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Analyse und Kritik der medizin-ethischen Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik

Eine Übersichtsarbeit zum Diskussionsstand bis 2003

AutorDaniel Strech
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl159 Seiten
ISBN9783640767380
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Medizin - Gesamtmedizin, allgemeine Grundlagen, Note: summa cum laude, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Sprache: Deutsch, Abstract: Die medizinethische Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik ist maßgeblich bestimmt durch zwei sich gegenüberstehende Argumentationstypen. Die Befürworter bedienen sich vornehmlich eines pragmatisch-nutzenorientierten Argumentationstyps. Hierbei werden die Interessen und Bedenken möglicher Patienten aus einer subjektiven und situativen Perspektive heraus nach Pro- und Kontraargumenten gegeneinander abgewogen. Auf der anderen Seite folgen die Kritiker der Präimplantationsdiagnostik einem gesellschaftspolitisch-folgenorientierten Argumentationstyp. Sie weisen neben dem möglichen Schaden für die Patienten auf das Negativpotential dieser Technik hin. Dabei werden in den abwägenden Bewertungsprozess neben den technikspezifischen Aspekten weitere heterogene Diskussionsfelder integriert. Die vorliegende Arbeit gibt zunächst einen Überblick über die naturwissenschaftlichen, klinischen und rechtlichen Aspekte zur Präimplantationsdiagnostik. Anschließend wird der beschriebene Diskurs in seinen spezifischen Argumentationssträngen analysiert. Die ebenfalls beteiligten Diskussionsfelder zum humangenetischen Krankheitsbegriff, zur Patientenautonomie, zum Embryonenstatus und zur Eugenik-Debatte werden in Beziehung gesetzt zur Thematik der Präimplantationsdiagnostik. Ich stelle fest, dass die unterschiedlichen Ansätze der beiden wichtigsten Argumentationstypen eine grundlegende Asymmetrie bedingen. Aufgrund der hochgradigen Komplexität des Bewertungsprozesses ist der gesellschaftspolitische Argumentationstyp anders als der pragmatische mit einem latenten Vermittlungsproblem belastet. Trotz inhaltlicher Relevanz der gesellschaftspolitischen Argumente könnte sich dieses strukturelle Ungleichgewicht zugunsten der pragmatischen Argumente in der politischen Entscheidungsfindung niederschlagen.

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Leseprobe

Teil 1 Naturwissenschaftliche und medizinische Aspekte der Präimplantationsdiagnostik


 

1.1 Verfahrenstechnik


 

1.1.1 Präimplantationsdiagnostik (PGD)


 

Unter PGD versteht man die Genomanalyse von embryonalen Zellen vor der Implantation in den Uterus. Es können numerische Chromosomenabberrationen oder einzelne, strukturelle Chromosomenabberrationen diagnostiziert werden[16]. Eine Besonderheit stellt die Diagnostik der Geschlechts-Chromosomen bei x-chromosomal-rezessiv vererbten Krankheiten dar.

 

Um die Zelle zu gewinnen, deren Genom man analysieren möchte, bedarf es mehrerer Verfahren. Nach einer oder mehreren Hormonstimulationen bei der Frau mit i.d.R. anschließender Punktion der Ovarien, werden die dabei gewonnenen Eizellen entweder im Reagenzglas mit Spermien zusammengebracht oder es werden ihnen gezielt Spermien mit einer Pipette injiziert. In beiden Fällen kann es zu einer Befruchtung kommen[17]. Bei der ersten Methode handelt es sich um die klassische In-Vitro-Fertilisation (IVF), bei der zweiten wird diese durch eine ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion[18]) ergänzt. Die befruchtete Eizelle (Zygote) beginnt sich zu teilen. Es entstehen entsprechende 2-, 4-, 8- und 16-Zell Stadien. Auch Zwischenstufen mit ungeraden Zellzahlen sind möglich. Nach dem derzeitigen Standard werden im 6 bis 10-Zell Stadium, am dritten Tag nach der Befruchtung, dem Zellverband eine oder zwei embryonale Zellen (Blastomeren) entnommen (biopsiert)[19]. Diese Zellen, die i.d.R. den gleichen Chromosomensatz besitzen wie die restlichen Zellen, können nun nach Extraktion ihrer DNA genanalytisch nach Chromosomenanomalien untersucht werden[20]. Ein Befund liegt in der Regel nach derzeit 3 bis 8 Stunden vor. Bei negativem Befund ist zu einem hohen Prozentsatz davon auszugehen, dass auch die verbleibenden Zellen des biopsierten Embryos, die entsprechende Chromosomenanomalie nicht aufweisen[21]. Der Embryo wird daraufhin in die Gebärmutter implantiert. Ob es tatsächlich nach einem jeweiligen Embryotransfer zu der gewünschten Schwangerschaft kommt, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Auf das Problem des geringen Anteils an erfolgreichen Schwangerschaften werde ich im Abschnitt 1.3 näher eingehen.

