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E-Book

Wäre Luther nicht gewesen

Das Verhängnis der Reformation - Ein Thesenbuch

AutorMichael Lösch
Verlagdtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783423430784
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Kehrseite der Reformation Die Kehrseite der Reformation   Wie wäre die deutsche und europäische Geschichte ohne Martin Luther verlaufen? Zur Zeit Luthers hatten Renaissance und Humanismus kritisches Denken und ein selbstbewussteres Menschenbild entwickelt, die römische Kirche war mit ihrem Latein am Ende. Luthers Kritik traf ins Schwarze und hatte eine elektrisierende Wirkung auf das gesamte Abendland. Hier bot sich eine große Chance für eine grundlegende Kirchenreform. Doch Luther unterwarf den Menschen wieder der völligen Abhängigkeit von Gottes Gnade und zugleich dem Gottesgnadentum der weltlichen Herrscher. Er wurde vom Reformator zum Fundamentalisten, wetterte gegen die aufständischen Bauern, hetzte gegen die Juden und verprellte mit seinem Starrsinn Anhänger wie Gegner. Ohne ihn hätte es die Kirchenspaltung nicht gegeben. Und schon gar nicht die so verhängnisvolle Verbindung von politischer Macht und religiöser Konfession, die in den verheerenden Dreißigjährigen Krieg mündete. Ein provokativer Zwischenruf zum Luther-Jahr 2017 und ein kritischer Blick auf die Reformation und ihre Folgen  

Michael Lösch, geboren 1953 in Mortesdorf/ Rumänien, siedelte mit zwanzig Jahren in die Bundesrepublik über. Studium der Germanistik, Anglistik, Geschichte und Politologie.1983 bis 1991 hauptamtlicher Gymnasiallehrer, dann Ausstieg und Karriere als DJ in verschiedenen Diskotheken und Nachtclubs in München.

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Leseprobe

Katastrophen und kein Schutz


Man setzt das ausgehende Mittelalter und die beginnende Neuzeit unter gewichtige Begriffe: Renaissance, Humanismus, Zeitalter der Entdeckungen und die religiöse Erneuerung des Menschen. Entdeckt (eigentlich wiederentdeckt) wurden die Antike, der Mensch des Geistes und des Körpers. Neben neuen Ländern und Kontinenten fand der Mensch seinen persönlichen, aus dem kirchlichen Lehrgebäude befreiten Gott. Man spricht mit der Erfindung des Buchdrucks von einer ersten massenhaften Aufklärung und einer Gründungswelle an Bildungseinrichtungen, und man kommt nicht umhin, Einzelfiguren näher zu betrachten, Kaiser, Könige und Fürsten, wirkungsmächtige Künstler und Wissenschaftler, Reformatoren und Revolutionäre. Will man Geschichte als evolutionäres Schritt-für-Schritt-Phänomen verstehen, dann eignet sich dafür diese europäische Epoche durchaus. Es ist nicht illegitim, Geschichte als Fortschritt zu sehen, Fortschritt ist aber keine gerade Linie von A nach B und schon gar nicht die kürzeste. Wenn wir uns fragen, wie wir wurden, was wir sind, müssen wir uns stets einer Wanderung bewusst sein, bei der es nach drei Schritten vorwärts zwei wieder zurückgeht, manchmal auch mehr…

Die Menschen der Zeit, vor allem jene nördlich der Alpen, erkannten jedenfalls aus den Leuchtfeuern der Zukunft bestenfalls winzige Flämmchen. Was den Durchschnittsmenschen zu eigenen Überzeugungen führte, war immer noch geprägt von dem alten Ausgeliefertsein an Gott, dessen Allmacht sich immer wieder aufs Härteste zu bestätigen schien. Da konnte ein Humanist wie Ulrich von Hutten (14881523) noch so euphorisch von der neuen Zeit und seiner Lust am Leben schwärmen, er wurde eines Schlechteren belehrt. Er starb krank, verlassen und verdreckt an den Folgen seines elenden Lebens. Kaum eine Zeit war reicher an Katastrophen. Neben alten Epidemien wie Pocken, Cholera oder Aussatz kamen neue hinzu: Pest und Syphilis (an der Hutten starb). Und als wäre das nicht genug, bebte die Erde, wüteten Feuer, Hochwasser, Dürre und Hungersnöte. Sie brachten nicht nur zivilisatorischen Rückgang, sie bedeuteten auch eine verstärkte Hinwendung zu dem unbegreiflichen, unberechenbaren Gott. Die Zeit der »Wiedergeburt« und des »Humanismus« hatte auch ihre Gegenlosung: Du bist und bleibst ein Nichts, ein Sandkorn im Wind.

