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E-Book

Beethoven

AutorWalter Riezler
VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783795786281
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Dieses Buch des Beethoven-Kenners Walter Riezler verbindet den sachlichen, auf historische Genauigkeit bedachten biographischen Bericht mit einer umfassenden Deutung des Werks. Mit einem Vorwort von Wilhelm Furtwängler.

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Leseprobe

DIE FAMILIE BEETHOVEN stammt aus Flandern. Der Name – nicht adlig, sondern wie etwa „Van Gogh“ nur die Herkunft bezeichnend, „von den Rübenhöfen“ – deutet auf bäuerlichen Ursprung. (Ein Ort „Bettenhoven“ liegt zwischen Limburg und Lüttich.) Doch schon vor 1500 taucht der Name in den Städten Flanderns auf. Das Geschlecht scheint wanderlustig gewesen zu sein: in den Geburts- und Eheregistern von Mecheln finden sich viele des Namens, aber nur wenige sind dort gestorben. 1684 wird dort Michel van Beethoven geboren, der es als Bäckermeister zu großem Wohlstand bringt, aber schließlich an einem Handel mit Spitzen, Bildern und andern Luxuswaren scheitert, den er nebenbei betreibt. 1741 flieht er vor seinen Gläubigern nach Bonn, wo seine beiden Söhne schon seit längerer Zeit lebten: Cornelius als Kaufmann, Ludwig, der Großvater des großen Beethoven, als Sänger an der kurfürstlichen Kapelle. Dieser ist der erste Musiker in der Familie, von dem wir wissen, nicht schöpferisch zwar, aber offenbar sonst sehr tüchtig. Er stirbt 1773 als Hofkapellmeister und hochangesehener Mann. Sein Bildnis, das aus dem Besitz des großen Enkels erhalten ist, zeigt ein ruhiges, harmonisches Gesicht von ausgesprochen flämischem Typus, dem des Enkels in keinem Zuge ähnlich. Man sagt, er habe, Verbindungen seines Vaters ausnützend, nebenbei einen Weinhandel betrieben. Sicher ist, daß er in der Familie viel Unglück hatte: seine Frau, eine geborene Rheinländerin namens Poll, mußte wegen schwerer Krankheit – wie eine Überlieferung behauptet, war es Trunksucht – außer dem Hause untergebracht werden. Von seinen Kindern machte ihm sein Sohn Johann, um 1740 geboren, Musiker gleich ihm und als Sänger in der Kapelle angestellt, manche Sorge. Zwar sind die Nachrichten, die ihn zum Säufer stempeln wollen, nur für seine letzten Lebensjahre sicher verbürgt. Da er als Musiklehrer in den vornehmen Bonner Familien gesucht war, wird es damit zuerst nicht so arg gewesen sein. Immerhin aber war er ein unsteter, leichtfertiger Mensch, der in dem Streben nach Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage nicht immer gerade Wege ging. Auch seine vortreffliche Frau konnte ihn darin nicht hindern. Sie war nicht, wie oft gesagt wird, niedrigen Standes, sondern entstammte einer angesehenen, ursprünglich wohlhabenden Familie: ihr Vater, Heinrich Keverich, war Hofkücheninspektor der kurfürstlich Trierischen Residenz, die Mutter, geborene Westorff aus Koblenz, hatte Senatoren und Ratsherrn unter ihren Ahnen. Nach kurzer Ehe mit einem Angestellten des Hofes früh verwitwet, heiratete sie einige Jahre später Johann van Beethoven. Die Heiraten der Tochter machten der Mutter Keverich – der Vater war früh gestorben – offenbar große Sorge. Sie scheint ihr Vermögen dafür geopfert zu haben, und gleichzeitig entwickelte sich, vielleicht im Zusammenhang mit diesen Schicksalen, bei der Dreiundsechzigjährigen ein Gemütsleiden, von dem wir aus einem amtlichen Schriftstück Kenntnis haben: „Der ihr wegen Zurückgangs in Mitteln gesetzte Vormund nennt sie zwar schwachsinnig, es wird aber einem gottesfürchtigen Menschen nicht wohl erlaubt sein, dieser Frauen Wandel und Leben zu beurteilen, da dieselbe mit einer gesunden und kräftigen Vernunft stets begabt gewesen, hernach aber in ein solch hartes, fast erstaunliches Bußleben sich begeben, daß es nicht zu begreifen ist, wie diese Frau gegen den ordentlichen Gang der Natur noch leben mag, indem selbe wenig und die schlechteste Nahrung nimmt und in der bittersten Kälte, Wind und Regen fast ganze Nächte vor der Kirchen unter dem blauen Himmel liegt.“ Noch im gleichen Jahre 1768 starb sie, ein halbes Jahr nach der schicksalsvollen Heirat der Tochter. Wenn wir von dieser hören, daß sie „nie jemand habe lachen sehen“, so dürfen wir hierin vielleicht nicht nur die Folge eines kummervollen Lebens, sondern auch die Spuren ererbter Schwermut erblicken. Sie nahm ihre Pflichten bitter ernst, sorgte treulich für Haus und Kinder und suchte zusammenzuhalten, was dem Mann zwischen den Fingern zerrann.

