Seit ca. 1970 gilt eine bundesweite Lernzielorientierung für den Unterricht, die effektiveres Lernen gewährleisten soll. Dies bedeutete eine Einführung von lernzielorientierten Richtlinien und Lehrplänen, in denen hierarchisierte und in kognitive, affektive und pragmatische Verhaltensbereiche unterteilte Leit-, Richt-, Grob- und Feinlernziele festgehalten wurden. (vgl. Böttger 2005: 50 ff.) Diese Ziele orientieren sich heutzutage im Englischunterricht an den vorgegebenen Kompetenzstufen des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen aus dem Jahr 2001. (vgl. Böttger 2005: 53) Für die Grundschule ist das Erreichen der untersten Kompetenzstufe, der Stufe A1, realistisch. Diese Stufe wird in der deutschsprachigen Version des Referenzrahmens als Stufe der „elementaren Sprachverwendung“ (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen 2001: 35) bezeichnet und folgendermaßen definiert:
Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen.
Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben.
Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen. (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen 2001: 35)
Auch die Fähigkeiten im Bereich Hörverstehen im Besonderen wurden für das Niveau A1 festgelegt:
Ich kann alltägliche Äußerungen, die sich auf einfache und konkrete alltägliche Bedürfnisse beziehen, verstehen, wenn langsam, deutlich und mit Wiederholungen gesprochen wird.
Ich kann einem Gespräch folgen, wenn sehr langsam und deutlich gesprochen wird und wenn lange Pausen es mir ermöglichen, dass Gesagte zu verstehen.
Ich kann Fragen und Anweisungen verstehen und kurzen, einfachen Weisungen folgen.
Ich kann Zahlen, Preise und Zeitangaben verstehen. (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen 2001: 225)
Diese zu erreichende Kompetenzstufe ist auch das Ziel für den Englischunterricht an Grundschulen, der gemäß des alle Grundschulfächer umfassenden Rahmenplan Grundschule von 1995 für das Land Hessen gestaltet werden soll. In diesem Lehrplan werden nicht nur die Ziele für den Englischunterricht in den hessischen Grundschulen ausführlich festgehalten, sondern auch Inhalte und Methoden sowie didaktische Prinzipien zum Erreichen dieser Lernziele bestimmt. 2004 wurde ein diesen Rahmenplan ergänzender Erlass veröffentlicht, der als „Orientierungshilfe zur Leistungsbeurteilung und –bewertung im Fach Englisch in der Grundschule“ (Orientierungshilfe zur Leistungsbeurteilung und -bewertung 2004: 1) dienen soll. Jeglicher Englischunterricht in der Grundschule in Hessen und somit natürlich auch das Hörverstehenstraining, basiert auf diesen beiden obligatorischen Orientierungshilfen.
Wie bereits in obigem Abschnitt aus dem Europäischen Referenzrahmen ersichtlich, ist das übergeordnete Richtziel des Englischunterrichts in der Grundschule eine elementare englischsprachige Gesprächsfähigkeit, auch bezeichnet als „Kommunikative Kompetenz“. Diese kommunikative Kompetenz impliziert, dass sowohl sprachliche Fertigkeiten, als auch interkulturelle Kompetenz und affektive beziehungsweise motivationale Voraussetzungen gegeben sein müssen.
Zuallererst muss also das Kind dazu motiviert werden, die Bereitschaft zu zeigen in englischer Sprache kommunizieren zu wollen. Dazu muss es sich zunächst in einer solchen englischsprachigen Situation wohl fühlen und Interesse an einem Gespräch haben. Dies impliziert einerseits positive persönliche Wertehaltungen und Einstellungen gegenüber der englischsprachigen Bevölkerung und Kultur, eine interkulturelle Kompetenz, die auch auf landeskundlichen Kenntnissen basiert. Andererseits bedeutet es, dass das Kind auch die sprachlichen Fertigkeiten besitzen und in sie vertrauen sollte, da dies für ein Gespräch grundlegend ist.
