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E-Book

Glück gehabt

Rückblicke eines Unruhigen auf die gefährlichen, aber auch abenteuerlichen Jahre 1939 bis 1945

AutorHelmut Meinhövel
VerlagTWENTYSIX
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783740758127
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Der Autor Helmut Meinhövel, Jahrgang 1933, berichtet, wie er als Kind die Kriegszeit erlebte und mit Glück überlebte. Um dem Bombenterror zu entgehen, aber auch aus Abenteuerlust ist er mit der Kinderlandverschickung mehrfach in Deutschland unterwegs gewesen. Seine Erlebnisse in einer spannenden Zeit sind ungewöhnlich und heute unvorstellbar, aber typisch für seine Generation. Das Buch, konzipiert als Bericht für die Familie, fesselte nach der Veröffentlichung im Eigenverlag viele Leser, so dass es schnell vergriffen war. Nun erscheint die 2. Auflage, um die Erlebnisse seiner Kindheit im Krieg einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen.

Helmut Meinhövel, Jahrgang 1933, aus dem Ruhrgebiet, früher Personalleiter, veröffentlichte bisher drei Bücher. Mit über achtzig Jahren beschäftigten seine Erinnerungen den Autor immer mehr und er beschloss, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Sein Gebiet ist die berichtende Erzählung. Mit fesselnden Schilderungen bringt er Inhalte und Schlussfolgerungen auf den Punkt genau herüber und lässt den Leser an seinen lebendigen Themen teilhaben.

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Leseprobe

Rapen, Yorckstraße 19 in Oer-Erkenschwick


Hier wohnten wir in einem 9-Familienhaus, drei Familien auf jeder Etage. Errichtet ca. 1880, nicht später, aus rotem Backsteinmauerwerk und voll unterkellert. Das Treppenhaus, massiv, mit grauen Steintreppen, schmiedeeisernem Geländer und Eichenhandlauf. Die Eingangstür befand sich auf der Hofseite, aus massiver Eiche, mit einem kleinen Fenster und schmiedeeisernem Gitter davor.

Die Kellerdecke war als Kappendecke ausgeführt, d.h. mit Eisenträgern, dazwischen Beton. Die übrigen Decken waren aus Holzbalken. In jeder Etage befand sich eine Wasserstelle mit Abfluss im Hausflur.

Jede Wohnung hatte einen Stall und einen Vorratskeller. Die Toiletten befanden sich in dem Stallgebäude auf dem Hof. Notdurft verrichtete man auf dem Nachttopf, der jeden Morgen in die Toilette draußen entleert wurde. Der Schlüssel zur Toilette hing neben der Wohnungseingangstür, versehen mit einer Zwirnrolle.

Elektrisches Licht wurde erst wenige Monate vor dem verheerenden Bombenangriff am 15. Januar 1945 installiert. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Bis dahin hätten wir es mit unserer Petroleum-Lampe noch ausgehalten. Die war allerdings nicht pflegeleicht. Der Glaszylinder musste oft gereinigt und der Docht vom Ruß befreit werden. War alles sauber, konnte man unter ihr sogar lesen. Ein kleiner Spiegel an der Rückseite der Lampe machte es möglich. Der Treibstoff musste aber erst im Laden gekauft werden.

In einem Anbau auf dem Hof befand sich die Waschküche mit mietereigenen Waschgeräten mit Wassermotor (besser), handbetriebener Rumpel (wir) oder Waschbrett (wir auch). Mittels eines gemeinsamen speziellen Kohleofens mit darüber liegendem Waschkessel wurde die Wäsche gekocht, von Hand gespült in einem Wasserbecken, anschließend gewrungen und auf der Leine im Waschhaus getrocknet.

Ein Plan regelte die Waschzeiten, die Waschküche musste sauber an den Nachfolger übergeben werden. Waschtag war für Mutter harte Arbeit, einen ganzen Tag lang.

Nachzutragen wäre noch, wir waren elf Kinder im Haus.

