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Morgen ist Hühnerzählung, Frau Milik!

Kublitz 1919-1946

AutorIka von Stolp
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl268 Seiten
ISBN9783743199033
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Kublitz, ein Dorf in Hinterpommern 1919 - 1946 Dies ist die Geschichte meiner Tante, die bei Hitlers Machtergreifung dreizehn Jahre alt war. Sie erzählt von Kinderspielen, Schulstreichen, der ersten Liebe, Hochzeiten und vom Leben der einfachen Leute in einer Dorfgemeinschaft. Dass mittlerweile der Krieg ausgebrochen ist, macht sich in Kublitz nur durch die vielen Soldaten bemerkbar, die den Mädels den Hof machen. Es wird viel getanzt in diesem Buch! Und das ist auch gut so, denn das dicke Ende kommt früh genug! Ende 1944 ziehen erste Trecks aus Ostpreußen durch Kublitz. Die Ostfront beginnt zu bröckeln. 'Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass der Russe hier in Kublitz einmarschiert!', sagt Traute. Sie wird es bald erleben und nicht nur das! Aber selbst als ihre Welt in Stücke geht und der Sturm der Rache über sie hinwegfegt, blitzt neben all dem Entsetzen und der Sprachlosigkeit hin und wieder ein Lachen durch die dunklen Wolken. Ihre Erzählungen sind in diesem Buch zusammengefasst und zeugen von der Kraft und der Stärke der Frauen und ihrem Mut, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu kämpfen. Einige Namen sind zum Schutz der Betroffenen oder deren Nachkommen geändert worden. Ika von Stolp

Ika von Stolp wird 1943 in Hinterpommern geboren. Bei der Vertreibung 1946 ist sie drei Jahre alt. Sie wächst im Rheinland auf und lebt heute in Köln.

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Leseprobe

1 Kindheit


Vater


Wir waren ja aufgewachsen wie das Unkraut auf dem Felde. Ich meine, es war eine schöne Kindheit. Unsere beiden Alten hatten zwar nicht viel Zeit für uns, weil sie so schuften mussten, aber trotzdem waren wir behütet.

Ich liebte es, sonntags länger bei Vater im Bett zu liegen. Er erzählte mir dann aus seinem Leben, von seiner Kindheit und wie er nach Berlin gegangen ist, wie seine Eltern tot waren. Vater hatte sechs Brüder und eine Schwester. Er war der Jüngste. Drei seiner Brüder wohnten in Berlin.

Er erzählte mir auch, wie er Mutter kennengelernt hat auf einem Ball im Schützenhaus in Stolp. Als er sie sah, da hat er sich sofort in sie verliebt. Sie war die Schönste von allen, und er holte sie dann auch gleich zum Tanz. »Mutter war so schlank und hatte eine Taille – ich konnte sie mit meinen beiden Händen umfassen«, sagte Vater. »Und ihre blonden Haare waren hochgesteckt wie eine Krone. Aber so hübsch sie auch war, tanzen konnte sie nicht!«

Armer Vater! Wo er doch so ein leidenschaftlicher Tänzer war! Von ihm hab ich das Tanzen gelernt. Ein Walzer mit ihm war einfach klasse!

Großvater wollte aber nichts davon wissen, dass Vater Mutter heiratet. Der arme Schlucker war ihm nicht gut genug für seine Tochter!

Mutter und Vater haben ja gegen Großvaters Willen geheiratet. Die Hochzeit fand bei Vaters Schwester in Kublitz statt. Aber von Mutters Seite durfte keiner zur Hochzeit kommen. Großvater hatte es verboten. Ihr Zwillingsbruder Max war der Einzige, der sich darüber hinwegsetzte.

In einer kleinen Zweizimmerwohnung haben sie dann gewohnt und in der Waschküche ihre Wurst gemacht und denn auf dem Markt verkauft.

Die Kinder kamen in kurzen Abständen. Insgesamt waren es sieben. Zwei starben. Erika mit einem Jahr und Karlheinz mit sechs Monaten.

