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Sauerländische Friedensboten

Friedensarbeiter, Antifaschisten und Märtyrer des kurkölnischen Sauerlandes. Erster Band

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl524 Seiten
ISBN9783743107458
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Dieser Band zur "Friedenslandschaft Sauerland" erschließt über 20 Biographien von Frauen und Männern, die sich für Frieden und Menschenrechte eingesetzt haben. Die Botschaft der nahen Vorbilder lautet: "Versagt euch den völkischen Hetzern und der Kriegsmaschinerie! Sagt NEIN!" Die Geschichten von Mut und Menschlichkeit handeln mehrheitlich von "katholischen Lebenswegen". Der Umschlag zeigt jedoch den israelischen Friedensarbeiter Gabriel Stern (1913-1983), der im Sauerland aufgewachsen ist und ein Mitarbeiter Martin Bubers wurde. Das Buch vereinigt Arbeiten von Peter Bürger, Dr. Ilse Eberhardt, Karl Föster (1915-2010), Paul Lauerwald, Werner Neuhaus, Dr. Wolfgang Regeniter, Dr. Erika Richter, Werner Saure, Dr. Reinhard J. Voß (Geleitwort) und Joachim Wrede ofm cap. In mehreren Kapiteln werden außerdem historische Quellentexte dokumentiert.

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Leseprobe

II.


Rektor Ferdinand Wagener (1871-1931)


als Seelsorger im


Kriegsgefangenenlager


Meschede 1914-1919


Von Werner Neuhaus

[Zur Erläuterung: Das Kriegsgefangenenlager Meschede wurde im Herbst und Winter 1915/15 unter Federführung des Stellvertretenden Generalkommandos des XVIII. Armeekorps in Frankfurt a. M. auf freiem Felde nördlich von Meschede errichtet. Dort wurden im Verlauf des Ersten Weltkrieges zunächst hauptsächlich bis zu 11.000 französische Kriegsgefangene, im Winter 1916/17 ca. 8.000 belgische Zwangsarbeiter und 1917/18 in erster Linie italienische Kriegsgefangene untergebracht. Hinzu kamen bei ständig wechselnden Belegschaftszahlen britische und russisch-polnische Kriegsgefangene. Gemeinsam war allen Nationalitäten, dass die in Meschede registrierten Gefangenen auf hunderte von Arbeitskommandos in der gesamten Region verteilt wurden, wo sie in Industriebetrieben und in der Landwirtschaft arbeiteten, untergebracht und versorgt wurden. Von 1915 bis 1919 wurden auf dem Mescheder Lagerfriedhof insgesamt 935 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter beerdigt.]

Rektor Ferdinand Wagner (1871-1931),
Mescheder Lagergeistlicher im 1. Weltkrieg

Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.

Dieses berühmte Diktum von Karl Marx trifft auch auf das Leben und Wirken Ferdinand Wageners (1871-1931), des Rektors der Höheren Stadtschule von Meschede und katholischen Seelsorgers im Kriegsgefangenenlager Meschede, zu.

Zu den „überkommenen und vorgegebenen Bedingungen“ seines Lebens gehörte zunächst unhinterfragt der Katholizismus, der durch den Bildungsgang des auf einem Bauernhof bei Röhrenspring geborenen Jungen am Gymnasium in Attendorn und dem Priesterseminar in Paderborn ein unerschütterliches Fundament bekam. Hinzu kam dann bei dem Priester und Lehrer nach dem Ende des preußischen Kulturkampfes eine nationalpatriotische Überzeugung, die besonders in den Jahren des Ersten Weltkrieges hervortrat. Dieser Nationalismus ermöglichte es dem katholischen Priester, sich als Lagerseelsorger – bei aller punktuellen Kritik – mit der auf preußischem Kriegsrecht und militärischer Kommandogewalt beruhenden Mescheder Lagerleitung und ihren vorgesetzten militärischen Behörden zu arrangieren. Dabei half ihm, dass er sogenannte preußische Tugenden wie Gehorsam, Ordnungsliebe und Pflichterfüllung als hohe Werte gleichsam internalisiert hatte und als unerlässlich für das Gedeihen von Staat, Kirche und Gesellschaft ansah.