Diese sprachlichen Fertigkeiten beziehen sich einerseits auf ein allgemeines Sprachbewusstsein und Sprachgefühl (language awareness) und andererseits auf die englischsprachigen Fertigkeiten (skills) Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben. (Böttger 2005: 53 ff.) Language awareness wird bei Schmid-Schönbein (2001: 56) nach Donmall (1985) definiert als „a person’s sensitivity to and conscious awareness of the nature of language and its role in human life“. Dies bedeutet in Bezug auf die Grundschule ein sich auf kognitiv relativ einfachem Niveau befindendes Wissen über formale und inhaltliche Aspekte der Fremdsprache, auch im Vergleich mit der Muttersprache. Unter Sprachgefühl wird hier verstanden, dass eine der Situation angemessene und effiziente Verwendung von Sprache stattfindet, was insbesondere in der Grundschule anstatt durch das Auswendiglernen von grammatischen Regeln durch viel englischsprachigen Input gefördert werden sollte. (vgl. Waas 2004: 34 f.) Denn besonders in der Grundschule, in der der Schriftspracherwerb noch nicht abgeschlossen ist, hat die Mündlichkeit, also das Hören und Sprechen, Vorrang vor den schriftlichen Fertigkeiten, also dem Lesen und Schreiben, welche eher als Unterstützung der Mündlichkeit dienen sollen. (vgl. Klippel 2000: 77) Und da die rezeptive Fertigkeit Hörverstehen die Grundlage für die produktive Fertigkeit des Sprechens bildet, hat es eine besonders wichtige Funktion im Englischunterricht in der Grundschule und sollte deshalb bevorzugt berücksichtigt werden.
Die Zielsetzung bezüglich des Hörverstehens im Englischunterricht in der Grundschule konzentriert sich einerseits auf den Prozess selbst, nämlich das Ziel Hörverstehen als Fertigkeit auszubilden, andererseits bezieht es sich auf das Hörverstehen als Mittel oder Methode um die Zielsetzungen im Bereich der sprachlichen Fertigkeiten, der interkulturellen Kompetenz und dem affektiven und motivationalen Bereich zu erreichen. (vgl. Böttger 2005: 60 f.)
Bezüglich der Fertigkeit selbst sollen die Schüler mit der Phonologie der Sprache vertraut gemacht werden, um den „Klangbrei“ (Klippel 2000: 79) in Laute und Lautfolgen der Fremdsprache segmentieren zu können (sound discrimination) und die Lautfolgen wiederum in lexikalische Einheiten wie Wörter oder Phrasen untergliedern und semantisieren (word discrimination). (vgl. Schmid-Schönbein 1998: 65) Außerdem sollen sie in der Lage sein, Äußerungen der Lehrer/in, der Schüler sowie kurze Hörverstehenstexte inhaltlich und nicht Wort für Wort zu verstehen (listening for gist), und „unterschiedliche Intonationen und verschiedene Emotionen in Äußerungen mit gleichen Redemitteln zu erkennen“ (Rahmenplan Grundschule Hessen 1995: 247), um schließlich auf diese angemessen nonverbal oder verbal reagieren zu können. Mit Äußerungen sind hier „einfache Anweisungen im Unterrichtsalltag“ (Orientierungshilfe zur Leistungsbeurteilung und -bewertung 2004: 7) wie zum Beispiel classroom phrases und „Fragen nach persönlichen Daten und Umständen, Vorlieben und Abneigungen“ Orientierungshilfe zur Leistungsbeurteilung und -bewertung 2004: 7) gemeint. Hörverstehenstexte wie zum Beispiel Erzählungen, Lieder, Reime etc. aus bekannten Themenbereichen sollen „durch Beachtung mimischer, gestischer oder ikonografischer Signale (Realia, Bildkarten usw.) ganzheitlich“ Orientierungshilfe zur Leistungsbeurteilung und -bewertung 2004: 7) erfasst werden. Die Materialien für das Hörverstehenstraining zur Förderung der oben genannten Kompetenzen, sprich die Hörtexte (Sprecher, Buch, Tonträger etc.) und unterstützenden Realia, sowie Inhalte und Methoden zur Vermittlung richten sich hierbei nach den allgemeinen und hörverstehensspezifischen didaktischen Prinzipien des Rahmenplans Grundschule des Landes Hessen von 1995, wie sie im Folgenden beschrieben werden.
Um die oben genannten Ziele zu verwirklichen, soll sich der Lehrer an einige didaktische Grundsätze halten, von denen einige für alle in der Grundschule unterrichteten Fächer gelten, andere nur für den Fremdsprachenunterricht. Diese Grundsätze helfen dem Lehrer zu entscheiden, welche Methoden und Themen sich als geeignet erweisen und wie der Lehrer seinen Unterricht gestalten sollte.[7]
Die allgemeinen didaktischen Grundsätze werden im Rahmenplan wie folgt benannt: „Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt“, „Wissenschaftsorientierung“, „Handlungsorientierung“, „Differenzierung“, „Übung und Wiederholung“, „Lernen in Situationen“, „Offenheit“, „Ganzheitliches und mehrperspektivisches Lernen“. (Rahmenplan Grundschule Hessen 1995: 31) Für den Englischunterricht im Besonderen, gelten folgende fachdidaktische Grundsätze: „Prinzip des ganzheitlichen Lernens“, „Prinzip des...