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E-Book

Am Tag der weißen Chrysanthemen

Ein Bericht über Liebe und Eifersucht

AutorJulia Onken
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl141 Seiten
ISBN9783406625114
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Als er weg ist, wird die Eifersucht zur quälenden Obsession, und sie stellt ihre ganze Ehe in Frage. Um gegen den Schmerz anzugehen, inszeniert sie eine Affäre mit einem ehemaligen Schulfreund. Ihr Mann kommt zurück, und sie begreift mit einem Schlag, dass ihre Phantasien völlig ins Leere liefen. Diese Erkenntnis schockiert sie, denn damit hat sie überhaupt nicht gerechnet. Der Schock wird noch viel größer, als sie unverhofft ihrem Vater wiederbegegnet, der vor vielen Jahren die Familie verlassen hat - wegen der Affäre mit einer anderen Frau. Im Finale dieses Buches läßt Julia Onken scheinbar festgefügte Wahrheiten Stück für Stück zusammenbrechen. Am Ende des Gefühlskrimis steht eine Frau, die Frieden mit den Albträumen ihrer Jugend schließen kann und endlich befreit in die Zukunft blickt.

Julia Onken ist diplomierte Psychologin, Psychotherapeutin, Leiterin des Frauenseminars Bodensee (gemeinsam mit ihrer Tochter Maya), Dozentin in der Erwachsenenbildung und Herausgeberin des Magazins Generation Superior - von der Kunst des langen Lebens.

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Leseprobe

I


Ich hätte zweifellos Nein sagen können. Stattdessen antwortete ich, warum auch nicht, das ist eine fabelhafte Idee, längst fällig, wir können endlich das tun, was uns Spaß macht, und müssen nicht ständig aufeinander Rücksicht nehmen, du kannst endlich deinen Segeltörn machen, und ich gehe derweil in sämtliche Opern, Konzerte oder lass mich in wunderbaren Wellnessprogrammen verwöhnen und was es sonst noch Herrliches gibt, was ich gerne möchte und dich nicht interessiert. Das klang alles sehr selbstverständlich, so selbstverständlich, wie es eben in einer normalen Ehe sein sollte, wenn der eine sagt, ich gehe schnell mal zur Post, während du die Blumen gießt. Hinterher frühstücken wir gemeinsam.

Und genau diesem Wunsch, ja diesem Drang nach Normalität bin ich auf den Leim gegangen. Sonst hätte ich gesagt, da mache ich nicht mit, kommt überhaupt nicht in Frage, nur über meine Leiche. Und die Sache wäre vom Tisch gefegt gewesen.

Seit jener von mir selbstverständlich dahingeplätscherten Zusage ist nämlich mein ganzes gedankliches Ordnungssystem aus den Fugen geraten. Aber ich lasse mir nichts anmerken. Schatz, sage ich, du solltest langsam daran denken, deine Sachen zu packen, hilfst du mir dabei, fragt er, das kannst du viel besser als ich, klar, sage ich, ich helfe dir gerne, das weißt du doch, wann sollen wir anfangen, das hat noch Zeit, meint er. Ja, das hat noch Zeit.

Dann schiebt sich die Sache mit Max, unserem Boxerrüden, in die sich anbahnende Unruhe der bevorstehenden Abreise, der plötzlich kotzt und überall seine Exkremente fallen lässt, mit großer Vorliebe auf die chinesische Teppichbrücke, auf das handgewobene Sitzkissen und genau überall auf das, was uns besonders lieb und teuer ist. Wir pulen aus allen Ritzen, Rillen und Falten, was Max von sich gibt, sind in großer Sorge, hoffen, es sei nichts Ernsthaftes, eilen unverzüglich zum Tierarzt, der sagt gleich, das sieht nicht gut aus, Ausstülpungen im Darm sind es, die ihm zu schaffen machen und die Inkontinenz verursachen, das muss so schnell wie möglich operiert werden, das ist eine größere Sache und wird hinterher noch einiges an aufwändiger Pflege nach sich ziehen. Wir haben keine Wahl und willigen sofort in die Operation ein. Er will seinen Segeltörn absagen, das geht doch nicht, du mit dem pflegebedürftigen Max, sagt er, ganz allein, vielleicht muss man ihn sogar herumtragen, ich blase lieber meine Reise ab, Max ist mir wichtiger als alles andere, das kommt überhaupt nicht in Frage, kontere ich, nur weil der Hund indisponibel ist, kannst du doch nicht auf etwas verzichten, was du dir schon seit Jahren gewünscht hast. Eine solche Gelegenheit kommt nicht so schnell wieder, und schließlich musst du auch mal an dich denken, so argumentiere ich beinahe suggestiv und arbeite zielsicher gegen meine eigenen Interessen.