Also leicht haben es unsere Alten wirklich nicht gehabt! 1915 kaufte Vater denn das Haus in Kublitz. Wir drei Mädchen, Irma, Lotte und ich, sind alle schon dort geboren. Jedenfalls, Vater hat sich alles aus dem Nichts aufbauen müssen. Da kann man sich denken, wie der geschuftet hat. Das meiste Geld hat er mit Viehhandel verdient – Zuchtvieh aus Ostpreußen. Da hat er Geld gemacht!

Von meiner Nottaufe hat Vater mir auch erzählt.

Jedenfalls sagte er, als ich dann auf die Welt kam, wollt’ ich erst gar nicht so recht ran ans Leben. Da haben sie gleich drei Instanzen in Bewegung gesetzt: die Hebamme, den Arzt und den Pastor. Denn kam der Arzt. Also der hat mir nicht viel Chancen ausgerechnet. Er hat zu Vater gesagt:

»Schicken Sie man gleich zum Pastor, dass das Kind getauft ist, wenn es zum ‚Herrn’ geht.«

Die Hebamme Wolter und unser Nachbar Neitzel waren meine Notpaten. Und nu musste bloß noch ein Name her. Beinahe hätten sie mich Hildegard genannt, aber das scheiterte am Einspruch meines Bruders, der sagte: »Nee! Hildegard die Katze blaht! Das ist doch nüscht!« Vater musste ein Machtwort sprechen:

»Sie heißt Edeltraut! Basta!«

Der Pastor hat mich dann in aller Eile auf diesen schönen Namen getauft. Ich weiß nicht, lag es am Weihwasser oder was, jedenfalls blieb ich am Leben. So leicht ließ ich mich eben doch nicht unterkriegen. Und denn bin ich noch ganz ordentlich geworden, nich.

Vielleicht lag es ja auch wirklich am Weihwasser!

Naja jedenfalls, Vater wollte ja unbedingt ein Trautchen haben, hat er mir gesagt, obwohl schon vier Kinder da waren: Ewald, der Älteste, dann Heidi und Irma und meine jüngste Schwester Charlotte. Also ich meine, Vater hat mich auch noch gewollt, und ich wurde ganz sein Kind mit Haut und Haaren.

Ich hab ihn immer so nach markiert. Wenn er mit den Viehhändlern gehandelt hat, dann stand er da im Hof, Bauch raus, Hände auf dem Rücken. Denn ich daneben, auch Bauch raus und Hände auf dem Rücken. Wenn er mit mir über die Felder fuhr, denn sagte er: »Na, Nutken, wollen mal sehen, wie das Korn steht.« (er sagte immer Nutken zu mir)

Denn hat er so eine Ähre in der Hand zerrieben, das Korn probiert und gesagt:

»Na, ich glaub, das muss noch vierzehn Tage.«

Ich auch das Korn probiert und gesagt:

»Ich glaub, das muss noch vierzehn Tage, Papa.«

Und wenn er mir eine Freude machen konnte, oder wenn ich was haben wollte, er hat immer versucht, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Da fielen manche Extra-Groschen für mich ab. Ich hab die aber nie gespart, da kamen ja immer welche nach.

Also ich hab die denn gleich umgesetzt. Das hat die anderen dann schon gewurmt, und da haben sie mich geärgert, wo sie nur konnten.

Meine Schwestern Lotte und Irma, die sehe ich noch da stehen bei Bäcker Schwarz. Und wenn ich mit meiner Rosinenschnecke raus kam, dann riefen sie:

»Nutken, Nutken, Nuckelneese, fraß den Keese, fraß den Speck vom Teller weg!«

Und dann machten sie mich so nach, wie ich ging. Ich knickte als Kind immer so ’n klein bisschen in der Kniekehle. Ich hatte eine Wut, ich hätte die können umbringen!

Naja jedenfalls, später haben sie gesagt‚ sie hätten mir dadurch einen schönen Gang beigebracht. Am liebsten hätten sie noch dafür bezahlt genommen.

Und wenn sie auch sagen, ich hätte sie dauernd verpetzt – das habe ich auch. Muss ich zugeben. Aber so hab’ ich mich gerächt, weil sie mich immer abgeschoben haben. ‚Du geh man, olle Petze, dich können wir nich gebrauchen!’ hieß es doch immer. Das war so ein Kreislauf, dann hab’ ich sie eben wieder verpetzt.

Stolpmünde


Also ich hatte so meine Privilegien!

