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E-Book

Ein Bariton für alle Fälle

Vom Blindflug zum Höhenflug. Aufgezeichnet von Michaela Brenneis

AutorClemens Unterreiner, Michaela Brenneis
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783903083134
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
»Wenn es Mut braucht, sich ohne zu zögern in Abenteuer zu stürzen und nicht lange über Konsequenzen nachzudenken, dann gehöre ich vielleicht zu den Mutigen«, schmunzelt Bariton Clemens Unterreiner. Der Solist der Wiener Staatsoper erzählt charmant und humorvoll von seinem alles andere als geradlinigen Weg zum Sängerberuf - von einer plötzlichen Erblindung in der Kindheit über fehlgeschlagene Aufnahmeprüfungen, seinem Debüt an der Staatsoper mit nur einem Wort bis hin zur Rettung einer Premiere ohne Proben. Amüsante Anekdoten aus dem Opernbetrieb und hilfreiche Tipps für junge Sänger haben in diesem Buch ebenso Platz wie ein kritischer Blick auf den Sängeralltag. Und wir erfahren, warum man sich am besten in der Dusche einsingt, wie man an einem Abend mehrere Rollen gleichzeitig singt und wieso Anna Netrebko bei Bettszenen gerne scherzt. Mit zahlreichen Fotos aus dem Privatarchiv des Sängers

Clemens Unterreiner, geboren und aufgewachsen in Wien sowie in Budapest und der Steiermark. Gesangsausbildung in Wien, seit 2005 Solist und festes Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper. Internationale Karriere mit zahlreichen Opernengagements, Konzerten und Liederabenden im In- und Ausland. Michaela Brenneis, geboren in Salzburg, ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Kulturpolitik. Postgraduale Ausbildung in Kulturmanagement. Nach Tätigkeiten bei den Salzburger Festspielen sowie an der Wiener Staatsoper arbeitet sie seit 2006 bei den Wiener Philharmonikern.

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Leseprobe

Privatunterricht bei Rudolf Holtenau


Meine Eltern haben gemerkt, dass ich trotz aller Tiefschläge bei den künstlerischen Versuchen auch mit meinem Jus-Studium unglücklich war, und sie verstanden mein Gefühl, es körperlich nicht zu schaffen. Es gab so viel zu lernen, so viel zu lesen – und die Paragrafenflut erdrückte mich. Wie ich mich fühlte, kann man leicht nachvollziehen, wenn man sich vorstellt, dass man für eine Vorlesung oder eine Prüfung ein Buch lesen muss, das vielleicht 800 Seiten Gesetzestext enthält, einem aber aufgrund einer Augenkrankheit nach 20 gelesenen Seiten alle Buchstaben verschwimmen, man Kopfweh bekommt und eine Pause machen muss. Auf diese Art und Weise ein Studium zu absolvieren, ist kaum möglich.

Ich beschloss, es noch einmal mit der künstlerischen Laufbahn zu versuchen. Über Kontakte, die ich schon reichlich in der Sängerszene geknüpft hatte, lernte ich Professor Rudolf Holtenau kennen, und er wurde mein Lehrer.

Holtenau! Nach Rössel-Majdan ein weiterer großer Name, der mir Ehrfurcht einflößte. Holtenau hatte eine beachtliche internationale Karriere hinter sich, er war an allen wichtigen Opernhäusern zu Gast. Als Heldenbariton sang er alle großen Rollen des deutschen Fachs, etwa Hans Sachs, Holländer oder Amfortas, aber auch große italienische Rollen wie den Macbeth oder Falstaff. Ich schätzte Holtenau als großes stimmliches Vorbild, aber ich hatte auch konkrete Erwartungen an ihn und wusste, was ich brauchte und fordern wollte.

Der Einstand mit ihm war ein guter – er beschied mir: »Ich glaube an dich, du hast gutes Material, du brauchst nur jemanden, der dich anleitet.« Damit hatte er genau erfasst, was mir in meinem ersten Versuch mit privatem Unterricht gefehlt hatte, und es begann vielversprechend.