 

1.1.2 Präkonzeptionsdiagnostik


 

Ein von der Idee der PGD her sehr ähnliches Verfahren ist die Präkonzeptionsdiagnostik. Hierbei werden die Gameten, sprich Ei- oder Samenzelle, noch vor ihrer Verschmelzung untersucht und selektiert. Die Prozedur der Biopsie und die Zerstörung einer embryonalen Zelle werden somit umgangen. Im Gegensatz zu den männlichen Keimzellen, aus denen nach den entsprechenden Teilungsschritten 4 reife Spermien entstehen, resultiert nach den Reifeteilungen bei der weiblichen Keimzelle lediglich eine Eizelle mit 3 Polkörperchen, welche die zugrundegehenden restlichen 3 haploiden Chromosomensätze anzeigen[22]. Demnach ist es zur Zeit nicht möglich, den männlichen Chromosomensatz beim Gameten zu analysieren, ohne ihn zerstören zu müssen. Es besteht allerdings der Ansatz, die Spermien in X- und Y-tragende zu selektieren (sogenanntes „flow-sorting“). Dies ist eine denkbare Möglichkeit zur Geschlechtsselektion, welche beispielsweise dann indiziert sein könnte, wenn X-chromosomal vererbbare Erkrankungen umgangen werden sollen[23]. Eine solche Indikation kann beispielsweise bestehen, wenn die genaue Sequenz oder der Genort der Veränderung auf dem X-Chromosom nicht bekannt sind. Die Erfolgsrate, der hierzu angewandten meist physikalischen Methoden, scheint aber noch zu wenig effizient, so dass die beschriebene Spermienselektion nur in seltenen Fällen angewandt wird[24].

 

Bei den weiblichen Gameten ergibt sich die Möglichkeit, mittels der Polkörperchenbiopsie, den Chromosomensatz der Eizelle in einem der PGD sehr ähnlichen Verfahren indirekt zu analysieren[25]. Wird das bei der letzten Reifeteilung entstehende Polkörperchen biopsiert und weist dieses nach entsprechender Gen-Diagnostik die gesuchte Mutation auf, könnte davon ausgegangen werden, dass bei heterozygot betroffener Mutter, die Eizelle selber die Mutation nicht mehr aufweist. Ein wesentliches Problem stellt hierbei das Phänomen des Crossing-over dar. Crossing-over beschreibt eine häufig auftretende Situation während der Reifeteilung, in der sich einzelne Segmente der mütterlichen Chromosomen umgruppieren. Dies kann dazu führen, dass sich das betroffene, in diesem Fall zu diagnostizierende Allel sowohl in der Eizelle als auch im Polkörperchen befindet. Demnach ist zumindest die Anwendung der PCR zur Polkörperchendiagnostik weniger geeignet. Im Gegensatz hierzu ist die Möglichkeit mittels FISH im Rahmen der Polkörperchenbiopsie eine Aneuploidie der Eizelle auszuschließen, die bis dato am meisten angewandte Form einer Präimplantations-, bzw. Präkonzeptionsdiagnostik[26].

