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E-Book

Neoliberalismus

Analysen und Alternativen

AutorBettina Lösch, Christoph Butterwegge, Ralf Ptak
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl417 Seiten
ISBN9783531908991
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Mit dieser Publikation werden erstmals verschiedene Ansätze der Neoliberalismusforschung im deutschsprachigen Raum zusammengeführt und gebündelt. In 21 Beiträgen setzen sich Autor(inn)en verschiedener Fachdisziplinen mit grundlegenden Fragen des neoliberalen Projekts, den Gründen seiner Wirkungsmächtigkeit, der widersprüchlichen Rolle des Staates und den Voraussetzungen und Ansätzen für eine postneoliberale Agenda auseinander. Diese Analyse soll dazu beitragen, die Diskussion um Alternativen auf einer fundierten Grundlage fortzuentwickeln. Das Buch richtet sich gleichermaßen an ein wissenschaftliches Publikum wie auch an Leser/innen, die den Gegenstand des Neoliberalismus durchdringen wollen, um Orientierung und Handlungsfähigkeit für die gesellschaftliche Praxis zu erlangen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Dr. Bettina Lösch und Dr. Ralf Ptak sind als Sozial-, Politik- bzw. Wirtschaftswissenschaftler an der Universität zu Köln tätig.

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Leseprobe
Neuliberale Verhältnisse: Staatlichkeit und Geschlecht (S. 34)

Birgit Sauer

„Zur Freiheit gehört auch die Freiheit auszusterben, indem man sich weigert, das Leben weiterzugeben." Mit diesem Satz charakterisierte Gerd Habermann, Leiter des Unternehmensinstituts der deutschen Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer, auf einer Tagung der Hayek-Gesellschaft über Demografie und Ordnungspolitik die neuen Konditionen im Neoliberalismus (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 26.6.2006).

Im selben Monat verabschiedete der Bundestag das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für die Privatwirtschaft, das der Tübinger Jurist Eduard Picker in der FAZ (v. 28.6.2006) als erneute Einschränkung der „Privatautonomie (der) Bürger" durch die Legislative interpretierte. Der Ballast bürokratisch-regulierender Eingriffe in Privatverhältnisse, sprich in Markt und Produktion, so muss man Picker wohl verstehen, begrenze die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit von Bürger(inne)n, namentlich der Unternehmer.

Neben Profitmaximierung, Konkurrenz und gemäßigtem sozialem Ausgleich solle nun – zum Schaden der Unternehmerautonomie – ein neuer Wert eingeführt werden, nämlich jener der Gleichstellung von Frauen und Männern. „Freiheit" bzw. „Autonomie", „Bevölkerung" und „Generativität" sind offensichtlich ganz zentrale Begriffe im Rahmen der gegenwärtigen Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat, Gesellschaft, Ökonomie und Privatheit sowie der Neusituierung von Bürger(inne)n in diesem Verhältnis.

Und ganz zentral ist dabei ebenso deutlich, wenn auch nicht explizit angesprochen, die Geschlechterfrage – entweder auf das Demografieproblem reduziert oder als Gespenst der Gleichbehandlung heraufbeschworen. Dass die Idee der Freiheit allenthalben angerufen wird, ist einerseits nicht verwunderlich, baut doch der Liberalismus schon immer darauf.

Auch der neuliberale Generalbass Freiheit, der die Debatten unterlegt, verspricht neue Freiräume – u.a. für die persönliche Entwicklung und Lebensgestaltung, die Optimierung des Daseins, zivilgesellschaftliches Handeln, Demokratie und gesellschaftliche Selbstorganisation, realisiert durch Entbürokratisierung und einen schlanken, wendigen Staat. Diese wohlklingenden Ideen der Selbstbestimmung von politischen Bürger(inne)n sind die Hoffnung beispielsweise von NGOs, werden freilich dominiert vom Freiheitsbestreben vor allem in der neu formatierten Sphäre des Marktes.

Auch dies ist für (Wirtschafts-)Liberale nichts Neues: Freiheit ist vor allem die Freiheit der „marktförmig organisierte(n) Vertraglichkeit" (Legnaro 2000, S. 202), die nun jedoch als ökonomische Vertragsfreiheit in allen Bereichen des Lebens Gültigkeit erlangen soll. Die Metapher der Freiheit enthält dafür Versprechungen „auf multiple Optionen, vielfältige Chancen, den thrill des Sich- Selbst-Unternehmens" (ebd., S. 203, Hervorh. im Original).

Entrepreneurship, die Befreiung der Individuen aus den Klauen des fürsorglichen und bevormundenden Staates sowie gleichsam die „zweite Befreiung" aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit sind Assoziationen, die der neoliberale Freiheitsdiskurs anstößt. Ein zweites – anderes – Projekt der Moderne und der Aufklärung soll auf den Weg gebracht werden.