Auf unserer Etage wohnten die Familie Maslowski und Frau Lambertz. Familie Maslowski war Eigentümer des Hauses. An Frau Lambertz kann ich mich besonders gut erinnern. Sie wohnte links neben uns. Sie war alleinstehend, Anfang 60, immer gut angezogen, energisch, redegewandt – und streng katholisch im Sinne von missionarisch katholisch.

Dass wir, meine Mutter und wir Kinder, evangelisch waren, kam ihr sonderbar vor, nicht normal sozusagen.

Mehr noch – für sie waren wir Heiden. Das Argument, dass meine Mutter aus einem Dorf in Niedersachsen stammte, wo alle evangelisch und Katholiken eine Rarität waren, es weit und breit keine katholische Kirche gab, schob sie beiseite.

Sie begann uns zu missionieren, permanent. In der Zeit der vielen Fliegeralarme, in der wir oft Schutz suchend im Luftschutzkeller nebeneinander harrten, in der Todesnachrichten von der Front oder der Heimatfront Alltag waren, also nur der Herrgott uns noch retten konnte und auch würde, wenn man nur den richtigen Glauben hatte, fiel das Samenkorn, der einzig wahre Glaube, so nach und nach auf fruchtbaren Boden. Insbesondere bei meiner Schwester Christel war ein aufgeschlossenes Interesse zu verspüren.

Meine Mutter, obwohl wie gesagt evangelisch erzogen, schwankte aus einem einfachen Grund: Die Familie, in die sie eingeheiratet hatte, war auch katholisch. Mein Vater war sehr tolerant und katholisch geblieben, auch nachdem er meine Mutter geheiratet hatte. Sie aber hatte in der Verwandtschaft meines Vaters einen schweren Stand, sie war sozusagen eine „Abtrünnige im Glauben“ innerhalb der relativ großen Verwandtschaft meines Vaters, der sechs Geschwister hatte. Sie zog sich innerlich zurück, die tägliche Sorge um das Wohl ihrer Kinder verdrängte diese für sie nicht angenehme Stellung in der Großfamilie. Sie hatte wichtigere Probleme zu lösen.

Sie entschied die Frage, ob wir konvertieren sollten, pragmatisch auf ihre ureigene Weise, nämlich so: „Wenn, dann alle!“

Auf Druck unserer Nachbarin willigten meine Schwester Christel und ich ein, zunächst einen katholischen Gottesdienst zu besuchen. Der Heilige Geist würde es schon richten, dachte Frau Lambertz.

An dem darauf folgenden Sonntag, früh morgens, gingen wir im Schlepptau von ihr in die katholische Kirche. Meine Mutter konnte nicht mit, sie musste fürs Essen sorgen und meine kleine Schwester Liesel beaufsichtigen.

Frau Lambertz war in ihrem Element. Sie bugsierte uns resolut ins Gestühl rechts vom Mittelgang, ziemlich vorne, in eine Reihe, in der gerade noch drei Plätze frei waren.

Rechts von uns saßen mehrere ältere Damen, wahrscheinlich Komplizen von ihr. Links war der Mittelgang, davor Frau Lambertz. Wir saßen in der Klemme, ab und zu standen wir auch, öfter knieten wir, sie passte auf, dass wir alles richtig machten.

Es war feierlich. Der Liturgie in Latein konnten wir nicht folgen, dafür fehlten uns die Grundkenntnisse. Nach einer Stunde sank unsere Neugier oder unser Interesse an dem Neuen in dem Kirchenraum auf den Nullpunkt, wir rutschten auf unserem Sitzplatz (ohne Kissen) hin und her, unsere dünnen Knie schmerzten beim Hinknien. Wir wurden unruhig, stießen uns an, es war nicht mehr zu ertragen. Frau Lambertz sah uns zuerst missbilligend an, dann schalt sie uns leise. Wir wollten raus aus unserer Gefangenschaft.

Als wir mal wieder standen, schob ich mich hinter Frau Lambertz vorsichtig Richtung Mittelgang, meine Schwester an der Hand, vergeblich, sie hielt uns in Schach, ein Entrinnen war unmöglich.

So vergingen mindestens drei, wenn nicht sogar (gefühlte) vier Stunden, bis wir nach dem Segen die Kirche verlassen konnten.

