Sie sind hier
E-Book

»Aus euch wird nie was«

Erinnerungen. Aufgezeichnet von Norbert Mayer

AutorElisabeth Orth, Norbert Mayer
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783902998828
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
»Ich weiß um die Vergänglichkeit jedes Abends - aber sie erfüllt mich mit Stolz.« Vor 50 Jahren hatte Elisabeth Orth ihr Debüt am Burgtheater in Wien. Sie spielte damals, nach Stationen in Ulm und München, die Luise in Schillers 'Kabale und Liebe'. Seither hat sie an diesem Haus viele Dutzend klassische wie moderne Rollen gestaltet, ist Ehrenmitglied und seine Doyenne. Das Burgtheater ohne Orth? Kaum vorstellbar. Dabei hat es sich die Tochter der großen Bühnenstars Paula Wessely und Attila Hörbiger nicht leicht gemacht mit ihrer Berufswahl. Wie die Katze schlich sie um den heißen Brei, ehe sie den skeptischen Eltern erklärte, dass sie sich am Max Reinhardt Seminar beworben habe und auch genommen worden sei. In ihren Erinnerungen erzählt Elisabeth Orth über ihre Familie, ihre Kindheit im Krieg, ihre Jugend in der Nachkriegszeit, über die Jahre in Deutschland und die zweimalige Rückkehr nach Wien. Ganz nah kommt der Leser ihr in diesen Erzählungen.

Elisabeth Orth, geboren 1936 in Wien, absolvierte das Max Reinhardt Seminar. Nach ersten Engagements am Volkstheater und am Theater der Courage ging sie nach Ulm und ans Residenztheater in München. Am Burgtheater debütierte sie 1965, 1968 wurde sie dort Ensemblemitglied, unterbrochen durch ihr Engagement an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin 1955 bis 1999. Sie ist Trägerin der Kainz-Medaille, des Grillparzer-Rings und des Österreichischen Ehrenkreuzes sowie Ehrenmitglied des Burgtheaters. Norbert Mayer, geboren 1958 in Fürstenfeld, war in Graz, Brüssel, Berlin und Wien als Journalist tätig, unter anderem bei »Der Standard«, »Berliner Zeitung« und »Kurier«. Seit 2003 Leitender Redakteur der »Presse«.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

»Jedermann«, 1990. Salzburger Festspiele (Glaube)

 

»Jedermann, hörst mich nit?«
HUGO VON HOFMANNSTHAL

VORSPIEL IN SALZBURG


Am 20. Juli 2013, einem herrlichen Sommertag – früher hätte man wohl Kaiserwetter dazu gesagt –, bin ich am Salzburger Dom vorbeigegangen und habe mit meinem verstorbenen Vater zu reden begonnen. Ich unterhalte mich recht oft in Gedanken mit ihm, und auch mit meinem Mann, Hanns Obonya, der inzwischen schon Jahrzehnte tot ist, und erzähle ihnen Neuigkeiten. Diesmal aber musste ich unbedingt meinem Vater etwas sagen. Ich spürte einen tieferen Grund für dieses Gespräch. So viele Erinnerungen stürzten auf mich ein, dass ich einfach etwas loswerden musste, bei einem Menschen, der mir besonders nah gestanden ist.

In Salzburg habe ich damals mit meinem Vater Attila Hörbiger geredet, am Domplatz, wissend, dass mein Sohn Cornelius Obonya am Abend dort oben auf der Bühne vor dem Portal stehen wird, um Hugo von Hofmannsthals Protagonisten des »Jedermann« zu geben, im Spiel vom Sterben eines reichen Mannes, wie schon zwei Generationen zuvor mein Vater. Bekannt ist der Spruch des Regisseurs Max Reinhardt: »Der Alexander Moissi ist der Besondermann, der Attila Hörbiger ist der Jedermann.«

Meine Mutter, mein Vater, mein Mann, meine Schwester und ich – wir alle haben im »Jedermann« in Salzburg gespielt. Und da sollen einem nicht die Erinnerungen aufsteigen beim Überqueren des Domplatzes?