So war die Welt, in die der große Beethoven als zweites Kind seiner Eltern – das erste war kurz nach der Geburt gestorben – am oder kurz vor dem 17. Dezember 1770 geboren wurde. (Dem Blute nach ist er zu 1 Sechzehntel Wallone – eine seiner Ururgroßmütter war eine geborene Gouffau – zu 3 Sechzehntel germanischer Flame, zu 12 Sechzehntel Deutscher.) Von seiner Kindheit wissen wir nicht viel. In Spiel und Streichen scheint er ein Kind wie andere gewesen zu sein, daneben aber hören wir von Augenblicken tiefster Versunkenheit, und daß er oft scheu und einsilbig, auch verdrießlich unter Menschen gewesen sei. Oft lag er im Fenster, „mit schönen tiefen Gedanken beschäftigt“, über denen er alles vergaß, oder er zog sich auf den Speicher zurück, von dem aus man mit einem Fernrohr „sieben Stunden weit“ sehen konnte. An die schöne Landschaft seiner Heimat erinnerte er sich noch spät. Die musikalische Begabung scheint sehr früh sichtbar geworden zu sein; den noch nicht acht Jahre alten Knaben läßt der Vater zum erstenmal am 29. März 1778 öffentlich spielen, wobei er ihn, sei es absichtlich oder irrtümlich, als sechsjährig ausgibt. Es schwebte ihm wohl der Ruhm des kleinen Wunderkindes Mozart vor. Dazu kam es freilich nicht: die Begabung des kleinen Ludwig war anderer, langsamer reifender Natur, und zudem fehlte dem Vater vollkommen das Talent, ein werdendes Genie heranzubilden, wie es der Vater Mozarts in hohem Maße besessen hatte. Was Johann van Beethoven musikalisch konnte und zu übermitteln verstand, das reichte gerade für den Chor und die Bonner Dilettanten aus. Den Eigenwilligkeiten seines genialen Kindes gegenüber war er heftig und verständnislos, dazu noch sprunghaft und ohne Selbstzucht. Daß der Knabe bei dem Unterricht oft weinte, ist gut überliefert, und es scheint auch wahr zu sein, daß der Vater manchmal nachts, aus der Kneipe heimkehrend, den Jungen weckte und üben ließ. Er selbst hat offenbar seinem Unterricht nicht viel zugetraut: schon um die Zeit jenes ersten Auftretens zieht er andere Musiker zum Unterricht heran, unter anderen einen orgelspielenden Mönch, Bruder Willibald Koch, dessen Spiel den jungen Ludwig sehr fesselte. Wie es scheint, hat er dort schon bald so viel gelernt, daß er seinen Lehrer bei der Frühmesse im Minoritenkloster vertreten konnte.

Doch der eigentliche Lehrer seiner Jugend wurde erst Christian Gottlob Neefe. Dieser, geborener Sachse und ursprünglich Jurist, war nicht lange vor 1780 als Kapellmeister einer wandernden Operntruppe nach Bonn gekommen, wo er festgehalten und trotz seines evangelischen Bekenntnisses Hoforganist wird. Ihm überträgt 1780 Vater Beethoven die musikalische Erziehung seines Sohnes. Zum ersten Male fühlt dieser eine sichere Hand und die Überlegenheit eines gebildeten Menschen. Als Komponist war Neefe ein mäßiges Talent; aber er wußte um die Probleme der Sonate und des Liedes, die damals die Gemüter bewegten, kannte die Werke Phil. Em. Bachs und der Wiener Schule, und wenn er auch den „strengen Satz“ der alten Schule nicht beherrschte und seinen Schüler nicht lehren konnte, so war ihm doch die Größe eines Werkes wie des „Wohltemperierten Klaviers“ des alten Johann Sebastian so bewußt, daß er seinen Unterricht darauf aufbaute. Offenbar ist er nichts weniger als ein musikalischer Handwerker gewesen, vielmehr bemüht, die geistigen Grundlagen der Musik zu erfassen; schrieb er doch sogar über musikästhetische Fragen. Von Leipzig her, wo er wie der junge Goethe im Kreise Oesers verkehrte, war ihm, was die Zeit sonst bewegte, vertraut, und wir dürfen vermuten, daß er auch darüber mit seinem jungen Schüler gesprochen hat. In allem war er ein ernster, tief angelegter Mensch, wie auch sein Bildnis, mit den gespannten Zügen des Verwachsenen, erkennen läßt. – Wie er den Knaben unterrichtete, wissen wir im einzelnen nicht. Daß er echt schulmäßig vorging, dürfen wir vielleicht daraus schließben, daß sein Schüler nun lernt, sehr sorgfältig und schön Noten zu schreiben, während seine sonstige Handschrift in ihrem zwar sehr früh charaktervollen aber dabei unbeholfenen Duktus erkennen läßt, daß er in der Schule, in die er allerdings nur kurze Zeit ging, nicht viel gelernt hat. Am meisten förderte ihn Neefe dadurch, daß er ihn schon sehr bald als Gehilfen in der Kirche, kurze Zeit auch am Cembalo im Theaterorchester heranzog, wo er bei den Proben die Funktion des Kapellmeisters auszuüben hatte. So erwarb er sich schon früh nicht nur eine lebendige Kenntnis des Orchesters, sondern auch der Opern-und Singspielliteratur der Zeit. Auch als Bratscher wurde er beschäftigt; doch scheint seine Fähigkeit auf diesem Instrument nicht eben groß gewesen zu sein: jedenfalls wurde er nicht als Solist geführt. Der Übermut des Genies regte sich auch bei ihm: in der...

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