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Auswirkungen der Fairtrade-Zertifizierung auf den afrikanischen Blumenanbau

Das Beispiel Naivasha, Kenia

AutorJonathan Happ
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783739269115
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Wie können wir guten Gewissens Blumen zum Muttertag als Symbol der Zuneigung verschenken, die unter schlimmsten Arbeitsbedingungen von jungen Müttern geerntet wurden? Die immer wieder kritisierten Zustände auf den riesigen Blumenfarmen speziell in Äquatorialafrika verunsichern viele Kunden bei ihrer Kaufentscheidung. Die Arbeitsbedingungen in den Gewächshäusern zeichnen sich durch niedrige Löhne und hohen Pestizideinsatz aus. Einen möglichen Ausweg aus dieser Situation verspricht die Siegel-Organisation 'Fairtrade', die neben agrarischen Produkten von Kleinbauern auch gewissenhafte Blumenproduzenten mit ihrem Siegel zertifiziert. Den Arbeitern soll damit eine langfristige Lebensplanung und den Produzenten eine Schlüsselrolle in der Lösung sozialer Probleme in ihrer Region ermöglicht werden. Doch ist die Hoffnung des europäischen Fairtrade-Konsumenten gerechtfertigt, mit dem Kauf von zertifizierten Blumen ein Produkt zu erwerben, das auch hohen moralischen Ansprüchen gerecht wird? Oder handelt es sich bei dem Zertifikat um eine bloße Marketingmaßnahme? Der Autor stellt die formulierten Ziele des Fairtrade-Handels infrage: Kommen die Mehreinnahmen den Menschen, ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen zugute? Welchen Effekt haben die Fairtrade-Standards auf die lokale Gemeinde? Ein Vergleich von Arbeitsbedingungen und dem Engagement einer Fairtrade-Farm mit denen verschiedener konventioneller Farmen aus der Region Naivasha in Kenia gibt Aufschluss über die Auswirkungen der Zertifizierung am Produktionsstandort.

Jonathan Happ bereist seit vielen Jahren Ostafrika und beschäftigt sich dort mit den sozialen Folgen der Rohstoffgewinnung. Neben den Untersuchungen zur kenianischen Blumenindustrie arbeitete er bereits zu Palmenölanbau in Uganda und dem geplanten Uranabbau in Tansania. Als Promotionsstudent am Institut für Stadt- und Kulturraumforschung untersucht er derzeit die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Kenias informellen Goldminen.

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Leseprobe

2Multidimensionale Armut als Instrument der Entwicklungsmessung


Um die Frage nach einer Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeitern beantworten zu können, muss erörtert werden, woran eine solche Verbesserung gemessen werden kann. In der geographischen Diskussion um die Betrachtung und Klassifikation von Gesellschaften seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich gezeigt, dass die bisherigen Ansätze zur Betrachtung von Chancenungleichheit, Entwicklung und Armut methodische Probleme aufweisen. Die eindimensionale Betrachtung von individuellem Einkommen, ob in Form des „Pro-Kopf-Einkommens“ oder gemessen am Anteil der „absoluten Armut“, zeigt sich fehleranfällig (u. a. BOHLE & GRANER 1997, S. 738; BRATZEL & MÜLLER 1979, S. 145; GIESE 1985, S. 174; STORKEBAUM 1984, S. 151; ZIAI 2010, S. 23–29). Und auch der Ansatz des „Human Development Index“ (HDI) konzentriert sich zu stark auf Durchschnittswerte, die insbesondere das Vorankommen der Nationen symbolisieren (u. a. CAPLAN 2009; UNDP 2010, S. 15, 90, 110; ZIAI 2010, S. 25). Während sich die Performance der Länder durch diese Methoden gut abbilden lässt, bringen sie hingegen wenig Licht ins Dunkle der Probleme, wodurch die Aussagekraft der bisherigen Ansätze im Detailbereich lückenhaft bleibt.

