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E-Book

In dunkler Zeit

als Soldat im Zweiten Weltkrieg

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl544 Seiten
ISBN9783741243776
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Rudolf Dünnebeil wird 1942 mit 17 Jahren in den Krieg eingezogen. An sich unsportlich, dafür jedoch umso mehr musisch interessiert, muss er sich der Realität des Krieges stellen. In Briefen an seine Mutter beschreibt er teils realistisch, teils ironisch-humorvoll seine Situation. Erstaunlich ist, wie er sich in dieser dunklen Zeit seinen Sinn für das Schöne bewahren kann. So entsteht in seinen Briefen eine Mischung aus Verzweiflung, Angst, Poesie und Hoffnung, die es dem Leser ermöglicht, in seine Gedanken- und Erlebniswelt mit einzutauchen. Im Herbst 1944 gerät er schließlich in sowjetische Kriegsgefangenschaft, die bis zum Frühjahr 1948 andauert. Er gilt als verschollen und hat erst nach etwa einem Jahr die Möglichkeit, sich wieder in unregelmäßigen Abständen bei seiner Familie zu melden. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Den ersten Teil bildet ein Bericht Rudolf Dünnebeils aus dem Jahr 2002, in welchem er seine Erinnerungen in Episoden reflektiert. Im zweiten Teil hat sein Sohn Alexander die Briefe aus dem Krieg und aus der Gefangenschaft zusammengestellt und mit Fußnoten kommentiert. Rudolf Dünnebeil überlebt, nicht als gebrochener Mensch, aber als jemand, der Zeit seines Lebens von seinen Erinnerungen geprägt sein wird.

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Leseprobe

Nach Osten


Kurz vor unserem Transport von Südfrankreich zur Ostfront im Sommer 1943 bekam ich zwischen zwei Zehen eine Art Entzündung, bei der die Haut tief einriss; vielleicht war es ein Fußpilz.

Als wir schon Polen durchquerten, wurden wir in Cholm (heute Chełm) ärztlich betreut, wo es nötig war. Man behielt mich dort und steckte mich ins Lazarett. Ich genoss die Ruhezeit und ließ mich pflegen. – Schon wieder eine willkommene Unterbrechung! – Ein paar Wochen gingen dahin. Die meisten Insassen waren Verwundete von der Front.

Ein älterer Sani dort hatte den Beinamen „Die Ziege“. Er ging, wenn er abkömmlich war, von Raum zu Raum und hatte ein festes Unterhaltungsprogramm auf Lager. Dann sagte er seine Sprüchlein auf:

„Die Ziege – alle“ (also wir): „Die Ziege“;

„Die Ziege hat ein Fell“ (wir): „Die Ziege hat ein Fell“.

Er: „Die Ziege hat nicht nur ein Fell, sondern eine Befelligung zur Bedeckigung der Beleibigung.“

Und so in vielseitiger Variation:

…hat nicht nur einen Schwanz, sondern eine Beschwänzigung zur Bewedligung der Befliegigung.

…hat nicht nur einen Euter, sondern eine Beeutrigung zur Bemilchigung der Bejungigung.

…hat nicht nur Augen, sondern eine Beaugigung zur Betrachtigung der Umgebigung.

…hat nicht nur ein Maul, sondern eine Bemauligung zur Berupfigung der Begrasigung.

…hat nicht nur Hörner, sondern eine Behörnigung zur Bestoßigung der Konkurrenzigung.

…kann nicht nur meckern, sondern hat eine Bemeckrigung zur Beschalligung der Umgebigung.

Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Er unterhielt uns und wir genossen seine Humorigung.

