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E-Book

Seefahrt ist für lebenslänglich und andere Geschichten

AutorGerd Peters
VerlagHinstorff Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9783356021974
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Mit seinen Hinstorff-Büchern 'Meine seemännischen Fehler' (2012) und 'Ich wollte zur See' (2014) traf Gerd Peters beim Publikum voll ins Schwarze. Allerdings wurde ihm bei Lesungen, in Briefen und E-Mails immer wieder die Frage gestellt, was er in seiner Laufbahn bei der Deutschen Seereederei (DSR) und danach noch erlebte. Unter anderem als Kapitän des Kreuzfahrtschiffes VÖLKERFREUNDSCHAFT schöpfte der Autor eine Fülle an Erfahrungen und Erlebnissen. In seinem neuen Buch versteht es Peters, treffend und spitzzüngig die Widersprüche des politischen und wirtschaftlichen Lebens innerhalb der DSR, die bürokratischen Hemmnisse der Militär- und Grenzkontrollapparate im In- und Ausland oder auch Alltagsgeschichten an Bord zu schildern. Immer mit dem Blick auf das Große und Ganze der Seewirtschaft der DDR. Ein fesselnder Bericht über eine besondere maritime Karriere, verankert im zeitgenössischen Hintergrund.

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Leseprobe

Warnemünder Segelwoche 1955


Zur Warnemünder Woche im Sommer 1955 hatte die Seeoffiziersschule ihre beiden Dienstjachten gemeldet. Für die Regattabesatzung der S150 (sie wurde ein Jahr später auf den Namen HORST LIEBIG getauft) hatte Oberleutnant zur See Fichtler mich wiederum als Bootsmann angefordert. Als Jachtenführer fungierte bei dieser Gelegenheit ein Kapitänleutnant Reißland, mir vorher völlig unbekannt. Dazu waren einige Stammbesatzungsmitglieder an Bord. Der Rest der Mannschaft bestand außer mir aus Offiziersschülern des dritten Lehrjahres. Ich weiß nicht, was Oberleutnant Fichtler meinen Kameraden vor dem Auslaufen aus Stralsund gesagt hatte, jedenfalls akzeptierten sie mich als Bootsmann.