Ich weiß wirklich nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich alle seine doch so einleuchtenden Argumente, die dafür sprachen, das Unternehmen abzublasen, mit meiner Gegenargumentation entkräftete. Ich bin wie von der Tarantel gestochen: Er muss verreisen, auch wenn mir die Vorstellung davon beinahe den Atem verschlägt. Und selbst als er auch noch den Vorschlag macht, dass wir während seiner ganzen dreiwöchigen Abwesenheit nicht telefonieren wollen, willige ich sofort ein, klar, sage ich, das muss mal aufhören mit dieser ständigen Telefoniererei. Wenn einer von uns aus dem Haus ging, riefen wir uns alle paar Stunden an. Nein, nicht etwa Sehnsuchtsgeflüster oder Derartiges, vielleicht früher einmal, aber jetzt nicht mehr, vielleicht bis auf ein paar codierte Sätze, die im Netz der Gewohnheit hängen geblieben sind und sich so aus jener verliebten Zeit herübergerettet haben, in der wir noch einfallsreich und erfinderisch waren und vom Drang beseelt, ständig einander zu versichern, dass wir ohne einander nicht leben können. Einer sagte etwa Hatschi-mi-ri? Was so viel hieß wie hast-du-mich-richtig-und-kritiklos-lieb? Und der andere antwortete dann wie aus der Pistole geschossen Hatschido-mi-no, und das hieß dich-und-mich-und-du-in-mir-auf-immer-und-ewig. Davon sind wir weitgehend abgekommen. Es fällt uns einfach nicht mehr ein. Er hat die Angewohnheit, seine Abreisen telefonisch zu dokumentieren, ich bin jetzt gerade bei der Raststätte und tanke noch Benzin, später folgt der Straßenverkehrsbericht, es geht ziemlich zügig voran, dann werden mir die ersten Meldungen über Zwischenverpflegungen gemacht, ich esse gerade ein dünnbelegtes Salami-Sandwich und trinke einen Kaffee, der scheußlich schmeckt. Irgendwann verliert sich dann seine Mitteilungsfreudigkeit, und er ist so weit abgenabelt, dass er mir nicht über jedes Pinkelereignis Mitteilung macht. Aber ich gebe es gerne zu, seine Anhänglichkeit irgendwie zu genießen. Ich hingegen neige eher dazu, meine Ankunft frühzeitig anzukündigen, soeben bin ich aufgebrochen und werde in ca. einer Stunde zu Hause sein. Der letzte Anruf folgt dann noch aus der Garage: Ich bin da. Es wäre mir unmöglich, mich mit jener Selbstverständlichkeit einfach wieder daheim einzufinden, mit der ich gegangen bin. Ich halte mich auch immer strikt an die vorgegebenen Ankunftszeiten und komme in große Bedrängnis, wenn ich früher als angekündigt wieder eintreffen sollte. Manchmal trödle ich noch etwas herum, fahre absichtlich Umwege, erkunde Nebenstraßen, um nur nicht in nicht abgesprochene Zeitzonen einzudringen und zu früh zu Hause anzukommen.

Ja, ich finde das wirklich eine ausgezeichnete Idee, wenn wir uns während der ganzen Zeit deiner Abwesenheit nicht anrufen, ist doch auch viel vernünftiger, sagt er, zudem bin ich wahrscheinlich gar nicht zu erreichen, ich nehme mein Handy auch nicht mit, es gibt ein Bordtelefon für Notfälle, also wenn sich die Situation mit Max zum Beispiel verschlechtern sollte, dann müsstest du mich benachrichtigen, dann würde ich meine Reise unverzüglich abbrechen, das ist doch klar. Ja, das ist doch klar.

