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Die Aufstände von Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika und die Kolonialkritik im Kaiserreich

AutorJan Jansen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783638282383
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,3, Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Geschichtswissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit den Aufständen von Herero und Nama in 'Deutsch-Südwestafrika' begann 1904 der längste Krieg, den das Kaiserreich gegen indigene Bevölkerungsgruppen seiner Kolonien führte. Bis 1907 wurden 14.000 Soldaten in das Gebiet des heutigen Namibia geschickt, von denen knapp 2.350 getötet, vermisst oder verwundet wurden. Erklärtes Ziel der Militärführung war über Monate die 'Vernichtung' der Afrikaner. Männer und Frauen, Kinder und Alte sollten erschossen oder in die Wüste getrieben werden und dort den Tod durch Verdursten erleiden. Tausende wurden in Lagern interniert und starben infolge von katastrophalen Haftbedingungen, Zwangsarbeit und Prügel. Auf Seiten der Herero und Nama kamen zwischen 30.000 und 75.000 Menschen zu Tode - weit mehr als die Hälfte, eventuell sogar zwei Drittel der Bevölkerung. Ihre 'Stammesverbände' wurden nach dem Ende der Kämpfe aufgelöst, der Besitz an Land und Vieh enteignet. Die Überlebenden wurden zu nahezu rechtlosen Arbeitskräften degradiert, die umfassend kontrolliert und jederzeit verfügbar sein sollten. Der Kolonialkrieg markierte damit eine tiefe Zäsur in der Entwicklung des Landes. Zur deutschen Kolonialvergangenheit in Namibia und besonders auch zum Krieg gegen Herero und Nama ist eine Fülle von Literatur verfügbar. Nahezu einhellig und mit überzeugenden Argumenten wird die Kriegsführung gegen die Afrikaner heute als Genozid qualifiziert. Weitgehend unbeachtet blieb aber bisher die Frage, inwiefern Kriegsführung und Kolonisationsmethoden in 'Südwestafrika' seinerzeit im Deutschen Reich kritisch diskutiert wurden. Die vorliegende Arbeit schließt diese Lücke. Sie skizziert zunächst die Ereignisse in der Kolonie auf der Basis des aktuellen Forschungsstands. Im Hauptteil beschreibt und analysiert sie ausführlich die Rezeption des Kriegs durch die kolonialkritischen Parteien SPD und Zentrum, widmet sich ihren Zielen und Argumentationen, ihren Strategien und Erfolgen in Bezug auf den Konflikt. Die öffentliche Anteilnahme war immens! Es wird deutlich, wie die heftigen Kontroversen über die Aufstände und ihre Bekämpfung einerseits zu einer Reform der offiziellen Kolonialpolitik, andererseits zu folgeschweren innenpolitischen Kräfteverschiebungen führten.

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Leseprobe

I. Einleitung


 

Die deutsche Kolonialgeschichte, im Bewusstsein der bundesdeutschen Öffentlichkeit eigentlich kaum verankert, erfährt dieser Tage eine besondere Aufmerksamkeit in der Medienberichterstattung: Hundert Jahre sind vergangen, seitdem im Januar 1904 mit den Angriffen der Herero auf deutsche Kolonisten der längste Kolonialkrieg begann, den das Kaiserreich gegen indigene Bevölkerungsgruppen seiner Territorien in Übersee führte[1]. Über 14.000 Soldaten wurden bis Ende 1906 in das Gebiet des heutigen Namibia, der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, geschickt. Die „Vernichtung“ der gegnerischen „Stämme“[2] war dabei monatelang die erklärte Zielsetzung der deutschen Militärführung[3]. Die Herero waren nach den Gefechten am Waterberg im August 1904 militärisch geschlagen, der Großteil der Überlebenden war in die Wüste Omaheke an der Ostgrenze der Kolonie geflohen[4]. General Lothar von Trotha, der Oberbefehlshaber der deutschen Kampfverbände, verfügte die Abriegelung der Wüste, damit die Herero dort zu Tode kommen sollten. Im Oktober erließ er seine berühmt-berüchtigte Proklamation, mit der er den Angehörigen dieser Ethnie jegliches Lebensrecht innerhalb der Grenzen Deutsch-Südwestafrikas absprach. „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen“[5]. Dieser Erlass wurde zwar aus strategischen Erwägungen zwei Monate später durch kaiserliche Weisung zurückgenommen, faktisch wurde die Vernichtungsstrategie gegen die Afrikaner jedoch fortgeführt[6]. Sogenannte „Konzentrationslager“ wurden im ganzen Land errichtet, in denen Tausende Gefangene durch die katastrophalen Haftbedingungen und die Härte der zu leistenden Zwangsarbeit zu Tode kamen[7]. Im Oktober 1904 hatten auch die Nama im Süden der Kolonie den Kampf gegen die Deutschen begonnen. Gegen ihre Guerillastrategie hatten die zeitgenössisch als „Schutztruppen“ bezeichneten Militärabteilungen noch größere Probleme als zuvor gegen die Herero. Zuletzt standen einige Tausend deutsche Soldaten nur wenigen Hundert Nama gegenüber. Erst am 31. März 1907 wurde der Kriegszustand offiziell aufgehoben, wobei vereinzelte Kämpfe in den Randregionen der Kolonie noch länger andauerten. Zu „Kaisers Geburtstag“ am 27. Januar 1908 wurden die letzten überlebenden Herero und Nama aus der Kriegsgefangenschaft entlassen[8].

