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Kunst und Rivalität

Vier außergewöhnliche Freundschaften. Matisse und Picasso - Manet und Degas - Pollock und de Kooning - Freud und Bacon

AutorSebastian Smee
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl398 Seiten
ISBN9783458752288
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR

Manet sticht auf ein Doppelporträt ein, das sein Freund Degas von ihm und seiner Frau gemalt hat. Im Wettstreit mit Matisse verändert Picasso seinen Kunststil radikal und malt sein Meisterwerk »Les Demoiselles d'Avignon«. Francis Bacon und Lucian Freud verbindet nicht nur die Fixation aufs Porträt, sondern auch der Hang zum selbstzerstörerischen Exzess.

Es sind nicht nur solche Geschichten, die das Buch von Pulitzer-Preisträger Sebastian Smee über vier enge Künstlerfreundschaften zu einer so unterhaltsamen und spannenden Lektüre machen.

In Biographien von acht weltberühmten Künstlern erzählt Smees Buch von Freundschaft und Rivalität zwischen höchst unterschiedlichen Charakteren, von Bewunderung, Affären, Krisen und Triumph und von einigen der bahnbrechendsten künstlerischen Entwicklungen der Moderne.



<p>Sebastian Smee, in Australien geboren und aufgewachsen, ist Kunstkritiker beim Boston Globe. Von 2001 bis 2004 lebte er in London. Autor u. a. von <em>Lucian Freud im Atelier</em> (2006) und<em>Freud</em> (2015). Pulitzer-Preisträger 2011.</p>

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Leseprobe

EINLEITUNG

Während eines Japanaufenthalts im Jahr 2013 nahm ich den Hochgeschwindigkeitszug von Fukuoka nach Kitakyushu, um mir ein Gemälde von Edgar Degas anzusehen. Wenn man für ein einzelnes Kunstwerk eine weite Reise auf sich nimmt, hat man oft unrealistische Erwartungen. Man macht sich in der frommen Vorfreude des Pilgers auf den Weg, und wenn es am Ziel der Pilgerfahrt zu der lang ersehnten Begegnung mit dem Meisterwerk kommt, fühlt man sich verpflichtet, eine Begeisterung zu empfinden, die all die geistige Einstimmung, den Zeitaufwand und die Kosten rechtfertigt. Entweder man ist glücklich oder man fühlt eine herbe Enttäuschung.

Aber bei dieser Reise nach Japan empfand ich weder das eine noch das andere. Bei dem Bild, dem ich nachgereist war, handelte es sich um ein Doppelportrait [ Bildtafel 6 ] von Degas’ Freund Édouard Manet und dessen Frau Suzanne. Es zeigt einen bärtigen, adrett gekleideten Manet, der mit auf die Hand gestütztem Kopf und angezogenem Bein halb auf einem Sofa liegt und versonnen ins Leere schaut. Suzanne sitzt mit dem Rücken zu ihm am Klavier.

Das Bild ist eher klein – man könnte es hochhalten, ohne die Arme allzu weit ausbreiten zu müssen. Und es wirkt frisch, so frisch, dass man den Eindruck hat, es sei erst gestern gemalt worden. Es hat nichts Rhetorisches und erhebt keine großen Ansprüche, sondern wirkt fast distanziert, neutral, angenehm frei von Illusionen und falschen Gefühlen.

Aus all diesen Gründen (und trotz meiner bemühten Pilgerfahrt) gab das Gemälde keinen Anlass zur Enttäuschung. Gleichzeitig weckte es auch nicht das Bedürfnis nach emotionaler Überhöhung. Stattdessen versank ich in seiner eigentümlichen Gelassenheit.

Es war mir bekannt, dass Degas und Manet enge Freunde gewesen waren. Aber dieses Bild drückt emotionale Zurückhaltung aus, die wiederum eine nicht vollkommen geklärte Ambivalenz heraufbeschwört. Es ist nicht klar, ob Manet auf dem Bild in trübseliger, stumpfsinniger Agonie, in einer Art von aufzehrender Lethargie verharrt, während er seiner Frau zuhört (die übrigens eine herausragende Pianistin war), oder ob er sich dem Genuss der Musik in entrückter Trägheit hingibt, die ihn vollkommen von allem abschottet, was sein köstliches geistiges Dahintreiben unterbrechen könnte.

