten mit den Transzendentalisten überein. Auch bei Poe zeigte sich ein deutliches Interesse am Übernatürlichen, der Grenzen des Machbaren und der individuellen Selbstbestimmung, doch insgesamt bildete Poe literarisch einen Gegenpol zu den Transzendentalisten.

 

Poe bildete ebenso zu Schriftstellern wie James Fenimore Cooper und Catharine Sedgwick einen Gegensatz. Cooper und Sedgwick zeichneten in ihrer Literatur das Bild einer Western Myth: Sie glaubten an Mobilität, an Veränderung und an die USA als Land der Möglichkeiten. Poe hingegen vertraute dem Optimismus eines Coopers oder der Transzendentalisten nicht und zeichnete speziell durch seine Kurzgeschichten ein differenziertes Bild von Amerika und begründete literarisch den Mythos der Southern Myth. Poe stellte dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ein Bild der Be-klemmung und Beschränkung entgegen, in dem insbesondere Frauen ihre Mobilität entzogen wird. Poe gilt als einer der Begründer der Southern Myth, einem Mythos der von der Schuld und der Last der...

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