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Nichts soll vergessen sein

Lebenszeugnisse aus Pommern

AutorPeter Treichel
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl324 Seiten
ISBN9783741200700
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Pommern, das war bis 1945 eine deutsche Provinz, die seit Jahrhunderten aus Vor- und Hinterpommern bestand. Geblieben ist davon Vorpommern. Aus Hinterpommern wurde das polnische Pomorskie mit dem früheren Stettin und dem heutigen Szczecin als Hauptstadt. Dieses Pommern, das Land am Meer, seine und die ehemalige Heimat seiner Frau, lässt Peter Treichel in diesem Buch lebendig werden: In Erinnerungen an die Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof, an das Kriegsgeschehen, an die Vertreibung und den Neuanfang, an Elend und Rettung seiner Frau. Familien- und Dorfgeschichten tauchen aus der Vergangenheit auf - eingebettet in wichtige Epochen der pommerschen Geschichte: Einwanderung und Dreißigjähriger Krieg, Pommern in Preußen und im Kaiserreich, in Weimar und schließlich der Verlust nach dem 'großen Krieg'. 'Geschichte ist immer eine Geschichte von Menschen', schreibt der Autor. Man dürfe das, was in den Geschichtsbüchern stehe, nicht mit dem verwechseln, was Menschen erlebt haben. An anderer Stelle schreibt er: 'Wir Pommern lieben immer noch 'unsere' Ostsee, wie inzwischen auch die polnischen Bewohner an 'ihrem' Morze Baltyckie hängen.' Das Buch atmet viel Heimatliebe.

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Leseprobe

VORWORT


Erkenntnis

Seltsam ist des Lebenslauf,

seltsam fallen seine Lose,

immer bleibt ein Rosenblatt

in meiner Hand,

nie die volle Rose! –

Was ich gern besitzen will,

bleibt geheimnisvolle Ferne,

immer liegt nur Sternenschein

auf meiner Hand,

nie greif ' ich die Sterne!

Von einem deutschen Soldaten

niedergeschrieben am 3.11.1944

kurz vor seinem Tode.

Je kürzer die Lebensspanne ist, die man noch vor sich hat, und je mehr Jahre seines Lebens man hinter sich hat, desto öfter und intensiver blickt man zurück, auf sein eigenes Leben, auf das der Eltern, und manchmal wird daraus eine Beschäftigung mit seinen Vorfahren und der Zeit, in der sie gelebt haben. Wie Arno Surminski in einem seiner Romane geschrieben hat: „Je älter die Menschen werden, desto mehr glauben sie an Stammbäume und suchen die Fäden der Vergangenheit, und seien es nur Spinnweben.“ Sie erkennen, dass sie sich weder von der eigenen noch von der Geschichte ihrer Vorfahren lossagen können. Denn ihre Wurzeln stecken tief in der Vergangenheit ihres Geschlechts, aus dem ihre Gene stammen und damit wichtige Teile ihres So-Seins. Und die Menschen entdecken durch die Beschäftigung mit ihrer eigenen Vergangenheit, warum und wie sie zu den Menschen geworden sind, die sie sind. „Das Leben kann nur rückblickend verstanden werden. Aber es muss vorausschauend gelebt werden“, schrieb dazu der dänische Philosoph S. Kierkegaard. Dieser Satz schließt die Erkenntnis ein, dass man einen Menschen nur verstehen kann, wenn man seine Biografie kennt, wenn man weiß, wie er gelebt und was er erlebt hat, welche gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in seinem Leben gegolten haben. Über dem jüngeren Leben kreisen die beiden zentralen Fragen: Wohin gehe ich? und Wohin geht die Welt? Am Abend des Lebens bewegen uns eher die Fragen: Woher komme ich? und Wie war die Welt? Meine eigene Lebenswelt, die der Eltern, Großeltern, Urgroßeltern …

Dieses Buch enthält sehr persönliche Erinnerungen. Es sind Erinnerungen an die ersten Kindheitsjahre, an das Jahr, als der Krieg nach Pommern kam, an Flucht und Vertreibung, an den Neuanfang in Schleswig-Holstein und an den Beginn meines Berufslebens. Es sind die Jahre, die mich, wie alle Angehörigen dieser Jahrgänge der Kriegskinder, zu dem Menschen gemacht haben, der ich geworden bin.

