Während in den 1970er und 1980er Jahren das Phänomen „Fälschung" noch auf wenige Konsumgüterbereiche wie etwa Mode, Schmuck oder Accessoires - besonders Luxusgüter - beschränkt zu sein schien, werden mittlerweile praktisch alle Gegenstände des täglichen Bedarfs nachgemacht und in den Verkehr gebracht.
Die Debatte um die weltweite Ausdehnung und die Auswirkungen der Herstellung und des Vertriebs gefälschter Produkte hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen und spielt sich vor dem Hintergrund der sog. Globalisierung ab.
Die Zunahme von Handelsströmen im Gefolge der politischen und wirtschaftlichen Öffnung der ehemaligen Ostblockstaaten, der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung und Öffnung Chinas, der Beseitigung von Handelshemmnissen, der Erweiterung der EU und die Verlagerung der Produktion aus den westlichen Industriestaaten nach Osteuropa und in asiatische Schwellenländer bieten unredlichen Herstellern und Händlern gefälschter Konsum- und Investitionsgüter vielfältige Möglichkeiten, ihre Produkte weltweit herzustellen und zu vertreiben.
Dabei werden die ideellen und materiellen Rechte der Originalhersteller verletzt. Schäden entstehen indirekt auch für die betroffenen Gesellschaften, Volkswirtschaften und Staaten bzw. Staatengemeinschaften. Die oft ahnungslosen Konsumenten gefälschter Produkte sind neben mehr oder weniger großen Vermögensschäden auch direkten oder indirekten Gefahren durch den Gebrauch der gefälschten Produkte ausgesetzt. Damit ist aus einem früher begrenzten Phänomen ein gesellschaftliches Problem geworden, das jeden betrifft oder betreffen kann.
Die vorliegende Arbeit soll zunächst das Phänomen „Marken- und Produktpiraterie" beschreiben.
Die Entwicklung der Rechte zum Schutz geistigen Eigentums, die in diesen festgelegten Sanktionen von Verstößen, sowie die Möglichkeiten der Rechtsinhaber zur Anmeldung von Rechten geistigen Eigentums und deren Durchsetzung werden angesprochen.
Die Motivation der Produktfälscher und insbesondere die Motive und Abneigungen von Konsumenten, gefälschte Produkte zu erwerben und zu nutzen, werden anhand vorliegender Studien betrachtet. Im der weiteren Darstellung folgt ein Kapitel zu den durch Produktfälschungen möglichen direkten und indirekten Schäden und welche „Märkte" es gibt. Dabei wird auf die beiden Produktgruppen „Arzneimittel" und „Zigaretten" eingegangen, da dabei besonders große Steuer- bzw. Gesundheitsschäden entstehen bzw. entstehen können. Die Organisation und die Vorgehensweise der an der Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie beteiligten Zollbehörden, sowie die Grenzbeschlagnahme als Präventionsinstrument bilden den Schwerpunkt der Arbeit. Dabei wird insbesondere auf die Entwicklung des im Hellfeld bekannt gewordenen Umfangs gefälschter Produkte, das sich in den Grenzbeschlagnahmestatistiken Deutschlands und der EU abbildet, eingegangen.
Die strafrechtliche Behandlung der Verletzung geistigen Eigentums im Zusammenhang mit Forderungen, den Strafrahmen für entsprechende Delikte zu verschärfen, werden kritisch gewürdigt (vgl. Scholz 2008:83; N.N. 2009a; Grabitz 2009).
Methodisch wurden vorliegende, öffentlich zugängliche Statistiken, Berichte und Studien der beteiligten Akteure aus Wirtschaft und Staat, hier insbesondere der deutschen Zollverwaltung, ausgewertet. Bezüglich der statistischen Darstellung wurden Lücken und Inkonsistenzen deutlich, die eine in sich geschlossene, quantitative Darstellung erschweren. Dennoch ergibt sich ein plausibles Bild. Zu diesen Problemen wird an den entsprechenden Stellen im Einzelnen Stellung genommen.
Daneben wurden wissenschaftliche Monographien und Fachartikel, Pressemitteilungen der Behörden und Verbände, Zeitungs- bzw. Zeitschriftenbeiträge sowie Internetpräsenzen berücksichtigt.
Expertengespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zollverwaltung zu einzelnen Fragen der Vorgehensweisen und der Effekte der Maßnahmen der Zollverwaltung runden die aus der Literatur gewonnenen Erkenntnisse ab.
Produktfälschung ist keine Erscheinung der Neuzeit. So erzählt Phillips anhand eines auf 27 v.u.Z. datierten Amphorenstopfens, der bei der französischen Union des Fabricants[1] ausgestellt ist, die fiktive Geschichte eines gallischen Weinhändlers, der auf die Idee kam, billigen gallischen Wein durch das Verschließen mit nachgemachten Stopfen als teuren römischen Wein zu verkaufen. Die Überlegung des Händlers geht davon aus, dass eine Amphore so aussieht wie die andere, wenn man also die Stopfen des Originalhändlers hat, kann man billigen Wein teuer verkaufen. Den Verschluss kann man erforderlichenfalls nachbilden. Dummerweise konnte er nicht schreiben, so dass seine Fälschung der Marke des Römers Lassisus auffällt. Phillips lässt die Frage offen, ob der Fälscher wohl Erfolg gehabt hat, und beschließt seine Anekdote mit der Bemerkung eines römischen Paares auf dem Nach-Hause-Weg von einer Einladung, dass der kredenzte Wein irgendwie „gallisch" geschmeckt habe (Phillips 2005:7f.)