 

Auf Seiten der deutschen Truppen gab es knapp 2.350 Tote, Vermisste und Verwundete[9]; die Gesamtkosten des Kolonialkriegs beliefen sich auf ca. 600 Millionen Mark[10]. Über die Anzahl der Opfer auf Seiten der Afrikaner lassen sich keine genauen Angaben machen, da die Schätzungen zu ihrer Bevölkerungsstärke vor dem Kolonialkrieg zum Teil erheblich auseinandergehen[11]. Doch auch unter Einbezug dieser Schwankungen ist „davon auszugehen, daß weit mehr als die Hälfte, eventuell sogar zwei Drittel der Herero, Orlam und Nama dem Krieg, der Verfolgung und der Gefangenschaft zum Opfer fielen. Je nach angenommener eingeborener Bevölkerungsstärke dürften demnach zwischen 30.000 und 75.000 Eingeborene umgekommen sein“[12]. Während die afrikanischen Gegner in ihrem Kampf gegen die Deutschen Frauen, Kinder, Missionare und Angehöriger anderer europäischer Nationalitäten weitgehend verschonten, richtete sich die deutsche Kriegsführung gegen die gesamte Herero- und Nama-Bevölkerung[13]. Die „Stammesverbände“ wurden infolge der Aufstände aufgelöst, ihr Besitz an Land und Vieh wurde enteignet. Die überlebenden Herero und Nama wurden zu nahezu rechtlosen Arbeitskräften degradiert, die umfassend kontrolliert werden und jederzeit verfügbar sein sollten[14]. Der Krieg von 1904 bis 1908 bildete damit eine tiefe Zäsur in der Entwicklung der Kolonie.

 

Im Großteil der Forschungsliteratur zum Thema wird das deutsche Vorgehen gegen die aufständischen Afrikaner als der erste von Deutschen verübte Genozid qualifiziert[15]. Auf dieser Einschätzung beruht auch die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Bank und zwei weitere Firmen, mit welcher der Herero-Chief Riruako und weitere Herero seit 2001 in den USA zwei Milliarden Dollar Entschädigung für ihre Ethnie erstreiten wollen[16]. In Anlehnung an die Prozesse um die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter wurden die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Kaiserreichs, die deutschen Unternehmen als Hauptprofiteure wegen Völkermord und Zwangsarbeit verklagt. Bundesaußenminister Joschka Fischer entschuldigte sich zwar auf der UN-Antirassismuskonferenz in Durban erstmalig für geschehenes Unrecht; eine finanzielle Entschädigung lehnt die Bundesregierung jedoch ebenso wie die beklagten Unternehmen ab[17].

 

Die Ereignisse in Deutsch-Südwestafrika, ihre Ursachen und Konsequenzen vor Ort können als relativ detailliert und umfassend dargestellt und erforscht gelten[18]. Gerade in den letzten Jahren hat die Anzahl der Monographien und Aufsätze zum Thema weiter zugenommen; im Zusammenhang mit den jüngst verstrichenen und demnächst anstehenden Jahrestagen ist mit weiteren Veröffentlichungen zu rechnen[19]. Die vorliegende Arbeit richtet ihren Blick auf einen Aspekt, der bisher jedoch weitgehend vernachlässigt wurde. Sie widmet sich den Diskussionen, die im Deutschen Reich über die Aufstände und deren Niederschlagung stattgefunden haben, genauer: sie fragt nach den politischen Kräften, die sich seinerzeit kritisch zur deutschen Vorgehensweise gegen Herero und Nama positioniert haben.

