2. Vermögensbildung und Enteignung in Weißenfels.
2.1 Die regionale Geschichte vom Weißenfelser Land.
Das Saale-Unstruttal ist seit Jahrtausenden besiedelt. Gegenüber dem heutigen Weißenfels und auf den Höhen westlich und oberhalb der Saale errichten die germanischen Vorfahren ein Sonnen-Observatorium. Im ersten Jahrhundert ist die Saale Grenzgebiet der Germanen zu den Slawen. In Weißenfels vermutet man einen alten Knotenpunkt von Handelswegen mit Saaleübergängen. Die Region gehört zum Elb-Saale-Bereich, in den die Römer bei ihrem Eroberungs-Vorstoß dringen, aber erfolglos wieder von dannen ziehen. Im Frühmittelalter existieren dort verschiedene Adelsgeschlechter mit von ihnen deklariertem Herrschaftsgebiet. Um 900 wird Goseck im Zehntverzeichnis[30] von Kloster Hersfeld erwähnt, 1041 ist dort ein Benedektiner-Kloster. 1056 erhält Friedrich Graf von Goseck[31] die sächsische Pfalzgrafenwürde. Sein Sohn wird im Februar 1085 ermordet und die Witwe wird von dem Ludowinger Ludwig dem Springer geheiratet, der damit umfangreichen „Landbesitz“ erwirbt und die Neuenburg bei Freyburg zur Ost-Residenz des Landgrafen von Thüringen macht.
Vom Markgrafen Otto von Meißen wird 1185 eine „Stadt“ Weißenfels gegründet[32]. Über Jahrzehnte gibt es um Weißenfels und seine Burg Streit, erst 1346 wird die Grafenfehde beendet und die Wettiner bleiben Territorialmacht. Die unmittelbaren Herrscher in Weißenfels wechseln nicht selten, ja führen z.T. Krieg. 1485 wird die Weißenfelser Anlage zur Amtsburg fern von Dresden. 1539 reformiert Heinrich der Fromme von der Wettiner Dynastie Weißenfels zur protestantischen Staatsreligion. 1548 (bis 1553) regiert im Renaissancheschloß Weißenfels der spätere Kurfürst August, der die Tochter des dänischen Königs Anna heiratet. 1631/32 erleidet Weißenfels schwere Schäden, 1644 sinkt das Schloß in Schutt und Asche.
Nach dem Tod des sächsischen Kurfürsten 1656 wird ein Kleinstaat als Herzogtum Sachsen-Weißenfels[33] neben Sachsen-Merseburg und Sachsen-Zeitz[34] errichtet. 1680 wird als Hofburg die (noch unvollendete[35]) Neu-Augustus-Burg oberhalb des Saaleabhanges in Betrieb genommen und man versucht, es den fürstlichen Höfen in Europa gleichzutun. Die Hofaufträge führen zu einem Autragsboom im örtlichen Gewerbe und Handwerk. Weiterhin wird das Gepränge von Kunst und Kultur nach dort gelockt[36]. Aber die Region blutet insgesamt wirtschaftlich, denn das Regime geht wirtschaftlich und finanziell – und damit auch die Dienerschaft usw. bankrott. Gezahlt wird an den Auftragsausführenden nur schwerfällig. 1746 fällt dieses Herzogtum an Sachsen zurück. Das Schloß siecht baulich dahin. 1819 wird es preußischerseits als Friedrich-Willhelm-Kaserne kategorisiert, 1869 wird es Unteroffizierschule. Von 1928-1945 ist dort eine Schutzpolizeitruppe kaserniert. Es wird dann Notunterkunft/Umsiedlerlager u.a. Über das Schloß der Feudalherren bestimmen jetzt andere Machthaber.
Über das Leben der Untertanen und ihre Vermögen, ihr Eigentum ist wenig bekannt, es gibt auch keine Schrift über deren Leben und Tun[37]. Die Sozialschichtung ist sicher ähnlich den in anderen Kleinstädten, einzelne der Bürger und Gewerbetreibende arbeiten sich im 19. Jahrhundert nach oben, wovon dann deren Häuser zeugen. Ausgesprochene Reiche sind selten, wenn auch z.B. Brauerei- und Mühlenbesitzer im 20. Jahrhundert dazu gezählt werden.
2.2 Gewerbe und Industrie in Weißenfels.
Über Jahrhunderte ist Weißenfels im heutigen Sprachgebrauch ein Dorf, auf das der Hofstaat aus dem Schloß auf dem Berg herunterschaut. 1825 zählt man als Einwohner etwa 6 Tausend[38], 1900 28, 1933 40[39], 1946 40 Tausend unter Einbezug von Flüchtlingen mehr usw., 1995 34, 2003 30 Tausend Einwohner, wobei wohl maßgebend die nach 1990 stark gestiegene Arbeitslosenquote auf 24 % mit ein Grund für den Weggang manchen Arbeitsfähigen ist. Die Arbeitslosigkeit ist wiederum bedingt durch die Zerschlagung von gewachsenen Industrie und Gewerbe über die Entscheidungen der Treuhandanstalt. Man zählt 1966 12 Tausend Einwohner von Weißenfels und Umgebung, die hauptsächlich nach den Leuna- und Buna-Werken fahren, 4 Tausend sind in der heimischen Schuhindustrie beschäftigt, 850 in der Metallbranche. Hier ist ein VEB Vorrichtungsbau und der VEB Ketten-/Nagelwerk zu nennen.