2.1Der Ansatz des MPI


Die „Vereinten Nationen“ (UN) haben zum zwanzigsten Jubiläum des „Human Development Reports“ (HDR) den Begriff der „mehrdimensionalen Armut“ und den „Index für mehrdimensionale Armut“ (MPI) eingeführt, der auf einen Methodenvorschlag von ALKIRE und SANTOS zurückgeht (ALKIRE & SANTOS 2010). Der Ansatz verzichtet bei der Darstellung von Armut, die als ein Grundproblem der Entwicklung erkannt wurde, gänzlich auf die Analyse von Einkommen. Stattdessen greifen die Forscher auf die nach außen hin sichtbaren Formen immaterieller Armut zurück, die sie in den klassischen HDI-Bereichen Bildung, Gesundheit und Lebensqualität lokalisieren und als Deprivationen bezeichnen. Dadurch soll das Armutsphänomen besser erfasst und mögliche Veränderungen präziser abgebildet werden. Im Fokus stehen dabei nicht Einzelpersonen, sondern Haushalte.

2.2Auswahl der Deprivationen


Tab. 1: Dimensionen und Indikatoren Multidimensionaler Armut

Quelle: Eigene Darstellung, nach LEPENIES 2010, S. 2

„Der einfache und politikrelevante MPI ergänzt monetäre Methoden, indem dabei ein breiterer Ansatz verwendet wird. Er ermittelt überlappende Formen von Deprivationen auf der Haushaltsebene in denselben drei Dimensionen wie der HDI und zeigt die durchschnittliche Zahl armer Menschen sowie die Formen von Deprivation, mit denen arme Haushalte konfrontiert sind.“ (UNDP 2010, S. 117)

Aufgrund des mehrdimensionalen Ansatzes werden nur die Haushalte als entsprechend arm definiert, bei denen parallel mehrere Deprivationen auftreten, deren Summe in der Gewichtung mindestens 30% ergibt. Ein Haushalt, der nur innerhalb eines Indikators Mängel aufweist, gilt nicht als mehrdimensional arm (LEPENIES 2010, S. 1 f.; UNDP 2010, S. 118). Durch diesen Ansatz ist die Methode relativ robust gegenüber einzelnen fehlerhaften Datenquellen und Fehlinterpretationen, denn wenn es auch Haushalte geben mag, die einen einzelnen Mangel aus persönlicher Überzeugung bewusst eingehen könnten4, sind mehrere parallele und gleichzeitig freiwillige Mängel unwahrscheinlich (LEPENIES 2010, S. 1).

Die Auswahl der Deprivationen erfolgte aus zwei Gründen. Der wesentliche Punkt liegt in dem zur Verfügung stehenden Datenbestand. Zwar wünscht sich auch die Forschergruppe hinter dem MPI, Aspekte wie Sicherheit oder Teilhabe einfließen lassen zu können, doch stehen solche Daten nicht in der notwendigen Dichte zur Verfügung (ALKIRE & SANTOS 2010, S. 12 f.).

„We very much wished the MPI to include additional vital dimensions. Unfortunately, we can state categorically that comparable data of sufficient quality are not available from the same survey in the public domain for 100+ less developed countries to consider any other dimensions, nor to include consumption data.“ (ALKIRE & SANTOS 2010, S. 12)

Das zweite Auswahlkriterium sind die Millenniumsentwicklungsziele (MDG). ALKIRE und SANTOS hoffen, durch den MPI eine Methode bereitstellen zu können, um das Vorankommen der MDG besser verfolgen und die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen MDGs präziser analysieren zu können (ALKIRE & SANTOS 2010, S. 7–9).

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass zwar einige wichtige Indikatoren im MPI nicht berücksichtigt werden, jedoch über die Bedeutung der zehn relevanten Deprivationen ein internationales Einvernehmen herrscht (UNDP 2010, S. 118). Dadurch wird der MPI zu einem guten Instrument für breite Diskussionen, denn er bildet einen Großteil der Erdbevölkerung anhand einer allgemein akzeptierten Auswahl von Messinstrumenten ab.

