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Spätmoderne

Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I

VerlagFrank & Timme
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl445 Seiten
ISBN9783865960207
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Der Sammelband „Spätmoderne" bildet den Auftakt zur Reihe „Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa" und widmet sich zuvorderst osteuropäischen Dichtwerken, die zwischen 1920 und 1940 entstanden sind. Mit der Untersuchung einer „spätmodernen" Phase in der Dichtung lenkt der Band den Blick auf diejenigen Lyriker, welche nicht immer eindeutig bestimmten literarischen Strömungen zugeordnet werden konnten, und hinterfragt geläufige Einordnungen avantgardistischer Dichter. Das hier vorgeschlagene Ordnungsmuster „spätmodern" wird vor allem hinsichtlich jener Autoren diskutiert, die als schwer zu rubrizieren gelten. Bei den Beiträgen handelt es sich aber nicht nur um eine Neulektüre konkreter lyrischer Texte, sondern auch um Verschiebungsvorschläge innerhalb der begrifflichen und poetologischen Tektonik.

Der Autor

Dr. Alfrun Kliems, derzeitig Fachkoordinatorin für Literaturwissenschaft am GWZO Leipzig, und Dr. Ute Raßloff, ebenfalls als Literaturwissenschaftlerin am GWZO Leipzig tätig, befassen sich in ihren Studien vor allem mit der tschechischen und slowakischen Literatur. Diesen Schwerpunkt haben auch die Forschungen von Prof. Dr. Peter Zajac, der an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt. 

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Leseprobe
Ernõ Kulcsár-Szabó
Dichtungsgeschichte und mediale Kulturtechniken (S. 23-24)

Jedes Wort ist eine Augenblicksverbindung eines Klanges mit einem Sinn, die in keiner Entsprechung zueinander stehen. (Paul Valéry Poésie et pensée abstraite) Farben und Klänge gibt es in der Natur, Worte nicht. (Gottfried Benn Probleme der Lyrik)

Der Einzug kulturwissenschaftlicher Verfahren selbst in den engeren Bereich der einzelnen Philologien hat zwar seine Gründe, die sich von mehreren diskursiven Positionen beleuchten lassen. Dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass die ins Netzwerk von Kulturwissenschaften extensiv eingefügte Literaturwissenschaft – bloß, weil ohne ihren Gegenstand, die Literatur, kaum irgendeine kulturelle Form der Welt zu denken wäre – Fragerichtungen und Einsichten gewinnen könnte, die (von der jeweiligen Partialität des Verstehens bis hin zur „Unlesbarkeit" der Texte) nicht im Horizont der beiden letzten großen Paradigmen der Textdeutung bereits vorhanden gewesen wären. Friedrich Nietzsche ebnete nämlich einer Kritik der Kulturalität gerade durch die Erschließung des ideologischen Ursprungs jenen kulturellen Techniken den Weg, die – von der „heilsgeschichtlichen" Anthropologie bis zur These von einer mit der rationalen Struktur der Welt „in eins fallenden" (vernünftigen) sprachlichen Form – der Erfahrung vom befristeten menschlichen Dasein wohl den Zwang ständiger Bedeutungsbildung auferlegt haben: „Die ,Vernunft‘ in der Sprache", lesen wir in der „Götzen-Dämmerung", „oh was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben [...]."

