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Mit Macht ans Ziel. Die Persönlichkeit Helmut Kohl: Wie sein Charakter die Politik und Wende zur Deutschen Einheit beeinflusste

Wie sein Charakter die Politik und Wende zur Deutschen Einheit beeinflusste

AutorLudwig Späte, Manuel Franz, Markus Rietschel, Moritz Küpper, Norman Giolbas
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783656848912
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Oft sind es selbst in einer Demokratie einzelne Persönlichkeiten, die die Ziele eines Staates festlegen oder maßgeblich beeinflussen. In der Zeit der deutschen Wiedervereinigung sticht ein Name besonders hervor: Helmut Kohl. Der Schritt zur Deutschen Einheit wurde erheblich von seinem Einfluss, seinem Charakter und seinen politischen Fähigkeiten beeinflusst. Doch worin bestand das Charisma des ehemaligen Bundeskanzlers? Wie konnte er sich so lange an der Macht halten und außenpolitische Beziehungen aufbauen, an denen seine Vorgänger gescheitert waren? Was zeichnete seine Politik aus? Dieser Band stellt die Person Helmut Kohl aus verschiedenen Perspektiven in den politischen Kontext jener Zeit und zeigt, was ihn zum 'Wiedervereinigungskanzler' gemacht hat. Aus dem Inhalt: Einfluss von Persönlichkeit in der Politik Biographie von Helmut Kohl Regierungsstile von Adenauer und Kohl Personalpolitik Kohls Deutsch-sowjetische Beziehungen: Gorbatschow, Kohl und Honecker Narzissmus in der Politik

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Leseprobe

3. Allgemeine Leitlinien der Kohl’schen Personalpolitik


Gründe, Instrumente und Ziele der Kohl’schen Personalpolitik


Die Kohl’sche Personalpolitik war von Anfang an auf Machtgewinn und -erhalt ausgelegt. Es waren diese beiden Punkte, denen sich viele Entscheidungen letztendlich unterordnen mussten. Kohl verstand es, über Jahre hinaus, seine politische Macht personell abzusichern, und wurde deshalb vielerorts als „Machtmensch par Excellenze“ charakterisiert.[26]

Schon in seinen Anfangszeiten als Politiker lernte Kohl – die Beispiele der Kanzler Konrad Adenauer und Ludwig Erhard vor Augen, die beide ihre Macht verloren – dass ein Politiker Machtstrukturen braucht, die vor allem dazu dienen, gewonnene Macht zu verteidigen. Sein langjähriger Mitarbeiter aus dem Konrad-Adenauer-Haus, Gerd Langguth, attestiert Kohl, dass er ein solches Netz schon frühzeitig aufgebaut hat. „Es dürfte bislang selten einen Politiker gegeben haben, der so zielstrebig und langfristig planend auf ihn individuell zugeschnittene Machtstrukturen aufbaute wie Helmut Kohl. Er erkannte frühzeitig: Ohne die Schaffung eines Machtsicherungssystems wird ein Politiker nicht überleben können.“[27] Dabei erwies sich dieses Geben und Nehmen als eine Art Schneeballsystem: „,Karriere durch Aufstieg, und Aufstieg, sein eigener und derer, die ihn dabei unterstützten, durch Pfründe und durch Abhängigkeiten und durch Teilhabe an der Beute’, so beschrieb der Publizist Warnfried Dettling, der den Aufstieg Kohls als Mitarbeiter in dessen Administration aus der Nähe beobachtet hatte, diesen Techniker der Macht.“[28]

Als Begründung für seine Personalpolitik diente Kohl ein einfacher Satz: „Politische Macht ausüben kann nur, wer für seine Ideen Verbündete findet und mit ihrem Zuspruch zu Mehrheiten gelangt.“[29]

Kohls große Stärke war es, mit Menschen umzugehen. Dadurch konnte er sie für sich gewinnen. „Zu den hervorstechenden Eigenschaften, die der Rheinische Merkur dem jungen Mann attestierte, zählte die Kunst, Menschen für sich einzunehmen und an sich zu binden. Von Kindesbeinen an war er es gewohnt, Freunde um sich zu scharen. Mit dem Eintritt ins Berufspolitikertum lernte er, daraus Kapital zu schlagen. Er begann, seine Fähigkeiten systematisch zur Organisation von Gruppen einzusetzen, die kein anderes Ziel hatten, als die Vorstellungen ihrer Mitglieder gemeinsam durchzusetzen und damit Karriere zu machen.“[30]