Die Manets saßen ihrem Freund im Winter 1868 / 69 Portrait. Es war gerade ein halbes Jahrzehnt her, dass Édouard Déjeuneur sur l’herbe (Frühstück im Grünen) und Olympia gemalt hatte, jene beiden Werke, die bei den Kritikern nur empörte Ablehnung hervorgerufen hatten und von der Öffentlichkeit mit Spott überhäuft worden waren. (Heute sind sie indes die beiden berühmtesten Gemälde ihrer Zeit.) Mit diesen Werken hatte ein erstaunlicher mehrjähriger Schaffenssturm Manets begonnen, aber die wütende Geringschätzung der Öffentlichkeit hatte er nicht brechen können. Er festigte lediglich seinen Ruf als ruchloser künstlerischer Außenseiter.

Welchen Preis hatte er dafür gezahlt ? Malte Degas im Jahr 1868 einen von seiner herkulischen künstlerischen Kraftanstrengung erschöpften und von der allgemeinen Ablehnung zermürbten Mann ? Oder hatte er etwas Subtileres und Geheimnisvolleres im Sinn ?

An diesem Punkt muss ich erklären, dass ich nicht nach Japan gekommen war, um mir das Bild anzusehen, wie Degas es gemalt hatte : Ich wollte sehen, was davon übrig geblieben und nicht vollkommen repariert worden war. Denn nicht lange nach seiner Fertigstellung war ein Teil des Bildes mit einem Messer abgetrennt worden. Suzannes Gesicht und Körper wurden durchgeschnitten.

Es war nicht das Werk eines verwirrten Museumsbesuchers – eines jener Sonderlinge, die Säure über einen Rembrandt schütten oder eine Skulptur von Michelangelo mit einem Vorschlaghammer attackieren. Nein, der Täter war Manet selbst. Und das gibt Grund zur Betroffenheit. Denn alle Welt liebte Manet (das heißt alle, die ihn persönlich kannten, liebten ihn). Er war charmant, gesellig, unprätentiös, ein ungemein galanter und sanftmütiger Mann. Warum sollte ein solcher Mensch so etwas tun, und zwar zu einer Zeit, als er und Degas enge Freunde waren (so eng, dass sie gemeinsam an diesem intimen Portrait arbeiteten) ? Die übliche Erklärung, Manet habe sich über die wenig schmeichelhafte Darstellung Suzannes geärgert, klingt durchaus plausibel, aber sie ist nicht vollkommen befriedigend – so leicht greift man nicht zu einem Messer, um ein Gemälde zu zerstören. Da muss noch etwas anderes gewesen sein.

Ich reiste nicht nach Japan, um dieses Geheimnis zu lüften ; ich wollte mich lediglich einer Erklärung annähern. Geheimnisse sind magnetisch. Aber natürlich liefert die Auseinandersetzung damit nicht immer Beweismaterial : Oft führt sie zu weiteren Rätseln, tieferen Fragen und eigenartigeren Vermutungen.

Es dürfte niemanden überraschen, dass die Messerattacke auf das Bild zu einem Zerwürfnis zwischen Manet und Degas führte. Die beiden söhnten sich jedoch rasch wieder aus. (»Man kann nicht lange böse auf Manet sein«, soll Degas gesagt haben.) Aber ihre Beziehung wurde nie so eng wie zuvor. Und nur etwas mehr als ein Jahrzehnt später war Manet tot.

Degas starb dreißig Jahre später als vereinsamter, griesgrämiger Mann inmitten einer Sammlung, die neben dem zerschnittenen Gemälde (das er sich von seinem Freund zurückgeholt hatte, um es zu reparieren) auch drei weitere Portraits, die er von Manet gemalt hatte, sowie mehr als achtzig Bilder Manets umfasste. Beweist das nicht, dass Manet noch lange nach seinem Tod eine besondere und möglicherweise sentimentale Faszination auf Degas ausübte ? Und wenn ja, was bedeutet das ?

