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Christophers Tod

Schwanger! Anna ist glücklich. Doch bei der Geburt treten Komplikationen auf ...

AutorAnna Hahn
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
ReiheErfahrungen und Schicksale ? Wahre Geschichten über Krankheit, Tod und Abschied 9
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783732558889
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR

Anna ist endlich schwanger. Der Tag, an dem sie davon erfährt, ist der glücklichste in ihrem Leben. Doch noch am selben Abend schleicht sich ein weiteres Gefühl in ihr Bewusstsein: beklemmende Angst. Was, wenn sie ihr Kind doch noch verlieren sollte? Und ihre mütterliche Intuition soll sie nicht trügen - bei der Geburt treten Komplikationen auf. Eine Fehlentscheidung des behandelnden Arztes besiegelt letztendlich das Schicksal des kleinen Christophers. Er kommt schwerstbehindert zur Welt und stirbt nach nur wenigen Monaten. Anna fällt daraufhin in ein tiefes Loch, doch sie kämpft sich nach und nach frei und fordert Gerechtigkeit für sich selbst und für ihren Sohn.

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Leseprobe

KAPITEL 1


Blicke ich heute zurück, so war der Tag, an dem meine Schwangerschaft festgestellt wurde, sicher der glücklichste in meinem Leben.

Was ich damals erfuhr, war eine neue, besondere Dimension von Glück – eine bis dahin beispiellose Freude, die aus tiefstem Inneren kam, gepaart mit euphorischer Aufregung. Das Natürlichste schlechthin begriff ich als das Wunder, das es war: In mir wuchs ein neuer Mensch heran – mein Kind.

Schon lange hatte ich mir ein Kind gewünscht. Doch ich war noch jung, und Studium und Beruf hatten zunächst Vorrang. Dann vergingen einige Monate der Ungeduld, des sehnsüchtigen Hoffens und der immer gleichen Enttäuschung, bis ich es lernte, meine Erwartungen zu zügeln.

Umso größer die Überwältigung, als ich – es war im Sommer 1986 – schließlich doch schwanger war.

Eine leichte Schmierblutung statt der eigentlichen Periode war das erste Zeichen. An einem Montagmorgen kämpfte ich mit mir. »Wenn ich jetzt zum Arzt gehe und dann doch nicht schwanger bin, kann ich meine Enttäuschung sicher nicht vor ihm verbergen«, dachte ich. Also machte ich zu Hause erst einmal einen Test aus der Apotheke.

Während der kurzen Wartezeit versuchte ich, nervös und fahrig wie ich war, mich abzulenken und auf ein negatives Ergebnis einzustellen. Endlich war es so weit. Meine Hände zitterten leicht, als ich tief durchatmend die Badezimmertür öffnete. Mit langem Hals riskierte ich einen ersten schnellen Blick auf das Resultat. Tatsächlich, es war positiv! Ein dunkelbrauner Ring hob sich deutlich vor hellgelbem Untergrund ab – der erste Beweis für die Existenz eines neuen Menschen.

Ich war schwanger!

Mein Herz pochte noch mehr als zuvor, ich vollführte einen Freudentanz, bei dem ich unsere miauend protestierende Katze ausgelassen auf einen Schrank setzte. Dann telefonierte ich mit meinem Gynäkologen. »Die meisten Schwangerschaftstests sind nicht hundertprozentig zuverlässig«, bremste er mich. »Wenn Sie ganz sicher sein wollen, kommen Sie gleich vorbei.« Noch nie war ich so schnell umgezogen, noch nie so rasant durch die Koblenzer Innenstadt gerast.

