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Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen - Vier Monate russische Kriegsgefangenschaft

Erlebnisbericht aus dem Ersten Weltkrieg

AutorKurt Aram
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl135 Seiten
ISBN9788026873532
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen - Vier Monate russische Kriegsgefangenschaft' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Als am Montag früh, den 3. August, meine Pässe noch nicht im Hotel waren und die Polizei auf telephonischen Anruf erklärte, es werde damit wohl noch bis morgen dauern, ging ich mit dem jüngeren Sohn unserer Hotelbesitzerin ein wenig spazieren, mir wieder einmal die schöne Stadt Tiflis anzusehen. Wir schlenderten durch den schattigen Alexandergarten, denn es war sehr heiß, und gelangten zum Golowinskij-Prospekt, der breiten Hauptstraße, an der die massige Garnisonskirche, der Statthalterpalast, die Kommandantur, die öffentliche Bibliothek und das Kaukasische Museum liegen. Hier begegneten wir gegen halb zwölf Uhr einem uns bekannten russischen Stabsoffizier. Wir grüßten. Er eilte hastig an uns vorüber, stutzte, kam auf uns zu, gab uns die Hand und sagte mit einem etwas hämischen Lächeln: 'Haben Sie schon gehört? Deutschland hat uns den Krieg erklärt!' Einen Augenblick standen wir wie vom Schlag getroffen. Dann aber lachte mein Begleiter dem Offizier ins Gesicht. So ein Unsinn!' Kurt Aram (1869-1934) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er war Redakteur beim Berliner Tageblatt, Mitherausgeber der Literaturzeitschrift März und verfasste eine Reihe von Romanen, die allgemein zur Unterhaltungsliteratur gezählt werden.

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Leseprobe

Die Kriegserklärung


Als am Montag früh, den 3. August, meine Pässe noch nicht im Hotel waren und die Polizei auf telephonischen Anruf erklärte, es werde damit wohl noch bis morgen dauern, ging ich mit dem jüngeren Sohn unserer Hotelbesitzerin ein wenig spazieren, mir wieder einmal die schöne Stadt Tiflis anzusehen. Wir schlenderten durch den schattigen Alexandergarten, denn es war sehr heiß, und gelangten zum Golowinskij-Prospekt, der breiten Hauptstraße, an der die massige Garnisonskirche, der Statthalterpalast, die Kommandantur, die öffentliche Bibliothek und das Kaukasische Museum liegen.

Hier begegneten wir gegen halb zwölf Uhr einem uns bekannten russischen Stabsoffizier. Wir grüßten. Er eilte hastig an uns vorüber, stutzte, kam auf uns zu, gab uns die Hand und sagte mit einem etwas hämischen Lächeln: »Haben Sie schon gehört? Deutschland hat uns den Krieg erklärt!«

Einen Augenblick standen wir wie vom Schlag getroffen. Dann aber lachte mein Begleiter dem Offizier ins Gesicht. So ein Unsinn!

Der Offizier eilte weiter.

Wir gingen stumm nebeneinander her, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt ... Unsinn! Warum sollte gerade Deutschland Rußland den Krieg erklären?

Wir gelangten zum Eriwan-Platz, auf dem immer mehr Menschen zusammenkamen. Erregt, neugierig. Irgend etwas war im Gange.

Wir sahen, wie aus dem Rathaus ein Tisch auf den Platz getragen wurde. Ein weißes Tuch wurde darüber gedeckt und darauf ein großes goldenes Kreuz gestellt. Über dem Tisch wurde ein prunkvoller Baldachin errichtet. Einige Popen erschienen in goldüberladenen Gewändern.

»Irgendeine Seelenmesse wird gelesen, das kommt hier öfter vor,« sagte mein Begleiter, und wir gingen eilig weiter. Rein mechanisch wählten wir den Weg zur Ssergijewska, in der das österreichische Konsulat liegt.

Kaum waren wir in die Straße eingebogen, raste uns ein Zeitungsjunge mit einem Stoß Extrablätter entgegen. Wir entrissen ihm ein Blatt, auf dem nichts weiter stand als das lakonische Telegramm der Petersburger Telegraphenagentur, daß Deutschland Rußland den Krieg erklärt habe. Trotzdem kam uns das allen beiden noch so unglaubhaft und ungeheuerlich vor, daß wir das Telegramm immer noch nicht ernst nahmen.