 

Im Reichstag wurde von einigen Abgeordneten scharfe Kritik an den bisherigen Methoden der Kolonisation und an der Militärstrategie gegen die afrikanischen Gegner formuliert. Insbesondere Sozialdemokraten traten über den gesamten Zeitraum des Konflikts als Ankläger der deutschen Kolonialherrschaft und Kriegsführung in Erscheinung. Die linksliberalen Parteien setzten sich zunächst ebenfalls für die Belange der indigenen Bevölkerung ein, schwenkten aber im Verlauf der Kämpfe auf Regierungslinie ein. Umgekehrt verlief die Entwicklung beim Zentrum: Die Partei des politischen Katholizismus hatte seit den 1890er Jahren die Regierung auch im Bereich der Kolonialpolitik unterstützt. Unter dem Eindruck der Ereignisse seit den Aufständen von Herero und Nama positionierte sie sich zunehmend kritischer und lehnte schließlich – zumindest was ihre Außendarstellung angeht – die bisherige Kolonialpolitik insgesamt als fehlgeleitet und kontraproduktiv ab. Der Kolonialkrieg im heutigen Namibia war nicht das einzige Problem, das seinerzeit auf Missstände der bisherigen Herrschaftspraxis in Übersee verwies: Der Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika und die Unruhen in Kamerun im gleichen Zeitraum führten allgemein zu der Wahrnehmung, dass das deutsche Kolonialreich in seiner bisher schwersten Krise steckte[20]. Zwei Mal wurde der Kolonialdirektor ausgewechselt; im Dezember 1906 wurde der Reichstag im Zusammenhang mit Kontroversen über die Kriegsführung in Deutsch-Südwestafrika aufgelöst. Bei den sogenannten „Hottentottenwahlen“ Anfang 1907 waren die Aufstände von Herero und Nama und die Kolonialpolitik insgesamt zentrale Wahlkampfthemen[21]. SPD und Zentrumspartei wurden scharf für ihre kritische Haltung zur Kriegsführung in Deutsch-Südwestafrika angegriffen, und der Wahlausgang zog wesentliche innenpolitische Kräfteverschiebungen nach sich. Die Sozialdemokraten verloren fast die Hälfte ihrer Reichstagsmandate. Das Zentrum konnte die Zahl seiner Abgeordneten zwar um fünf erhöhen, sah sich jedoch fortan von der Zusammenarbeit mit der Regierung ausgeschlossen. Die Linksliberalen waren hingegen gestärkt und lieferten seit der Wahl gemeinsam mit Nationalliberalen und Konservativen parlamentarische Mehrheiten für Reichskanzler Bülow („Bülow-Block“). Bernhard Dernburg, seit September 1906 Kolonialdirektor im Auswärtigen Amt, wurde im Mai 1907 leitender Staatssekretär des neugeschaffenen Reichskolonialamtes. Er gilt als der Reformer der deutschen Kolonialpolitik – er setzte zahlreiche Änderungen durch, die insbesondere vom Zentrum wiederholt eingefordert worden waren[22].

 

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Rezeption der Aufstände von Herero und Nama und die diesbezügliche Argumentation von Seiten der SPD und der Zentrumspartei. Die linksliberalen Parteien werden außen vor gelassen – eine Analyse der Implikationen und Dimensionen ihres Positionswechsels zugunsten der Regierungspolitik würde den Rahmen der Arbeit sprengen[23]. Mit Eugen Richter verstarb 1906 eine linksliberale Führungspersönlichkeit, die als Garant einer kolonialkritischen Haltung anzusehen war. Mit den National-Sozialen um Friedrich Naumann hielten Kräfte bei den Linksliberalen Einzug, welche eine deutsche Kolonialpolitik ausdrücklich befürworteten. Die Annäherung an Bülow trug zudem einem verstärkten Verlangen nach Zusammenarbeit der liberalen Parteien Rechnung. Der kolonialpolitische Positionswechsel wirkte hier eher als Katalysator zugunsten einer innenpolitischen Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen und der Regierung[24]. Da während des Wahlkampfes von 1906/07 insbesondere die SPD...

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