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E-Book

Horst Janssen

Ein Leben

AutorHenning Albrecht
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl720 Seiten
ISBN9783644041912
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
«Er hinterlässt ein so gewaltiges und bizarres, auch wortgewaltiges ?uvre, dass zwei Leben zu je 65 Jahren dazu kaum ausgereicht hätten», schreibt Rudolf Augstein, als Horst Janssen am 31. August 1995 an den Folgen eines Schlaganfalls stirbt. Heute gilt Janssen als einer der bedeutendsten Zeichner und Graphiker des 20. Jahrhunderts. Er war exzentrisch, egoman und exzessiv; sein Alkoholkonsum und seine gelegentlichen Gewaltausbrüche waren berüchtigt, sein Liebesleben lieferte Stoff für unzählige Geschichten. Henning Albrecht legt nun, nach mehr als fünf Jahren Recherche, die erste umfassende Biographie des Ausnahmekünstlers vor. Sie zeichnet das Porträt eines ewigen Kindes, das vaterlos aufwächst, die Mutter früh verliert und sich immer nach Geborgenheit sehnt, ohne zu wissen, welches Gefühl sich hinter dem Wort verbirgt. Eines Mannes, der überzeugt ist, etwas Besonderes zu sein, und doch von Angst getrieben; der darum ringt, sich der eigenen Herkunft zu vergewissern und in Traditionen zu verorten, gerade als Künstler. Richtig ankommen wird er nie unter den Menschen. Doch Albrecht zeigt auch, dass der Bürgerschreck Janssen ein großer Spieler war, der Masken und Irreführungen liebte und die Kunst der Vermummung nicht weniger virtuos beherrschte als Bleistift und Radiernadel.

Henning Albrecht, geboren 1973, lebt und arbeitet als Historiker in Hamburg. Er veröffentlichte u.a. «?Pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken?. Helmut Schmidt und die Philosophie» (2008).

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Leseprobe

Bilder – bevor die Erzählung beginnt


So verschieden ich erscheine, ein Einziger bin ich – COMANINI, «Der Vertumnus des Arcimboldi»

 

Warum, um Gottes willen, wollt ihr wissen, was die Menschlichkeit eines Künstlers ist (…). Warum haltet ihr euch nicht an das formulierte Leben? Es ist das einzige, was ich und meinesgleichen zu liefern haben. (…) Und ihr schlurft dauernd (…) nach dem individuellen Leben desjenigen, der über sich selbst hinaus für andere formuliert. Ihr seid wirklich Parasiten.[1]

Im Dezember 1965 erscheint im «Spiegel» ein Artikel, der Horst Janssen für sein Leben zeichnen wird. «Zwei Zentner Talent» prangt über dem Text, der ihn zum enfant terrible der Hamburger Gesellschaft stempelt: zum aufregend-unterhaltsamen Sonderling, zu einer Gestalt, wie man sie hätte erfinden müssen, wäre sie nicht ach so real. Egoman, ständig betrunken und ganz der Kunst ergeben; Erotiker und Weiberheld (wenn auch leider gewalttätig), voller Verachtung für die bürgerliche Welt; der seine Werke zu kleinen Preisen verschleudert, doch dank seiner Ehefrau (der Enkelin des wilhelminischen Reichskanzlers von Bethmann Hollweg) in einer Neun-Zimmer-Wohnung residiert; der angeblich verhindert, dass seine Blätter außerhalb Hamburgs bekannt werden, aus Scheu vor publicity – was ihn ja nur noch interessanter macht; der per Taxi zu Ausstellungseröffnungen an entfernte Orte reist und dort in Pyjama und Bademantel randaliert.[2] Eine Figur, wie geschaffen für die Schaulust des Publikums, ein Mann, der nahezu alle Künstler-Klischees erfüllt, die Kunstinteressierten seit der Romantik ins Herz gewachsen sind. «Ein Genie zur Abwechslung» ist denn auch zeitgleich ein Artikel über ihn in der «Zeit» überschrieben.

Ein Genie – endlich wieder.

