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E-Book

Berthold Beitz

Die Biographie

AutorJoachim Käppner
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl624 Seiten
ISBN9783827074232
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Berthold Beitz hat Zeitgeschichte geschrieben. An der Spitze des Krupp-Konzerns war er über Jahrzehnte einer der einflussreichsten Männer der deutschen Wirtschaft, für den soziale Verantwortung stets im Mittelpunkt stand. Seit den fünfziger Jahren machte er Krupp wieder zu einem weltweit anerkannten Unternehmen. Gegen zahllose Widerstände war er einer der Vorreiter der neuen Ostpolitik. Er sprach sich früh für eine Zwangsarbeiter-Entschädigung aus. Erst spät wurde bekannt, dass er während des Krieges in Polen Hunderten von verfolgten Juden das Leben gerettet hat - eine Tat, für die er in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern« geehrt wurde. Beitz' Leben ist geprägt von mutigem, entschiedenem und oft einsamem Handeln, ein Handeln, wie es nur eine große innere Freiheit möglich macht.

Joachim Käppner ist Redakteur und Autor bei der Süddeutschen Zeitung. Der promovierte Historiker veröffentlichte u.a. 'Erstarrte Erinnerung. Der Holocaust im Spiegel der DDR-Geschichtswissenschaft' (1999) und ist Herausgeber und Mitautor von 'Die letzten 50 Tage: 1945 - als der Krieg zu Ende ging' (2005) und 'Befreit, besetzt, geteilt. Deutschland 1945-1949' (2006). Im Berlin Verlag erschienen von ihm 'Die Familie der Generäle. Eine deutsche Geschichte' (2007) und 'Berthold Beitz' (2010). Joachim Käppner lebt in München.

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Leseprobe

 

Zur Einführung: In Jerusalem, 1990

Selbst an heißen Sommertagen bringt der leichte Wind noch etwas Kühlung rund um den Herzl-Berg. Hier im Westen Jerusalems liegt Yad Vashem, jene eindrucksvolle Stätte, in der das Volk der Juden all der Toten gedenkt, der sechs Millionen Ermordeten, der Shoah. Die hebräischen Worte Yad Vashem bedeuten »Denkmal (aber auch: Mahnmal, Hand) und Name«, abgeleitet aus einem Spruch des Propheten Jesaja aus dem Alten Testament: »Ihnen allen errichte ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals getilgt wird.«

Zu den Gästen, die sich am 7. Mai 1990 im »Hain der Gerechten« versammelt haben, gehört auch ein junger Mann aus New York. Robert Ziff wird in wenigen Jahren mit seinen beiden Brüdern Dirk und Daniel eines der erfolgreichsten Investmentunternehmen der USA leiten, aber jetzt steckt er mitten in den Uni-Prüfungen. Er hat es gerade noch rechtzeitig vom Flughafen nach Jerusalem geschafft, und beim Abflug in den USA hatte er nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten, dem Sicherheitspersonal der El Al darzulegen, warum er für genau 14 Stunden nach Jerusalem fliegen wolle. Robert Ziff soll am nächsten Tag in New York sein Examen ablegen. Aber diese Stunde im Hain der Gerechten will er nicht versäumen.

Denn der hochgewachsene, trotz der Sonne in einen eleganten dunklen Anzug gekleidete Mann, der ganz vorn steht und dem diese Feierstunde gewidmet sein wird, ist sein Großvater: Berthold Beitz. Yad Vashem gibt den Opfern einen Namen und ein Denkmal, ihnen und jenen, die geholfen haben in einer Zeit, in der so viele Hilfe suchten und das so oft vergeblich. Einer dieser Helfer der Verfolgten war Berthold Beitz.

Die Ehrung ist Israels höchste Auszeichnung für Nichtjuden, eine Geste des Dankes und der Anerkennung. Beitz wirkt gefasst. Was in ihm vorgeht, kann man anfangs nur ahnen. Aber das bleibt nicht so. Vor der Zeremonie hat ihn Israels Staatspräsident Chaim Herzog empfangen und mit Handschlag begrüßt. In Yad Vashem sinken Beitz alte Frauen in die Arme und weinen, sie drücken ihm Zettel in die Hand: »Lieber Herr Beitz, zur Erinnerung an meinen Vater Markus Kleiner und Ihre Freundschaft mit ihm.« Er begegnet Menschen wieder, die er Jahrzehnte nicht mehr gesehen hat. Und die ohne ihn längst tot wären. Und ihren Kindern und Enkeln, die es ohne ihn gar nicht geben würde.

