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E-Book

Dornröschentage

Wachgeküsst von meinem Hund

AutorSilke Kuwatsch
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl260 Seiten
ISBN9783752875812
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
'Dies ist kein Märchen. Ich bin nicht Dornröschen, und Bellina ist kein Prinz. Und doch hat sie mich wachgeküsst.' Bellina legt keinen Wert auf Agility oder einen formvollendeten Körper. Ein Rollstuhl ist ein Rollstuhl und Langsamkeit sowieso der Sinn allen Seins. Das Leben muss schön sein. Nicht perfekt. Neben der kleinen Havaneserhündin darf Silke sein wie sie ist. Und findet, wonach sie gar nicht gesucht hat. Silke Kuwatsch erzählt lebendig und humorvoll eine Geschichte von inniger Nähe, vom Wachsen, Erinnern und Lachen, von Mut und Verwandlung und all den kleinen Dingen, die glücklich machen. Wunderschön geschrieben. Eine Liebeserklärung an die Umgebung und deinen Hund. Danke. (Eine Leserin)

Silke Kuwatsch, geb. 1968, erkrankt mit 13 Jahren an Muskeldystrophie. Als körperlich immer weniger möglich ist, wird das Schreiben zum Hobby. 2006 veröffentlichte sie ihren ersten Roman 'Donnerstags am Riesenrad', 2011 folgte 'bitterSCHÖN. Ein Tagebuch'. 2012 zieht Bellina, eine Havaneserin, ein, wird Spiegel und Seelengefährtin und Protagonistin des dritten Buches.

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Leseprobe

Schlummern


In der Idee leben heißt, das Unmögliche behandeln als wäre es möglich.
J. W. von Goethe

Ich habe Lebensliebeskummer. Weil ich nicht kann, was ich will. Besser gesagt: ich darf nicht. Nitzsche meinte, alle Hindernisse und Schwierigkeiten seien Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen, und vermutlich hat er recht, doch mir fehlen gerade Strategien, um über mich hinaus zu klettern.

Hinterm offenen Fenster segeln Federwolken vorbei. Im Haus ist es still, selbst das Radio schweigt. Mir steht nicht der Sinn nach Musik, nicht mal nach leiser. Manche Leute sprechen von Depression, weil ich jede freie Minute hier oben verbringe, auf meinem Bett. Vielleicht denken sie, ich wäre im Meistern gescheitert. Sollen sie. Ich liege auf meinem Bett, wohlgemerkt. Nicht drin. Und fühle mich wohl mit meinen Gedanken und Büchern und der Sonne, die mir ein bisschen schräg auf den Bauch scheint. Ich bin nur traurig. Und will das genießen. Ich mag die Traurigkeit. Sie ist eine Freundin, mit der ich Rücken an Rücken sitzen und ausruhen kann. Leben darf mal stillstehen. Durchatmen. Besinnen. Erinnern. Das braucht man. Sich erinnern, wo man eigentlich hinwill. Es ziept im Bauch. Da ist sie wieder. Die Sehnsucht.

Ich will einen Hund!

Keine Fische.

Fische sind doof. Ich meine das nicht diskriminierend. Fische sind wunderbar, wenn man abschalten will. Will ich aber nicht. Ich will den Motor wieder zum Laufen bringen. Endlich wieder raus in die Natur. Sehen, wie die Sonne aufgeht, irgendwo zwischen den Feldern. Es ist so lange her …

Ich lege das Buch beiseite, in dem ich noch kein einziges Wort gelesen habe. Nage gedankenverloren an meinem Zeigefinger. Dem linken. Sonnenlicht fällt schräg ins Zimmer, kopiert das Muster der Gardinen an die Wände. In der Ferne geht eine Sirene.

Wer wird mich retten? So etwas zu denken, klingt doch irgendwie nach Depression. Oder? Aber ich habe Appetit und schlafe nachts wie ein Stein und ziehe mir auch nicht die Decke über den Kopf, um alles zu beweinen, was verloren ist. Obwohl ich Grund dazu hätte mit dieser Mörderin im Leib, die nicht nur Muskeln, sondern auch Träume tötet. Mutter sein. Kindern professionell auf die Welt helfen. Den Jakobsweg gehen. Mit vollem Anlauf ins Meer springen. In dicken Stiefeln durch tiefen Schnee stapfen. Keine Hoffnung auf Erfüllung. Und die Sonnenaufgänge? Der Hund, der mich zum Spazieren einlädt?