Solche Debatten und Veränderungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Bedeutung, Form und Funktion von Staaten. Vielmehr ist die Transformation von Staatlichkeit eine ganz zentrale Dimension dieser ökonomischen und sozialen Veränderungen. Anders gesprochen: Die Ökonomie stellt nicht die Dominante im Prozess der Veränderung von Staatlichkeit dar, vielmehr kommt Staaten als Organisatoren von sozialer Ordnung, gesellschaftlichem Konsens und Hegemonie darin eine aktive Rolle zu.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort10
Einleitung14
I Theoretische Verortung des neoliberalen Projekts17
Neoliberalismus und Hegemonie18
Was ist Hegemonie?18
Neoliberalismus als praktische Ideologie der Zerstörung20
Neoliberalismus und andere Ideologien22
Organische und neoliberale Intellektuelle24
Staat und Gerechtigkeit im Neoliberalismus25
Der Neoliberalismus: eine Vulgärökonomie27
Eine neue Phase des Kapitalismus30
Neuliberale Verhältnisse: Staatlichkeit und Geschlecht35
Ein geschlechterkritischer und staatstheoretischer Zugang: Was ist das Neue am Neoliberalismus?37
Transformation von Staatlichkeit: Reduktion von und Herrschaft durch Freiheit40
Frauenpolitische Freiräume im Neoliberalismus47
Globalisierter Neoliberalismus51
„Wir sind alle Keynesianer“, obwohl sich der Neoliberalismus ausbreitet52
Neoliberale Transformationen des real existierenden globalen Kapitalismus54
Neoliberale Doxa60
Die verrückte Idee des Handels mit Emissionszertifikaten62
Die Natur des Neoliberalismus66
Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus: ein deutscher Sonderweg70
Drei analytische Zugänge zum Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft72
Die Ursprünge des deutschen Neoliberalismus74
Die Besonderheiten des ordoliberalen Programms76
Die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft als flexible Konzeption des Ordoliberalismus82
Quo vadis Soziale Marktwirtschaft?85
Die Neoliberalisierung des „Rheinischen Kapitalismus“91
Zur Politischen Ökonomie einer kapitalistischen Penetration91
Umrisse einer Theorie kapitalistischer Durchdringung93
Neoliberalisierung als Krisenprozess des keynesianischen Staates95
Neoliberalisierung als transnationale Herrschaftssynthese98
Neoliberalisierung und neue politics of scale101
Ein neuer Kampfzyklus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung104
II Bereiche neoliberaler Wirkungsmächtigkeit110
Das Prinzip des Nichtwissens im Jahrhundert der Wissenschaft112
Zum Verhältnis von Neoliberalismus und liberaler Wissenschaftstheorie112
Wissenschaft oder Markt als Fortschrittsmotor?114
Verwissenschaftlichung und früher Neoliberalismus115
Neue Marktkonzepte und wissenschaftstheoretischer Beistand119
Kernschmelze des Wissenschaftsmythos125
Entgrenzung des neoliberalen Projekts127
„Eine Kategorie des Unsinns...“133
Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie133
Gerechtigkeit und gesellschaftliche Legitimationskrisen133
Dekonstruktion des Leitbildes sozialer Gerechtigkeit136
Diskreditierung der Idee der Verteilungsgerechtigkeit139
Ökonomisierung des Gerechtigkeitsbegriffs141
Kritik der neoliberalen Gerechtigkeitstheorie: simplex statt komplex143
Marktlogiken in Lifestyle-TV und Lebensführung148
Herausforderungen einer gesellschaftskritischen Medienanalyse148
Populärkulturelle Fernsehgenres und die Konstitution des Sozialen150
Reality-TV: Prisma neoliberaler Subjektivierungstechnologien152
Anschlussfähigkeit von Medien und Alltagserfahrung: Lifestyle- TV und Lebensführung156
Lifestyle-TV und die Arbeit am (Körper-)Ich157
Herausforderungen gesellschaftskritischer Medienanalyse unter neoliberalen Vorzeichen161
Die neoliberale Umformung des Umweltrechts165
Die intentionale Umstellung der Logik165
Nicht intendierte Effekte der Diskussion über umweltrechtliche Instrumente171
Marktgesteuerte Alterssicherung182
Von der Entwicklung zur Implementierung eines neoliberalen Reformprojekts182
Die ökonomische Orthodoxie als theoretische Basis neoliberaler Rentenreformen183
Alter(n) als strukturelles Problem der modernen Industriegesellschaft184
Das sozialpolitische Paradigma der Nachkriegszeit186
Auftakt zur ideologischen Revision188
Konsolidierungsphase (80er- und 90er-Jahre)190
Reform der Alterssicherung in den Industrienationen191