Ich war die letzte Patientin an diesem Vormittag, so nahm die Helferin mir sofort Blut für den Test ab. Im mittlerweile leeren Wartezimmer versuchte ich, meine Unruhe zu beherrschen, indem ich mich auf die Bilder an der Wand konzentrierte. Doch hätte ich keines hinterher beschreiben können. Nach einer kleinen Weile steckte die Helferin den Kopf durch die Tür und lächelte mir aufmunternd nickend entgegen: »Positiv!«

Wenige Minuten später wurde meine Freude bereits etwas gedämpft. Nachdem ich die Schmierblutung erwähnt hatte, empfahl mein Arzt: »Sie sollten sich drei Tage ins Bett legen. Nur damit wir auch bestimmt nichts verkehrt machen.« Bereits hier flackerte in mir zum ersten Mal, wenn auch nur für einen Augenblick, die Angst auf, mein Baby doch noch zu verlieren. Aber auf dem Heimweg breitete sich in mir dann glückselig die Erkenntnis aus, dass mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen war: Ich würde Mutter werden.

Zu Hause legte ich mich auf die Couch und wartete aufgeregt auf meinen Mann. Als Ulrich endlich durch die Tür trat, rief ich ihm die große Neuigkeit sofort freudestrahlend entgegen. »Dann freue ich mich für dich«, äußerte er langsam und sah vor sich hin sinnend zum Garten hinaus. Wieso wirkte sein Lächeln so verkniffen, erschien es mir so aufgesetzt?

Von diesem Augenblick an entwickelte sich, ohne dass es mir damals sofort bewusst gewesen wäre, das Leben in mir für mich zu meinem, nicht zu unserem Kind.

Meine freudige Erregung ließ mich an diesem Abend erst spät einschlafen. Sehr gut erinnere ich mich daran, dass ich die Hände auf meinen noch völlig flachen Bauch legte und klopfenden Herzens an das winzige Wesen in mir dachte. Und bereits an jenem ersten Abend durchfuhr mich ohne Übertreibung plötzlich wieder die Angst, dieses Kind nicht behalten zu dürfen. »Wenn es nun zu einer Fehlgeburt kommt?«, quälte es mich. Mit aller Gewalt versuchte ich solch negative Gedanken zu verdrängen. Denn eines wurde mir genauso schlagartig klar: Ich wollte nicht irgendein Kind, sondern genau dieses eine. Doch die Angst hatte sich in mir festgesetzt. Eine schlimme Vorahnung war geweckt und sollte mich bis zum Ende der Schwangerschaft nie mehr verlassen.

Heute weiß ich, dass es sie gibt, die mütterliche Intuition, und dass sie meist richtig ist.

Von Anfang an stand meine Schwangerschaft unter einem schlechten Stern. So waren bereits die ersten drei Monate der Auftakt von vielen harten Belastungsproben, von denen ich damals nur noch nicht wusste, wie weit sie sich steigern würden.

Jedes Mal, wenn ich mich nach einigen Tagen des Liegens für ein paar Stunden normal bewegte, setzten, wenn auch nur tröpfchenweise, wieder Blutungen ein. Schließlich verordnete mein Arzt durchgehende Bettruhe bis zum Ende der zwölften Woche. Dass ich in meinem Mutterpass als Risikoschwangere ausgewiesen war, erschien mir als Makel, vergleichbar mit einem Mangelhaft in Betragen in der Schule. Ich hatte nur ein Ziel: mein Kind über diese ersten zwölf Wochen zu retten und eine Fehlgeburt zu verhindern. So folgte ich gewissenhaft den Anweisungen und blieb liegen. Wir sagten sogar unsere geplante Urlaubsreise ab.

Aber all dies machte mir nichts aus, ich tat es ja für mein Wunschkind.

Was mich viel mehr aus der Fassung brachte, waren die sich in dieser Situation entwickelnden oder zuspitzenden Eheprobleme. Mir kam es so vor, als lernte ich meinen Mann von einer ganz neuen Wesensseite kennen, als entdeckte ich ausgerechnet jetzt, wo ich so sehr auf ihn angewiesen war, ein immerhin dominantes Merkmal seines Charakters: seine geringe Belastbarkeit.

Besondere Ansprüche stellte ich sicher nicht, doch Ulrich war einfach mit allem überfordert. Er arbeitete als Altphilologe in leitender Position an einem Studienseminar. Als solcher gehörte er zu den begnadeten Menschen, die in den Genuss von sechs Wochen Sommerferien kommen.

