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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder

Memoiren, Essays, Reiseerinnerungen und Briefe: Reise durch England und Schottland, München vor sechsunddreißig Jahren, Portraits von Goethe, Wieland, Schiller und Herder...

AutorJohanna Schopenhauer
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl390 Seiten
ISBN9788026852407
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Johanna Schopenhauer (1766-1838) war eine deutsche Schriftstellerin und Salonnière. Sie war die Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Adele Schopenhauer. Ihre Schriftstellerei wurde zu einer wichtigen Einkommensquelle. Sie veröffentlichte ein umfangreiches Werk aus Reiseerzählungen, Romanen und Novellen. Mit den gleichzeitig lebenden Schriftstellerinnen Sophie von La Roche, Sophie Mereau, Karoline Auguste Fischer gehörte sie zu den ersten bekannten Autorinnen, die mit dem Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienten. Inhalt: Jugendleben und Wanderbilder Reise durch England und Schottland Ausflucht an den Rhein und dessen nächste Umgebungen im Sommer des ersten friedlichen Jahres Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828 München vor sechsunddreißig Jahren Reiseerinnerungen aus früherer Zeit Gerhard von Kügelgens Portraits von Goethe, Wieland, Schiller und Herder Über Gerhard von Kügelgen und Friedrich, in Dresden Das Badeleben in Karlsbad während der Monate Julius und August im Jahre 1815. Brief aus Karlsbad 1821. Über das Leben Gerhards von Kügelgen Aus dem Buch: 'Da stehe ich nun, zwar etwas reisemüde, aber übrigens doch mit frischem Sinn und voll innerer Lebenskraft auf der Höhe der letzten Station vor dem Ziele. Ich blicke noch einmal hinab auf den zurückgelegten langen Weg, auf die lieblichen Thäler, die ich durchwandelte, auf die steilen dornigen Felsenpfade, durch die ich mich winden mußte; zwar will ein wunderbar weiches, aus Freude und Leid zusammengesetztes Gefühl bei diesem Rückblicke sich meiner bemächtigen, doch bin ich im Ganzen wohl zufrieden, so weit gelangt zu sein.'

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Leseprobe

Achtes Kapitel.


Bei meinem lieben Topf voll Reis
Genieß' ich, Sklav des großen Dei's,
Sorglose stille Stunden.
Joh. Heinrich Voß.

Vor sechzig bis siebenzig Jahren konnte Danzig noch füglich für einen der nordischen Marksteine der kultivirten Welt gelten; mit Riesenschritten hat seitdem die Kultur die früher ihr gesetzten Grenzen in den Staub getreten, und im Innern wie im Aeußern die bedeutendsten Umwandlungen herbeigeführt. Doch behielt meine Vaterstadt, abgesehen sogar von ihrer vor andern sie auszeichnenden Bauart, noch genug von ihrer früheren Originalität übrig, um noch heut zu Tage dem Fremdling in ihren Mauern ein lebhaftes Interesse einzuflößen, wenn er einigen Sinn für dergleichen mitbringt. Dazu gehört insbesondere die Ankunft der mit Getreide beladenen polnischen Fahrzeuge, die noch immer ein merkwürdiges Schauspiel bietet, wenngleich nicht mehr ganz in dem Grade, als in einer weit früheren Zeit.

Wenn der Frühling unter dem milderen Himmel des Rheins die ihm gebührende Oberherrschaft schon längst angetreten, und nur noch einzelne schnell vorübergehende Scharmützel mit seinem überwundenen Feinde zu bestehen hat, der im Fliehen sich zuweilen neckend gegen ihn umwendet, dann erst reißt er in meinem Vaterlande mit einem kühnen Sprunge aus dem kalten weißen Leichentuche sich los und zerbricht die kristallenen Gewölbe, unter welchen Quellen und Ströme gefesselt liegen.

Unglaublich schnell dringt dann aus Bäumen und Hecken, auf Wiesen und Feldern das frische knospende Leben warm und duftig hervor; es giebt Tage, in denen man wirklich glauben möchte, das Gras wachsen zu hören, die Veilchen sich entwickeln zu sehen. Der Frühling ist da und eilt vorüber, ehe man Zeit gehabt hat, sich seiner recht zu erfreuen. Dann schwellen auch tief in Polen die Gewässer, und die selbst für die sehr flach gehenden polnischen Fahrzeuge oft zu seichte Weichsel wird gegen Ende des Maimonats kräftig genug, um auf ihrem Rücken die goldnen Gaben der Ceres in meine Vaterstadt zu tragen, die mit vollem Recht in früherer Zeit die Kornkammer von Europa genannt wurde.