Wie aus seinen „Notizen“ – einer Art Tagebuch, das er über die gesamte Kriegszeit hinweg trotz hoher Arbeitsbelastung gewissenhaft führte – hervorgeht, akzeptierte Wagener die militärische Kommandogewalt mit all ihren teilweise unmenschlichen Härten, die sie für seine Schutzbefohlenen im Lager und auf den auswärtigen Arbeitskommandos bedeutete. Andererseits zögerte er nicht, sich bei der Lagerkommandantur in Meschede, der Lagerinspektion beim Stellvertretenden Generalkommando in Frankfurt a. M. oder beim Bischof in Paderborn zu beschweren, wenn er seine Rechte als Seelsorger unangemessen beschnitten sah. In solchen Fällen konnte er ein sauerländer Dickschädel sein, der keinem Konflikt aus dem Wege ging, wenn es um das Seelenheil der ihm anvertrauten katholischen Kriegsgefangenen ging.

Andererseits, und das brachte ihn häufig in Gewissensnöte, war er aufgrund seiner nationalistischen Überzeugung von der Gerechtigkeit der deutschen Sache im Weltkrieg überzeugt. In seinen Augen hatten die „Herren Alliierten“ den Krieg vom Zaun gebrochen, gegen geltendes Völkerrecht die Hungerblockade auf hoher See installiert, waren in Elsaß-Lothringen und Ostpreußen brutal gegen die deutsche Zivilbevölkerung vorgegangen und hatten deutsche und päpstliche Friedensinitiativen zum Misserfolg verdammt. Daher waren die Verwendung von Giftgas an der Westfront durch deutsche Truppen, die Zerstörungen, Erschießungen und Zwangsdeportationen in Belgien, der uneingeschränkte U-Bootkrieg und das Beharren auf einem „siegreichen Frieden“ für ihn nur deutsche Antworten auf vorher erfolgte Missetaten und Völkerrechtsbrüche der Feinde Deutschlands. In Predigten im Lager und Gesprächen mit ausländischen Priestern und Gefangenen verteidigte er Aspekte der deutschen Besatzungspolitik und die Härten der Zwangsarbeit bis zum Kriegsende ohne Wenn und Aber.

Auf einer anderen Ebene liegen seine persönlichen Gefühle, so weit er diese seinem Tagebuch anvertraute. Hier finden sich im Laufe des Krieges immer öfter Eintragungen, die das Blutvergießen und Massenelend anprangerten und aus denen tiefes Mitleid mit der geschundenen menschlichen Kreatur und den unter Hunger, Kälte, Krankheiten und Knochenarbeit leidenden Gefangenen und Zwangsarbeitern sprach. Da steckte er auch mal einem hungrigen jungen Belgier, obwohl dieser ihm gegenüber auf dem Sakrileg der Verweigerung des Sakramentenempfangs bestand, ein Butterbrot zu, und er sorgte „auf dem kleinen Dienstweg“ dafür, dass Kranke im Lazarett besseres Essen bekamen. Auch setzte er sich auf zahlreichen Inspektionsreisen zu auf über die gesamte Region verstreuten Arbeitskommandos schuftenden Zwangsarbeitern für eine Besserung von deren Lebens- und Arbeitsbedingungen ein.

