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Signale der Schwerkraft

Gravitationswellen: Von Einsteins Erkenntnis zur neuen Ära der Astrophysik

AutorRüdiger Vaas
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783440161036
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Physik-Nobelpreis 2017 für Gravitationswellenforscher: Dieses Buch bietet einen brandaktuellen Ein- und Überblick mit den jüngsten Forschungsergebnissen! Die Entdeckung der Gravitationswellen ist eine wissenschaftliche Sensation. Erstmals seit Albert Einsteins Vorhersage konnten diese Signale der Schwerkraft gemessen werden: Wenn Schwarze Löcher kollidieren, bebt der ganze Weltraum. Der Nachweis von inzwischen einem halben Dutzend Raumzeit-Schwingungen ist ein weiterer Triumph für die Relativitätstheorie und ein enormer Erfolg der Technik. Diese Leistungen wurden nun mit dem Physik-Nobelpreis 2017 gewürdigt. Von Einstein bis zum Urknall und darüber hinaus: Gravitationswellen haben eine neue Ära der Astrophysik eröffnet.

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Leseprobe

»Sailing heart-ships thru broken harbors

Out on the waves in the night

Still the searcher must ride the dark horse

Racing alone in his fright.«

Neil Young: Tell Me Why (1970)

Mensch und Kosmos

Es gibt nicht viele Erkenntnisse über das Universum, das Leben und den ganzen Rest, die so faszinierend, so irritierend und gleichermaßen so unglaublich (schön) sind wie die wahrhaft weltumspannenden Einsichten, die Albert Einstein im Rahmen seiner Speziellen und Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben hat. Demnach sind Raum und Zeit nicht die passive und starre Bühne allen Geschehens, sondern eine Einheit, die alle Ereignisse einschließt und aktiv mitgestaltet so wie sie auch von diesen geformt wird. Das hätte sich vor Einsteins Erkenntnissen niemand vorstellen können. Die Raumzeit wird von den Körpern und sogar von Licht beeinflusst – wie auch umgekehrt. Denn Masse verlangsamt die Zeit (relativ zu einem Bezugssystem in einem schwächeren Gravitationsfeld), krümmt den Raum und zwingt Strahlen auf die schiefe Bahn. Das macht die Welt zu einer dynamischen und zugleich unverbrüchlichen Ganzheit.

Die Raumzeit kann sich dehnen, stauchen, biegen und sogar umstülpen, als wäre sie aus Gummi. Obwohl sie tatsächlich Myriaden Mal härter als Stahl ist. Sie bringt Licht auf krumme Touren, verschluckt Materie in finsteren Kerkern und schmettert die zerquetschen Kerne ausgebrannter Sterne mit geradezu irrsinniger Geschwindigkeit aufeinander. Dabei wird das vierdimensionale Gefüge des Alls erschüttert und förmlich zum Schwingen gebracht, wabert wild und schlägt lichtschnelle Wellen, die sich durch das ganze Universum pflügen. Die Erde ist eine Insel in diesem wispernden Ozean, umspült von geheimnisvollen Nachrichten, die teilweise vom Anfang der Zeit stammen.

Der Weltmeister: Mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (1915, 1917) hat Albert Einstein die Grundlage für die physikalische Beschreibung des ganzen Universums gelegt sowie den engen Zusammenhang zwischen Raum, Zeit, Energie, Masse, Schwerkraft und beschleunigten Bewegungen entdeckt. Auch die Existenz der Gravitationswellen folgt aus seinem Geniestreich, wie er 1916 überrascht erkannte – und mehrfach selbstkritisch bezweifelte.
© P. Ehrenfest; Museum Boerhaave, Leiden