 

1.2 Fehlerquellen


 

Als eine mögliche Fehlerquelle wurde bereits das Phänomen des Crossing-over angesprochen, welches sich wie beschrieben auf die Methode der Polkörperchenbiopsie bezieht. Eine weitere entscheidende Fehlerquelle stellt das „allelic drop-out“ (ADO) dar[27]. Dieses Phänomen beschreibt das ungleiche Amplifizieren (Vervielfältigen) der beiden auf eine Anomalie zu untersuchenden Allele im Rahmen der Einzelzell-PCR. Wird beispielsweise bei Vorliegen einer Mutation allein das nicht mutierte Allel durch die PCR amplifiziert, so wird ein Status vorgetäuscht, bei dem das Nicht-Vorliegen der Mutation angenommen werden muss (falsch negativ). Um falsche Diagnosen aufgrund solcher Amplifizierungsfehler in ihrer Häufigkeit zu minimieren, werden in der Regel 2 embryonale Zellen biopsiert, die unabhängig voneinander untersucht werden[28].

 

Die Kontamination des zu untersuchenden Genmaterials mit Fremd-DNA ist das zweite große Problem für die PGD. Beispielsweise können, wie bereits im letzten Kapitel beschrieben, während der Biopsie des in-vitro kultivierten Embryos weitere an der Embryonenhülle klebende Spermien das gewonnene Biopsat kontaminieren. Um diese Fehlerquelle zu vermeiden, ist man dazu übergegangen, nahezu ausschließlich die ICSI im Rahmen der PGD zu verwenden, vor allem wenn zur Diagnostik die PCR angewandt wird[29].

 

Nach Diedrich sind bislang drei Fehldiagnosen im Zusammenhang mit der PGD bekannt geworden[30]. Bei allen dreien sind es die oben aufgeführten Probleme der Kontamination und des fehlerhaften Amplifizierens, die als Gründe für die Fehldiagnosen in Betracht kommen sollen.

 

Das Phänomen der Mosaikbildung wird zumindest in der Überblicks-Literatur, wie dem Ende 1999 erschienenen ESHRE-Report[31] und einem Sonderheft von Prenatal diagnosis[32] zur PGD nicht mehr als mögliche Fehlerquelle erwähnt.

 

1.3 Erfolgsraten


 

Die Erfolgsraten der PGD im Sinne der sogenannten „baby-take-home“-Rate fallen entsprechend den Erfahrungen mit der IVF relativ gering aus. Im Durchschnitt resultieren etwa 15-25 % der PGD-Anwendungen in einer geglückten Schwangerschaft[33]. Dies scheint sich nach der nunmehr zwanzigjährigen Erfahrung mit IVF und der zehnjährigen Erfahrung mit PGD nicht wesentlich geändert zu haben. Der entscheidende, die wenig erfolgreiche Schwangerschaftsrate bestimmende Faktor soll das mütterliche Alter sein[34]. Das Durchschnittsalter der für die PGD anfragenden Frauen liegt im ESHRE PGD Report bei 34 Jahren. Es wird gemutmaßt, dass die in diesem Alter erhöhte Rate an Trisomien für die schlechten Schwangerschaftsraten mitverantwortlich ist. Würde die PGD bei jüngeren Frauen angewandt, etwa im Rahmen eines Screening-Programms, wird von höheren Schwangerschaftsraten ausgegangen[35].

 

Die in diesem Kontext anzusiedelnden Versuche, bei älteren Frauen durch Anwendung eines PGD assoziierten Aneuploidie-Screenings die IVF-Raten zu steigern, werden in Bezug auf ihren Erfolg unterschiedlich interpretiert. Zwar ließen sich die Werte für diese Patientengruppe leicht verbessern, insgesamt aber fällt die Schwangerschaftsrate mit etwa 20% immer noch relativ niedrig aus, zumindest was die Attraktivität der PGD für eine breitere Anwendung betrifft[36].

 

Im Hinblick auf die bisherigen Erfahrungen mit Erfolgs- und Fehlerraten für die klinische Anwendung der PGD ergibt sich eine wichtige Frage. Wird die PND nach entsprechender Güterabwägung die attraktivere Methode bleiben, aufgrund der physischen und psychischen Belastung durch den Aufwand von Hormonstimulation, IVF/ICSI und Embryonentransfer, bei einer doch recht stabil bleibenden „baby-take-home“-Rate von 15-25% bei der PGD?

 

Eine Studie aus den Niederlanden zeigt, dass sich diese Frage vermutlich abhängig von der jeweiligen Vorgeschichte der Paare entscheiden wird[37]. Eine eher...

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