Die kleinen, längs der langen Brücke auf der Mottlau vor Anker liegenden Seeschiffe, auf welchen, wie auf den Retourchaisen in Frankfurt, der Ort ihrer nächsten Bestimmung auf schwarzen Tafeln zu lesen ist, »will's Gott nach Königsberg,« »will's Gott nach Petersburg,« »will's Gott nach Memel,« sie alle schließen vor der seltsamen Flotte sich gedrängter an einander, welche nun die Mottlau bedeckt und einen höchst wunderbaren Anblick gewährt.

Schiffe sind die schlecht zusammengezimmerten Fahrzeuge eigentlich nicht, aus welchen jene Flotte besteht, sie scheinen so unbequem und zerbrechlich, daß man kaum begreift, wie sie den weiten Weg glücklich zurücklegen konnten, ohne unterzugehen; auch werden sie am Ende ihrer Laufbahn zerschlagen, das Holz wird verkauft, und die Mannschaft mag zusehen, wie sie durch Moor, Haide und unwegsame Urwälder zu Fuße wieder nach Hause gelangt.

Am füglichsten wären diese Fahrzeuge einem kleinen Flosse vergleichbar, nur sind sie weniger breit, laufen an beiden Enden in Form eines Kahns etwas spitz zu und sind ringsum mit einem ziemlich niedrigen Bord versehen. Eine Hütte am Ende derselben bildet die Kajüte für den Oberaufseher; ohne Mast und Segel werden sie durch ein ziemlich unförmliches Steuer regiert und durch mehr als hundert rüstige Arme dicht hinter einander auf ihren Bänken sitzender und taktmäßig rudernder Schimkys1 stromabwärts geführt. Den ganzen übrigen Raum nimmt die Ladung von Weizen oder Roggen ein, so hoch als möglich aufgethürmt liegt sie ganz offen da, ohne den geringsten Schutz gegen Wind, Wetter und Nässe.

In besonders fruchtbaren und wasserreichen Jahren, als vor der ersten Theilung von Polen der Kornhandel noch gleichsam ein Monopol meiner Vaterstadt war, sah man oft den ziemlich breiten Strom mit mühsam aneinander sich fortschiebenden Fahrzeugen über und über bedeckt. Wäre es möglich gewesen, einen auf diesen Anblick ganz unvorbereiteten Fremden plötzlich auf die lange Brücke zu stellen, er hätte glauben müssen, auf eine der damals kaum entdeckten Südsee-Inseln, mitten unter die Kanoes der Wilden gerathen zu sein, so durchaus uneuropäisch sahen die Schimkys und die ganze Flotille noch jetzt aus. Daß dergleichen in einem übrigens civilisirten Lande, so nahe an Deutschland, noch existirt, scheint unglaublich; ein Galeerensklave aus Toulon ist, im Vergleich mit einem Schimky, ein Dandy.

Trotz ihrem wilden Aussehen haben sie doch nichts Unförmliches oder Widerwärtiges, diese starkknochigen, mulattenartig gebräunten hagern Gestalten; ein wohlbeleibter behaglicher Schimky wäre eine Idee außerhalb dem Gebiete der Möglichkeit. Bis auf den nationellen von Regen und Sonne gelb gebleichten Zwickelbart ist der Kopf durchaus kahl geschoren, und mit einem großen selbstfabricirten Strohhut oder einer flachen Pelzmütze bedeckt, Hals, Nacken und Brust sind entblößt. Die übrige Bekleidung besteht in Pantalons und einem mit einem Strick um den Leib gegürteten Kittel, beides vom allergröbsten ungebleichten Leinen. Hölzerne, mit starken eisernen Nägeln dicht beschlagene Sohlen, die sie unter den übrigens nackten Fuß binden, müssen oft die Stiefel ersetzen.

Das wirklich gräßliche Getöse, das diese Chaussüre auf den granitenen Pflastersteinen hervorbrachte, wenn eine etwas zahlreiche Gesellschaft von Schimkys die Straße heraufkam, jagte uns Kinder allemal aus dem Beischlag ins Haus, und selbst als ich schon ziemlich erwachsen war, wagte ich mich nur mit bänglichem Herzklopfen in ihre Nähe. Ich fürchtete mich vor den wilden Gestalten, die doch Niemandem etwas zu Leide thaten; nie habe ich vernommen, daß ein Schimky des Diebstahls oder eines ähnlichen Verbrechens beschuldigt worden wäre.