Und irgendwie vermag mich dieser Gedanke etwas zu beruhigen. Max wäre also noch meine letzte Rettung, wenn ich es denn nicht mehr aushielte.

Ich zähle insgeheim die Tage. Noch zwölfmal schlafen, noch elfmal, und ich beobachte ihn ganz genau. Und es ist eine einzige Frage, die sich wie eine Zecke mitten in mein Herz hineingebohrt hat: Wer wird wohl alles mit an Bord sein? Während ich versuche, an meinem Zappgerät die Batterien auszuwechseln, frage ich ganz nebenbei danach, also nicht direkt, sondern nuschle es mehr zufällig vor mich hin, ich will dieser Frage nicht eine derart große Bedeutung beimessen, dass ich sie zum Gegenstand eines echten Gespräches machen wollte. Ach, sagt er, die Crew steht noch nicht definitiv fest, da sind einmal zwei Kollegen aus dem europäischen Projekt dabei und vier aus unserem Betrieb, alles Männer, werfe ich mit leicht fragendem Unterton ein, ja, bis jetzt schon, aber es hat sich noch eine unserer Mitarbeiterinnen aus der PR-Abteilung dafür interessiert, aber es ist noch nicht sicher, aha, sage ich beiläufig, als ob mich diese Mitteilung weit weniger interessierte als das Hineinwürgen der Batterien, die mir prompt aus der Hand springen, unter eine Kommode rollen, wo ich sie genervt versuche wieder hervorzufischen, was mir nicht gelingt, da sie sich in die hinterste Ecke verkrochen haben und ich zuerst das schwere Möbel von der Wand wegschieben muß, komm, sagt er, ich helfe dir doch, ich mach das, nein, lass das, ich kann das schon. Dann entdecke ich zufällig nochmal Erbrochenes von Max und beginne zu schrubben, hol doch bitte den Dampfreiniger, sonst bringen wir das nie mehr raus. Er holt bereitwillig, fegt, schrubbt, rubbelt, bürstet, frottiert, sucht die Batterien, zwängt sie in das Gerät, ich beobachte ihn aus den Augenwinkeln heraus und denke, so verhält sich nur einer, der was im Schilde führt und sein schlechtes Gewissen präventiv etwas besänftigen will.

Die Operation von Max ist gut verlaufen. Drei lange Schnitte. Ich verarzte, er darf nur Flüssiges zu sich nehmen, stündlich Gassi gehen, die Wunden immer wieder säubern, ich bin beschäftigt und widme mich emsig den tausend Dingen aller Art, die so ein Leben mit frisch operiertem Hund, unsäglich vielen Pflanzen auf der Dachterrasse und einem vor der Abreise stehenden Ehegatten zu bieten hat, soll ich dir nun nicht doch eine neue Badehose kaufen, frage ich, nicht ohne Hintergedanken an die durch die Jahre im Schritt ausgeleierten, nein, sagt er, die alte ist noch in Ordnung, noch drei Nächte, noch zwei, noch eine einzige, letzte Nacht, bis ich aus meinem vermeintlichen Eheglück herausgeschleudert sein werde.

Ich will alles genießen bis zum letzten Atemzug. Schließlich hatten wir gute Jahre zusammen, sehr gute sogar. Zwar hatte ich stets auf diesen einen Moment gelauert, immer sprungbereit, alles einkalkulierend, damit es mich nicht unvorbereitet erwischt. Nur das nicht. Der Blick einer Ehefrau, die aus heiterem Himmel jäh eins über die Rübe bekommen hat, ist unerträglich. Dieses ergebene Vor-sich-hin-Starren, dieses narkotisierte Dreinschauen, dieser Opferlammblick, schaut, was er mir angetan hat, ich war so gut zu ihm, und nun das, dieser Ausbund an waidwund geschossenem Frauendasein, wenn die Felle davonschwimmen und die...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über die Autorin3
Impressum4
I5
II17
III29
IV45
V69
VI85
VII105
VIII119
IX131

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