Neoliberale Paradoxie: keine Marksteuerung ohne staatliche Intervention193
Positionsbestimmung195
III Der Doppelcharakter des neoliberalen Staates202
Marktradikalismus und Rechtsextremismus204
Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für die Demokratie205
Rechtsextremismus bzw. -populismus im Zeichen der Globalisierung209
Rechtspopulismus und Neoliberalismus – ein widersprüchliches Wechselverhältnis213
Bindeglieder: Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandschauvinismus216
Der neoliberale Staat, die private Produktion von „ Sicherheit“ und die Transformation der Bürgerrechte225
Private Military Companies – nur die „foot soldiers of privatisation“?226
Der Staat und das Geschäftsfeld der „inneren Sicherheit“231
„Sicherheit“ und die Neoliberalisierung der Bürgerrechte236
Hybrider Neoliberalismus und Entdemokratisierung238
Die Europäische Union als Beispiel für institutionalisierte ( Sach-) Zwänge244
Der Minimalstaat als neoliberale Wunschvorstellung245
Die Entwicklung zum Interventionsstaat247
Möglichkeiten einer Beschränkung des Interventionsstaates249
Sachzwänge konkret: EU-Vorgaben für die nationale Ausgabenpolitik251
Fazit255
Privatisierung als Kernelement der neoliberalen Gegenreform260
Reform und Revolution im Gefolge der Weltkriege260
Die Weltbank als Agentur zur Privatisierung in den Entwicklungsländern261
Der große Durchbruch und die globale Führung der USA262
Privatisierung global264
Vorreiter in Europa: Großbritannien265
Die Europäische Union266
Die ehemals sozialistischen Staaten268
Deutschland I: Der schnelle Verkauf im Osten269
Deutschland II: die schleichende Durchdringung des Westens270
Kampf um das Eigentum: Ergebnisse und Alternativen273
Bahnwesen im Niedergang278
Die (kapital)marktorientierte Neuvermessung des Schienenverkehrs in Deutschland und Großbritannien278
Umfassender Personalabbau und Neuregelung der Dienstverhältnisse280
Aufgabe von Trassen, Bahnhöfen und Liegenschaften281
Orientierung auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr und Stilllegung ländlicher Streckenabschnitte283
Wandel zum internationalen Mobilitäts- und Logistikkonzern284
„Zerlegt und entgleist“ – der Ausverkauf des britischen Bahnwesens285
Verfehltes Vertrauen in den Wettbewerb286
Fatale Fragmentierung287
Zahlreiche Verschlechterungen für Bahnkunden trotz gestiegener Fracht- und Fahrgastzahlen289
Vom Börsen- zum Bettelgang: Privatisierung und De-facto- Renationalisierung von Railtrack291
Kostspieliges Realexperiment zulasten der Steuerzahler/innen292
Unwiederbringliche Preisgabe staatlicher Schlüsselfunktionen294
IV Alternativen für eine postneoliberale Agenda300
Von der Dialektik des Neoliberalismus zu den Widersprüchen der Bewegungen302
Dialektik des Neoliberalismus303
Risse in der hegemonialen Apparatur307
Widersprüche linker Bewegungen310
Gegenhegemonie unter „postneoliberalen“ Bedingungen319
Anmerkungen zum Verhältnis von Theorie, Strategie und Praxis319
Methodische Bemerkungen zur Analyse von Strategien321
Gegenhegemonie als dekonstruktive Strategie324
Einige Konsequenzen327
Postneoliberale Agenden als sich verändernde Terrains328
Ausblick: Mut zur Hypothesenbildung332
Politische Bildung in Zeiten neoliberaler Politik: Anpassung oder Denken in Alternativen?336
Funktionalisierung politischer Bildung: Modernisierung und Herrschaftslegitimation337
Institutioneller Umbau: Akquirieren, Evaluieren und Sparen344
Die Frage nach den Alternativen: Was tun?348
Die postneoliberale Agenda und die Revitalisierung der Gewerkschaften356
Gewerkschaften und Neoliberalismus356
Gewerkschaften im Finanzmarktkapitalismus358
Gewerkschaften und Sozialdemokratie in der „ postkorporatistischen Periode“361
Optionen und Strategien gewerkschaftlicher Revitalisierung363
Ausblick: Perspektiven einer „Mosaik-Linken“370
Eine demokratische Aneignung des Kapitalismus375
Kirchliche Kapitalismuskritik376
Kapitalismus unter dem Anspruch der Menschenrechte382
Die demokratische Aneignung des Kapitalismus384
Resümee393
Lateinamerika: Alternativen zur neoliberalen Politik?395
Entstehung und Niedergang des Neoliberalismus in Lateinamerika396
Die „Mitte-Links“-Regierungen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede403
Suchprozesse alternativer Politiken407
Autor(inn)en416

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