Holtenaus Unterricht war hart, streng und – ganz im Gegensatz zu Rössel-Majdan – auf die Technik fokussiert. »Technik«, dozierte mein Lehrer, »ist das Rüstzeug des Sängers. Ohne Technik hilft das tiefgründigste Wissen über eine Rolle nichts – der Auftritt kann nur schlecht werden.« Technik und Praxis, Praxis und Technik, so lautete das Mantra, und ich bin heute noch überzeugt, dass das genau der richtige Zugang zum Sängerberuf ist. Angehenden jungen Sängern kann ich nur raten: Lernt die Technik. Auf der Bühne müsst ihr keinen Vortrag über die Rolle halten, ihr müsst sie singen können.

Holtenau hatte verstanden, dass ich möglichst schnell möglichst viel aufzuholen hatte. Für ein Gesangsstudium war ich eigentlich schon »spät« dran, dennoch führte er mich behutsam, und ich kam mit großen Schritten voran. Es war ihm wichtig, meine Stimme weiterzuentwickeln, und er brachte mich dazu – kontrolliert und vorsichtig –, über meine Grenzen hinauszugehen. Ich musste mich mindestens eine halbe Stunde einsingen, und dann sang ich bereits als Gesangsschüler große und schwere Arien aus Rigoletto oder Macbeth, und es passierte nicht nur ein Mal, dass ich heiser aus der Gesangsstunde nach Hause kam.

Die Angst vieler junger Sänger, die eigene Stimme zu früh zu überfordern, ist zwar berechtigt, aber es ist hier die Aufgabe eines verantwortungsvollen und erfahrenen Lehrers, die Entwicklung des Schülers nicht stagnieren zu lassen und ihn an Grenzen heran- und darüber hinaus zu führen. Holtenaus Unterricht nahm mir sehr früh die Angst vor großen Rollen, davon profitiere ich heute noch. Es war ein sehr gutes Verhältnis, und ich wurde einer seiner liebsten Schüler.

Ich machte enorme Fortschritte und eine ganz wichtige Erfahrung, die mich nicht nur künstlerisch, sondern in meiner ganzen Persönlichkeit wachsen ließ: Man muss erkennen, wenn es vorbei ist. So gut mir der Unterricht bei Professor Holtenau tat, irgendwann war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich das Gefühl hatte, in meiner stimmlichen Entwicklung zu stagnieren. Er hatte mit seiner Methodik – singen, singen, singen! – das Maximum vorangebracht, aber ich merkte, dass ich nun auf der Stelle trat und etwas »Neues« brauchte. Ich lernte bei ihm kein Piano, keinen Liedgesang und hatte den Eindruck, dass meine Stimme sich zwar gut, aber auch sehr eindimensional entwickelt hatte. Ich wollte mehr Farbe in meiner Stimme, ich wollte weiterkommen – und dazu brauchte ich offenbar einen anderen Lehrer.

Ich musste nun als selbstbewusster Jungsänger an meinen Lehrer herantreten und ihm meine Unzufriedenheit mitteilen und erklären. Ich versuchte, ihm mein Gefühl zu schildern, doch er wischte alle meine Bedenken vom Tisch und meinte: »Ich kenne dich besser als du dich selbst.«

Mir das zu sagen, war nicht gut. Ich war kein dummer Schulbub, den man so abkanzeln konnte, und ich ließ mir das auch nicht gefallen. Durch meine Blindheit hatte ich gelernt, tief nach innen in meine Seele zu schauen, besser, als jeder andere das konnte. Niemand kannte mich besser als ich mich selbst, auch nicht ein großartiger Lehrer wie Holtenau. Ich hatte enorm von ihm profitiert, jetzt jedoch waren wir am Ende unseres gemeinsamen Weges angekommen. Ich antwortete ihm: »Würden Sie mich wirklich so gut kennen, wie Sie behaupten, hätten Sie genau diesen Satz nicht gesagt.«