Hier lernte ich zum ersten Mal Homosexuelle kennen, mit denen ich als junger Bursche bis dahin noch keine Umgangserfahrungen hatte. Da die Entlassung noch nicht fällig war, machte ich ein bisschen Beschäftigungsdienst bei der Poststelle. Ein älterer freundlicher Soldat, der dort offensichtlich einen Dauerposten bekleidete, hatte wohl Gefallen an mir gefunden. Seine Hand fuhr häufig liebevoll unter meine Jacke und streichelte meinen Rücken, während ich Post sortierte. Ich ließ es geschehen und dachte dabei hoffend, dadurch meinen Marsch zur Front vielleicht etwas hinausschieben zu können. – Vorher, als ich auch schon im Gelände herumstreifen konnte, begegnete ich einem Soldaten, der ehedem Offizier war, wie er mir erzählte, und nun degradiert in meinem Stand sich befand. Den Grund seiner Degradierung nannte er nicht. Ich begriff ihn jedoch später. – Als wir beide fast nackt in der Sonne lagen, begehrte er mich einzuölen. Er tat es zart und liebevoll. Da wurde mir seine Veranlagung bewusst. Wir freundeten uns an, und er ölte mich wiederholt gerne ein. Ich musste ihm stets den gleichen Dienst erweisen, was er wohl sehr genoss. Weiter wagte er sich nicht vor, da er wohl merkte, dass ich mich recht passiv verhielt.

Nach diesem Lazarettaufenthalt kam ich in eine „Genesungskompanie“ nach Krasnystaw nahe Lublin und hatte plötzlich einen Anspruch auf Heimaturlaub. Davor musste ich noch wenige Wochen etwas Partisanenschutzdienst auf einem Gut dicht südlich von Lublin verrichten. Wir waren sechs Leute mit einem Unteroffizier. Tagsüber genossen wir unser Dasein, gingen baden im Dorfteich, begleitet von einigen Dorfjungen, die sich jedes Mal bekreuzigten, ehe sie ins Wasser hopsten, oder machten einen Gang nach Lublin in eine Kneipe, in der wir für unser gutes Geld Getränke jeder Art bekamen. – Nachts saßen wir auf einem Balkon und hatten den Gutshof zu beäugen. Das geschah in zweistündiger Ablösung, indem dann immer der Nachfolger zu wecken war. – Öfter passierte es, dass ich in der Morgendämmerung mit der Flinte zwischen den Knien sitzend aufwachte. Der Unteroffizier hatte einen guten Schlaf und bemerkte nie etwas.

Den Urlaub verbrachte ich in Berlin bei meiner Mutter. Nach der Anordnung mussten Urlauber auch in der Heimat stets Uniform tragen. – Ein alter Schulkamerad, Ruthard Schindler20, der uns schräg gegenüber wohnte, hatte zufällig auch Urlaub. Er war bei der Station Peenemünde (V-Waffen-Entwicklung) beschäftigt.21 Wir feierten unser Wiedersehen – auch, dass wir beide noch lebten – und erlebten einen Bombenangriff auf Berlin in seiner Wohnung. Als es zu arg wurde, und die Fensterscheiben in seine Räume flogen, gingen wir zum Keller hinunter, in dem sonst schon die ganze Hausbewohnerschaft saß.22

 

Klassenfoto von 1940, siehe auch die folgende Seite

rückseitige Beschriftung des Klassenfotos
Rudolf ist die Nr. 6, Ruthard Schindler die Nr. 14

In diesen Tagen besuchte ich auch unsere alte Schule, natürlich in Uniform. Alle Lehrer freuten sich, dass es mich noch gab und teilten mir auch mit, welche unserer Klassenkameraden schon gefallen waren. Es waren mehrere gute Freunde darunter.

Meine Mutter bekam von unserem Kaufmann (Lindner! – heute „Butter-Lindner“ in ganz Berlin!) zwei Flaschen Rotwein unter dem Ladentisch zugesteckt. Aber ich mochte das Zeug nicht trinken: In Frankreich hatten wir so viel billigen Rotwein von den Bauern, dass wir ihn kaum mehr herunterwürgen konnten – nur noch als Glühwein (mit Süßstofftabletten).

Nach 14 Tagen war der Urlaub (eigentlich „Genesungsurlaub“) beendet, und ich hatte mich in Schwerin / Mecklenburg bei der „Ersatzeinheit“ zu melden. Von dort hatte ich noch einmal „zustehenden“ Urlaub (Heimaturlaub), den ich in Ratzeburg verbrachte, um meinen Vater Siegfried kennenzulernen, mit dem ich seit meiner Soldatenzeit schon in Briefwechsel stand, und der dort bei seinen Eltern, meinen Großeltern, wohnte. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut.23

Danach ging es wieder nach Schwerin (Kaserne) zum Truppenübungsplatz Hammerstein, von wo aus Transporte zur Ostfront zusammengestellt wurden.