Im Jahr 1349 erlebte Europa das größte Erdbeben des Mittelalters. Fünf Wochen schwankte die Erde in und um Kärnten. Das antike Rom wurde unwiederbringlich geschädigt. Die Zerstörungen reichten von Mittelitalien bis Mitteldeutschland. Im Jahr 1356 wurde Basel erschüttert. Dem Beben folgte ein Großbrand, der die Stadt fast zur Gänze zerstörte. Ende April 1405 wurden in Bern beinahe alle Häuser der Kilchgasse (heute Junkerngasse) zerstört. Zwei Wochen danach walzte eine Feuersbrunst den Großteil der Stadtmitte nieder. Stadtbrände waren deshalb so häufig, weil man noch keine Öfen hatte, die Feuerstellen lagen offen, Funken sprangen schnell über zum dicht anliegenden Nachbarhaus, die Hauswände waren aus Holz und geflochtenen Birkenzweigen, die Dächer aus Stroh, Schilf oder Schindeln. Auch wenn manche Stadtoberen eine erhöhte Wachsamkeit forderten, gab es noch keine Feuerwehr. Für Feuermeldungen waren Türmer und Nachtwächter zuständig. Sogenannte Feuerknechte gab es erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Ausreichend Wasser im Brandfalle war selten erreichbar, die Brunnen lagen an wenigen Punkten über die Stadt verstreut.

Nichts ist nachgiebiger als Wasser, dennoch zwingt es den härtesten Stoff, sagt Lao Tse.

Der 22. Juli 1342 erbringt dafür den schrecklichen Beweis. Bevor er Wasser wurde, war es ein riesiger Ballen feuchter Luft, der sich über dem Golf von Biskaya erhoben hatte und mehrere Hundert Kilometer nordwärts schwebte, um sich schwer und unaufhörlich kübelnd über die Schweiz, Deutschland und Böhmen zu ergießen. Diese Magdalenenflut war wohl das schlimmste Hochwasser des gesamten 2. Jahrtausends im mitteleuropäischen Binnenland. Äcker und Weingärten, Häuser und Brücken wurden zerstört. Im Winter hatte es stark geschneit, dann führten heiße Frühsommertage zu einer schnellen Schneeschmelze. Auch im Juli brannte die Sonne ungewöhnlich heiß. Dann hörte es nicht mehr auf zu regnen. Das Wasser konnte nicht einsickern, die Böden waren von der Trockenheit hart und undurchlässig geworden. Main, Rhein, Donau, Weser und Elbe schwollen an. Die Pegel stiegen über die Zehn-Meter-Marke. Zu Recht spricht ein Chronist aus Würzburg von der »Wut« des über die Ufer getretenen Mains. Die meisten Bauten, fast ausnahmslos eingeschossig, wurden ruiniert und mit ihnen ein Großteil der Nahrungsmittelvorräte. Das Vieh ertrank. Die Menschen flohen auf höher gelegene Standorte und warteten in Notbehelfsunterkünften auf ein Ende des Niederschlags. Es schien, schildert ein Chronist, als ob das Wasser von überall hervorsprudelte, selbst aus dem Inneren der Berge. Limburg an der Lahn und Köln waren meterhoch überschwemmt. Unter sich erblickte ein im Kahn sitzender Kölner die vom Wasser bedeckte Stadtmauer. Große Teile davon wurden weggetrieben. Und immer wieder Häuser mit ihren eingesperrten, hilflosen Bewohnern. Fast alle Brücken wurden zerstört. In Prag riss die Moldau die Judithbrücke mit sich; an ihrer Stelle wurde später die mächtige Karlsbrücke erbaut. Flüsse änderten ihren Lauf. Heute schätzt man, dass bei dieser Katastrophe so viel Bodenmasse abgetragen wurde wie unter üblichen Wetterbedingungen in 2000 Jahren.