Der österreichische Konsul wußte nicht mehr als wir. Wir brachten ihm sogar durch unser Extrablatt die erste Kriegsnachricht ins Haus. Er schien geradeso wenig daran zu glauben wie wir. Er schien auch wirklich nichts Genaueres zu wissen, denn er erklärte, er erhalte von seiner Regierung seit Tagen keine Nachricht mehr. Trotz dringender Telegramme, die er aufgegeben habe.

»Aber in dem Petersburger Telegramm steht doch nur etwas von einem Krieg zwischen Deutschland und Rußland. Kein Wort über einen Krieg zwischen Österreich und Rußland. Warum sollte man Ihnen dann keine Telegramme aushändigen?«

Dr. Corossacz zuckte vielsagend die Achseln.

Der Sekretär des deutschen Konsulats telephonierte. Wir gingen mit dem österreichischen Konsul zum deutschen Konsulat.

Der Sekretär war höchst aufgeregt. Er glaubte sofort an den Krieg. Er bereitete alles vor, um das Konsulat zu schließen.

Wir beeilten uns, nach Hause zu kommen. Auf dem Eriwan-Platz wurde die erste Kriegsmesse unter freiem Himmel gelesen. Zum erstenmal erflehten hier russische Popen den Sieg für die russischen Waffen und Untergang und Verderben für Deutschland. Zum erstenmal scholl vom Eriwan-Platz hinter uns drein die russische Nationalhymne mit ihrer inbrünstigen, choralartigen Weise.

An den Ladentüren der deutschen Geschäfte auf dem Golowinskij-Prospekt standen die Inhaber und Angestellten mit bleichen Gesichtern. Aber keiner von allen glaubte an den Ernst der Lage. Sie alle waren unserer Ansicht: Stimmungsmache gegen die Deutschen.

Es war Mittag und der Golowinskij-Prospekt wimmelte von Menschen. Sie hielten das Telegramm in Händen oder warfen es schon, spöttisch lächelnd, von sich. Ernst wurde hier die Sache auch nicht genommen.

Dieselbe Stimmung herrschte im Hotel. Tragisch nahm man das Telegramm auch hier nicht. Weder die russischen Offiziere noch die ausländischen Zivilisten.

Die Offiziere unterhielten sich mit uns, wir mit den beiden Engländern. In dem ersten Hotel von Tiflis trieb an diesem Tag die erste Nachricht von dem nahenden Unheil die Gäste der verschiedenen Nationalitäten nicht voneinander fort, sondern zueinander.

Die beiden Engländer sahen zuweilen mit gespanntem Ernst in die Ferne wie auf ein ungeheuerliches Geschäft, das ihnen erst in flüchtigen Umrissen vor den Augen stand, und erwogen als kaltblütige Kaufleute die Chancen dieses Geschäftes.

Wir Deutschen aber hatten rote Köpfe und dachten nur an eins: Wie komme ich raus nach Deutschland?

Ehe wir uns dessen versahen, saßen wir Deutschen alle zusammen an einem Tisch: Frau Richter mit ihren Söhnen, der bayrische Ingenieur mit seiner Frau, ich und meine Frau. Dazu kamen bald noch Deutsche aus der Stadt. Was tun? Nur einer von uns war noch militärpflichtig. Aber wir alle wollten nach Deutschland und uns zur Verfügung stellen. Zu irgend etwas würde doch jeder von uns in dem bevorstehenden Riesenkampf gut sein. Also galt es packen und für die Pässe sorgen. Und als es so weit war, atmeten wir alle erleichtert auf, die Muskeln strafften sich, die Augen blitzten. O, jetzt ging es nach Hause nach Deutschland.

Und wieder saßen wir alle zusammen auf der Veranda des Hotels. Dunkel war es. Nur die Sterne leuchteten über der leise rauschenden Kura.

An einem Nachbartisch saßen die beiden Engländer. Nicht weit davon der amerikanische Missionar mit seiner Tochter, den die ganze Sache nichts anzugehen schien. Noch weiter fort russische Offiziere mit Lärmen und Lachen.

Zum erstenmal empfanden wir: Wir sind von Feinden umgeben und müssen vorsichtig sein. Wir unterhielten uns nur leise miteinander. Wir zeigten äußerlich möglichst unbewegte Mienen. Aber in uns kochte es und war wilder Tatendrang.

