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E-Book

Die bedeutendsten Grabreden

AutorBruno Kern
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783843800594
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Grabreden sind Reden gegen die Sprachlosigkeit des Todes. Bereits der erste literarische Text der Menschheitsgeschichte, den wir kennen, ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod, die heute wie damals berührt. In diesem Band sind berühmte Grabreden vom Altertum bis in die jüngste Zeit gesammelt. Vom Gilgamesch-Epos bis in die Gegenwart spannt sich der Bogen. Martin Luther, Philipp Melanchthon, Abraham Lincoln, Ludwig Börne, Friedrich Engels und Richard von Weizsäcker sind nur einige aus der Reihe der berühmten Redner, die hier - zum Teil das erste Mal im Druck oder in deutscher Übersetzung - zu Wort kommen. Viele der Grabreden sind nicht nur rhetorische Glanzlichter ihrer jeweiligen Zeit, in ihnen verdichten sich auch exemplarisch der Geist und die Mentalität einer Epoche. Der Band bietet so anhand prominenter Beispiele eine kleine Kulturgeschichte des Todes, aber auch einen interessanten Streifzug durch die abendländische Geschichte insgesamt. Den hier dokumentierten Reden wird jeweils eine informative Einführung vorangestellt, die den historischen Kontext erläutert, aufschlussreiche Zusatzinformationen bietet und die vorgestellten Reden unmittelbar lebendig werden lässt.

Dr. Bruno Kern, geboren 1958, studierte Theologie und Philosophie in Wien, Fribourg und München; er lebt zurzeit in Mainz und arbeitet als selbstständiger Lektor und Übersetzer. Für den Marix-Verlag hat er unter anderem die Lieder der Hildegard von Bingen neu übersetzt.

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Leseprobe

„… dem Gesetz gemäß die Gebliebenen betrauert“


Die Leichenrede der Aspasia

(5./4. Jh. v. Chr.)

Einführung


Die im Folgenden dokumentierte Leichenrede ist in einem der Dialoge Platons enthalten, dessen Echtheitscharakter nicht bestritten wird. Menexenos, nach dem dieser Dialog benannt ist und der hier als fiktiver Dialogpartner des Sokrates auftritt, ist wie Platon selbst ein Schüler des Sokrates. Im Lauf des Dialogs lässt Platon Sokrates – als zentrales Stück dieses Dialogs – die Leichenrede der Aspasia zitieren, einer äußerst bemerkenswerten Frau. Aspasia (ca. 470 bis 420 v. Chr.) stammte aus Milet und war die zweite Frau des Perikles, der die kulturelle Blütezeit Athens nach den Perserkriegen wesentlich prägte. Gelegentlich wird Aspasia als die Mätresse oder Hetäre des Perikles bezeichnet (so bereits bei Antisthenes von Athen). Dies ist einerseits Teil der üblen Nachrede, der Aspasia ausgesetzt war, andererseits dem attischen Recht geschuldet, das die Ehe zwischen einem Athener und einer Milesierin als Konkubinat betrachtete. Aspasia war von hoher philosophischer Bildung und hatte vermutlich enge Beziehungen zu Sokrates, Sophokles und Euripides. Platon nennt unter den Lehrern des Sokrates zwei Frauen: neben Diotima ist es eben jene Aspasia, von der Sokrates seine rhetorische Bildung erhalten haben soll. Die Athener unterstellten ihr einen starken Einfluss auf Perikles, und dies war wohl letztlich der Grund dafür, dass man sie der Gottlosigkeit und Kuppelei anklagte. Sie entkam nur knapp einer Verurteilung.