Die Premiere von Cornelius war umjubelt. Ich konnte mich wirklich von Herzen für meinen Sohn freuen. Er hatte sich ja auf das Wagnis einer Neuinszenierung durch die Regisseure Brian Mertes und Julian Crouch eingelassen. Sie betonten wieder das Mittelalterliche an diesem Mysterienspiel, nachdem in den Jahren zuvor eine Art Volksstück daraus geworden war. Mein Vater aber hatte bei den Salzburger Festspielen noch in der ursprünglichen Inszenierung von Max Reinhardt gespielt, erst von 1935 bis 1937, dann wieder von 1947 bis 1951.

An eine dieser späten Aufführungen erinnere ich mich noch genau. Mein Vater, bereits in Kostüm und Maske, hatte das Privileg, seine beiden Töchter, die in weiße Faltenröcke und Jäckchen gesteckt worden waren, zur fürsterzbischöflichen Residenz zu führen, wo wir von oben dem »Jedermann« zuschauen durften. Die Fensterbretter für Erzbischöfe waren viel zu hoch für uns Kinder und deshalb sehr intensiv fürs Kinn. Mein Vater verschwand, tauchte unten am Domplatz wieder auf. Wir sahen, wie er, nachdem er ein Kreuz geschlagen hatte, mit fünf Schritten oben war auf der Pawlatschen. Wir waren immer aufgeregt für den Vater. Ich habe bis heute noch Lampenfieber. Aber dann war er ganz der Jedermann.

Und nun sehe ich mehr als sechs Jahrzehnte später meinen Sohn in dieser Rolle, sehe nicht nur ihn, sondern in manchen Gesten und Mienen meinen Vater wie auch meinen Mann in dem Kind. Mich erkenne ich hingegen kaum, am ehesten noch in der Stimme. Bei Cornelius sehe ich in jedem Auftritt eine unbeschreibliche Mischung zwischen Attila Hörbiger und Hanns Obonya, das geht bis in die Stirnfalten, bis in die Bewegung beim Atemholen, wenn schwierige, lang dauernde klassische Sätze folgen. Die Kopfbewegungen und Haltungen erinnern mich an seinen Vater und Großvater.

Das Wichtigste bei beiden war der Brustkorb, der musste immer total aufgerichtet sein, darauf legten sie größten Wert. Cornelius hat das in der Natur übernommen, er muss es gar nicht üben, er hat es einfach. Mein Gott, denke ich, wie viele Möglichkeiten des Ausdrucks besitzt dieser Knabe, wie sehr erinnert mich seine Stimme an meine Liebsten.

Großvater und Enkel – Cornelius Obonya und Attila Hörbiger

Die Kritikerin der »Salzburger Nachrichten« schrieb am nächsten Tag über Cornelius: »Seine Stimme ist so füllig und kräftig, dass er mit ihr auch ohne Verstärker den Domplatz füllen könnte. In den folgenden zwei Stunden zieht er alle Register seiner Darstellkunst – von sanft bis tobend, vom schrillen, gicksenden oder grölenden Lachen bis zum reuigen, bitterlichen Weinen. Brillant!«

Von seinem Großvater hat Cornelius die unbedingte Lust am Spielen, von seinem Vater die rasche Auffassungsgabe. Mein verstorbener Mann war das unbeschreibliche Beispiel dafür, einen Text zu lesen und bereits bei diesem ersten Kennenlernen verinnerlicht zu haben. Er brauchte sich eine Seite nur anzuschauen und hatte sie schon im Kopf, auch noch am nächsten Tag. Darauf konnte man als Kollegin neidisch sein. Meine Mutter, Paula Wessely, hat sich jede Rolle hart erarbeitet, sie ging ganz planmäßig und methodisch vor. Meinem Vater fiel das Textlernen sehr schwer, obwohl er ein schauspielerisches Naturtalent war.

An diesem Julitag im Jahre 2013 musste ich lange nachdenken über meine Familie, aus der so viele Schauspieler stammen, nun schon längst in vierter Generation, ausgehend von der Verwandten meiner Mutter, Josephine Wessely, die noch zu Kaisers Zeiten im k.u.k Hofburgtheater gespielte hatte und viel zu früh starb. Sie spielte in den 1880er- und 1890er-Jahren klassische Rollen junger Liebhaberinnen: das Gretchen, die Julia, Hero und auch die Jungfrau von Orleans – eine Rolle, die auch ich im Jahrhundert darauf in Deutschland spielen sollte.