Ganz hinten in der Gruppe steht Jerzy Rotenberg aus Haifa. Er spricht fließend Deutsch und Englisch und könnte, gleich vielen anderen, nach vorne kommen und Berthold Beitz fragen: Wissen Sie noch, damals? Als Sie mir den rettenden Ausweis gegeben haben? Aber er tut es nicht. Dabei ist alles wieder ganz nah, wie es war, damals, in Boryslaw. Jerzy Rotenberg, der damals Jurek hieß, war noch ein Junge, als Beitz ihn vor der SS rettete. Und jetzt ist er hier: »Ich wollte ihm danken, indem ich einfach nach Jerusalem gekommen bin. Es war nicht nötig, ihn anzusprechen.« Zu viele Menschen, zu viele Fragen, die auf Beitz einstürmen. Nach der Feier verlässt Rotenberg still den Hain und fährt nach Hause, zurück in die Gegenwart und sein Leben. Er weiß, wem er es verdankt.

Der Berthold Beitz, den die drei Ziff-Brüder aus den Essen-Besuchen ihrer Kindheit kannten, war der mächtige Lenker des Krupp-Konzerns, aber auch der Großvater, der aussah wie ein Schauspieler, eine gewaltige Sammlung von Jazzplatten besaß, abends aus dem Dienstwagen stieg und noch im Anzug und feinen Schuhen mit den Enkeln Fußball spielte. »A pretty cool guy« sei dieser Großvater für sie gewesen, sagt Dirk Ziff, ein ziemlich cooler Typ. Aber diese eine, für sein Leben so prägende Geschichte kannten sie nicht: Beitz hatte in den Jahren 1942 bis 1944 Hunderte von Verfolgten vor dem Holocaust gerettet. Und nun, in Israel, so sagt Beitz in seiner Ansprache, »erlebe ich eine der bewegendsten Stunden meines Lebens«.

So viele Jahre sind vergangen, fast ein halbes Jahrhundert, seit ein 28-jähriger Industriekaufmann auf dem Bahnhof der kleinen polnischen Stadt Boryslaw gestanden und mit bewaffneten SS-Männern um das Leben vieler Menschen gerungen hatte, inmitten apokalyptischer Szenen aus Befehlsgeschrei, dem Gebell der Wachhunde, dem Weinen der Kinder, den verzweifelten Schreien der Menschen, die in Viehwagen deportiert wurden, fort in den Tod. Er denkt an die junge Büroangestellte, die er mit ihrer Mutter aus einem Waggon holte, weil sie angeblich unabkömmlich für seinen Ölbetrieb war. Der SS-Mann, der ihn voll Widerwillen betrachtete, fuhr ihn an: »Und die Alte da? Sie muss wieder in den Waggon.« Beitz konnte nichts tun. Da sagte die Tochter, die eigentlich schon gerettet war, zu ihm: »Ist es erlaubt, Herr Direktor? Dann gehe ich auch zurück.« Er hat die beiden Frauen nie wiedergesehen. In Jerusalem erzählt er diese Geschichte als »erschütterndes Zeugnis hoher ethischer Gesinnung in barbarischer Zeit. Es wird mich ein Leben lang begleiten.« Und als Beitz diese Worte spricht, sehen ihn die Enkel erstmals weinen.

Umgeben von kleinen Mauern aus dem hellen Jerusalem-Stein stehen Johannisbrotbäume im »Hain der Gerechten«. Auch Berthold Beitz pflanzt 1990 einen Baum, sein Name wird fortan auf einer Tafel verewigt sein. 2008 wird seine Frau Else, die Vertraute und Verbündete der Rettungsaktionen, ebenfalls als »Gerechte unter den Völkern« ausgezeichnet.

