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E-Book

Hypnotherapie bei Tinnitus

Ein Praxisleitfaden

AutorDetlef Kranz
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl292 Seiten
ISBN9783844427677
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Fast ein Prozent der Bevölkerung leidet an lästigen Ohrgeräuschen. Häufig gehen diese mit weiteren Problemen einher, wie z. B. Ängsten, Stress und Schlafstörungen. In chronischen Fällen ist daher eine psychotherapeutische Behandlung angezeigt. Die Hypnotherapie stellt eine Reihe von Techniken zur Verfügung, mit denen eine erfolgreiche Therapie des Tinnitusproblems möglich ist. Sie kann sowohl verhaltenstherapeutische als auch psychodynamische Therapieangebote ergänzen. Das Buch liefert Psychotherapeuten das notwendige Hintergrundwissen und 'Handwerkszeug' für eine erfolgreiche hypnotherapeutische Behandlung von Patienten mit einem Tinnitusleiden. Der einführende Teil des Buches beinhaltet einen kurzen Abriss zur Geschichte der Hypnotherapie, vermittelt basale medizinische Kenntnisse zur Entstehung eines Tinnitusleidens und informiert über die Diagnostik und Therapieplanung bei der Anwendung hypnotherapeutischer Methoden. Ausführlich wird anschließend das hypnotherapeutische Vorgehen beschrieben. Von der Gestaltung des Rapports zum Patienten über hypnotische Strategien des Zugangs zum Problem mithilfe von direkten Suggestionen bis hin zu indirekten und symbolischen Suggestionen wird in die symptom- und problemorientierte Methodik der Hypnotherapie eingeführt. Die einzelnen Module können individuell angepasst werden und ermöglichen sowohl die Bearbeitung monofokaler Themen, wie z. B. die Aufmerksamkeitslenkung, Entspannung, Stress, als auch die Bearbeitung komplexerer Ursachen des Tinnitusleidens, wie z.B. das Erkennen von Zusammenhängen und Ursachen sowie die Veränderungsarbeit. Die beiliegende CD-ROM stellt umfangreiches Arbeitsmaterial wie Induktionstexte, Informationsmaterialien zur Psychoedukation sowie eine PowerPoint-Präsentation und Audiodateien mit Ausschnitten aus Therapiesitzungen zur Verfügung, welches die Umsetzung der beschriebenen Methoden in der klinischen Praxis unterstützt.

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Leseprobe

|16|1 Historie und Wissenschaftlichkeit der Hypnotherapie


Sonja Faller

1.1 Von der traditionellen zur modernen Hypnose


Die geschichtliche Entwicklung der Hypnose bis heute war und bleibt komplex. Vielfach skeptisch beäugt findet Hypnotherapie sowohl in der Fachwelt als auch bei dem Laien seit jeher zunächst neugierige Zuwendung. Bevor jedoch die historische Entwicklung dieses Psychotherapieverfahrens dargestellt wird, soll vorab das Ergebnis daraus, wie es sich heute darstellt, kurz skizziert werden:

Die moderne Hypnosetherapie unterstreicht den leichteren Zugang zu Gefühlen in Trance. Dies ist ein besonderer Zustand des Gehirns, der sich vom Alltagsbewusstsein während eines üblichen Psychotherapiegespräches unterscheidet. Statt wie früher einer autoritären Implementierung direkter Suggestionen werden heute belastende oder hemmende Gefühle, die die Ursache für den Leidensdruck des Patienten darstellen, direkt aufgegriffen und bearbeitet. Dies ist vor allem zeitsparend effektiv. In Trance können beispielsweise mittels hypnotischer Altersregression dysfunktionale Gefühle und Konflikte in ihrer Initialsituation wiedererlebt und mit lösungsorientiertem Verhalten und Emotionen verknüpft werden, die der Patient mithilfe seines inneren, „unbewussten“ Wissens entwickelt (Bongartz & Bongartz, 2000). Doch bis zu dieser hoch effizienten Nutzung von Hypnotherapie war und ist es ein weiter Weg:

Glaubt es nun oder glaubt es nicht; sei es nun Einbildung oder Wirklichkeit. Wenn ich durch Einbildung gesund bin, oder gesund mache – willkommen, wohlthätige Einbildung, dich will ich lieber als Wirklichkeit, die mich und andere krank macht. (Lavater, zit. nach Kerner, 1856, S. 96)

Die Geschichte der Hypnose ist so alt wie die der Magie und der Medizin, worunter sie häufig subsummiert wurde. Früheste Kulturen bis zu 2000 Jahre vor Christus benutzten Trance u. a. als wesentlichen Bestandteil von Heilritualen. Bourguignon (1973) berichtet im geschichtlichen Rückblick die Verwendung von Trance in 488 traditionellen Kulturen weltweit. Die therapeutische Anwendung von Suggestion nach unserem heutigen klinischen Verständnis begann im zweiten Teil des 18. Jahrhunderts mit dem Wiener Arzt Franz Anton Mesmer (1734 – 1815), der Hypnose zur Behandlung bei Psychiatriepatienten einsetzte (Mesmerismus). Er vertrat die inzwischen widerlegte Auffassung, dass es sich um eine okkulte Kraft handle, machte andererseits viele Mediziner auf seine Suggestionstherapie aufmerksam (Erickson, 1997) und verhalf der Hypnose als Heilverfahren im damaligen Europa zum allgemeinen Durchbruch. Die traditionelle |17|Auffassung von Hypnose suggeriert einen Veränderungsprozess im Individuum, der von außen gesteuert ist. Eine wissenschaftliche Basis erreichte die damalige Hypnotherapie durch Forschungsarbeiten des schottischen Arztes James Braid (1795 bis 1860) Mitte des 19. Jahrhunderts, der die Hypnoseinduktion eingehend erforschte (Braidismus; Peter, 2009b). Er erkannte den psychologischen Nutzen von Suggestion und prägte den heutigen Begriff Hypnose. Braids Definition war rein neurologisch, er ging von einer Nervenermüdung und partiellem Schlaf durch Konzentration auf einen Stimulus (Fixation) aus (Revenstorf, 2009). Nach dieser Emanzipation aus dem Magischen wurde die analgetische Wirkung der Hypnose im Bereich der Medizin weit verbreitet genutzt, bis die Hypnoanalgesie durch die Erfindung von chemischen Anästhetika wie Chloroform und Lachgas Mitte des 19. Jahrhunderts abgelöst wurde. Ende des 19. Jahrhunderts standen sich zwei gegensätzliche Erklärungsansätze für die Hypnose gegenüber: Der Pariser Neurologe Charcot (1825 – 1893) sah darin ein pathologisches Phänomen. Er interpretierte hypnotische Trance als vorübergehende Hysterie während u. a. Bernheim (1814 – 1919) und die Schule von Nancy Trance als ein natürliches, auf Suggestionen basierendes Erscheinungsbild definierte, wobei die autoritäre Rolle des Therapeuten bei der Tranceinduktion unterstrichen wurde.

Peter (2009b) spricht von einem „Niedergang des Hypnotismus nach 1900“, für den es mehrere Gründe gibt: Ein Grund war die Abkehr namhafter Ärzte wie Oskar Vogt, der in seiner Arbeit eine zunehmend physiologische und hirnanatomische Ausrichtung verfolgte. Sigmund Freud sah Hypnose im Gegensatz zur Psychoanalyse als zudeckendes Verfahren an. Er entschied sich stattdessen für freie Assoziation und Traumdeutung. Aufgrund ihres Rufes, Willenlosigkeit zu induzieren, wurde Hypnose als ungeeignete Technik für die „Modediagnose des nervösen Zeitalters: Neurasthenie“ erachtet, welche als Mangel an Willenskraft gesehen wurde (Peter, 2009b). Da man Hypnose durch ihren damals fremdsuggestiven Einfluss als Manipulation der Patienten ansah, rückte sie zunehmend in den wissenschaftlichen und therapeutischen Hintergrund. Jedoch nutzten viele Laien die Hypnose in zunehmend unseriösem Rahmen, wodurch es infolge der „Kurpfuscherdebatte“ der 1920er Jahre immer wieder zu der Forderung kam, eine fehlerhafte und gefährliche Anwendung von Hypnose und Suggestion durch die Beschränkung bei der Anwendung auf qualifizierte Ärzte zu unterbinden (Peter, 2009b; Schröder, 1995), was bis heute leider erfolglos blieb.