Keiner also, der nicht an die biblische Sintflut dachte. Niemand konnte sich die Schrecknisse anders als mit Gottes Zorn erklären. Ein derart gebeutelter Mensch hatte vor allem nur noch eins: das Gefühl der Wehrlosigkeit und des Ausgeliefertseins. Konnte er sich erholen, nachdem die Fluten zurückgewichen waren? In den Folgejahren waren die Sommer kalt und nass. Das führte angesichts des abgetragenen, nährstoffarmen Bodens zu schweren Ertragseinbußen. Hungersnöte waren die Folge.

Seit der ersten Jahrtausendwende schützten sich die Menschen Norddeutschlands vor der See mit Deichen. Im späten Mittelalter steigt der Meeresspiegel unaufhörlich. Anfang 1362 wurde das Land von einem Tsunami heimgesucht, der eine territoriale Neugestaltung großen Stils zur Folge hatte. Früher thronte Sylt über einer Senke und war zu Fuß vom heutigen Festland erreichbar. Bis zur Höhe der Eidermündung schützte ein natürlicher Dünenwall das tiefer liegende Marschland vor der See. Am 16. Januar 1362 aber schlugen über zwei Meter hohe Wellen über die vernachlässigten Deiche und zermalmten sie. Sehr wahrscheinlich ging, neben kleineren Ortschaften, eine vergleichsweise große Stadt unter. Rungholt hatte wohl maximal 2000 Einwohner – Kiel war nicht größer, und Hamburg zählte etwa 5000. Nach der Flut war Sylt eine abgetrennte Insel. Es gab aber auch Nutznießer der Katastrophe. Husum, bis dahin eine unbedeutende Siedlung im Landesinneren, lag nun an der neu entstandenen Küste. Die Stadt baute einen Hafen und entwickelte sich zum geschäftigen Handelszentrum.

In der Flut gingen große Flächen Kulturland verloren. Die überlebenden Marschbauern hungerten. Es dauerte lange, bis die noch erhaltenen Böden wieder gesund und fruchtbar wurden. Das Grauen der Ereignisse grub sich tief ins kollektive Gedächtnis. Nicht zufällig erhielt das Unglück einen apokalyptisch klingenden Namen: die Grote Mandränke, das Große Menschenertrinken. Wie viele Betroffene dabei ihr Leben ließen, ist schwer zu sagen. Gesicherte Erkenntnisse gibt es nur über die zweite Mandränke. In dieser knapp dreihundert Jahre später auftretenden Flut am 11. Oktober 1634 wurde die Insel Strand in die Bestandteile Nordstrand und Pellworm zerlegt. 6000 Menschen starben, zwei von drei Bewohnern. 1362 waren die Verheerungen noch schlimmer. Vorsichtige Schätzungen nennen etwa 10 000 Tote, vermutlich waren es weit mehr.

Auch in den nächsten Jahrzehnten kommen die Wasser nicht zur Ruhe. 1370 überschritten sie erneut und mehrmals die Zehn-Meter-Marke. Zwischen Köln und Düsseldorf änderte der Rhein seinen Lauf. Bei der ersten Sankt-Elisabeth-Flut (1404) wurden große Teile Flanderns und Hollands überschwemmt. Eine komplette Landzunge mit zwei Städten verschwand. Der 22. November 1412 war der Tag der Cäcilienflut. Ein starker, nach Süden gerichteter Sturm drückte das Wasser der Nordsee landeinwärts. Die Elbe konnte nicht abfließen, sie staute sich und schnell waren die umliegenden Gegenden überschwemmt, Hamburg wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ganze Teile Flanderns wurden weggespült. Vermutlich verloren 36 000 Menschen ihr Leben.

Ähnlich gnadenlos zeigte sich die Schöpfung 1421 bei der zweiten Sankt-Elisabeth-Flut. Ein Nordweststurm türmte eine derart hohe Flut auf, dass die Stadt Dordrecht vom Land getrennt wurde. Sie liegt seitdem auf einer Insel.

Am 1. November 1436 richtete die Allerheiligenflut schwere Schäden an. Sie gehörte bald zum Standardhorror und wiederholte sich mit furchtbarer Regelmäßigkeit. Für die Zeit zwischen dem 21. und dem 24. Juli 1480 erwähnen Chroniken ein weiteres Magdalenenhochwasser. Dauerregen und späte Schneeschmelze...

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