2.3Vergleich von Einkommensarmut und multidimensionaler Armut


Im Ergebnis zeigt sich, dass es eine Nähe zwischen der Einkommensarmut und der multidimensionalen Armut gibt. Vergleicht man die Armutsgrenzen von 1,25 und 2,00 US-Dollar (PPP) und die des MPI, so liegt der MPI zwischen den Werten der beiden anderen (ALKIRE & SANTOS 2010, S. 30). Dies bedeutet aber nicht, dass es sich dabei zwangsläufig um dieselbe Gruppe handelt, denn es kommt teilweise zu sehr großen Ausreißern (vgl. Abb. 1). Dies ist angesichts der sehr unterschiedlich ausgeprägten Sozialleistungen innerhalb der Länder nachvollziehbar, da es Länder gibt, in denen ein Teil der Bevölkerung zwar über ein Einkommen oberhalb der Grenze zur absoluten Armut verfügt, aber in denen gute Schulbildung, sauberes Trinkwasser und sichere Ernährung derart kostenintensiv ist, dass diese Menschen trotzdem keinen Zugang zu diesen erhalten und daher der Gruppe der multidimensional Armen angehören (UNDP, 2010: S. 120):

„[I]n manchen Ländern [werden] die durch den MPI gemessenen Ressourcen kostenlos oder kostengünstig bereitgestellt, während sie in anderen selbst für Erwerbstätige außer Reichweite sind. Entsprechend sehen wir, dass Länder mit relativ gutem Zugang zu Dienstleistungen, beispielsweise Sri Lanka, Tansania und Usbekistan, einen MPI aufweisen, der deutlich niedriger ist als auf Einkommen basierende Schätzungen. Dies ist dagegen nicht der Fall in Ländern wie Äthiopien und Niger, wo die Formen von Deprivation jenseits unzureichender Einkommen noch schlimmer ausfallen.“ (UNDP 2010, S. 120)

Abb. 1: Vergleich zwischen Multidimensionaler und Absoluter Armut

Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von OPHI 2010a; OPHI 2010b; UNDP 2015

2.4Abschließende Betrachtung des MPI


Es ist die große Stärke des MPIs, dass er durch die Analyse von Deprivationen eine Vergleichsbasis für die Lebenssituation innerhalb verschiedener Länder liefert, über deren Bedeutung internationales Einvernehmen herrscht. Auch scheint er gut geeignet zu sein, um größere Gruppen von Menschen oder Regionen zu analysieren. Geht es allerdings um Detailbetrachtungen, scheinen Limitationen unvermeidlich. Dies hat mindestens drei Gründe:

  • Einige der Deprivationen treten nicht zwangsläufig aufgrund von Armut auf, sondern sind eventuell selbstgewählt oder aufgrund anderer Einflüsse vorhanden.
  • Es werden insbesondere Haushalte und Familien betrachtet. In vielen Ländern, so auch in Kenia, gibt es aber eine große Gruppe von Wanderarbeitern, die als Einzelindividuen auftreten.
  • Der MPI bietet durch sein relativ grobmaschiges Raster keine ausreichende Möglichkeit, Detailverbesserungen zu erfassen und darzustellen. Schulbildung und Gesundheit sind vage gehaltene Indikatoren. Arbeitsplatzsicherheit, politische Teilhabe und Gendergerechtigkeit bleiben völlig unberücksichtigt.

Dennoch ist der Ansatz der multidimensionalen Armut für die Fragestellung zielführend, da der Forschungsgegenstand eine benachteiligte Gruppe von Menschen ist, deren Lebenssituation eine Vielzahl von Mängeln aufweist. Um die Auswirkungen der Fairtrade-Zertifizierung auf diese Menschen bewerten zu können, muss primär gefragt werden, welche Mängel aufgrund der Fairtrade-Zertifizierung gegenüber klassischen Anstellungsverhältnissen bei dieser Gruppe nicht mehr auftreten. Sekundär kann untersucht werden, ob es darüber hinaus positive Entwicklungseffekte...

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