Es hat lange gedauert und einen extremen Aufwand erfordert, um solche Gravitationswellen direkt zu erhaschen – ein Jahrhundert nach Einsteins gewagten Voraussagen. Neben den grandiosen Gedankenleistungen und dem Mut kühner Vorstellungen waren es vor allem raffinierte Entwicklungen der Experimentalphysik sowie technologische Spitzenleistungen, die nun einen völlig neuartigen Zugang zum Universum ermöglichen. Die kosmischen Kräuselungen künden von erstaunlichen Ereignissen – Dramen der Dunkelheit, die zugleich Arien der Astronomie zwitschern und trotz aller verborgenen Fremdartigkeit eine Poesie der Physik erstrahlen lassen, die Laien wie Profis gleichermaßen verblüffen. Stumme Schreie in der Finsternis entrinnen abgründigen Gravitationsschlünden und bleiben für immer in der Raumzeit – zugänglich jedoch nur für die Wissenden mit ihren raffinierten Lauschposten.

Als die jetzt nachgewiesenen Gravitationswellen zu schwingen begannen, gab es auf der Erde nur einfache Einzeller. Aber als die winzigen Vibrationen des Weltalls viele Hundert Millionen Jahre später die Milchstraße und schließlich das Sonnensystem erreichten, hatte die Evolution hier zufällig bereits Wesen hervorgebracht, die diese eigenartigen Signale der Schwerkraft zu erhaschen und zu deuten wussten – das Rumoren der Raumzeit wurde augen- oder besser ohrenfällig. Dass dies um Haaresbreite gelang, ist noch übertrieben formuliert: Die Messungen, die dem Gravitationswellendetektor LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) nach jahrzehntelanger Entwicklungsarbeit glückten, sind besser als 1 zu 1021. Das ist, als hätte man die Entfernung des Nachbarsterns Proxima Centauri, etwa 40.680.000.000.000 Kilometer (4,3 Lichtjahre), auf 0,01 Millimeter genau bestimmt – rund ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Diese Leistung war zu Einsteins Zeiten utopisch – und deshalb dachte er auch, dass die winzigen Undulationen des Universums niemals nachzuweisen wären. Nur ein Jahrhundert später aber sind die Spiegel von LIGO grandiose Spiegel der Erkenntnis, in denen sich die große weite Welt niederschlägt.

Die Voraussage und Berechnungen von Gravitationswellen sowie die Ideen zu ihrer Messung geben ein beeindruckendes Zeugnis des menschlichen Denkens und Erfindergeists. Das gilt erst recht für die Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie, ohne die all die Erfolge und Entdeckungen nicht möglich gewesen wären. Dieser Triumph der Welterkenntnis kann sich selbst transzendieren, weil die Schlussfolgerungen daraus neue Horizonte eröffnen – und wieder überschreiten lassen. Es ist zuweilen geradezu ein Lawineneffekt im sich selbst beschleunigenden Fortschritt. Er käme nicht in Schwung ohne die oft langwierige Anfangsphase und die nötige Hartnäckigkeit – das macht die Pionierleistungen noch heroischer. Es sind intellektuelle Heldentaten, so pathetisch das klingt. Denn Heldentaten bestehen nicht darin, jemanden totzuschlagen, auf einer Kreisbahn-Hatz zu überholen (wo man am Ende bloß wieder am Ausgangspunkt steht) oder einen Steinhaufen zu erklimmen (wo der sich selbst quälende Planet auch nicht anders aussieht). Heldentaten bedeuten eher, Menschen zu helfen, zu inspirieren, Fantasie und Wissen zu erweitern sowie trotz widriger Verhältnisse und schäbiger Randbedingungen ein paar Tropfen aus dem vielbeschworenen Ozean der Wahrheit zu schöpfen – kurzum, sich gegen die Absurdität des Daseins zu stemmen und etwas zu erschaffen, mit dem das blinde und taube Universum seine Augen und Ohren öffnet. –