Diese Zeit mit dem schlimmsten und grauenhaftesten aller Kriege hat nicht nur uns Kriegskinder geprägt, sondern auch unsere Elterngeneration verändert, so sie denn überlebt hat. Die Männer, die aus ihm zurückkehrten, fanden andere Frauen vor, als die, die sie verlassen hatten. Die Frauen erhielten andere Männer zurück, als die, die sie in den Krieg verabschiedet hatten. Die Kinder erlebten andere Eltern und die Eltern sahen andere Kinder heranwachsen, als sie wohl ohne den Krieg geworden wären. Es gab Väter, die wurden im Krieg zu Helden, und es gab Väter, die wurden schuldig. Aber es gab viele Väter, die waren weder das eine noch das andere. Die Rache der Sieger machte ebenso wenig einen Unterschied zwischen ihnen, wie die „Besserwisser“, die diese Zeit nicht erlebt haben. Die stillen Helden im und nach dem Krieg aber waren die Mütter. Sie haben schweigend gelitten, schweigend ihr Unglück getragen, mutig die Kinder behütet und um deren Leben gekämpft. Sie haben das Land wieder mit aufgebaut und ihre Familien in ein normales Leben zurückgeführt. Nicht alle konnten diese Aufgaben für ihre Kinder zu Ende führen, weil sie auf der Flucht starben, wie Pommerellchens Mutter und alle ihre Familienangehörigen.

Eigentlich hatte es bei meinen persönlichen Erinnerungen an wichtige Ereignisse, Erlebnisse und prägende Lebensabschnitte bleiben sollen, aufgeschrieben für unsere Söhne, Schwiegertöchter und Enkelkinder. Doch je öfter meine Rückschau auf meine Eltern und Großeltern gerichtet war, desto mehr wurde mir klar, es würde mehr daraus werden. Schon als ich die Skizzen für die ersten Kapitel auf dem Papier hatte, spürte ich, wie mich eine immer drängendere Neugier ergriff, die immer mehr Fragen in mir entstehen ließ. Es war, als wäre ich kurz vor der Mündung in einen Fluss gestiegen, den ich jetzt flussaufwärts schwamm, bis zur Quelle, dabei alles suchend, was dem Lauf des Wassers Richtung gab, ihn verlangsamte oder beschleunigte, ihn breiter oder schmaler werden, das Wasser steigen oder fallen ließ. Um im Bild zu bleiben: Ich tauchte ein in die Geschichte unserer Familie und Vorfahren, in die Zeit, in der sie gelebt haben, in die Geschichte unseres Heimatdorfes Varchminshagen und seiner Menschen. Ich lebte zeitweise gedanklich in den Lebensbedingungen, die für sie galten – und kam zu deprimierenden Erkenntnissen: Kriege, Kriege, immer wieder Kriege mit all ihren Grausamkeiten bis zur Katastrophe 1945. Und: Bis ins 19. Jahrhundert die Leibeigenschaft mit ihrer Unterdrückung und Ausbeutung durch den Adel. Schließlich die repressiven und rigiden Regierungssysteme in Preußen, später im Kaiserreich, und dann die nicht mehr zu steigernde Diktatur von 1933 bis 1945 mit ihren nicht mehr zu überbietenden Untaten. Ich spürte der pommerschen Geschichte nach, die bisher meist Interessen geleitet dargestellt worden ist, in Deutschland ebenso wie in Polen. Ich wollte einen unverstellten Blick auf das historische Geschehen in Pommern, einen, der nicht durch die politische Brille sieht. Mich interessierte nicht so sehr die „große Politik“, die die meisten Geschichtswerke beherrscht. Denn: „Es ist niemals die Geschichte, die die Menschen quält, erniedrigt und leiden lässt, sondern immer nur andere Menschen“, schreibt Joachim Fest in „Begegnungen“. Es ist der einzelne Mensch, der die Grausamkeiten und Brutalitäten der Kriege, die Nöte, Sorgen und Ängste, das Unglück und den Schmerz erlebt. Deshalb wollte ich wissen, wie es zu dem kam, was in den Jahrhunderten geschah und warum die Menschen in ihrer Zeit so leben und sterben mussten, wie sie es taten. Nicht die „Oberen“, sondern die „einfachen“ Menschen, zu denen auch unsere Vorfahren gehörten bis zur Elterngeneration in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist die Sprache der Herrschenden, die die Fragen nach dem Warum und Wie beantworten kann, weil die Sprache über das Denken Auskunft gibt und aus beiden das Handeln entsteht, das die Lebensbedingungen für die Menschen schafft. Darum habe ich besonders nach ihrer Sprache Ausschau gehalten, von der der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau gesagt hat: „Anstand beginnt mit der Sprache, und Unworte können Untaten hervorrufen.“