Dabei half Kohl seine ungeheuere Kontaktfähigkeit. Diese „...– nicht nur die zur Schau getragene – ist grenzenlos. Seine vielen, vielen Kontakte in die Partei hinein dienen – natürlich – auch der eigenen Machtabstützung und -sicherung.“[31] Kohl war ein überzeugter Viel-Telefonierer. „Bewundernd hat Kurt Biedenkopf einmal gesagt: „Der Mann kann telefonieren wie ein Weltmeister.“[32] Durch diese Kontaktpflege verfügte Kohl „...über ein differenziertes Informationssystem. Er telefonierte beispielsweise unzählige Male mit Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landespolitikern, mit Menschen außerhalb der Partei, und zwar schon über Jahrzehnte.“[33] Um diese Menschen in sein Machtschema einzubinden, führte er ein „...strenges Regiment in der CDU. Er belohnte durch Zuwendung, er strafte ab durch Verstoßen. Wer ihm zu mächtig oder zu selbstständig wurde, bekam seinen Zorn zu spüren.“[34] Allerdings nicht nur in der Partei. Auch als Kanzler ging Kohl nach dem gleichen Schema vor: „Kohl belohnt und straft. Er vergisst nichts, und er vergibt nicht“[35], schreibt Jürgen Leinemann, der Kohl als Journalist lange Jahre beobachtete. Ihm, wie auch vielen anderen Beobachtern, fiel dabei eine Eigenschaft Kohls auf, die danach häufig als „Elefantengedächtnis“ bekannt wurde. Er konnte sich auch nach Jahrzehnten noch an Personen und deren Handeln erinnern. „Wieder einmal zeichnete sich Kohl dadurch aus, dass er seine Gegner aus den Augen verliert, seine Helfer, Verehrer und Mitstreiter jedoch nicht vergisst.“[36] Leinemann skizziert die Verfahrensweise in wenigen Sätzen: „Auf seine Machtmaschine aber, die durch Ämterpatronage betrieben wurde, konnte sich der CDU-Chef schon Ende der Achtzigerjahre verlassen. Er hängte sich persönlich ans Telefon und ließ skrupellos seine Beziehung spielen, um einflussreiche Helfer zu gewinnen und Kritiker auszuschalten. Über die Hälfte aller Parteidelegierten und Bundestagsabgeordneten der CDU, schätzte Ralf Dahrendorf, waren dem Kanzler für persönliche Förderung und Gefälligkeiten verbunden. Er konnte Ämter in Aussicht stellen und Straßenbauprojekte für den Wahlkreis – er hatte etwas zu bieten.“[37] So nutzte Kohl die unterschiedlichsten Einflussformen, die sich ihm als Partei-Vorsitzendem oder Bundeskanzler boten. „In seiner Kanzlerschaft hat Kohl die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre von 20 (1982) auf 33 (1992) erhöht und dann – unter dem Druck einer kritischen Öffentlichkeit – allmählich wieder auf 27 gesenkt. Diese Position war sozusagen die Wurst, die er uns ständig vor die Nase hielt,“[38] schreibt Friedbert Pflüger in seinem Buch „Ehrenwort“, indem er mit dem „System Kohl“ und der damit verbundenen Personalpolitik abrechnet. Aber es waren nicht nur Posten, mit denen er seine Leute köderte, sondern auch sein Wissen. „’Es ist unglaublich’, staunte ein Parteifreund, ‚was der alles weiß, was dem alles zugetragen wird.’ Dieses Wissen benutzt er als Waffe. Er hatte seine Informationen zu einem bedrohlichen Machtschatz aufgetürmt. Er vergaß nichts, er vergab nichts.“[39] Es verwundert nicht, dass fast alle Kohl Mitarbeiter eine Eigenschaft gemeinsam haben: „Sie sind abhängig von ihm, ihm ergeben, zugänglich.“[40] Diese Abhängigkeit förderte Kohl, indem er Konkurrenzsituationen unter seinen Mitarbeitern schuf. Dafür nutzte er auch häufig das Telefon, um, ohne dass die Mitarbeiter davon etwas wussten, immer auf dem neuesten Stand zu sein. „Rivalität unter engen Mitarbeitern und Mitstreitern vergrößerte die Abhängigkeit von ihm, erweiterte seinen politischen Manövrierraum und verschaffte ihm eine Schlichterrolle.“[41]