Schon einige Tage vor Regattabeginn segelten wir nach Warnemünde. Es erschien notwendig, die Besatzung mit den Feinheiten des Regattasegelns und des Segelreviers vertraut zu machen. Wir lagen über Nacht im Alten Strom von Warnemünde, liefen morgens nach dem Frühstück aus und trainierten auf der Reede fleißig das Setzen und Bergen der verschiedenen Vorsegel, besonders wichtig in einer Regatta. Ferner wurden Wenden und Halsen geübt, der Dienst am Ruder sowie Ankermanöver, Anlegen und Ablegen. Schwierigkeiten bereitete uns von Anfang an der Spinnaker mit seinen 150 m2 Segelfläche. Es war eine ungeheure Blase aus leichtem Stoff, der bei mäßiger Brise aus achterlicher bzw. schrägachterlicher Richtung zusätzlich zum Großsegel zu setzen war. Wenn er vorgeheißt war, hatte die 18,5 m lange Jacht mit ihrem Tiefgang von 2,40 m statt der vorgesehen 150 m2 plötzlich die doppelte Segelfläche. Der dann diensttuende Rudergänger musste scharf aufpassen, um nicht etwa eine unvorhergesehene Halse herbeizuführen. Beim ersten Versuch gelang es uns zwar, den Spinnaker vorzuheißen und die Achterholer, mit denen der Spinnaker von Deck aus regiert wird, durchzusetzen. Aber als wir den etwa sechs Meter langen und schweren vierkantigen Spinnakerbaum in die vorgeschriebene Stellung zwischen dem Außenschothorn des Segels und dem vorgesehenen Beschlag am Mast bringen wollten, um somit den Spinnaker auszubaumen, damit er seine richtige Wirkung entfalten kann, wären wir mit vier Mann fast über Bord gegangen. Der Wind übte auf das große Segel einen derartigen Druck aus, dass unser Vorhaben, es so zu machen wie an Bord von kleinen und mittleren Jachten, nicht ausführbar war. Oberleutnant Fichtler sah mich an und sagte: „Na, Bootsmann, nun lassen Sie sich mal was einfallen!“ Ich sah mir die am Mast zur Verfügung stehenden Fallen und sonstige Taljen bzw. Drahtstander an und fand eine Möglichkeit, den Spinnakerbaum zuerst mit seiner Nock durch einen von oben vom Mast herunterkommenden Drahtstander abzufangen und ihn dann in den Beschlag am Mast einzuklinken. Dann befestigten wir das vorgesehene Außenschothorn des Spinnakers an der Nock und erst danach, sozusagen als letzter Arbeitsgang, wurde der Spinnaker vorgeheißt. Die beiden Achterholer mussten vorher bereits achtern in der Nähe des Cockpits belegt werden. Als der Spinnaker stand, blähte er sich im Wind, öffnete sich und nachdem der Außenachterholer etwas durchgesetzt wurde, stand er wunderschön bei achterlicher Brise voll ausgebreitet und gab dem Boot eine merklich größere Geschwindigkeit. Nun hatten wir den Bogen heraus. An diesem Nachmittag übten wir das Wegnehmen des Spinnakers, d.h. das Bergen des Segels und das erneute Setzen noch einige Male, bis es einigermaßen flüssig klappte. Das machte nicht allzu viel Spaß, denn es war eine schwierige Arbeit und in der Sonne auch schweißtreibend, aber die Handgriffe mussten sitzen. Es hätte ja sein können, dass wir auch in der Nacht diese Segel zu setzen hätten – bei einer Seeregatta von über fünfzig Meilen nicht auszuschließen! Froh darüber, die richtige Methode im Umgang mit dem Spinnaker gefunden zu haben, und guten Mutes über das Funktionieren aller übrigen Segel- und sonstigen Manöver liefen wir am späten Nachmittag in Warnemünde ein und machten erneut am Alten Strom fest.

Am nächsten Tag erwischte mich das Schicksal insofern, als dass ich mit dem Küchendienst dran war. Angesichts der geringen Besatzung und des knappen Personalbestandes an der Schwedenschanze (Seeoffiziersschule der Volkspolizei-See in Stralsund) hatte man uns keinen Koch mitgeben können. So hatte unser Kommandant festgelegt, dass wir Offiziersschüler abwechselnd je einen Tag als Koch zu fungieren hätten. Ich sah diesem Tag schon immer mit Bangen entgegen, denn meine Kochkünste kamen über Bratkartoffeln mit Spiegelei oder Pellkartoffeln mit Hering nicht hinaus. Beide Gerichte hatte es aber schon gegeben und so ließ ich mir für den nächsten Tag einfallen, Brühreis mit Rindfleisch zu kochen. Das hatte bei meiner Mutter immer sehr gut geschmeckt und es erschien mir einfach in der Zubereitung zu sein. Das Frühstück vorzubereiten, war kein großes Problem. Für das Mittagessen schüttete ich einige Kilo Reis in den größten Topf, der an Bord vorhanden war, gab Mohrrüben, Porree, Rindfleisch, Pfeffer und Salz hinzu, nicht zu vergessen die entsprechende Menge Wasser, und ließ das Ganze fröhlich auf dem Herd kochen. Natürlich vergaß ich nicht, von Zeit zu Zeit umzurühren. Aber in meiner Ahnungslosigkeit hatte ich nicht bedacht, dass der Reis aufquillt und deswegen schon vorher in Wasser zum Quellen gebracht werden musste, wenn das Gericht etwas Gescheites werden sollte. Als schließlich nach 12 Uhr die Backschafter den Tisch gedeckt hatten und mir mein Brühreis einigermaßen wohlschmeckend erschien, füllte ich meiner Gang die Teller. Das war nicht so einfach, denn in dem Topf befand sich nun sehr viel fester Reis und wenig Brühe, sodass das Ganze keine Suppe war, sondern eher dicker Brei. Vom Kommandanten bis zum letzten Mann machten die Besatzungsmitglieder lange Gesichter. Zögernd kosteten sie, stellten aber fest, dass es einigermaßen schmeckte. Nachschlag verlangte keiner. Das war ein trübes Zeichen. Kapitänleutnant Reißland entschied: „Offiziersschüler Peters, als Bootsmann sind Sie zu gebrauchen, für die Kombüse aber absolut ungeeignet!“ Ich nahm Haltung an und mit unbewegtem Gesicht den Tadel entgegen. Er hatte absolut recht. Zum Glück war die Crew nicht nachtragend. Mein Nachfolger hatte sich am nächsten Tag Kartoffelsalat und Bockwurst einfallen lassen, sich rechtzeitig über die Rezeptur informiert und die Kartoffeln schon am Abend zuvor gekocht. Es konnte nichts schiefgehen. Alle Mann wurden satt und der Frieden an Bord der Jacht war wiederhergestellt. Ich wurde zum Kochen nicht mehr eingeteilt.

