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E-Book

Eine kurze Geschichte der Trunkenheit

Der Homo alcoholicus von der Steinzeit bis heute

AutorMark Forsyth
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783608115833
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Kenntnisreich und berauschend witzig beschreibt Mark Forsyth in seiner feuchtfröhlichen Kulturgeschichte des Betrunkenseins, warum wir evolutionär danach streben, dem Alkohol zuzusprechen. Seriös und voller Enthusiasmus berichtet er von alten Ägyptern mit Schlagseite, Weintrinkern im antiken Griechenland und sternhagelvollen Wikingern, die wie uns ihre Liebe zum Alkohol einte. Was mit angeschickerten Einzellern in der Ursuppe begann, setzte sich historisch in der immerwährenden menschlichen Tendenz fest, lieber häufiger als seltener zu tief ins Glas zu schauen. Zu jeder Zeit, an jedem Ort der Welt hat eine jede Kultur sich dem alkoholischen Rausch ergeben oder ihn - zweifelsohne erfolglos - bekämpft. Trunkenheit war und ist eine Anhäufung von Widersprüchen, die mal Streit, mal Frieden stiftet. Für die Perser eine Voraussetzung zur politischen Debatte, war sie für die alten Griechen ein Mittel zur Selbstdisziplinierung und im antiken Ägypten Bedingung für spirituelle Ekstase und Erleuchtung. Sich einen zu genehmigen kann religiöse oder sexuelle Gründe haben, es kann Könige stürzen und Bauern erheben. Höchst informativ und amüsant beschreibt Mark Forsyth, womit sich die Menschen zuschütteten, wer einen über den Durst trank und warum - aus den zahllosen möglichen Gründen - die Menschheit bis heute nicht vom Alkohol loskommt. Dies ist, im besten Sinne, die Geschichte der angesäuselten Welt.

Mark Forsyth, 1977 in London geboren, studierte Literatur und Linguistik an der University of Oxford. Sein besonderes Interesse gilt der Semantik und Worten, die in der Alltagssprache nicht mehr verwendet werden. In seinem Blog »The Inky Fool« teilt er seit 2009 seine Liebe zur Sprache. Er lebt in London.

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Leseprobe

Einführung


Leider weiß ich überhaupt nicht, was Trunkenheit ist. Das mag für jemanden, der eine Geschichte eben dieser Trunkenheit schreiben will, ein merkwürdiges Geständnis sein, aber mal ganz ehrlich: Wenn sich Autoren durch Kleinigkeiten wie etwa Unkenntnis vom Schreiben abhalten lassen würden, wären die Buchhandlungen leer. Ich würde aber sagen, dass ich zumindest grob weiß, worum es geht. Seit dem zarten Alter von vierzehn Jahren habe ich ausgiebige empirische Studien zur Trunkenheit betrieben. In vielerlei Hinsicht sehe ich mich daher in der Nachfolge des heiligen Augustinus, der philosophiert hat: »Was ist die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es. Wenn ich es einem erklären will, der danach fragt, weiß ich es nicht.« Man ersetze Zeit durch Trunkenheit, dann versteht man in etwa meine heiligenmäßige Situation.

Ich kenne die grundlegenden medizinischen Fakten. Ein paar Gin Tonics beeinträchtigen deine Reflexe. Ein Dutzend oder mehr bringen dich in erneuten Kontakt mit deinem Mittagessen und erschweren dir das Aufstehen. Eine ungewisse Anzahl, deren Präzisierung ich aber nicht leisten möchte, bedeutet deinen Tod. Nur handelt es sich dabei nicht um das, was unserem Wissen nach die Trunkenheit (im Sinne des Augustinus) ist. Wenn ein Außerirdischer an die Tür klopfen und fragen würde, warum die Menschen auf diesem eigenartigen Planeten Alkohol trinken, wäre meine Antwort wohl kaum: »Ach, das tun wir nur, um unsere Reflexe zu beeinträchtigen. Auf die Art werden wir nicht allzu gut im Tischtennis.«