Ein Hund, der immer da ist. Der kein Mitleid hat, nur Hunger nach Würstchen und Leben. Für den ich sorgen darf wie für das Kind, das ich nie hatte. Dieser Traum muss leben. Sonst krepiere ich. So tief innen drin. Doch alle sind dagegen. Jedenfalls alle, die dafür sein sollten. Ich kann mir denken, warum. So ein Hund ist ein Wirbelwind und kann eine wie mich schnell von den Beinen holen. Verdammt schnell. Darum sorgt sich der Mann an meiner Seite. Und meine Eltern auch. Man bleibt immer Kind seiner Eltern, selbst mit Mitte Vierzig. Und erst recht, wenn man ein Kind mit Muskelschwund ist.

Wie soll das gehen mit einem Hund? Sie sagen es nicht. Aber ich denke, dass sie es denken. Ich habe keine Ahnung, wie es gehen soll. Da ist nur die Gewissheit, dass ein Hund Anker sein kann in einer Welt, in der ich verloren treibe.

In meinem elften Sommer lief ich im Ferienlager zum Weitsprung an und meine Beine waren schwer wie Blei. Ich gab den Turnschuhen die Schuld, die unglaublich trendy, aber eine gute Nummer zu groß waren. Sie schienen bei jedem Schritt auf dem Boden zu kleben.

Ich sah die anderen grinsen. Ich schämte mich. Ich schämte mich, als ich im Jahr darauf immer wieder hinfiel. Weil ich auf ein Steinchen trat oder mein Knie einbrach, einfach so. Ich schämte mich, als ich zum Treppensteigen plötzlich ein Geländer brauchte.

Mit dreizehn die Diagnose Muskelschwund. Unheilbar, sagte der Arzt. Fortschreitend. Ich, die Anführerin aller kindlichen Fang-mich-Spiele, hockte plötzlich im Sportunterricht auf der Bank. Das Fahrrad blieb im Keller. Die Proben auf Mutters Stöckelschuhen für den großen Jugendweiheauftritt wurden aus Sicherheitsgründen eingestellt. Diskos mied ich, um mir die Blamage eines Tanzflächensturzes zu ersparen. Und ich verspürte wenig Lust, meinen Freunden beim Volleyballspiel am Badestrand zuzuschauen, weil Sehnsucht ziemlich weh tun kann.

Da begann das Anderssein.

Diese Muskeldystrophie, die mit vollem Namen fazio-skapulo-humerale Muskeldystrophie heißt und die man kurz FSHD ruft, ist eigentlich keine Tragödie. Wäre da nicht diese Distanz, die ich durch sie spüre. Selbst mittendrin.

Nach einer Woche Schulprojekt, in der ich mit meinen Mädels geredet, gemalt und gebastelt hatte wie alle anderen Frauen mit ihren Gruppen, sagte die Lehrerin zum offiziellen Abschluss: »Danke, dass Sie bei diesem Projekt dabei waren, so konnten die Kinder sehen, dass auch Menschen im Rollstuhl normale Dinge tun.« Ihre Augen strahlten. Ich war nicht sauer auf sie, obwohl ich fand, sie hätte sich diese Sätze verkneifen können. Sie hatte es gutgemeint und vermutlich nicht mal gemerkt, dass mich ihre Worte in eine Anderswelt beamten. Zumindest in den Köpfen der anderen lebte ich dort. Ich begehrte nicht auf. Im Grunde fühle ich es nämlich ganz ähnlich. Die anderen tanzen, ich sitze am Tisch. Sie reden von Kindern, ich schweige. Ich habe noch nie beim Yoga auf einem Bein gestanden. Bei Konzerten muss ich auf die Rollitribüne, meine Freunde stehen davor. Sie benutzen Hauptportale, um ins Musicaltheater zu gelangen, ich Seiteneingänge. Im Café kann ich nicht aufs Klo und am Fernsehturm steht neben dem Verbotsschild für Hunde eins für Menschen im Rollstuhl. Allein das ist ein Pro für den Hund. Wir wären in gegenseitiger bester Gesellschaft.