Sie waren Leibeigene, und sind außerhalb des Preußischen Staates es wohl größtentheils noch. Ihr Leben wurde kaum so hoch gehalten, wie das eines Hundes oder Pferdes. Der Edelmann, der aus Versehen oder im Zorn einen von ihnen erschlug, zahlte, ohne weitere gerichtliche Prozedur, zehn Thaler Strafe, und damit war die Sache abgethan und vergessen.

Und doch giebt es kein zufriedeneres, ich könnte sagen, kein fröhlicheres Völkchen, als diese Leibeigenen mitten in ihrer tiefen Armuth, sie, die nie vermissen, was sie nie besaßen, ja wohl kaum dem Namen nach kannten. Die Freiheit, mit der sie nichts anzufangen wüßten, wäre gewiß der jetzige Generation ein höchst unbequemes Geschenk, und vielleicht muß noch mehr als eine dahinschwinden, ehe sie lernen werden, es gehörig zu würdigen.

Wie sie im Winter daheim es halten, weiß ich nicht, den Sommer über ist ihr Leben fast ganz das eines Wilden. Tag und Nacht unter freiem Himmel, liegen sie am Ufer des Stromes, neben den ungeheuern, beinahe haushoch aufgeschütteten Weizenhaufen, die zu bewachen und fleißig umzustechen, um sie, bis sie eingespeichert werden, vor dem Verderben zu bewahren, jetzt ihre Beschäftigung ist.

Ein sehr konsistenter Brei von Erbsen oder Buchweizen, den sie in ihrem, an einer quer über zwei Kreuzhölzern gelegten Stange hängenden kolossalen Kessel sich selbst kochen, ist einen Tag wie den andern ihre Nahrung; hat eine solche Tischgesellschaft ein Paar Talglichter erbeutet, um den magern Brei damit zu würzen, so ist das Mahl köstlich. Da sitzen sie dann zur Mittagszeit, dicht aneinander gedrängt, in wirklich malerischen Gruppen, um ihre dampfenden Kessel, handhaben ihre großen hölzernen Löffel, die auch einen ihrer sehr beliebten Handelsartikel ausmachen, und schöpfen, schlucken und schnattern, ohne Maß und Ziel.

Ein wenig naschhaft, ein wenig lecker sind sie, trotz dem besten Gastronomen, das ist wahr, aber ihre Leckerbissen sind eigner Art. Aus einem Gange durch die Speicher bemerkte ich eines Morgens in einiger Entfernung einen Schimky vor einem offenen Speicher, in welchem allerhand Lebensmittel zum Verkaufe standen, herumschleichen und sehnsüchtige Blicke hineinwerfen. Jameson, mein Begleiter, und ich standen einen Augenblick still, um zu sehen, was der wunderliche Gesell eigentlich beabsichtige, da sprang er plötzlich pfeilschnell auf ein in der Thüre stehendes Häringsfaß los, nahm aber nicht etwa einen Häring heraus, sondern tauchte nur ein gewaltiges Stück Schwarzbrot, das er bei sich führte, tief in die Häringslake hinein und lief davon, ohne sich umzusehen, als hatte er die köstlichste Beute erjagt.

Ein tüchtiger Schluck Kornbranntwein geht freilich noch über Talglicht und Häringslake, aber wenn dieses Mittelding zwischen Kind und Affe auch etwas benebelt ist, so bleibt es doch gutmüthig; es prügelt sich, verträgt sich wieder, und von Mord und Todtschlag ist nie die Rede. Freilich fehlt ihnen die gewöhnliche Veranlassung zu Hader und Zwist, Weiber und Mädchen, deren Begleitung der Edelmann nicht zugiebt.

Zuweilen kommt, in einer durch den Branntweinsgeist etwas exaltirten Stimmung, ein Paar von ihnen auf den Einfall, sich außerordentlich galant und höflich zu bekomplimentiren; im Bestreben, einander das Knie zu umfassen, berühren sie mit der Stirn fast den Boden, küssen einander die Hände, umarmen sich nach der allgemeinen polnischen Sitte, die selbst unter Damen damals noch gebräuchlich war, indem jeder von ihnen den Kopf so weit als möglich über die Schulter seines Freundes hinüberbeugt, um seinem Nacken einen Kuß aufzudrücken. Ernsthaft dem zuzusehen, ist eben so unmöglich, als nicht dabei an ein Paar Orangutangs zu denken.

In der durchsichtigen Dämmerung einer schönen nordischen Sommernacht gewähren, aus der Ferne...

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