Selbst in dieser Zeit schaffte er es nicht, mich auch nur dreimal täglich mit einer Mahlzeit zu versorgen. Bis dato hatte er im Haushalt nie einen Handgriff zu tun brauchen. Am liebsten ließ er sich sogar noch seine Butterbrote von mir streichen und das Obst schälen und schneiden. Er war absolut unbeholfen. Tragisch daran war, dass er das Ganze nicht mit dem nötigen Humor tragen konnte.

In der Küche hörte ich ihn buchstäblich stöhnen und jammern. Allein die Aufgabe, nach meinen Anweisungen aus Fertig- und Tiefkühlgerichten einen Mittagsimbiss zu bereiten, endete nahezu immer im Chaos. Geschirr fiel klirrend zu Boden, er fluchte über … diese unorganisierte Küche …, brachte mir nach unendlich langer Zeit etwas kaum Genießbares – schimpfend, er wäre überfordert.

Mir verging das Lachen. Denn hatte ich bisher das Gefühl gehabt, seine bestehende Neigung zum Alkohol in gewissem Rahmen steuern zu können, so gipfelten seine Bemühungen jetzt darin, dass er bereits mittags und immer größere Mengen trank.

Es war ein heißer Sommer, wir hätten ganze Tage gemeinsam im schattigen Garten verbringen können. Doch war Ulrich offensichtlich zu beansprucht, mir eine Liege aus dem Keller hinaufzutragen, nahm sich für mich persönlich nie Zeit. Er meinte es nicht eigentlich böse, er hatte vielmehr tatsächlich das Gefühl, unter Stress zu stehen.

Was er den ganzen Tag über genau trieb, blieb mir unklar. Wenn er nicht schlief, hörte ich ihn zuerst in seinem Arbeitszimmer, dann im Keller poltern und sortieren, zwischendurch irgendwo staubsaugen, die meiste Zeit dieses Scheißhaus fluchend treppauf, treppab laufen. Einmal schaffte er, als sei dies momentan das Vordringlichste, meine vielen Trockenblumensträuße zum Mülleimer. »Diese Staubfänger wären wir los«, kommentierte er seine Aktion.

Ich versuchte über den Zustand unseres Hauses und noch viel mehr über sein ununterbrochenes Geschimpfe hinwegzusehen und mich nicht aufzuregen, was mir schwerfiel, da ich die meiste Zeit an mein Zimmer gefesselt allein verbrachte und mich wie in Einzelhaft fühlte.

Aus dieser Zwangslage heraus baten wir meine Schwiegermutter, jeden zweiten Tag zu kommen, um vorzukochen und nach dem Haushalt zu sehen. Solange sie dabei war, spielte Ulrich – soweit er konnte – den treu sorgenden Ehemann. Solange nahm er sich zusammen. Er tat seiner Mutter leid – war er doch so belastet. Noch heute würde sie nicht glauben, wie er sich aufführte, kaum dass wir wieder allein waren.

Eigentlich wollte Ulrich in diesen Ferien seine Doktorarbeit zu Ende schreiben. Dass es ihm nicht gelang, war natürlich meine Schuld, da er mich ja versorgen musste. Seine Sicht der Dinge führte oft zu abendlichen Streitereien. Nach gebrüllten Vorwürfen wie Ich kann mich wegen dieses Kindes nicht aufreiben! Ich habe hier die älteren Rechte! war ich entsetzt und aufgewühlt und verbrachte manche schlaflose Nacht.

In diesen nicht enden wollenden Stunden steigerte sich meine Furcht, mein Kind zu verlieren, ins Unermessliche. Würden nicht gerade die ständigen Auseinandersetzungen und Aufregungen eine Fehlgeburt verursachen? Ich lag wach und betete, betete für mein Kind: »Lieber Gott,lass es mich bitte nur behalten!«

Zum Nervenbündel geworden, hakte ich Woche für Woche ab, noch drei, dann zwei, schließlich noch eine. Dann hatte ich es geschafft!

Ich war im vierten Monat und unbeschreiblich erleichtert, endlich aus dieser inzwischen unerträglich gewordenen...

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