Schon zu Beginn seiner Karriere prägen Kunstkritiker und Journalisten Stereotype, die Horst Janssen ein Leben lang verfolgen sollen. Von Anfang an sind sie Wortklappen, mit denen das Unverstandene und beängstigend Andersartige erledigt wird, ewig wiederholt aus Bequemlichkeit und dem Wunsch, Wiedererkennbares zu schildern, dabei gleichgültig gegen die Fakten, aber offen für jedes Gerücht.

Denn stets interessiert mehr die Person, das Leben und Auftreten als das Werk. Janssen, den man als eine Art Kunst-Clown gern ins Haus kommen lässt zwecks Belebung des Gesprächs: Die Hamburger Gesellschaft hat seine Ausfälle von jeher geduldet, herbeigesehnt, befördert und sich am Ende lustvoll am Skandal geweidet – am Lieblingsmonster der Hansestadt, an ihrem einen großen Künstler. Der hat im Gegenzug seiner Umwelt wieder und wieder Beschränktheit vorgehalten («Eure Bildung ist Eigentumsbildung»)[3] – er, der verehrte Paria und Eremit; der Mann für die Schlagzeilen, der Weltberühmte, den außerhalb Hamburgs kaum jemand kannte; der Kunststar, der den Kunstzirkus nur verachtete; der richtig Geld verdiente und es erbarmungslos zum Fenster hinauswarf in seinem kleinen Kutscherhäuschen im teuersten Stadtteil; der bekennende Provinzler in der Möchtegernmetropole: der Kerl, in dem wirklich einmal eine «unergründliche Schöpferlaune» Feuer und Wasser zusammengebracht hatte.[4] Er, der lebende Widerspruch.

Von 1965 an scheiden sich die Geister an ihm. Die einen erblicken einen handwerklichen Meister (keinen der neumodischen Formverweigerer, Nichtskönner, Ideenkünstler), einen Typus, wie er in den folgenden Jahren rar wird. Von ihm kommen keine Happenings, keine Fettecken und Filzdecken, keine unübersehbaren Großformate, keine Flugzeuge aus Blei und Bilder auf dem Kopf, keine Holzplastiken mit der Kettensäge.[5] Janssen wird vor allem erfolgreich bei jenen, die den Weg der Intellektualisierung, Konzeptualisierung und Politisierung der Kunst nicht mitgehen wollen, all jenen, die die forttreibende Reflexion über den ästhetischen Prozess und dessen Ironisierung und Selbstuntergrabung mehr und mehr ermüdet. Nicht bei den «Kunstexperten», sondern bei den Menschen, die die zeitgenössische Kunst in ihrer steten «Modernisierung» (ihren zwanghaft wechselnden Moden) verliert; bei denen, die gegenständliche Kunst suchen, die kein Kitsch ist und mit Hingabe geschaffen wurde. Aus Sicht der «Fortschrittlichen» hingegen wird Janssen zum Liebling eines «denkfaulen», «bürgerlichen», ästhetisch konservativen Publikums.[6]

Und die Rache der Kritiker kommt prompt, ist umfassend und nachhaltig: Dafür, dass er nicht dem Progressivismus huldigt, seine Zeichen- und Radierkunst mit keinem Ideenwerk umgibt, partout für nichts stehen will und überdies alle naslang gegen den Kunstbetrieb polemisiert, heften sie ihm Etiketten an, die ihm bis heute schaden: überholt, konsumierbar, Eklektizist, Kopist, Traditionalist, Reaktionär. Insbesondere aber stoßen sie sich an seinem Erfolg, daran, dass Janssens Kunst in ungezählten WGs und Arztpraxen, Lehrer- und Wohnzimmern, Anwaltskanzleien und Dienststuben, Schalterhallen und Banken, Reisebüros, Sozialwohnungen und Villen hängt, ob als Original, als Poster oder Kalender, und von den späten siebziger Jahren bis zum Ende des Jahrhunderts aus ihnen im Grunde nicht wegzudenken ist.[7] Seither haftet Janssen der Geruch des Dekorativen an. Und dann war er ja auch nur ein Graphiker, gar kein richtiger Maler … Der Hass der «rheinischen Kunstmafia» (Janssen) klebt noch immer an ihm wie Pech. Janssen spielt keine Rolle.