Ich sehe also meinem Sohn zu, vor dem Dom, wie er als Jedermann feiert, in Saus und Braus lebt, wie ihn das Schicksal schlägt und er zur Läuterung kommt. Und plötzlich steht er vor mir, als Gymnasiast in der sechsten Klasse, der mir gesteht, dass er die Schule vorzeitig beenden, jetzt gleich Schauspieler werden wolle. In dieser Situation habe ich genau dieselben bürgerlichen Angstsätze von mir gegeben, die meine Eltern mir drei Jahrzehnte zuvor serviert hatten: »Du weißt aber schon, wie hart das ist?« Man wisse ja nicht einmal, wie das in der Zukunft mit dem Theater sein werde, vielleicht gebe es die Theater gar nicht mehr, wenn er dann dazu bereit sei. Er müsse doch langsam aus der Erfahrung seiner Mutter wissen, wie schwer dieser Beruf sei.

Cornelius erwiderte ganz ruhig: »Ich habe es schon gemerkt, Mami. Die Matura werde ich nicht schaffen, das hängt an Physik und Mathematik und etwas auch an Chemie. Gib mir in der nächsten Zeit eine gewisse Freiheit.«

Da dachte ich mir, ich hörte meine eigene Vergangenheit, mit meiner Todesangst vor Physik und Mathematik. Glücklicherweise habe ich nach dieser Eröffnung auch Freunde gefragt, dachte mir, wir leben nicht mehr in den Fünfzigerjahren. Noch während ich vor meinem Sohn Argumente gegen meinen Beruf anführte, merkte ich, was für einen unbeschreiblichen Stuss ich redete – eine alleinerziehende Mutter, die sich Sorgen machte. Sie haben sich dann als unbegründet herausgestellt. Denn bald schon konnte ich lachen über all diese Ängste, die dieses Geständnis des Sohnes in mir ausgelöst hatte, über die Vorbehalte, die ich meinem hoffnungsfrohen Sohn entgegengehalten hatte. Ich erkenne inzwischen nämlich klar, wie sich ein Muster wiederholte.

Wie bin denn ich zu meinem Beruf gekommen? Was haben meine Eltern dazu gesagt? Die Szene, in der ich ihnen beichte, dass ich nun doch auch ans Theater wolle, habe ich noch genau vor mir: ihre Ängste, ihre Vorbehalte, meine Hoffnung, die sich in diesem Moment des Geständnisses zu einem Hochgefühl entwickelt. Ich muss noch einmal lachen über diese Parallelaktion, die in meiner Erinnerung hochkommt.

Es war wahrlich nicht leicht für mich, als Kind berühmter Schauspieler diesen Beruf zu wählen. Ich bin vor fast 60 Jahren wie eine Katze lange um den heißen Brei geschlichen. Meine ungeordneten Gedanken damals waren ungefähr diese: »Ich trau mich nicht. Ich weiß nicht. Sagt mir bitte jemand ehrlich, ob ich begabt bin oder nicht?«

Ohne Ausbildung, dekretierten meine Eltern, sei dieser Beruf nichts. Dieses Gesetz erließen sie für ihre drei Töchter, obwohl mein Vater keine einzige Schauspielstunde gehabt hatte. Das sei doch ein ganz anderer Fall gewesen, in ganz anderen Zeiten, erwiderten sie auf meine Einwände. Und meine Mutter hatte sehr wohl eine Ausbildung, sie ließ das auch spüren, wenn sie über jene redete, die das nicht hatten.

Während ich also noch überlegte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, war meine um zwei Jahre jüngere Schwester Christiane noch als Teenager »schwupstiwups« beim Film, und das nach kurzem Hineinschnuppern ins Max Reinhardt Seminar.

»Uh«, dachte ich mir, »das ging aber schnell.« Sie durfte mit meinem Vater nach München zum Drehen fahren, in Begleitung der alten Kinderschwester. »Aber die Christiane hat ja gar keine richtige Ausbildung, und jetzt ist sie schon beim Film«, dachte ich mir, ganz streng nach der Argumentation unserer Mutter.