Ich glaube, dass die innigen Beziehungen zwischen Künstlern in den Lehrbüchern nicht ausreichend gewürdigt werden. Dieses Buch ist mein Versuch zu zeigen, wie wichtig solche Beziehungen für die Entwicklung der Kunst sein können.

Der Titel des Buches ist Kunst und Rivalität, aber hier geht es nicht um die klischeehafte männliche Rivalität unversöhnlicher Feinde, erbitterter Rivalen und starrköpfiger Männer, die an einem tiefen Groll festhalten und miteinander um eine künstlerische und soziale Vormachtstellung streiten. Vielmehr geht es in diesem Buch um die Bereitschaft nachzugeben, um Innigkeit und Offenheit für Einflüsse. Es geht um Empfänglichkeit. Die Tatsache, dass Empfänglichkeit vor allem in der Frühphase einer künstlerischen Laufbahn zu beobachten ist und eine beschränkte Lebensdauer hat – dass sie nie über einen bestimmten Punkt hinaus Bestand hat –, ist in mancher Hinsicht das eigentliche Thema dieses Buches. Denn solche Beziehungen sind zwangsläufig anfällig für Schwankungen. Sie leiden unter einer fließenden Psychodynamik und sind kaum mit historischer Präzision zu beschreiben. Und oft enden sie nicht gut. Dieses Buch handelt also nicht nur von Verführung, sondern auch von Trennungen und Betrug.

Trennungen sind immer erschreckend. Selbst wenn die Beziehung später gekittet wird, ist es nie leicht, eine Antwort auf die verzwickte Frage zu finden, wodurch der Bruch verursacht wurde. Es ist fast unmöglich, die erforderliche Distanz zu gewinnen. Vielleicht war ein zu großer Teil von uns im Spiel, und möglicherweise stehen wir noch zu tief in der Schuld des anderen. Wie können wir diese Verpflichtung akzeptieren und Klarheit darüber gewinnen, was wirklich geschehen ist, ohne den erlittenen Schaden aus den Augen zu verlieren ? Wie können wir den Schaden eingestehen, den wir selbst dem anderen Menschen zugefügt haben ? Diese Fragen klingen unerfreulich vage. Aber sie gehören zu den vier Geschichten, die ich in diesem Buch erzählen werde.

Zu Beginn des Jahrtausends lebte ich in London, wo ich den Maler Lucian Freud kennenlernte, um dessen Freundschaft mit Francis Bacon sich vermutlich mehr Legenden ranken als um jede andere Beziehung in der britischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Auch zwischen diesen beiden Malern war es zum Zerwürfnis gekommen. Es verursachte großes persönliches Leid und viel Bitterkeit – die Wunden verheilten so schlecht, dass es noch zehn Jahre nach Bacons Tod als unklug galt, Freud darauf anzusprechen.

Aber wer Freud in seinem Haus besuchte, konnte unmöglich das riesige Gemälde von Francis Bacon übersehen, das dort an der Wand hing. Es war eine beunruhigende, gewalttätige Darstellung eines verschwommenen männlichen Liebespaars auf einem Bett. Freud hatte es in einer von Bacons ersten Ausstellungen für 100 Pfund erworben, kurz bevor die beiden Freundschaft schlossen. Er trennte sich nie davon. Und abgesehen von einer einzigen Ausnahme stellte er es im Lauf eines halben Jahrhunderts nie für eine Ausstellung zur Verfügung. Was bedeutete das ?

Was verrät es über die unbehagliche Freundschaft zwischen Jackson Pollock und Willem de Kooning – der beiden herausragenden amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts –, dass de Kooning nicht einmal ein Jahr nach Pollocks Unfalltod eine Affäre mit Pollocks Geliebter Ruth Kligman begann, die jenen Autounfall als Einzige überlebt hatte ?

Und was verrät es uns über die Bedeutung von Matisse für Picasso, dass Picasso nach Matisse’ Tod im Jahr 1954 nicht nur zahlreiche komplizierte Bilder zu Ehren des Verstorbenen malte, sondern auch Matisse’ Portrait seiner jungen Tochter Marguerite – ein Gemälde, das Picassos Freunde einst zu seinem Vergnügen als Zielscheibe für Wurfpfeile verwendet hatten – an einem Ehrenplatz in seinem Haus...

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