So weht nun die leichte Brise im Tal der Erinnerung durch die Zweige von einigen hundert Bäumen, 476 sind es Anfang 2010. Je ein Baum für einen Namen – für Deutsche, die den Verfolgten geholfen haben. Für den Oberfeldwebel Albert Battel, der seine Soldaten sogar die Waffen auf die SS richten ließ, um die Deportation der Juden von Przemyśl zu verhindern. Für Major Eberhard Helmrich, der gar nicht weit von Boryslaw entfernt auf seinem Landgut jüdische Arbeiter vor den Mördern rettete, aus Berlin unterstützt von seiner Frau Donata.

So wenige Bäume. Und so viele wären es dagegen, wüchse auch irgendwo ein Baum für jeden, der am Holocaust beteiligt war, nicht nur als sadistischer Lagerkapo oder als Polizeireservist bei den Massenerschießungen, nein, auch als Buchhalter des Todes in der Zivilverwaltung, als Reichsbahner, der Deportationszüge nach sorgfältiger deutscher Beamtenmanier rollen ließ, als Wehrmachtssoldat, der in den Wäldern Weißrusslands dem Terrorapparat bei der Suche nach versteckten jüdischen Familienlagern half. Hunderttausende Deutsche waren unmittelbar am Genozid beteiligt, als Täter, Helfer, Profiteure. Und es gab überdies Millionen, die vieles wussten und doch nichts wissen wollten. Ein ganzer Wald wäre das, ein Wald aus Unmenschlichkeit.

Die Täter standen nicht allein, sondern dienten, ob aus Grausamkeit oder Gehorsam, einem mächtigen System, das fast ganz Europa unter seine Stiefel getreten hatte. Sie mussten nichts fürchten, außer vielleicht der Stimme des eigenen Gewissens. Allein standen dagegen Menschen wie Berthold Beitz, fassungslos über die Verbrechen und das aus den Fugen geratene Zeitalter. Beitz hatte keine andere Waffe gegen die Täter als die Kraft des eigenen Willens und die Freiheit des Geistes. »Wer diese Zeit nicht miterlebt hat, kann sich kaum ein Bild davon machen, in welcher Lebensgefahr Herr Beitz geschwebt hat.« Das schrieb, lange nach dem Krieg, Evelyn M. Martin aus den USA, als Evelyn Döring Beitz’ Sekretärin in Boryslaw.

Er hat sich seiner Rettungsaktionen später nie gerühmt. Sehr lange hat er kaum davon gesprochen. Die Menschen um ihn herum haben ihn aber auch nicht gefragt. Dass er damals so viele Juden gerettet hatte, wurde überhaupt erst 1973 über wenige Eingeweihte hinaus bekannt, als ihn Yad Vashem zum »Gerechten unter den Völkern« erklärte. Damals schrieb ihm Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein: »Berthold, Du hast nie darüber geredet. Das rechne ich Dir hoch an.« Beitz hatte geschwiegen. Viele Deutsche seiner Generation haben das auch getan, freilich aus ganz anderen Gründen. Manche haben sich geschämt, vielleicht. Viele andere haben, das ist gewiss, den Mord an den Juden vergessen und verdrängt oder den Angriffskrieg, die Massenmorde, den Holocaust als einen historischen Betriebsunfall hingestellt, an dem einige wenige Schuld trugen, keineswegs aber sie selbst.

Als die Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung im Februar 2008 ein Interview mit Berthold Beitz über seine Rettungstaten in Boryslaw abdruckte, lautete die Überschrift einfach: Freiheit. Große innere Freiheit ist es nämlich, die den Kern der Beitz’schen Persönlichkeit ausmacht. Er war innerlich frei genug, um sich dem Mordapparat entgegenzustellen. Nur wenige Menschen brachten einen solchen Willen auf, geschweige denn den Mut, die Kraft und die Fähigkeit, ihn durchzusetzen, wenn sich die Gelegenheit dafür bot. Was immer danach kam – Schwierigkeiten, Anfeindungen im Krupp-Konzern und durch die Politik, ökonomische Krisen –, er hatte Schlimmeres erlebt.

Berthold Beitz wurde zu einer der großen Persönlichkeiten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Als ihn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach 1953 zu seinem Generalbevollmächtigten machte, begann sein rascher Aufstieg. Vor ihm...

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