Typische Kasernenszene: Ich stand mit einem anderen mitten auf einer Treppe. Es näherte sich ein älterer Soldat, wohl frisch rekrutiert und in der Grundausbildung. „Ich bitte Herrn Oberkanonier, vorbeigehen zu dürfen!“ – Das ist mir passiert! An der Front hätte das einen Lachanfall erzeugt!

Als zusammengewürfelter Haufen verschiedener Waffengattungen fuhren wir in Güterwaggons zusammengepfercht dorthin. Das dauerte zwei Wochen. Irgendwo in Russland (Ukraine) wurden wir ausgeladen und zu Truppenteilen eingeteilt. Ich hatte Glück und kam wieder zur Artillerie. Dann ging es an die Front. Zufällig traf ich an meinem Geburtstag, 7. November, bei meinem Haufen ein. Nun ging auch für mich der Krieg los.

Angenehmerweise hatten wir bis zum bitteren Ende hier leichtere Geschütze – leichte Feldhaubitze mit Kaliber 10,5 Zentimeter, und die Granaten wogen nur etwa 15 Kilo (leFH 18/40)24.

Doch ich hatte bald wieder Glück: Nach einigen Wochen, in denen wir in den Dörfern – bei freundlicher Bevölkerung – auch mal ein Schweinchen schlachteten oder ein paar Hühner, die uns die Einwohner gerne gaben, da auf unseren Rückzügen umgehend bald die Russen erwartet wurden, bekam ich Gelbsucht (Hepatitis epidemica – jetzt „Hepatitis A“25 genannt) und wurde vom Abteilungsarzt Dr. Hirschnitz ins Lazarett geschickt.

Nachtrag: Bei einer der regelmäßigen Untersuchungen auf Tripper empfing uns Dr. Hirschnitz mit dem Spruch: „Die Gonokokke sitzt und lauscht, wie der Urin vorüberrauscht.“26

Gelbsucht war in Russland sehr verbreitet und eine überaus beliebte Krankheit, da man für einige Zeit aus dem Kriegsverkehr gezogen wurde und einer schmerzfreien Genesung entgegensehen konnte. Was war ich doch für ein Glückspilz! Mehrere Blessuren in Frankreich, dann Lazarett in Cholm – und nun dies! Erholungspause hinter der Front! Dabei keine Schmerzen, nur eine langweilige Diät (fett- und alkoholfrei).

So landete ich mit einem Krankentransport in Rybniza (Bessarabien) am Mittellauf des Dnjestr.

Unsere Stationsschwester war die Tochter von Freiherr von Papen, damals Diplomat und Außenminister, Isabella von Papen. Ihr Vater wurde im Nürnberger Prozess (1945/46) in der Hauptverhandlung freigesprochen.27 Ende der 90er Jahre sah ich die alte Dame in einer zeitgeschichtlichen Sendung und freute mich, dass auch sie alles so gut überstanden hatte. Sie war damals bei uns allen sehr beliebt.

Nach einiger Zeit machte ich mich nützlich auf der Station und maß Fieber und Puls. – Eines Tages war „großer Besuch“ angemeldet, irgend so ein Generalarzt, der prüfen sollte, ob die Patienten auch wieder rechtzeitig an die Front geschickt würden, um dem Führer beim Endsieg zu helfen. Einer in unserem Gelbsüchtigen-Zimmer – wir waren dort 25 Mann in Doppelbetten – war medizinisch vorgebildet und wusste, wie man die Blutsenkungen, denen wir wöchentlich mehrfach unterzogen wurden, noch recht hoch halten konnte. – Also besorgten wir uns durch einen Boten, der in die Stadt gehen konnte, eine große Menge Rotwein von der rumänischen Bevölkerung und...

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