Nun lohnt es sich, den fiktiven Fall aus der Sicht des Römers Lassisus zu betrachten. Dabei lassen sich idealtypisch Akteure und Verhaltensweisen identifizieren, die es auch heute noch gibt und auf die im Weiteren eingegangen werden wird.
Gallien wurde 27 v.u.Z. ganz unter römische Verwaltung gestellt (vgl. Liermann 2008). Man kann sich unschwer vorstellen, dass zum Auf- und Ausbau der römischen Provinzverwaltung, der militärischen und zivilen Infrastruktur und des Handels qualifizierte Architekten, Ingenieure, Handwerker, Verwaltungsexperten, Militärs und Kaufleute notwendig waren. Es dürfte also eine dynamische Wirtschaftsentwicklung gegeben haben und die römischen Einwanderer verfügten über die Mittel, sich ein Stück Rom in Gallien zu leisten. Dazu gehört auch Wein von den Hängen des Tiber. Genau diese Marktchance wurde von Lassisus erkannt und genutzt. Allerdings waren dazu erhebliche Investitionen erforderlich: Lassisus musste sich im römischen Kernland um zuverlässige und qualitativ hervorragende Weingüter kümmern, die Weine in gleich bleibender Quantität und Qualität liefern und diese mit möglichst langfristigen Lieferverträgen zu guten Preisen an sich binden. Er hatte eine komplizierte Lieferkette aufzubauen, damit die empfindliche Ware von den Produzenten zu den Häfen gebracht und auf Frachtschiffe verladen wurde. Er brauchte vertrauenswürdige Reeder und Kapitäne. In Gallien musste er Agenten beschäftigen, die die Zollformalitäten[2] in den Häfen abwickelten und dafür sorgten, dass der Wein umgeschlagen und zu den Zwischenhändlern bzw. den Endkunden geliefert wurde. Schließlich musste er Marketing für seine Ware betreiben. Die Kunden mussten von der Qualität des Weins und ihrem Statusgewinn bei Freunden und Bekannten überzeugt werden, damit sie den hohen Preis für ein Luxuserzeugnis zahlen.
Das scheint Lassisus gelungen zu sein, denn anders ist nicht erklärlich, dass er Produktfälscher auf den Plan gerufen hat.
Deren Kalkül ist einfach: Neben der Erwägung, dass es doch leicht sein müsste, Kunden mit gefälschten Stopfen zu betrügen, steht am Beginn der Überlegung die Tatsache, dass man vom guten Ruf Lassisus' profitieren kann, ohne dessen Kosten zu haben. Billiger, schlecht absetzbarer Wein ist vorhanden, es gibt einen hochpreisigen Markt und einen bekannten Lieferanten, dessen Ruf man ausbeuten kann. Besondere Investitionen sind ansonsten kaum erforderlich. Es fallen nur wenige Logistik- und Marketingkosten und keine Zölle an. Ein Teil dieser „Ersparnisse" kann an die Kunden weitergegeben werden, denn der Trick besteht darin, sich Marktsegmente mit verschiedenen Methoden zu sichern, z.B. dadurch, den (falschen) römischen Wein zu Schnäppchenpreisen feilzubieten. Niemand wird ein Sonderangebot ausschlagen. Es finden sich auch Kunden ein, denen zwar klar ist, dass sie nicht das Original kaufen, sondern eine Fälschung, die aber zu Gunsten des möglichen Ansehensgewinns ihre Bedenken zurück stellen.
Falls die Fälscher aus ihrer Sicht Erfolg haben, hat das weit reichende Konsequenzen: Düpierte Kunden beschweren sich über die schlechte Qualität des Weines und wollen ihr Geld zurück. Lassisus' Marktanteile sinken wegen des Konkurrenzdrucks durch Falsifikate. Er muss Ermittlungen anstellen, um auf die Spur der Fälscher zu kommen. Er muss möglicherweise seine Preise senken, was Konsequenzen für seine Lieferanten haben kann. Die beteiligten Spediteure verlieren Frachtverträge. Der Staat nimmt weniger Zölle ein. Jene gallischen Weinproduzenten und -händler, die versuchen, heimischen, qualitativ hochwertigen Wein zu erzeugen und zu vermarkten, stoßen auf Vorurteile bei den verunsicherten Kunden, die nun der Meinung sind, Wein aus Gallien sei ohnehin gefälscht oder von minderer Qualität.
Die Fälschung von Wein ist auch heute noch ein Thema. Neben „Sammlerweinen" sind auch Weine betroffen, die der gutgläubige Konsument bei...