Wir kreuzen auf zur Startlinie.

Schließlich kam der Tag der großen Seewettfahrt. Wir machten sorgfältig seeklar und liefen dann aus. Kapitänleutnant Reißland hatte uns von der Regattabesprechung kommend noch darüber informiert, dass wir zusammen mit unserem Schwesterschiff, dem 150-m2-Seefahrtskreuzer ERNST THÄLMANN der Hochseejachtenstation Greifswald-Wieck der GST, den ersten Start haben würden. Als drittes teilnehmendes Boot in unserer Klasse würde eine Privatjacht an den Start gehen, die LYDIA, eine mit 10,1 KR (Kreuzerrennformel) vermessene Jacht mit 13,5 m Länge und 72 m2 Segelfläche. Eigner war der Sportsfreund Horst Kollwitz aus Stralsund, Besitzer einer Kolbenschleiferei. Als wir vor der Startlinie erschienen, wehte der Wind in Stärke 2 aus Ost. Die Startlinie war so gelegt worden, dass wir vor dem Wind auf Westkurs zu starten hatten.

Wenn der Startball fällt, beginnt die Regatta.

Auf Höhe der Gaststätte Stolteraa lag eine Wendeboje aus, die mit der Steuerbordseite zu passieren war. Auf Ostkurs hatten wir aufzukreuzen bis zur Ansteuerungstonne des Fahrwassers der Westansteuerung nach Stralsund in der Nähe der Insel Hiddensee. Von dort sollte es dann zurück zur Startlinie vor Warnemünde gehen, die als Ziellinie zu durchqueren war. Als der Startschuss ertönte, lag die ERNST THÄLMANN günstiger an der Startlinie und kam gut in Fahrt. Wir mussten mit der S 150 erst noch ein Halsemanöver durchführen. Als wir auf der Strecke waren, erwischten wir ein Flautenloch. Ehe wir uns versahen, hatte die ERNST THÄLMANN etwa 50 m Vorsprung vor uns. An dritter Stelle lag die LYDIA. Alle drei Boote liefen vor dem Wind, was bei der schwachen Brise zur Folge hatte, dass bei der ERNST THÄLMANN und bei uns die beiden schweren Vorsegel, Fock und Klüver, sich gegenseitig verdeckten, hin und her schlugen und nicht so richtig zum Stehen zu bringen waren. Jedenfalls kamen wir nicht dichter an unser Schwesterschiff, die GST-Jacht, heran. Da der Wind auch etwas schralte, kam die Brise abwechselnd achterlich bzw. Steuerbord-Raumschots. Hier kam es auf sorgfältiges Steuern an, um keinen Meter zu verschenken. Kapitänleutnant Reißland erkannte dies und beorderte mich ans Ruder. Ich gab mir die größte Mühe, beide Vorsegel zum Stehen zu bringen, aber bei der leichten Brise wurde es nichts. So schlug ich unserem Kommandanten vor, am Klüverstag die große Genuafock zu setzen, die aus leichterem Tuch genäht war. Sie würde uns...

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