Die von Sokrates zitierte Rede der Aspasia ähnelt in Vielem der berühmten Gefallenenrede des Perikles, wie sie uns der griechische Geschichtsschreiber Thukydides überliefert hat. Im Menexenos wird dies damit erklärt, dass Aspasia die Rede des Perikles verfasst und in ihrer eigenen Rede „Übriggebliebenes“ daraus „zusammengekittet“ habe. Nach Meinung vieler ist die Leichenrede der Aspasia als Parodie aufzufassen. Der Text der Rede selbst bietet hierfür keinen Anhaltspunkt, sehr wohl jedoch der Kontext dieses platonische Dialogs, in dem Sokrates den Brauch von Leichenreden mit beißendem Spott bedenkt: „Es ist doch von gar vielen Seiten eine herrliche Sache, Menexenos, im Kriege zu bleiben. Denn ein schönes und prachtvolles Leichenbegängnis bekommt, wer auch als ein armer Mann gestorben ist, und gelobt wird ebenfalls, wer auch nichts taugt, und das von kunstreichen Männern, die nicht aufs Geratewohl loben, sondern schon lange vorher ihre Reden angeordnet haben, und die so vortrefflich loben, dass sie, was jeder an sich gehabt hat, und was auch nicht, ihm nachrühmend, mit dem herrlichen Schmuck der Worte verziert, unsere Seelen bezaubern […] ja, auch uns selbst preisen, die wir noch leben: so dass mir wenigstens, o Menexenos, ganz erhaben zumute ist, wenn ich von ihnen gerühmt werde, und ich stehe jedes Mal ganz versunken im Zuhören, bezaubert, meinend, ich sei zusehends größer und edler und trefflicher geworden […] Und dieses Selbstgefühl bleibt mir wohl länger als die drei Tage; so einsiedeln kann sich der Ton des Redners in den Ohren, dass ich mich kaum am vierten oder fünften Tage besinne und merke, wo in der Welt ich bin, so lange aber fast glaube, in der Seligen Inseln zu wohnen, so geschickt sind unsere Redner.“ (Platon, Menexenos, 226 – 227)

Die Leichenrede der Aspasia wurde zu keinem bestimmten Anlass gehalten, Sokrates bezeichnet sie im Dialog selbst als „Standrede“ vor dem Hintergrund, dass die Wahl eines Totenredners bevorstand. In den letzten Lebensjahren des Perikles befand sich Athen im Krieg mit Sparta (Pelopponesischer Krieg, 431 – 404).

Für die literarische Gattung der antiken Leichenrede insgesamt bedeutsam ist, wie Aspasia gleich zu Beginn den dreifachen Zweck der Rede benennt: Sie dient erstens dem ehrenden Gedächtnis der Toten, sie stellt diese als Vorbild hin und hat damit gleichzeitig den Charakter der Ermahnung, und schließlich soll sie den Hinterbliebenen zum Trost gereichen. Der folgende Aufbau der Rede entspricht dieser Disposition zu Beginn.

In der Aufzählung der konkreten Kriegshandlungen spannt die Rede einen weiten Bogen angefangen von den Kriegen aus mythischer Vorzeit über die Kriege mit den „Barbaren“, u.a. die Perserkriege, bis hin zu den innerhellenischen Konflikten. Einen auffallend breiten Raum nimmt innerhalb der Rede das Lob auf die athenische Verfassung ein. Perikles selbst, der seit 461 immer wieder zum Strategen gewählt wurde und die Politik bestimmte, hatte ja eine einschneidende Verfassungsreform unternommen. Der Areopag wurde dabei entmachtet, die Gerichtsbarkeit – außer im Falle von Mord und Gewalttat – dem Volk übertragen, die gesetzgebende Gewalt lag bei der Volksversammlung, die bis zu viermal im Jahr tagte. Der schon erwähnte antike Historiker Thukydides lässt Perikles selbst über diesen Geist der Demokratie sprechen: „Wir haben eine Verfassung, die, da sie auf die Mehrheit zugeschnitten ist, nicht auf wenige, Demokratie heißt. Allen kommt nach dem Gesetze in ihren privaten Angelegenheiten das Gleiche zu; das Ansehen jedes Einzelnen in der Öffentlichkeit bestimmt sich nicht so sehr von seiner Vermögensklasse her als vielmehr nach seiner Leistung, und keiner wird durch seine Armut gehindert, etwas für den Staat zu leisten. Freiheitlich leben wir im Staat, großzügig verkehren wir untereinander, und vor allem aus Scheu übertreten wir die Gesetze nicht, in Gehorsam gegenüber denen, die die Ämter bekleiden, und gegenüber den Gesetzen, geschriebenen wie ungeschriebenen …“ (zit. nach Krefeld, 26) Die „Isonomie“, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, wird auch in Aspasias Rede rühmend hervorgehoben. Ausgeblendet bleibt freilich dabei, dass diese Gleichheit vor dem Gesetz selbstverständlich nicht für die Sklaven galt und dass sich die in der Leichenrede gepriesene Tapferkeit der Gefallenen aus dem Blickwinkel der von Athen Beherrschten wohl weniger ruhmeswert ausnahm.