Und viele dieser Menschen, die später einmal seine Mitarbeiter werden sollten, kannte Kohl schon lange. Während seiner gesamten Zeit als Politiker hielt er Ausschau nach fähigen Personen, die ihm später nützlich sein könnten. Als überzeugter Parteisoldat suchte Kohl vor allem in der CDU nach fähigen Köpfen:

„Das Konrad-Adenauer-Haus wurde unter Kohl zur wirklichen Parteizentrale; man hielt in allen CDU-Gliederungen Ausschau nach jungen Leuten, die der Partei, aber später auch dem Regierungsapparat des Kanzlerparteichefs von Nutzen sein konnten. Viele Karrieren, die während der Ära Kohl ins Kanzleramt und in die Ministerien führten, begannen dank dieser Personalpolitik in jenen Jahren, als Kohl noch nicht Kanzler war. Auch das gehörte zum System Kohl. Der konservative Journalist Herbert Kremp hat das Ineinandergreifen von Partei- und Staatsapparat unter Kohl jüngst so charakterisiert: ,Modern war die Organisation, alt die Treue, das Leben, die Vergabe, der Entzug.’“[42]

Klaus Dreher schildert in seiner Kohl-Biographie einen typischen Werdegang von späteren Kohl-Mitarbeitern: „Im allgemeinen kamen Nachwuchstalente von der Bonner Universität, an der sie im Fach der Politischen Wissenschaft früher bei Professor Karl-Dietrich Bracher, danach bei Hans-Peter Schwarz promovierten und währenddessen im Ring Christlich- Demokratischer Studenten aktiv waren. Gelang es ihnen, im Verband den Vorsitz zu erobern, wurden sie in den CDU-Bundesvorstand kooptiert, machten mit einigen provozierenden Bemerkungen auf sich aufmerksam und wechselten als Redenschreiber ins Kanzleramt. In der Regel war dann der weitere Aufstieg vorgezeichnet.“[43] Doch nicht nur über die Partei machten viele Menschen unter Kohl Karriere. Für seine Regierungen zeigte sich die Fraktion als ergiebigstes Nachwuchsreservoir.[44]

Als Ergebnis dieser Personalpolitik stand eine riesige Machtfülle, die er sich durch Abhängigkeit der Leute „erkaufte“. Deswegen war es auch ein fester Bestandteil des Systems, dass seine Personalpolitik öffentlich wurde, bzw. die Leute wussten, wem sie ihre Berufung zu verdanken hatten. Schon in seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender in Rheinland-Pfalz zwang Kohl Ministerpräsident Peter Altmeier dazu, dass jede Ernennungsurkunde von Kohl gegenzeichnet werden musste. „Aus Kohls Sicht wusste damit jeder Landrat, jeder Schulmeister und jeder, der von der Regierung als Beamter ernannt wurde, wem er seine Berufung zu verdanken hatte. So nutzte er ein administratives Instrument, um über politische Mehrheitsverhältnisse zu informieren.“[45] Durch diese Abhängigkeiten, die später auch auf Bundesebene und in den verschiedensten Bereichen fortgeführt wurde, entstand eine Situation, in der man ohne Kohls Segen in der Partei nichts werden konnte. „Kohls Machtstellung ist so unumstritten, dass niemand die Chance hat, nur aufgrund seiner Qualifikation und seines persönlichen politischen Gewichts in den Kreis der Präsidiumsmitglieder vorzudringen.“[46] Entscheidend war eindeutig Kohls Wort und Einfluss. Das Präsidium der CDU war somit ganz auf die Machtsicherung Kohls ausgerichtet.[47] Dass in der Bundesregierung unter dem Kanzler Kohl niemand etwas gegen seinen Willen werden konnte, liegt in der Natur der Sache.

Allgemeine Kriterien der Personalpolitik


In der Literatur lassen sich viele Hinweise auf Kriterien finden, nach denen Kohl sich seine jeweiligen politischen Mannschaften zusammenstellte....

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