In Zusammenhang mit dem ersten Weltkrieg machte u. a. der Berliner Arzt Johannes H. Schultz (1884 bis 1970) positive Therapieerfahrungen mit Hypnose vor allem bei der Behandlung von Patienten mit Posttraumatischen Belastungsreaktionen, die von der Dissoziation der überwältigenden Affekte in Trance und der Möglichkeit, diese abschließend psychotherapeutisch zu bearbeiten, profitierten (Revenstorf, 2009). Schultz stellte, wie schon sein Lehrer Vogt zuvor, die häufig geschilderten körperlichen Empfindungen von Wärme in Folge der Gefäßerweiterung und Schwere als Erleben der Muskelentspannung heraus und leitete dar|18|aus sein in der Folgezeit vielfach untersuchtes und angewandtes autogenes Training ab. Statt des bisher heterohypnotischen Ansatzes entwickelte Schultz eine Reihe von Autosuggestionen. Ursprünglich als Selbsthypnose gedacht, fanden und finden diese jedoch vor allem als Entspannungs- und nicht als Hypnoseverfahren weite Verbreitung. In diesem Sinne gilt Hypnose auch heute leider noch vielerorts – zumindest bei Krankenkassen – zumeist als suggestiv-übende Behandlung. Die große Leistung einer kausal wirkenden Hypnotherapie, die aufdeckend arbeitet und mit deren Hilfe der Patient innerhalb kurzer Zeit überdauernde Veränderungen etablieren kann, wird dabei gänzlich unterschätzt.

Eine Art Wiedergeburt der tiefergreifenden Hypnose wurde schließlich ab 1940, verstärkt in den 1970er Jahren durch den amerikanischen Psychiater Milton H. Erickson (1901 – 1980) eingeleitet, der sich aufgrund seiner eigenen Geschichte und der erlebten Effektivität von Selbsthypnose zur Schmerzbewältigung mit einer stark auf den Patienten zugeschnittenen Form der Hypnotherapie beschäftigte. Wesentliche Merkmale dabei waren neben der Klientenzentriertheit die Entpathologisierung von Symptomen und deren Umdeutung als bisherige Lösungsversuche sowie eine Fokussierung auf Ressourcen, die mithilfe therapeutischer Unterstützung zugänglich und nutzbar gemacht werden können. Der Patient findet demnach seine eigene Lösung mithilfe seines Unbewussten als intrapersoneller Hilfsgröße. Viele der Ericksonschen Therapieprinzipien hatten weitreichenden Einfluss auf andere Therapieformen, insbesondere der systemischen Richtung. Er kann als Vorläufer eines integrativen Ansatzes in der Psychotherapie genannt werden (Peter, 2009b; Revenstorf, 2009; Zeig, 1988).

Moderne Hypnose betrachtet den Organismus als selbstorganisierenden Prozess, dem der Therapeut Anstöße zur Neuordnung geben kann, die im Wesentlichen aus den Ressourcen des Patienten ermöglicht wird. Trance stellt dafür einen Kontext bereit, in dem die gelernten Begrenzungen leichter als im Alltagsbewusstsein überschritten werden können. Hypnose liefert die Rahmenbedingungen dafür, dass dieser begrenzte Alltagskontext für den Zweck der Problemlösung verlassen werden kann. (Revenstorf, 2009, S. 10)

1.2 Wissenschaft und Hypnose: Theorie, Physiologie und nachgewiesene Wirksamkeit


1.2.1 Begriffsbestimmung

Bongartz und Bongartz (2000) definieren Hypnose als eine Methode, einen veränderten Bewusstseinszustand (Trance) einzuleiten, der sich durch subjektive Veränderungen wie Einengung der Aufmerksamkeit, Veränderung der Körperwahrnehmung, intensivere Vorstellungsaktivität, Zunahme von Suggestibilität, Erleichterung dissoziativen...

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