Als weiteres Detail wird an diesem Punkt gern angeführt, dass Alkohol die Hemmschwelle senkt. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ich mache in bedüdeltem Zustand Dinge, die mir nüchtern nicht einmal im Traum einfallen würden. Zum Beispiel rede ich stundenlang mit Leuten, die mich bei klarem Verstand zu Tode langweilen würden. Ich weiß noch genau, wie ich mich einmal im Londoner Stadtteil Camden aus dem Fenster gehängt, mit einem Kruzifix herumgewedelt und die Passanten zur Buße aufgerufen habe. Das ist definitiv nichts, was ich nüchtern gern machen würde, mich aber bloß nicht traue.

Verrückt nur, dass manche Auswirkungen des Alkohols gar nicht vom Alkohol kommen. Nichts ist einfacher, als alkoholfreies Bier auszuschenken und den Leuten zu verschweigen, dass da keinerlei Prozente enthalten sind. Ab da sieht man ihnen einfach beim Trinken zu und schreibt mit. Soziologen machen sowas ständig, und die Resultate sind immer so eindeutig wie konsistent. Zunächst zeigt sich, dass einem Soziologen am Tresen niemals getraut werden darf – man muss diese Leute im Gegenteil mit Argusaugen beobachten. Zweitens wird man als jemand, der aus einer Kultur kommt, in der Alkohol einen aggressiv machen soll, genau das: aggressiv. Entstammt man einer Kultur, in der Alkohol die Andacht befördern soll, wird man schwuppdiwupp aber auch sowas von andächtig. Man kann das sogar von Trinksituation zu Trinksituation verändern. Sagt dieser Windhund von Soziologe, er würde den Zusammenhang von Trunkenheit und Libido untersuchen, sind alle plötzlich ganz libidinös. Sagt er aber, es geht ums Singen, fängt jeder sofort an zu grölen.

Die Leute verhalten sich auch unterschiedlich, je nach dem, in welcher Form sie ihren Stoff einnehmen. Wenngleich der wirksame Bestandteil – Ethanol, auch Äthylalkohol genannt – durchgehend derselbe ist, kommt es je nach Herkunft und kultureller Bedeutung des Getränks zu ganz unterschiedlichem Benehmen. Leute aus England werden in der Regel aggressiv, wenn sie ein paar Pints Lager-Bier intus haben, nur gebe man ihnen ein Glas Wein – der mit Schick-Sein und Frankreich in Verbindung gebracht wird –, und schon sind sie ganz sittsam und weltläufig, wenn ihnen in schweren Fällen nicht sogar eine Baskenmütze wächst. Es hat schon seinen Grund, dass es Pint-Proleten gibt und nicht etwa Wermut-Vandalen oder Campari-Chaoten.

Manche Leute werden ziemlich sauer, wenn man ihnen das sagt. Sie bestehen darauf, dass Alkohol genau das befördert, was immer sie auch am meisten hassen – sagen wir mal, Gewalt. Weist man sie darauf hin, dass Kulturen, in denen Alkohol verboten ist, trotzdem gewalttätig sind, schnauben sie nur verächtlich. Wenn ich mit einiger Berechtigung sage, dass ich zwar deutlich mehr als die meisten trinke, aber niemanden geschlagen habe, seit ich ungefähr acht war (bevor alkoholisierende Substanzen meine friedlichen Lippen berührt haben), antworten sie: »Ja, okay, aber wie ist das bei anderen?« Es sind scheiße nochmal immer die anderen – diese anderen sind echt die Hölle. Wobei der Großteil der Menschheit bei einem netten Abendessen über Stunden saufen kann, auch ohne dass der Tischnachbar zur Rechten irgendwann ein Messer in den Rippen hat.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass man sich plötzlich in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzen könnte, wäre ein alter Ägypter wohl ziemlich erstaunt darüber, dass man nicht trinkt, um eine Vision der löwenköpfigen Göttin Hathor zu haben – ich dachte, das würde jeder tun. Und ein steinzeitlicher Schamane hätte wenig Verständnis dafür, dass unsereiner nicht mit seinen Ahnen kommuniziert. Ein Suri aus Äthiopien würde hingegen nachfragen, warum man noch nicht mit der Arbeit angefangen hat. Genau das tun die Suri nämlich, wenn sie trinken, denn wie heißt es doch so schön: »Wo kein Bier, da auch keine Arbeit.« Als kleines Detail am Rande sei erwähnt, dass man so etwas transitionales Trinken oder Übergangstrinken nennt: man trinkt, um den Wechsel von einem Tagesabschnitt zum nächsten zu kennzeichnen. In England trinkt man, weil die Arbeit beendet ist; bei den Suri tut man es, weil sie begonnen hat.