Und ich? Irgendwie traute ich mich noch nicht, hatte Zweifel, obwohl ich mir genau ausmalte, wie es wäre, auf der Bühne zu...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Biografie - Religion - Philosophie

Über Gott und die Welt

E-Book Über Gott und die Welt
Gespräche am Küchentisch. Unter Mitarbeit von Cornelia Filter Format: ePUB

Lea Ackermann, die couragierte und furchtlose Ordensfrau, spricht mit Pater Fritz Köster, ihrem langjährigen Gefährten, über das, was unser Leben trägt: Woher nehme ich meine Motivation, wenn es…

Über Gott und die Welt

E-Book Über Gott und die Welt
Gespräche am Küchentisch. Unter Mitarbeit von Cornelia Filter Format: ePUB

Lea Ackermann, die couragierte und furchtlose Ordensfrau, spricht mit Pater Fritz Köster, ihrem langjährigen Gefährten, über das, was unser Leben trägt: Woher nehme ich meine Motivation, wenn es…

Martin Buber

E-Book Martin Buber
Leben - Werk - Wirkung Format: ePUB

Ein anschauliches Porträt des jüdischen Religionsphilosophen- Eine prägnante Darstellung des facettenreichen Lebens und Wirkens Martins BubersGerhard Wehr legt hier eine umfassende Darstellung von…

Martin Buber

E-Book Martin Buber
Leben - Werk - Wirkung Format: ePUB

Ein anschauliches Porträt des jüdischen Religionsphilosophen- Eine prägnante Darstellung des facettenreichen Lebens und Wirkens Martins BubersGerhard Wehr legt hier eine umfassende Darstellung von…

Martin Buber

E-Book Martin Buber
Leben - Werk - Wirkung Format: ePUB

Ein anschauliches Porträt des jüdischen Religionsphilosophen- Eine prägnante Darstellung des facettenreichen Lebens und Wirkens Martins BubersGerhard Wehr legt hier eine umfassende Darstellung von…

Martin Buber

E-Book Martin Buber
Leben - Werk - Wirkung Format: ePUB

Ein anschauliches Porträt des jüdischen Religionsphilosophen- Eine prägnante Darstellung des facettenreichen Lebens und Wirkens Martins BubersGerhard Wehr legt hier eine umfassende Darstellung von…

Weltuntergang bei Würzburg

E-Book Weltuntergang bei Würzburg
Ein Aussteiger berichtet von siebzehn Jahren in der Sekte - Universelles Leben der Prophetin Gabriele Wittek Format: ePUB

Gabriele Wittek ist im Verständnis des Universellen Lebens das größte Gottesinstrument nach Jesus von Nazareth. Qualitativ erstrahlt sie als die größte Prophetin aller Zeiten, also im prophetischen…

Weltuntergang bei Würzburg

E-Book Weltuntergang bei Würzburg
Ein Aussteiger berichtet von siebzehn Jahren in der Sekte - Universelles Leben der Prophetin Gabriele Wittek Format: ePUB

Gabriele Wittek ist im Verständnis des Universellen Lebens das größte Gottesinstrument nach Jesus von Nazareth. Qualitativ erstrahlt sie als die größte Prophetin aller Zeiten, also im prophetischen…

Weltuntergang bei Würzburg

E-Book Weltuntergang bei Würzburg
Ein Aussteiger berichtet von siebzehn Jahren in der Sekte - Universelles Leben der Prophetin Gabriele Wittek Format: ePUB

Gabriele Wittek ist im Verständnis des Universellen Lebens das größte Gottesinstrument nach Jesus von Nazareth. Qualitativ erstrahlt sie als die größte Prophetin aller Zeiten, also im prophetischen…

Weitere Zeitschriften

ARCH+.

ARCH+.

ARCH+ ist eine unabhängige, konzeptuelle Zeitschrift für Architektur und Urbanismus. Der Name ist zugleich Programm: mehr als Architektur. Jedes vierteljährlich erscheinende Heft beleuchtet ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

Computerwoche

Computerwoche

Die COMPUTERWOCHE berichtet schnell und detailliert über alle Belange der Informations- und Kommunikationstechnik in Unternehmen – über Trends, neue Technologien, Produkte und Märkte. IT-Manager ...

Correo

Correo

 La Revista de Bayer CropScience para la Agricultura ModernaPflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und am Thema Interessierten mit umfassender ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...