Die Möglichkeiten dieser obigen disziplinären Eingliederung sind freilich nicht ganz zeitgenössischer Herkunft: Der Reiz einer kulturwissenschaftlichen Integration erwächst vor allem aus dem Paradigmenwechsel um die Jahrhundertwende, der die mit kritischer Intention erneut aktualisierten Frageinteressen der Kant’schen Wahrnehmungsphilosophie auch auf den „Gegenstand" der Geisteswissenschaften erweiterte. Dabei handelt es sich nicht nur um die von Ernst Cassirer eingeleitete Wende, welche die Funktionen der symbolischen Formen (Sprache, Kunst, Religion usw.) mit einer im erweiterten Sinne kulturellen Konstitution der Lebenswelt in Zusammenhang brachte. Denn als mindestens genauso bedeutend erwies sich auch die – nicht weniger antipositivistisch ausgerichtete – geisteswissenschaftliche Er kenntnis (1904), der zufolge den Arbeitsgebieten der Wissenschaften „nicht die ,sachlichen‘ Zusammenhänge der ,Dinge‘, sondern die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme [...] zugrunde [liegen]". Und zwar deshalb – und an Hand ihres so aufgefassten Gegenstandes wurde der Literaturwissenschaft so zum ersten Mal gewährt, sich mit anderen Disziplinen an der umfassenden Erfahrung von der Möglichkeit einer kulturwissenschaftlichen Integration zu beteiligen –, weil in Max Webers Auffassung Wirklichkeit und Reflexion der Kultur nun in einer völlig neuen Kontamination in Erscheinung traten, die (damals natürlich noch mit den erheblichen Einschränkungen der Rickert’schen Wertemetaphysik) im Prinzip geeignet war, die volle „Archäologie" der geschaffenen („wertvollen") kulturellen Welt in den Horizont der geisteswissenschaftlichen Untersuchungen mit einzubeziehen:

„Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ,Kultur‘, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfasst diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden, und nur diese."