Dabei ist zu bedenken, dass Wagener nur im Nebenberuf Lagerseelsorger war, denn hauptamtlich war er seit 1912 Leiter der höheren Stadtschule in Meschede, und der Krieg bescherte ihm gerade in dieser Funktion riesige Probleme, da immer mehr Lehrer „zu den Fahnen gerufen“ wurden und der Schulleiter sich z.B. selbst um die Zuteilung von Kohlen zur Heizung der Schule kümmern musste, um den Unterrichtsausfall nicht noch stärker anwachsen zu lassen. Als Hauptkritikpunkt an seiner Arbeit als Schulleiter wirkte sich jedoch seine Beanspruchung als Lagerseelsorger mit zahllosen Gesprächen mit der Lagerkommandantur, Beichten, Gottesdiensten, Predigten und Beerdigungen aus. Diese physische und psychische Doppelbelastung als Lagerseelsorger und Schulleiter führte dann im Winter 1916/17 zu einem ersten körperlichen Zusammenbruch, von dem er sich nur langsam erholte.

Seinen Kritikern in Elternschaft und Stadtrat hielt er entgegen, dass sein Beharren auf schulischer Leistung auch der Kinder „besserer Kreise“ für die Kritik der Mescheder „Patrizier“ an seiner Arbeit verantwortlich sei. Überhaupt geißelte er in seinen Notizen besonders in der zweiten Kriegshälfte die zunehmende Herausbildung einer Zweiklassengesellschaft sowie Habgier und Protzerei der Kriegsgewinnler und Schieber in Meschede.

Ähnliche Motive unterstellte er auch den meisten Mitgliedern des Soldatenrates, der am 11. November 1918 formal die Macht im Lager sowie in der Stadt und im Kreis Meschede übernahm, auch wenn Lagerkommandantur sowie Stadt- und Kreisverwaltung bestehen blieben und weiter arbeiteten. Im Soldatenrat waren in seinen Augen ‚Frankfurter Sozialisten‘ und ‚jüdische Zuhälter‘ tätig, die ihre „roten Lappen“ aufzogen, Chaos verbreiteten, Inkompetenz und Korruption zu ungeahnter Blüte brachten und Stadt und Land in den Abgrund zu reißen drohten.

Um dieses zu verhindern, ließ sich Rektor Wagener im Winter 1918/19 für das Zentrum als Kandidat für die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung aufstellen und agitierte besonders gegen die sozialistische „antichristliche“ preußische Schulpolitik während der Revolutionszeit.

Seine Arbeit als Lagerseelsorger endete im Februar 1919, und bei den Kommunalwahlen im März 1919 wurde er in den Mescheder Stadtrat gewählt. Er hatte seine Arbeit als Lagerseelsorger nicht aus „selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen Umständen“ getan, und unter den neuen „gegebenen Umständen“ wandelte er sich vom monarchistischen Nationalisten zum Vernunftrepublikaner. Sein Beharren auf den überlieferten Traditionen des katholischen Glaubens blieb dagegen auch in Weltkrieg und Revolution eine unverrückbare Konstante im Leben und Wirken Ferdinand Wageners.

Die hier gemachten Ausführungen beruhen auf meinem Aufsatz „Die ‚Notizen‘ des Gefangenenseelsorgers Ferdinand Wagener als kulturgeschichtliche Quelle für die Geschichte des Gefangenenlagers und der Stadt Meschede 1914-1919“, der im SüdWestfalenArchiv 16 (2016 [2017]) veröffentlicht wird. Dort finden sich auch die Belege für das oben Gesagte.

„Grausige, aber lehrreiche Zahlen“


Nach dem 1. Weltkrieg erschien in einer sauerländischen Zeitung folgender Text („Grausige, aber lehrreiche Zahlen“), der in einem alten Exemplar des „Fotobandes“ zum Mescheder Kriegsgefangenenlager aus dem Archiv von Hans-Peter Grumpe4 eingeklebt ist:

„Der Weltkrieg dauerte 4 Jahre, 3 Monate und 10 Tage = 1.560 Tage. Es blieben tot im Felde 12.990.570 blühende Menschenleben. Jeden Tag fielen im Durchschnitt 8.327, in jeder Minute 6 Männer. Ebenso oft...

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