Autoren haben meistens anderen zu danken, die ihnen auf vielfältige Weise geholfen haben. So sind für jeden, der schreibt, Gespräche und Diskussionen wichtig, aus denen Anregungen kommen, die zur Klärung von Sachverhalten beitragen, die neue Sichtweisen eröffnen. Hierfür danke ich meinem Bruder Klaus, meinen Cousins und Cousinen und unseren Freunden.

Erwähnen muss ich unbedingt einen Karton, den ich meiner Mutter zu verdanken habe. Als hätte sie gespürt, dass er noch mal sehr wertvoll für mich sein würde, übergab sie ihn mir kurz vor ihrem Tode mit den Worten: „Darin sind alte Unterlagen. Ich mag sie einfach noch nicht wegwerfen.“ Der Karton stand auf unserem Boden und war aus meinem Gedächtnis verschwunden. Durch Zufall habe ich ihn entdeckt. Ich fand in ihm viele wertvolle Unterlagen: Briefe, Ahnenpässe, Geschlechterfolgen, Dokumente, Lebensläufe, Aufzeichnungen aus dem Leben meiner Eltern und meiner Großeltern, Bewerbungsschreiben, Zeugnisse, Aufzeichnungen über Tierbestände und Inventarlisten unseres Bauernhofes, Einwohnerlisten aus unserem Dorf. Es war eine Fundgrube. Danke Mutter!

Großen Dank schulde ich meiner Cousine Gertrud Heldt aus Varchminshagen, verheiratete Franz, die zehn Jahre älter ist als ich. Sie hat mich auf viele Spuren gebracht, eigene Erlebnisse geschildert, das Dorfleben vor dem großen Krieg beschrieben. Ohne ihr phänomenales Gedächtnis und ihre enorme geistige Frische hätte ich das nicht alles aufschreiben können, was ich beschrieben habe. Ich vermag die Gespräche nicht zu zählen, die wir oft über viele Stunden geführt haben, in denen Geschehnisse, Ereignisse und Menschen in unserem Dorf wieder lebendig wurden, so lebendig, dass ich oft von ihnen träumte. Ich danke ihr auch für die Fotos, die alten Zeitungsausschnitte und Briefe, die ich benutzen durfte.

Wenn man über Eltern, Großeltern und Vorfahren schreibt, wenn man die schlimmen Zeiten der Geschichte, in denen sie gelebt haben, in die Gegenwart holt, wenn man das eigene Leben aus einer Zeit beschreibt, die wenig Freuden und noch weniger Freundliches zu bieten hatte, dann ist das mit intensiven Gefühlen und Empfindungen verbunden, dann erstarrt man ungläubig vor dem, was Menschen angerichtet haben, dann hat man Träume, in denen längst verstorbene Menschen wieder lebendig werden und Geschehnisse und Ereignisse noch einmal ablaufen. Dann braucht man einen Menschen, mit dem man darüber reden kann, der...

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