Die Rede


Was Tat betrifft, haben diese zwar, was ihnen gebührt, und gehen, nachdem es vollbracht ist, ihren bestimmten Weg, geleitet alle gemeinsam von der Stadt und jeglicher insbesondere von den Seinigen. Durch Rede aber gebietet das Gesetz den Männern die noch fehlende Ehre zu erzeigen, und das gebührt sich. Denn nach wohlverrichteten Taten erwirbt wohlgesprochene Rede den Tätern Gedächtnis und Ehre bei den Hörern. Es bedarf also eines solchen Vortrages, welcher den Verstorbenen selbst rühmlich nachrede, den Lebenden aber gelinde zurede, Kinder nämlich und Brüder, es jenen in der Tugend nachzutun ermahnend, Väter aber und Mütter, oder wenn ihnen noch höhere Vorfahren zurückgeblieben sind, diese beruhigend. Welches wäre uns nun wohl ein solcher Vortrag, oder womit könnten wir am besten anfangen wackere Männer zu loben, welche im Leben den Ihrigen zur Freude gereichten durch ihre Tugend, und nun für das Heil der Lebenden den Tod überkommen haben? Mich dünkt nun, man müsse der Natur nach, wie sie gut gewesen sind, so auch sie loben. Gut aber sind sie geworden wegen ihrer Abkunft von Guten. Ihre Wohlgeborenheit also lasst uns zuerst verherrlichen; zum zweiten dann ihre Auferziehung und Unterweisung, und nach diesem ihrer Taten Verrichtung darstellen, wie herrlich und des allen würdig sich diese bewährt. Zu ihrer Wohlgeborenheit nun gehörte zuerst die Herkunft ihrer Vorfahren, welche nicht eine auswärtige ist, noch diese ihre Nachkommen ausweiset als Hintersassen in diesem Lande, weil jene anderwärts hergekommen, sondern als wahrhaft Eingeborne und die in der Tat in ihrem Vaterlande wohnen und leben, nicht von einer Stiefmutter auferzogene wie Andere, sondern als von einer Mutter von dem Lande, in welchem sie wohnten, und die jetzt nach ihrem Ende in dem verwandten Schoß ihrer Gebärerin und Ernährerin wieder aufgenommen liegen. Darum ist es am billigsten, zuerst die Mutter selbst zu preisen, denn so findet sich von selbst auch Jener Wohlgeborenheit gepriesen.

Wert aber ist dieses Land wohl, von allen Menschen gepriesen zu werden, nicht allein von uns, auch auf vielerlei andere Weise, zuerst aber und um des Größten willen, weil es von den Göttern geliebt ist; und dieser Rede gibt Zeugnis der über sie entzweiten Gottheiten Streit und Vergleich. Welches also die Götter gerühmt haben, wie sollte das nicht billig von allen Menschen insgesamt gerühmt werden? Und der zweite Ruhm desselben wäre mit Recht dieser, dass in jener Zeit, in welcher jegliches Land hervorbrachte und erzeugte allerlei Lebendiges, fleischfressende Tiere und grasfressende, in dieser das unsrige wilde Tiere nicht erzeugte und sich rein von ihnen erhielt, von allen Lebendigen aber sich auswählte und erzeugte den Menschen, als dasjenige, welches an Verstand alle Übrigen übertrifft und Recht und Götter allein annimmt. Für diese Rede aber, dass dieses Land hier ihre und unsere Vorfahren erzeugt hat, ist dieses ein großer Beweis. Jedes Gebärende nämlich hat angemessene Nahrung für das Geborene; woran auch jede Frau zu unterscheiden ist, ob sie in der Tat geboren hat oder nicht, sondern das Kind sich nur...

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