Wir liefen so schnell es ging nach Hause. „Was habt ihr so lange gemacht?“, fragte unsere Mutter, berechtigterweise, denn wir wussten auch nicht, dass die katholische Messe so lange dauerte.

„Wir waren bis jetzt in der Kirche“, sagte ich. Christel ergänzte: „Sie hat uns bis zuletzt festgehalten, wir konnten nicht raus, mir tut alles weh, der Rücken, auch die Knie, denn wir musste auf dem harten Holz knien.“

„War es so schlimm?“

„Ja.“

„Jetzt wird erst mal gegessen.“ Mutter hatte den Tisch schon gedeckt, wir aßen, hungrig und durstig wie wir waren, schnell und hastig.

„Eins steht fest“, sagte ich, „in die Kirche kriegen mich keine zehn Pferde mehr hinein.“

Das Thema war damit gegessen. Bei Mutter hatte Frau Lambertz verspielt, bei uns sowieso, wir gingen ihr, wenn es irgendwie ging, aus dem Weg.

Nach dem Krieg so hörten wir, ist Frau Lambertz selbst missioniert worden, sie konvertierte zu den Zeugen Jehovas. Damals hießen sie bei uns noch Bibelforscher.

Rechts von uns wohnten Maslowskis. Sie hatten zwei Kinder: Ein Mädchen, Anita, viel jünger als ich, und Fritz, ein Jahr älter als ich, nicht stärker, aber entschlossener. Wir rauften öfter miteinander, maßen unsere Kräfte, aber wir rauften uns nicht zusammen, d.h. wurden keine richtigen Freunde. Nachdem ich ihn einmal fast im Ringkampf bezwungen und schon im Schwitzkasten hatte, nahm er seinen Holzschuh, schlug ihn mir auf den Kopf und hatte gewonnen. Das war dann auch geklärt.

Sein Vater war Bergmann, wie viele Väter im Haus, und damit nicht wie mein Vater oder Herr Flohr eingezogen worden. Die Mutter war eine resolute Hausfrau, die das Leben, wie schwierig es auch war, mit Bravour meisterte. Sie hatte ihren Stall neben uns und hielt, wie wir auch, ein Kaninchen.

Die Ställe waren sehr nützlich, Fahrräder, Bollerwagen, Holz zum Feuermachen, Werkzeug, sowie ein oder mehrere Kaninchenställe waren darin.

Kaninchen zu halten war angesagt. Fast jeder Dritte im Ort hatte Kaninchen. Wie die Vermehrung stattfand war bekannt und interessant. Weniger interessant war die Beschaffung von Futter für diese Vielfraße. Natürlich war ich hierfür zuständig.

Manchmal war ich buchstäblich stundenlang unterwegs mit einem Sack und einem Küchenmesser, um Löwenzahn heranzuschaffen. Da viele Kaninchenhalter das gleiche Problem hatten, war die Nachfrage permanent gegeben. Mit dem Angebot haperte es allerdings.

In der näheren Umgebung war Löwenzahn mittlerweile Mangelware. Man musste sein Einzugsgebiet ausweiten, das kostete Zeit und Nerven. Richtung Horneburg am Köttel–Bach waren im Herbst die besten Stellen abgegrast.

Auf den Wiesen und Weiden der Bauern zu ernten, war gefährlich. Sie hatten das gar nicht gern. Einmal haben mich zwei Bauernjungen mehrere Stunden auf ihren Fahrrädern gejagt, nur weil ich von ihrer Weide etwas Löwenzahn ausstach. Die Einzäunung war immer das Problem, die bestand aus Stacheldraht. Man musste sehr geschickt darüber springen, ohne dass man seine bereits geflickte Hose noch mehr lädierte.

Insofern war an diesem Tag mein Erfolg weniger gut, was prompt zu kritischen Äußerungen meines Vaters führte, der fast immer nach Feierabend seinen „Hansi“ noch fütterte und kitzelte, ihn oft an den Ohren oder mit einem Griff in das Fell am Rücken aus dem Stall nahm.

Wenn es zum Jahresende ging, wurde die...

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