Die Eigentumsbildung eines Handwerkers ist mühselig, denn eine größere Kapitalbildung durch Arbeit ist kaum möglich. So sind beispielsweise am Ende des 15. Jahrhundert in Weißenfels Fuhr- und Schuhknechte in Zünften[40] zusammengefasst, um sich gegen wirtschaftliche Unbilden abzuschirmen; Monopol-Bildung ist noch nicht real. 1663 gibt es 18 Schuhmacher-Meister in Weißenfels[41]. 1858 zählt man 456 Schuhmacher[42]. 1834 wagt Karl Sprenger das Prinzip der Arbeitsteilung in der Schuhfabrikation einzuführen, 1871 wird die erste Drucknähmaschine eingesetzt. Ab 1883 wird die Dampfmaschine als Antrieb in den verschiedenen Schuhfabriken verwendet. Die Arbeiter fangen 1890 mit Streik[43] an; sie protestieren gegen die 10stündige Arbeitszeit, jetzt mit 1,5 h Mittag und je 20 Minuten Vesper- und Frühstückszeit. Die Industrialisierung erfasst das Schuhmachergewerbe, 1895 werden 42 Schuhfabriken mit 3 Tausend Beschäftigten gezählt. Zu den 30 namentlich aufgeführten[44] gehören die meisten auch zu denen, die nach 1945 als Altbetriebe in die Umstrukturierung der Sowjetisierung fallen. Am 09.06.1945 sind als Schuhbetriebe existent (beispielhaft):
1948 setzt gezielt die Überführung in Volkseigentum ein, als Volkseigene Betriebe erhalten sie neue schöne Namen. Logisch, dass einerseits die Enteignung auch in das Privatvermögen (Grund und Boden, Haus) und andererseits der Konzentrations- und Rationalisierungsprozeß weitergeht bis zur VVB Schuhe und Lederwaren, dessen zentraler Sitz in Weißenfels angesiedelt wird. Am 1. Mai 1949 wird in der Schuhfabrik VEB Motor die Fließbandproduktion eingeführt, Ende des Jahres gibt es bereits 7 Bänder mit 1,3 Tausend Arbeitern. Die zentrale Sammelstelle für Angliederungen von VEB wird die Fabrik „Banner des Friedens“. 1950 wird das Leder durch Igelit[45] (Weich-PVC) abgelöst. 1955 gibt es noch 16 private Fabriken mit Pretzsch 553, Arsand 230, Kretzschmar 138 und Prast 148 Beschäftigten. 1959 geht mit mehr als 1/3 staatlichen Anteil die Betriebsangleichung weiter, 1972 geht die letzte private über in VEB. Am 1.1.1979 wird das Volkseigene Kombinat Schuhe gegründet, Weißenfels mit dem Banner des Friedens[46] ist Hauptstation und zentraler Forschungs-Mittelpunkt[47].
Charakteristisch für die politische Methodik, Sündenböcke für Systemfehler zu finden, ist der Fall Karl-Heinz Werner[48], * 1939, Diplom-Ingenieur der Technischen Universität Dresden, in die SED eingetreten 1969. Er ist seit 1970 in der Zentrale der VEB Kombinat Schuhe in Weißenfels eingesetzt, einem Kombinat mit 40 Tausend Beschäftigten. 1977 zum Nikolaustag wird er auf offener Straße wegen Sabotage-Verdachtes verhaftet, nachdem bereits 1976 einige andere leitende Mitarbeiter eingesperrt wurden. Das uns heute als berüchtigtes Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erweist sich bei der Ermittlung als Hauptträger und als williger Gehilfe der Staatsanwaltschaft. Werner wird während der über ein Jahr währenden Untersuchungshaft der Gerichtsprozeß vor dem Bezirksgericht in Halle AU 2622/79 gemacht. Die Gerichtsakte schwillt auf mehr als 8 Tausend Seiten an. Nur Ilona Beutling aus Weißenfels sagt für ihn aus, die andern drücken sich offensichtlich aus Furcht vor Konsequenzen, sie antworten auf die Suggestiv-Fragen in gewünschter Weise. Sein Verhängnis ist, dass er seit 1971 Mitglied des Importgutachterausschusses ist. Importierte neue Maschinen sollen den Produktionsprozeß verbessern, als Vorbild für eine sogenannte Steckenpferdbewegung, aber das gelingt nicht. Die Einarbeitung der jungen Mitarbeiter scheitert. Auch die grundsätzliche Westorientierung wird ihm angekreidet, so besucht er z.B. 1967 in Pirmasens eine einschlägige Messe! Der Vorwurf lautet, er habe absichtlich gegen die Volkswirtschaft der DDR gehandelt und somit liege ein besonders schwerer Fall vor. Obwohl er nicht geständig ist, wird er in einem großangelegten öffentlichen Schauprozeß zu mehrjähriger Haft verurteilt. Als Lehre trifft das Kombinat folgende Entscheidung: in Zukunft kommen die Westexperten nach Weißenfels und helfen bei der Einführung ihrer Maschinen. Als weiteren Erfolg...