Um das noch in eine ganz andere Richtung zu drehen: Als Margaret Thatcher starb, wurde sie nicht mit ihren Weingläsern und einem Großhandelseinkauf an Spirituosen beerdigt. Das hielt jeder für völlig normal. Tatsächlich wäre es uns ziemlich seltsam vorgekommen, hätte man es getan. Nur dass wir die Seltsamen sind, die Durchgeknallten, die Exzentriker. Fast über die Gesamtheit der erforschten Menschheitsgeschichte wurden politische Führer mit allem bestattet, was man für ein anständiges postmortales Besäufnis braucht. Das geht zurück bis zu König Midas, dem proto-dynastischen Ägypten, den Schamanen im alten China und – scheiße noch mal – NATÜRLICH auch den Wikingern. Selbst die, die längst nicht mehr atmen, freuen sich ab und zu über ein bisschen Unvernunft – man frage nur den kenianischen Stamm der Tiriki, wo man Bier auf die Gräber der Vorfahren kippt, um da ganz sicher zu gehen.

Trunkenheit ist so gut wie universell. Fast jede Kultur auf der Welt verfügt über Stoff. Die einzigen, die nicht allzu scharf darauf waren – Nordamerika und Australien –, wurden von denen kolonisiert, die ein positives Verhältnis dazu hatten. Und zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort kann Trunkenheit etwas vollkommen anderes sein. Eine Feier, ein Ritual, ein Vorwand, um Leute zu vermöbeln, eine Art der Entscheidungsfindung oder der Inkraftsetzung von Vereinbarungen, dazu noch eintausend andere merkwürdige Praktiken. Wenn die alten Perser etwas beschließen mussten, diskutierten sie das Problem zwei Mal: einmal betrunken und einmal nüchtern. Wenn sie beide Male zum gleichen Ergebnis kamen, handelten sie entsprechend.

Genau darum dreht sich dieses Buch. Es geht nicht um den Alkohol als solchen, sondern um die Trunkenheit: ihre Fallstricke und ihre Götter. Von Ninkasi, der sumerischen Biergöttin, bis hin zu den 400 betrunkenen Kaninchen in Mexiko.

Ein paar Dinge, bevor wir loslegen. Erstens: Dies ist eine kurze Geschichte. Eine vollständige Geschichte der Trunkenheit würde eine vollständige Geschichte der Menschheit darstellen und somit viel zu viel Papier verbrauchen. Stattdessen beschränke ich mich bei Erkundung der Mittel und Wege, mit denen die Menschen sich volllaufen ließen, auf bestimmte historische Momente. Wie ging es in einem Wildwest-Saloon tatsächlich zu – oder in einem Alehouse im mittelalterlichen England oder bei einem antiken Symposion? Was genau tat ein ägyptisches Mädchen, wenn es mal richtig auf die Kacke hauen wollte? Natürlich ist jeder Abend anders, aber trotzdem kann man einen ganz guten, wenngleich tendenziell verschwommenen Eindruck gewinnen.

In den Geschichtsbüchern steht durchaus mal, dass dieser oder jener betrunken war, aber auf die genauen Umstände und Details verzichtet man. Wo fand das statt? In welcher Gesellschaft? Zu welcher Tageszeit? Das Trinken war immer und überall in feste Regeln eingebunden, nur hat man sie in den seltensten Fällen niedergeschrieben. Zum...

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