Es macht einsam, die Dinge nicht mehr wie gewöhnlich tun zu können. Oder in Gesellschaft das Gefühl zu haben, ein Ausländer mit geringsten Sprachkenntnissen zu sein, nichts anderes beitragen zu können als ein Nicken, ein Lächeln. Ich habe versucht, über all das zu reden. Doch wenn man die eigenen Gefühle als verwundet beschreibt, läuft man Gefahr, die der anderen zu verletzen. Ich will kein Täter sein. Aber auch kein Opfer.

Und nun?

Ich bin aus der Balance geraten. Und will sie wiederfinden. So wie dieses dicke Stehaufmännchen, das ich als Kind so geliebt habe. Es hat immer seine Mitte gefunden, mit dem immer gleichen fröhlichen Grinsen im Gesicht, so oft ich ihm auch den Kopf auf die Tischplatte gedrückt habe. Wenn ein Hund mich anstupst, werde ich …

Tatsächlich?

Ja. Ich weiß es.

Ich weiß aber auch, dass ich und der Hund es allein nicht schaffen können. Außerdem kann man sich keinen Hund ins Haus holen, wenn der Mann, mit dem man sein Leben teilt, maximal Fische toleriert.

Der Sommer steht in voller Blüte. Alle sind unterwegs. Mit dem Rad. Dem Motorrad. Den Füßen. Oder schwimmen in irgendeinem See. Ich stelle mir vor, mit einem Hund durch die Felder zu streifen. Ich schließe die Augen, bevor der Himmel vor ihnen verschwimmt. Um mein Bett ist eine Dornröschenhecke gewachsen.

Im Licht der aufgehenden Sonne putzt sich ein kleiner Vogel auf der Stromleitung, die sich vom Nachbarhaus über unseren Vorgarten zur anderen Straßenseite spannt. Ab und an hält er inne und zwitschert vergnügt.

Ich verschränke die Arme hinter dem Kopf und beobachte ihn. Froh, dass nichts und niemand mich zum Aufstehen drängt. Seit zwei Jahren gehe ich nur noch mittwochs ins Büro. Und heute ist Montag. Andere finden Heimarbeit schrecklich, man wird meschugge, sagen sie, so allein in den eigenen vier Wänden. Mir gefällt es, zu Hause zu arbeiten. Um andere Gesichter zu sehen, brauche ich keine Dienststelle. Um zwölf bin ich mit Kordula zum chinesischen Essen verabredet. Nächsten Montag kommt Silke zum Frühstück. Oma habe ich Samstag zum Kaffeeklatsch eingeladen. Dann gibt es noch die festen Termine: zweimal wöchentlich Physiotherapie mit Katja, einmal Ergotherapie mit Frau G., mittwochs Freundinnentratsch, immer abends halb acht. Dienstags ist Elterntag, dann frühstücken wir zusammen. Manchmal gibt es Sekt.

Der kleine Vogel vorm Fenster breitet die Flügel aus und fliegt davon. Ich sollte mich auch auf den Weg machen, denke ich. Nicht ins Bad, das hat Zeit. Ich muss lernen, meinen Rollstuhl zu beherrschen. Als Fußgänger komme ich gerade noch allein über den Hof. Und einen Hund kann man ja schlecht am Außenspiegel eines Autos spazierenführen.

Ich habe mich lange geweigert, einen Rollstuhl zu benutzen. Ein Rollstuhl ist ein Schreckgespenst. Bloß nicht im Rollstuhl, dann lieber tot. Dabei kann so ein Ding ziemlich nützlich sein. Wenn man als Fußgänger ständig nach unten schauen muss, um sich von fiesen Unebenheiten nicht hinterrücks zu Boden schmeißen zu lassen, man keinen Hügel mehr schafft und nur noch kurze Strecken schlurfen kann, bietet ein Rollstuhl Sorglosigkeit, Schutz und eine Menge Freiheit. Doof ist, dass man in so einer Kiste nicht an Stehtischen essen kann. Aber das war nie mein größtes Problem.

Ich habe Schiss, das Laufen zu verlernen, wenn ich mich an die Bequemlichkeit des Sitzens...

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