Wenn wir am Wochenende mit dem Landauer (Kutsche) nach Stolpmünde fuhren, durfte ich immer vorne zwischen Vater und meinem Bruder Ewald auf dem Kutschbock sitzen. Ich war ja Vaters Liebling und nu die Jüngste von uns fünf Kindern, da durfte ich das eben. Die andern durften das nicht. Heidi, Lotte und Irma mussten hinten in den Wagen bei Mutter. Die Pferde trugen dann ihr Sonntagsgeschirr mit Vaters Monogramm in Silber: E. M. für Erich Milik.

»Na, Nutken«, sagt Vater, »kannste schon das Meer riechen?« Da haben wir beide tief Luft geholt.

»Ich riech’ es schon, Papa. Ich riech’ es!«

Tatsächlich, man konnte das Wasser riechen. War eine ganz andere Luft, als bei uns auf dem Lande. War eben Seeluft! Das roch nach Fischkuttern im Hafen!

Und dann fuhren wir an den kleinen, alten Fischerhäuschen vorbei. Die Wagenräder rollten denn – so schön – übers Kopfsteinpflaster, und die Pferdehufe klapperten so hell. Ich höre das noch so richtig.

Diese Fahrten an die See waren immer was ganz Besonderes! Vater steuerte denn ein Gartenlokal an, wo auch die Pferde versorgt werden konnten. Da wurden die Pferde denn ausgespannt und untergestellt, dass sie Schatten hatten, kriegten Futter und Wasser, und denn konnten sie sich ausruhen.

Wir trafen uns da immer mit Hafers, also Onkel Emil von der Mühle, Tante Klara und ihre Adoptiv-Tochter Lene Witte. Und dann war das genauso wie in Berlin. ‚Hier können Familien Kaffee trinken’ stand auf einem Schild. Da konnte man sich sein Essen selbst mitbringen und brauchte nur Getränke zu bestellen. Vater und Onkel Emil haben denn ein Bier nach dem anderen gezischt, die Frauen tranken Kaffee, und wir Kinder kriegten eine rote oder grüne Selters, nich.

Dann schön Kartoffelsalat gegessen und hinterher noch Mutters Nonnenseufzer (Schmalzgebäck) schön in Zucker gewälzt, und Tante Klara hatte wieder ihren grünen ‚Bibberich’ (Götterspeise) dabei. Da tauschte ich immer mit Lene Witte Bibberich gegen Nonnenseufzer. Danach ging es denn los, ab zum Strand.

Wir vier Mädchen: Heidi, Irma, Lotte und ich, im Matrosenkleid weiß und blau. Und Ewald im Matrosenanzug. Da sahen wir aus wie die Orgelpfeifen. Immer gleich angezogen, das mochte ich gar nicht. Also ich hab’ das gehasst! Lene Witte, die hatte natürlich ein schwarzweiß gestreiftes Matrosenkleid an, da war ich schon neidisch drauf. So eins wollte ich auch haben, lag ich Vater in den Ohren. Ich hab’s denn auch gekriegt, etwas später irgendwann. Aber da waren dann schneeweiße modern! Da fand ich das Gestreifte blöd und hab’s auch nicht angezogen!

Am Strand liefen alle Kinder bis sechs Jahre nackt herum. Wir hatten natürlich einen Badeanzug, nich!

Mutter hatte uns noch einmal ermahnt: »Wasser hat keine Balken! Also geht nicht so weit rein!«

Da haben wir nur so im Wasser rum geplanscht und im Sand gebuddelt, Burgen gebaut und so.

Aber ich musste immer aufpassen, dass mir die anderen nicht durch die Lappen gingen. Die hatten doch nüscht weiter im Kopf, als mich abzuhängen. Ich weiß nicht, wie die das eigentlich machten?

Mit einmal waren sie weg. Die hatten immer einen anderen Trick auf Lager!

Denn sind sie mit der Fähre rüber zu den Kuttern. Mit denen konnte man raus fahren zum Fischen – gegen Geld natürlich. Na, denn fuhren meine Geschwister alle raus auf See, und ich saß da mit meinen Eltern. Meine Schwester Lotte war ja auch bloß anderthalb Jahre älter als ich, aber...

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