Da, alles verstummt und lauscht in die Nacht. Was ist das? Wie ferner Gesang klingt es in das Rauschen der Kura. Es kommt näher und näher. Die russische Nationalhymne, feierlich, inbrünstig. Manifestanten singen sie und durchziehen die Stadt. Ich schleiche mich zum Hoteleingang, wo die Manifestanten vorbeikommen. Fünfzig halbwüchsige Burschen, denen ein Polizist das Zarenbild voranträgt.

Ich eile zur Veranda zurück. Der Gesang kommt jetzt von der Kurabrücke her. Wie auf Verabredung heben wir die Gläser mit Rheinwein und leeren das Glas. Sagen, was wir denken, dürfen wir nicht. Aber wir denken: Deutschland, Deutschland über alles!

Am andern Morgen schon in der Frühe zum österreichischen Konsul. Ich habe meinen Paß immer noch nicht. Er soll mir raten und helfen.

In der Amtsstube sitzt eine strahlende deutsche Mutter mit ihren zwei Söhnen. Der ältere, etwa neunzehnjährig, strahlt auch über das ganze Gesicht. Der jüngere, etwa sechzehnjährig, heult jämmerlich. Die Mutter meldet ihren Ältesten zum Militärdienst nach Deutschland. Deshalb strahlen die beiden so. Dem Jüngsten hat der Konsul eben gesagt, es könne gar keine Rede davon sein, daß er eingestellt würde. Deshalb heult er so jämmerlich. Mich durchzuckt es, und auch der Konsul ist sichtlich bewegt, trotzdem er sein glattrasiertes Gesicht gut in der Gewalt hat.

Es erscheinen andere Deutsche. Sie melden sich ebenfalls. Sie wollen alle dasselbe: einen Paß nach Deutschland.

Der arme Konsul, er befindet sich in einer schwierigen Lage. Er weiß ja offiziell durchaus nichts davon, daß Krieg ist. Er kann auch nichts Bestimmtes darüber erfahren. Er kann gar nichts anderes tun, als die Leute auf später vertrösten und sie bitten, nächstens wieder zu kommen, nachdem er sie an das deutsche Konsulat verwiesen.

Mir verspricht er natürlich auch, das seine zu tun, damit ich meine Pässe zurückerhalte. Aber er ahnte wohl damals schon, daß es damit nichts werden würde.

Vom Konsulat begebe ich mich zur Bank. Da man auf so einer Reise nicht mehr bares Geld mitnimmt, als unbedingt nötig ist, so hatte ich mein Hauptgeld nach Wan überweisen lassen. Da ich aber jetzt nicht mehr nach Wan wollte, sondern nach Deutschland, mußte ich versuchen, ob ich nicht durch die Tifliser Bank mein Geld aus Wan erhalten könne. Auf der Bank riet man mir, sofort nach Wan um Überweisung des Geldes nach Tiflis zu telegraphieren. Man wollte das sogar selbst für mich besorgen und bat zu dem Zweck um meinen Depotschein. Ich zeigte ihn zwar, gab ihn aber nicht aus den Händen. Die Leute waren selbst für russische Verhältnisse etwas gar zu liebenswürdig. Ich wurde mißtrauisch und wollte mich erst noch anderswo erkundigen.

Mein Mißtrauen war berechtigt. Hätte ich dem Rat der Bank gefolgt, wäre ich das Geld losgeworden, denn sie zahlte schon wenige Tage nach der Kriegserklärung an Reichsdeutsche nichts mehr aus. Nicht einmal der österreichische Konsul konnte in den Besitz ihm überwiesener Gelder gelangen.

Die Ereignisse der allernächsten Zeit überstürzten sich dermaßen, daß ich ihrer chronologischen Reihenfolge nicht mehr sicher bin. Ich machte mir zwar sofort Aufzeichnungen, auf Grund deren ich alles der Reihenfolge nach erzählen könnte, aber diese Aufzeichnungen mußte ich später vernichten. Ich vermag jetzt also nur noch die Haupteindrücke wiederzugeben.

Gegen Mittag komme ich in das Restaurant unseres Hotels und bleibe unwillkürlich an der Türe stehen. Mitten im Restaurant steht ein Herr entblößten Hauptes. Um ihn her russische Offiziere mit ernsten Gesichtern. Der Herr liest das soeben eingelaufene Manifest des Zaren vor, wonach Deutschland das unschuldige Lämmlein Rußland hinterrücks mit Krieg überfallen...

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