Ich spürte, dass es Zeit war, neue Wege zu gehen, und nach einem kurzen Wortgefecht verließ ich Holtenau; es war meine letzte Gesangsstunde bei ihm gewesen. Für mich war es eine schwierige Situation. Ich spürte, dass ich Veränderung brauchte, gleichzeitig aber fiel es mir zunächst schwer, mich aufzulehnen. Ich hatte Bedenken: von Holtenau wegzugehen, könnte ein Fehler sein und ich könnte mir, was meinen Gesang betraf, mein eigenes Grab schaufeln. Diese Unsicherheit schlug sich auf meine Stimme. In der Auseinandersetzung mit Holtenau zitterte ich, meine Stimme war weich und ohne Kraft. Dennoch musste ich durchhalten. Schlussendlich war diese Konfrontation mit meinem Lehrer für mich ein Lernprozess – ich lernte, mich gegenüber Respektspersonen zu behaupten, mich zu wehren, meine Meinung zu sagen und dazu zu stehen.

Erste öffentliche Rede als stolzer Laudator im Bundeskanzleramt in Wien

War ich zuvor noch Holtenaus Lieblingsschüler und durfte ich bei der Verleihung seines Professorentitels im Bundeskanzleramt sogar die Laudatio halten, kann er mir meinen späteren Abschied bis heute nicht verzeihen. Wir haben uns seither nicht mehr wiedergesehen, und meine Versuche, nach Jahren wieder Kontakt aufzunehmen, wurden abgeblockt. Schade, aber leider wahr.

Nach Rössel-Majdan und Holtenau gab es noch andere Lehrer, die wichtig für mein Vorankommen waren und an die ich gerne zurückdenke. Allen voran Kammersänger Gottfried Hornik, der nach Holtenau mein Lehrer war und mir jene Dinge beibrachte, die ich so vermisst hatte: Eine ausgefeiltere Technik, endlich Piano und auch Liedgesang standen am Lehrplan. Ich spürte, wie meine Stimme facettenreicher wurde. Hornik animierte mich dazu, auf die Suche nach Engagements zu gehen. Frau Professor Helena Lazarska schließlich, eine ausgezeichnete polnischstämmige Gesangspädagogin, half mir, meine Atemtechnik zu verbessern, und brachte mir Legato und eine schöne, verbindende Phrasierung bei.

Wegweiser gefunden … Mit meinem stimmlichen Vorbild Kammersänger Bernd Weikl nach dem Meisterkurs im Schloss Ebreichsdorf

Gesangsunterricht ist in jeder Phase der Karriere wichtig, auch jetzt habe ich einen Gesangslehrer. Er ist ein toller Bariton der alten Schule, ideal für mich, singt das gleiche Fach wie ich und kennt daher alle meine Rollen aus eigener Erfahrung. Er lehrt mich, mit dem ganzen Körper zu singen, und begleitet mich selbst in schwere Rollen. Telramund und Escamillo habe ich mit ihm erarbeitet. Ich habe ihn schon als Stehplatzler bewundert und seine Karriere als Zuhörer noch selbst miterlebt – schön, jetzt sein Schüler und Fachkollege zu sein. Und wer es ist? Wie gesagt, wer der aktuelle Lehrer ist, verrät man nicht …

Zu einem Zeitpunkt, als ich längst die Laufbahn als Sänger eingeschlagen hatte und die Zeit der Unentschlossenheit – Jurist oder Sänger? – schon hinter mich gebracht hatte, hörte ich einmal ein Künstlergespräch mit Christian Thielemann. Ich war damals Vizepräsident des Richard-Wagner-Verbands in Wien und wir hatten den Dirigenten aus Berlin zum Gespräch eingeladen. Thielemann ist für mich nicht nur ein großartiger Dirigent, sondern auch ein Vollblutmusiker, der Musik nicht nur hört und interpretiert, sondern der am Pult richtig aufgeht in den Werken. Man möchte also meinen, Thielemanns beruflicher Weg müsste eigentlich vorgezeichnet gewesen sein – umso mehr überraschte es mich, in diesem Interview zu hören, dass es in Wahrheit nicht so gewesen ist. Auch der große Thielemann hatte eine Zeit, in der er überlegte, ob er einen künstlerischen oder doch lieber einen »Brotberuf« ergreifen sollte. Er fand zu der Überzeugung, dass man auf jeden Fall zuerst den künstlerischen Weg...

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