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Das Theater in der Filmrolle. Wie sich der Film theatrale Mittel zu Nutze macht

Wie sich der Film theatrale Mittel zu Nutze macht

AutorBogdan Büchner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783638744706
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Theaterwissenschaft, Tanz, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München, 145 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit widmet sich den theatralen Einflüssen im Film anhand dreier Filmbeispiele. Während der erste Teil der Arbeit eine kategorisierte Trennlinie der Medien Film und Theater vornimmt, erfolgt im zweiten Teil die beispielhafte Analyse anhand Baz Luhrmanns 'Moulin Rouge', Takeshi Kitanos 'Dolls' und Lars von Triers 'Dogville'. Gutachten des Professors: 'Dem Verfasser ist zu bescheinigen, dass Besseres und Kompetenteres zum Thema lange Zeit nicht zu lesen war.'

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Leseprobe

II. Auf- und Abgänge


 

1. Kitano: DOLLS


 

„Früher habe ich geglaubt, mit Gewalt alles zu erreichen“[120], sagt Hiro, ein in die Jahre gekommener Yakuza zu einem seiner Bodygards in Kitanos Dolls. Der Film ist zu diesem Zeitpunkt schon fortgeschritten und der Yakuza ahnt, dass ihn die Gewalt bald erreichen wird. In seinem Satz verbirgt sich jedoch nicht nur die kritische Introspektive, sondern auch ein Selbstbekenntnis des Regisseurs. Ob in seinen früheren Arbeiten Violent Cop oder Boiling Point, in Sonatine oder später in Brother, Kitano hat die Erscheinungsformen der Gewalt erkundet. Er hat Schießereien, Messerstechereien und Schlägereien vom narrativen Zierrat und von den Beschleunigungsformeln des Actionkinos befreit und dabei immer wieder das Eruptive mit dem Statischen einer starren Kamera, versteinerten Gesichtern oder unbeweglichen Köpfen kontrastiert. Dolls beschreitet vergleichbare und doch ganz andere Wege, als die der früheren Arbeiten des Autors, Regisseurs, Malers und Fernsehproduzenten aus Japan. Vergleichbare Wege insofern, weil das Spielerische und das Unentrinnbare entscheidende Faktoren des Filmes sind, ganz andere, da Kitano die sichtbare Gewalt auf ein Minimum reduziert.

 

Alle Episoden handeln von der Liebe bis zum Tod, inspiriert von den klassischen Stoffen des japanischen Puppentheaters. Es sind drei Erzählungen von Liebesverrat und vergeblicher Liebeshingabe, endend in Verzweiflung, Wahnsinn und Selbstzerstörung. Im Mittelpunkt der Haupthandlung steht ein junger Geschäftsmann, der halb gedrängt durch seine Eltern, halb opportunistisch und karrierebewußt seine Verlobte verstößt, um die Tochter seines Chefs zu heiraten. Als er unmittelbar vor der Hochzeit erfährt, dass die Verstoßene einen Selbstmordversuch nur knapp überlebt hat und verrückt geworden ist, eilt er zu ihr. Sie erkennt ihn nicht mehr und so nimmt er sie auf eine lange, einsame Odyssee durch die Nachtwelt der vier Jahreszeiten. Mit einem roten Seidenseil verbunden, durchwandern die beiden fernab jeglicher materieller Welt den Kirschblütenfrühling, den Meeresrauschensommer, den flammenden Herbstwald, und das schneebedeckte eisige Gebirge. Während Matsumoto und Sawako, die Hauptprotagonisten,  die ganze Wegstrecke von Dolls abschreiten, begegnen sie zufällig, ohne sie wahrzunehmen, den anderen Hauptfiguren des Films. Das Mädchen Hanura Yamaguchi sitzt mit einem verbundenen Auge am Strand. Sie war früher Popstar, nach einem Verkehrsunfall zog sie sich aus der Welt zurück. Nur Nukui hält an seiner Verehrung für sie fest und an dem Traum, sein Idol einmal zu treffen. Nur als Blinder darf er dem entstellten Mädchen unter die Augen treten. Die dritte Geschichte handelt von dem alten Yakuza Hiro, der noch einmal einen Ort aufsucht, an dem er als junger Mann eine große Liebesgeschichte erlebt und zerstört hat. Die junge Frau von damals kehrt auch nach dreißig Jahren immer wieder samstags zu der Parkbank zurück, auf der sie damals von ihrem Geliebten zurückgelassen wurde.

 

Diese Geschichten spiegeln im Ergebnis eine Aura der Fatalität wider, die sich durch die Jahreszeiten trägt und bei aller Farbenpracht der Natur die Idee von Vergänglichkeit zugrunde legt. Die Unentrinnbarkeit der Schicksale wird schließlich durch die Verschachtelung der Erzählebenen besiegelt, bei der die Charaktere sich selbst in jüngeren Jahren begegnen und nichts mehr widerrufen können. In der Organisation des bitter-melancholischen Stimmungsbildes setzt Kitano auf gestufte Bedeutungsebenen. Anstatt die Handlungsstränge einfach parallel zu schalten, offenbart er klare Hierarchien, die seiner Haupterzählung stets ihren ge-bührenden Raum lassen. Ohnehin funktioniert seine emotionale Dramaturgie unabhängig von der Erzählung der Haupt- und Nebenstränge. Vielmehr ist es die Abfolge der Farben und der sensible Rhythmus der Bewegungen, die sich allmählich zu dem intensiven Bild verdichten, das vom diesem Film zurückbleiben wird. So betrachtet gibt es in Dolls keine dramaturgische Entwicklung im klassischen Sinne, nur ein minutiöses Ausmalen eines Zustandes, der die tragische Abhängigkeit illustriert, die den einen Teil in den Tod, den anderen Teil, mit einer emotionalisierten Natur konfrontiert, in die Fürsorge treibt.