Dabei erscheint seine Kritik am Markt heute zeitgemäßer denn je, da der Irrwitz des globalen Kunst-Investments Monat für Monat neue Gipfel erklimmt. Hier simulieren wir die reine Marktwirtschaft, in einer Arena des Habenwollens und Zahlenkönnens. Und allein in der Popkultur löst sich das große Versprechen der Moderne noch ein, dass wirklich jeder etwas werden kann – ein Hybrid aus Industrie und Spielplatz: der Inbegriff unserer Gegenwart.

All das ist alt, alt, alt – und liest sich wie der Wirtschaftsteil der Zeitung. Der Entwicklung einer marktgängigen, mit dem Diskurs verknüpfbaren Idee folgen – Fabrikate: die gleichförmige Exekution eines Konzepts, in leichter Variation. Erkennbarkeit, Marktwert, Erfolgsstrategie. Spürbar sind Kreative am Werk. Die Netzwerke, das Großschreiben, die Inthronisierung immer neuer Akteure – die Kunst-Börse. Kurse und Konjunkturen. Und Rendite. Das Ergebnis: Dekorationen im Zeitgeist, dafür oder dagegen. Öltapeten für den Kapitalismus, wandfüllend und bunt. Objekte für die Kinderzimmer einer infantilisierten Gesellschaft. Großinstallationen wie Spielplätze. Und Bildschirme – mit loops. Jeder kriegt die Kunst, die er verdient. Dazu Fälscherwerkstätten und von den Bedürfnissen des Markts diktierte Expertisen. Nur gut, dass die Kunst sich bereits von sich selbst abgewandt hat.

All das hat Janssen gesehen und mit Witz und spielerischer Leichtigkeit kritisiert, wenn auch nicht ohne Bitterkeit. Und er hat die reine Lust seines Auges dagegengesetzt.

Kaum ein bildender Künstler der Nachkriegszeit wurde dabei in Deutschland so intensiv von den Medien begleitet wie er. Anfangs hat Janssen sich noch gegen die Klischees gewehrt, die man ihm zuschrieb, dann hat er sie nach Kräften ignoriert oder begonnen, mit ihnen zu spielen – von früh an hat er sein Publikum mit Selbstdeutungen versorgt, in Hunderten von Selbstbildnissen und einem tagebuchartigen Werk. Und kaum einer hat «nebenher» ein literarisches Werk hinterlassen, das in vergleichbarem Umfang so tiefe Einblicke in die eigene Kunst und Biographie gibt. Man konnte Janssen förmlich beim Leben und Arbeiten über die Schulter schauen.

Doch sosehr Janssen auch suggeriert, er gebe dem Betrachter sein Leben an die Hand, das Gegenteil ist der Fall. Denn zugleich verstellt er den Blick auf sich durch die Fülle der gewährten «Einblicke», die er immer wieder umgestaltet wie in einem Kaleidoskop. Es wäre darum naiv, wollte man Janssens Äußerungen über sich selbst einfach übernehmen.[8] Nicht nur war er ein Imaginator und Pointenerfinder ersten Ranges, jemand, der vor allem unterhalten wollte, der jede Geschichte noch schöner machte und seine Anekdoten variierte, ein Erzähler also; «Wahrheit» überhaupt war Janssen egal – das Streben danach schien ihm von vornherein vergeblich und bloß ermüdend. Er hatte keinen Willen zur Wahrheit, denn er setzte keine Hoffnung in sie. Und er hat oft bewusst und mit Lust die Unwahrheit gesagt, es jedoch stets verstanden, seinen Fiktionen Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Nicht nur Bilder, ganze Maler hat er erfunden. Den Holländer Bartholomäusz van Berghuizen den Älteren etwa (1585–1650), dessen Werke er angeblich kopierte, hat es nie gegeben – Kunsthistoriker sind der Legende aufgesessen. Vorträge hat er gehalten, ohne auch nur einen Schimmer von der Sache zu haben. Wilhelm Busch legte er Nietzsche-Zitate in den Mund, und niemand merkte es: ein Fest für den Schulabbrecher mit seiner Ehrfurcht vor «gebildeten Leuten».[9]

Janssen war weder an biographischer Selbsterforschung interessiert noch daran, irgendjemandem Rechenschaft abzulegen. Schon ein flüchtiger Blick auf seine Selbstbildnisse lehrt, dass er Masken, Rollen und Irreführungen liebte und so virtuos beherrschte wie...

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