Der irdische Ruhm bedeutet da wenig. Und doch ist er bereits kulminiert – lediglich zwei Jahre nach dem ersten, damals noch nicht einmal völlig verstandenen und ausgewerteten intergalaktischen Impuls. Am Dienstag, 3. Oktober 2017, kurz vor 12 Uhr gab Göran K. Hansson bekannt, der Generalsekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, dass der Physik-Nobelpreis 2017 »für entscheidende Beiträge zum LIGO-Detektor und zur Beobachtung von Gravitationswellen« verliehen wird – eine Entdeckung, »die die Welt wahrhaftig erschüttert hat«, wie er schmunzelnd anfügte. Die neun Millionen Schwedische Kronen (gut 940.000 Euro) erhalten zur Hälfte Rainer Weiss sowie zu je einem Viertel Kip S. Thorne und Barry C. Barish (siehe Fotos auf Seite 61).

Weiss (1932 in Berlin geboren) hat am Massachusetts Institute of Technology seit 1972 wesentliche konzeptionelle und technische Entwicklungsarbeiten für LIGO geleistet, Störquellen charakterisiert und einen Prototyp gebaut. Thorne (Jahrgang 1940) trieb LIGO seit 1975 am California Institute of Technology voran (wo der 2017 verstorbene Ron Drever ab 1979 ebenfalls maßgebliche Beiträge schuf); außerdem hat er als Theoretischer Physiker seit 1972 wichtige Forschungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie publiziert, besonders auch zu den Arten, Stärken und Häufigkeiten der Quellen von Gravitationswellen. Und Barish (Jahrgang 1936), der ebenfalls am Caltech wirkte, stieg 1994 als Principal Investigator bei LIGO ein und war von 1997 bis 2005 dessen Direktor; er setzte die politische Finanzierung und dann den Bau der damals zu scheitern drohenden Anlage durch bis hin zu ihrer Erweiterung Advanced LIGO, und er schuf 1997 die LIGO Scientific Collaboration. Sie umfasst inzwischen rund 1200 Wissenschaftler und Ingenieure aus 18 Ländern. Zu ihr gehören auch die Forscher vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und der Universität Hannover, wo ein Großteil der LIGO-Daten analysiert wird, und die bei Sarstedt südlich von Hannover den Gravitationswellendetektor GEO600 betreiben, an dem zahlreiche Technologien für LIGO entwickelt und getestet wurden. Alle drei Nobelpreisträger haben nach ihrer offiziellen Emeritierung weitergearbeitet, sind bis heute weltweit mit Vorträgen präsent und in der LIGO Scientific Collaboration tätig. Ohne die großartige Zusammenarbeit dieser vielen Menschen aus rund 100 Instituten wäre die Entdeckung der Gravitationswellen weder geglückt noch jetzt mit dem höchsten Wissenschaftspreis gewürdigt worden.

Bislang steht die Erkundung der Gravitationswellen am Anfang. Aber bereits der erste Nachweis überraschte die weltweite Gemeinschaft der Wissenschaftler. Dieses wahrhafte Jahrhundertsignal hat eine neue Ära der Astrophysik eingeleitet. Und die Detektoren werden noch empfindlicher, weitere kommen jetzt hinzu, spezielle Satelliten sind geplant und Astronomen spähen bereits eifrig nach elektromagnetischen Gegenstücken der brachialen Ereignisse, die in einem kurzen Augenblick mehr Energie freisetzen als alle Sterne des ganzen sichtbaren Universums zusammen. Theoretiker vermuten eine Fülle neuer Quellen am Himmel – und wie bei jeder Exploration wird es ganz unerwartete und nicht einmal vorstellbare Phänomene geben. Dieses Abenteuer beginnt erst. Es ist eine Anstrengung ohne Garantie, eine Investition ohne Versicherung, eine Expedition mit ungewissem Ausgang – oder ohne Ausgang eigentlich, denn sie soll und wird immer weitergehen, wenn der Forschergeist nicht stirbt.

Exkurs

Die Quellen der Wellen

Dass die Raumzeit schwingen kann, gehört zu den frappierendsten Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie – ja der ganzen Naturwissenschaft überhaupt. Wodurch die Schwingungen...

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