 

Bereits dieser Prolog zeigt also, dass Kitanos Dolls aus rezeptionsästhetischer Sicht, im Umgang mit Gewaltdarstellung und in der narrativen Komposition nicht nach den konventionellen Mustern filmischer Manuale zu analysieren ist. Untersucht werden sollen an dieser Stelle jedoch nicht die genannten Kategorien, sondern vielmehr der Einfluss des traditionellen japanischen Theaters auf Kitanos Dolls. Die Untersuchung soll sich so weit wie nur möglich an den etablierten Kategorien des vorangestellten Kapitels orientieren.

 

1.1. Das Bunraku Puppenspiel


 

Anders als das europäische Kino suchen japanische Filmemacher immer wieder die Nähe zu den traditionellen Theaterformen, die dann jedoch in völlig neuen Kontexten wiederkehren. So wie sich Seijun Suzuki selbst in seinen populären Gangsterfilmen die Flächigkeit des Kabukitheaters zu Nutze machte, bezieht sich Kitano direkt auf das traditionelle Puppentheater, das Bunraku.

 

Das Interessante am Bunraku Theater ist, dass Erzähler, Musiker und Marionettenführer alle auf der Bühne zu sehen sind. Meine verstorbene Großmutter war eine berühmte Musikerin. Sie spielte ihr Instrument, die traditionelle Shamisen, während sie uns Enkeln Bunraku Geschichten erzählte. Diese Kunstform ist also ein Teil meiner Kindheit, meines Lebens. Doch es war ungemein schwer, für die theatralische Bunraku Tradition, eine filmische Form zu finden. Das Prinzip von Dolls beruht auf einer Umkehrung der Bühnensituation. Es geht um die Vorstellung, dass die Geschichte von Theaterpuppen erfunden und erzählt wird. Und dass die Menschen dabei wie Marionetten benutzt werden. Die Leinwand sollte also letztlich wie eine Bühne wirken, auf der die Menschenpuppen auftreten.[121]

 

In Japan reicht die Tradition des Bunraku bis in das 16. Jahrhundert zurück und wird noch heute von einem breiten Publikum angenommen.[122] Dabei hat das Figurentheater Japans einen ganz ähnlichen Ausgangspunkt und Hintergrund wie das europäische, da es bis zum Mittelalter in den Spielformen mit Handpuppen, Bauchladenbühnen und Marionetten vor allem der Volksbelustigung auf der Straße diente.[123] Im 16. Jahrhundert kamen jedoch in Japan zunehmend erweiterte Spielformen und neue dramatische Inhalte hinzu. In der Folge kristallisierten sich vor allem beim Bunraku-Theater drei wesentliche künstlerische Elemente heraus: die Musik, das Drama und das Puppenspiel. Signifikant für das bürgerliche Figuren- und Schauspielertheater Japans ist trotz der unterschiedlichen Spielformen der gleiche Ursprung der Dramaturgien und Stücke. Das Repertoire des Bunraku-Theaters ist in dieser Hinsicht in zwei Gruppen eingeteilt, in Geschichtsdramen (Jidaimono) und in bürgerliche Tragödien (Sewamono).[124] Die Geschichtsdramen selbst untergliedern sich in drei weitere Gruppen: in Stücke mit Sujets aus alten Epen, in Königsdramen und in die Dramen der Samurai Sippen. Im Kontrapunkt dazu thematisieren die Sewamono meistens aktuelle Geschehnisse der bürgerlichen Gesellschaft. In der Regel waren die Zuschauer meist detailliert über die inszenierten Ereignisse informiert, so dass es bei den Tragödien nicht schwer war, das breite Interesse des bürgerlichen Publikums auf diese Weise zu wecken.[125] Die Dramaturgie folgt dabei einem für Europäer nicht unbekannten Muster. Der Autor spannt einen großen emotionalen Bogen der psychologischen Wandlung der Hauptfiguren und verwickelt dabei den Zuschauer in eine empfindsame Einfühlung. Das Grundthema der Aufführung war stets so allgemein, dass es im Publikum jeden betraf. In der Regel stand das strenge, aber als sozial gerecht empfundene Pflichtgefühl dem Bedürfnis nach Individualität gegenüber.[126]

 

Die theatrale Komponente des Bunraku umfasst ein kunstvoll, äußerst differenziertes Puppenspiel wie auch aufwendige bühnentechnische Mittel. Die Spieltechnik reicht dabei auf eine Tradition zurück, die bereits im Mittelalter in Europa, Indien und China bekannt war.[127] Aber in Gegensatz zu diesen Ländern war man in Japan darum bemüht, die bis dahin erreichten Puppenspielformen künstlerisch noch weiter zu entwickeln. In der Folge strebte das Bunraku eine Fiktion des Realismus an, wie sie bisher nur Schauspielertheater erreicht hatten. So verzichtet es grundsätzlich auf konventionelle Puppen, die anhand von Fäden bewegt werden können und ersetzt diese durch halblebensgroße Figuren, deren Mechanismus viel ausgefeilter ist als bei ihren mechanisch konstruierten europäischen Verwandten. In diesem Zusammenhang wurde im Jahr 1735 von dem Puppenhandspieler Yoshida Bungoro die Drei-Mann-Führungstechnik erfunden, das heißt, geführt werden die Marionetten gleichzeitig von drei Spielern, die dem Blick des Publikums nicht verborgen sind und eine selbstlose Dienstbarkeit offenbaren. Der Hauptfigurenführer betätigt mit der linken Hand den Kopf der Figur, wobei er auch den Mund, die Augen und Augenbraunen bewegen kann. Mit seiner rechten Hand führt er die rechte Hand der Figur. Der zweite Führer...

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