Angesichts der individuellen Vielfalt sozial- und geisteswissenschaftlicher Phänomene erkannten diese geistigen Positionen – von Heinrich Rickert bis Ernst Cassirer und von Werner Sombart bis Oskar Walzel – zwar zahlreiche fragliche und unhaltbare Elemente des erkenntnistheoretischen Erbes vom methodologischen Universalismus, waren aber nicht darauf bedacht, Ambivalenzen dieser Erfahrung kraft einer sich von Friedrich Schleiermacher bis Wilhelm Dilthey herausbildenden – und im autozentrischen Wirkungszusammenhang der historisch-sozialen Welt begründeten – hermeneutischen Konsistenz aus der Welt zu schaffen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort: Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa Eingrenzungen und Abgrenzungen10
I. Skizzierung des Gesamtvorhabens10
II. Spätmoderne als Epochenkonzept: Möglichkeiten und Grenzen13
III. Zusammenschau der Beiträge16
1. Medientheoretische und literatur- geschichtliche Ausgangspositionen22
Dichtungsgeschichte und mediale Kulturtechniken24
Mythos Natur – Mythos Stadt. Ihre Relation zwischen der ersten und der zweiten Avantgarde in Polen42
Spur und Rebellion. Zur Poetik von René Chars „Fureur et mystère“54
I. Surrealistische Anfänge54
II. Ursprung und Geschichte55
III. „Surréalité“ des Surrealismus57
IV. Differenz des Poetischen59
V. Schattenloser Wanderer64
Defiguralisierung des Textes. T. S. Eliots „The Waste Land“ und die Spätmoderne88
Zur Einordnung des tschechischen Poetismus im Spannungsfeld von Avantgarde und Spätmoderne: Teiges Programmatik und Nezvals Pásmo-Dichtungen102
1. Die Doppelkonzeption von Poetismus und Konstruktivismus in der tschechischen Avantgarde105
2. Nezvals Pásmo-Komposition „Podivuhodný kouzelník“ als Beispiel poetistischer Dichtung109
3. Schluss117
Eine „spätmoderne“ Libido? Poetologische Überlegungen zur Absetzung von Moderne, Avantgarde und Spätmoderne in der tschechischen Lyrik122
„Spätmoderne“ – ein Begriff in der Diskussion122
Poetismus: Jaroslav Seifert oder die Lust am Knall123
Spätmoderne I: Ivan Jelínek oder der Geschlechtertausch im Schilf126
Spätmoderne II: Milada Soucková oder die Entjungferung am Ufer132
Schlussüberlegung: Moderne, Avantgarde und Spätmoderne134
2. Die klassische Moderne: Weiterführung oder Abkehr?144
Jakub Deml und die „Spätmoderne“146
Jaroslaw Iwaszkiewicz und die klassizistischen Tendenzenin der polnischen Spätmoderne178
Literaturhistorische Voraussetzungen178
Formen und Vertreter des Klassizismus180
Iwaszkiewiczs Reise in das klassizistische Europa184
Zwischen „ewigem Polentum“ und verpflichtender Tradition. Das Dilemma des Jan Lechon198
Imagination, Konstruktion und Mythographie. Bohdan-Ihor Antonyc und die ukrainische Spätmoderne 30er212
Ukrainische Moderne213
Imagination und Konstruktion214
Poesie als Mythographie217
Antonyc und die polnische Lyrik der 30er Jahre: ein gemeinsames Paradigma?219
Die Worte treiben Unzucht im Himmel. Boleslaw Lesmianund die Subjektauffassungen der Spätmoderne226
Lesmians Verhältnis zur Hochmoderne und zur Avantgarde226
Zerstückelung des Subjekts227
Überstehen ist alles.“10 Poetik der Widersprüche228
Der Tod des selbstmächtigen Künstlers229
Zwischen Subjektwerdung oder Subjektzerfall230
Verzicht auf Moralistik231
Die Sprache des „Semiotischen“ oder der Aufstand gegen den logozentrischen Diskurs231
Ist Lesmian ein metaphysischer Dichter?232
3. Der Gang durch die historischen Avantgarden236
Kolárs Interpretation des Futurismus238
Die tschechische Ballade im Zeichen des Poetismus. Kulturpoetik, literarische Evolutionierung und Traditionsbruch bei Jaroslav Seifert254
I.254
II.255
III.258
IV.259
V.265
Postavantgardistische Signi.kantenketten. Jaroslav Seiferts Gedichtband „Slavík zpívá špatne“270
I.272
II.276
III.281
IV.282
„Barbaren gehen, Barbaren gehen“. Die „Panychida“ von Vilém Závada und ihre Kontexte288
I.288
II.289
III.292
Zum Verhältnis von Oxymoron und Metonymie im Werk von František Halas296
4. Die Spätmoderne als integratives (Epochen)Konzept?304
Gottfried Benn und Sándor Ferenczi306
Anthropomorphismen in Marina Cvetaevas „Vskryla žily“ unter Berücksichtigung eines erweiterten Anthropomorphismus-Begriffs314
Wiederkehr des Menschenmaßes? Situierung des Erkenntnisinteresses314
Anthropomorphisierung durch hypertrophe Performativität318
Ein verhinderter Selbstmord. Kohärenz als spätmoderne Option in der Lyrik Laco Novomeskýs324
I. Ausgangspositionen324
II. Zur Rezeption Laco Novomeskýs327
III. Das Kunstwerk zwischen Kohärenz und Inkohärenz328
IV. Kohärenz durch Architektonik329
V. Kohärenz durch Syntagmatik334
VI. Resümee339
Anhang340
Josef Horas Bergsonismus346
Grundzüge des Bergson’schen Denkens348
Horas bergsonistische Weltbilder349
Bergsonismus und die Entideologisierung der Geschichte361
Die Differenz im Ich. Lorinc Szabó: „Az Egy álmai“370
Bewegte Figuren. Lorinc Szabó: „A belso végtelenben“386
Die Problematik der Transgression386
„Du und die Welt“ als dichtungsgeschichtlicher Übergang387
Transkription: „In der inneren Unendlichkeit“390
Trans.gurative Bewegung im Text393
Transitivität oder Intransitivität393
Bewegte Figuren: die Inversion395
Anhang400
„Auf dem Ast des Nichts...“. Epochenkonstruktionen und die Erfahrung des Ich in der späten Lyrik von Attila József404
Srecko Kosovel zwischen Moderne, Avantgarde und Modernismus414
Anhang428
Der Widerruf des Subjekts. Einige Beispiele aus der kroatischen Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts434
I.434
II.435
III.436
IV.437
V.441
Anhang443

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