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Slime

Deutschland muss sterben

AutorDaniel Ryser
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641102661
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
»Sich fügen heißt lügen.«
Über 30 Jahre Punkrock und Revolte: Die legendäre Hamburger Band Slime erzählt ihre Geschichte, ungeschönt und aus erster Hand. Wegbegleiter und Bewunderer wie Campino, Jan Delay und Rocko Schamoni kommen mit persönlichen Anekdoten zu Wort. Ergänzt um bislang unveröffentlichtes Archivmaterial, entsteht das Porträt einer außergewöhnlichen Band und ihrer Zeit.

Sie waren und sie sind Deutschlands radikalste Punkband. 1979 in Hamburg gegründet, richteten sich Slime mit Texten wie »Deutschland muss sterben« und »Wir wollen keine Bullenschweine« gegen den Staat, die Polizei, Faschismus und Kleinbürgerlichkeit und lieferten die Parolen für eine wachsende autonome Szene. Straßenschlachten mit Neonazis und Polizisten und die Beschlagnahmung des Albums Slime 1 förderten ihren Nimbus als Kämpfer gegen das System. Gleichzeitig wurde ihnen der kommerzielle Erfolg von Teilen der Punkszene zum Vorwurf gemacht. Dennoch stehen Slime bis heute sinnbildlich für den musikalischen Widerstand. Dieses Buch erzählt erstmals die ganze bewegte Geschichte der umstrittenen Band und ihres Umfelds: von Bandproben im Luftschutzbunker, von Hausbesetzungen in der Hamburger Hafenstraße, vom Aufstieg des FC St. Pauli vom Stadtteilklub zum gefeierten Kultverein, vom Ärger mit der Zensur und mit den Hells Angels.

Daniel Ryser, geboren 1979, lernte das journalistische Handwerk beim St. Galler Tagblatt und arbeitete ab 2005 für fünf Jahre als Reporter für die Wochenzeitung WOZ. 2008 wurde er für ein Interview mit dem serbischen Fußballspieler Ivan Ergi? mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet. Im Echtzeit Verlag erschienen von ihm Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich und Yello - Dieter Meier und Boris Blank. Er lebt in Zürich und arbeitet als Reporter für Das Magazin.

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Leseprobe

Langenhorn is burning … Das Jahr, in dem die Ramones alles veränderten … Krawall im Grand Hotel …

»Was will man bei diesem Stück nicht überpiepsen?«, sagte Elke Monssen-Engberding, Leiterin der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, dem Reporter des Rolling Stone. Das Magazin hatte soeben den Beschluss der Prüfstelle aus dem Frühjahr 2011 publik gemacht, das Slime-Stück »Wir wollen keine Bullenschweine« zu indizieren – 31 Jahre nach dessen Erscheinen. Seither darf das Stück bundesweit nicht mehr an Jugendliche verkauft, beworben oder live gespielt werden. »Der Text ist ein einziger Aufruf zur Gewalt«, sagte Monssen-Engberding.

Vielleicht hatten ja die Schlagzeilen nach der Premierenfeier zu Tarek Ehlails Spielfilm Gegengerade im Februar 2011 bei der Entscheidung eine Rolle gespielt. Im Anschluss an die Premiere des Films, der im Umfeld des FC St. Pauli spielt, gab es Freigetränke für alle, die es irgendwie in die Lobby des Berliner Grand Hotel Esplanade schafften. Zahlreiche bekannte Gesichter waren gekommen, die Schauspieler Mario Adorf, Ralf Richter, Armin Rohde, die Pornodarstellerin Vivian Schmitt, Dutzende weitere Prominente und Halbprominente sowie fünfzig Punks. Sie alle drängten sich gegen Mitternacht zwischen Werbeständen von Jägermeister, Red Bull und Air Berlin vor eine grell beleuchtete Bühne, um den Höhepunkt des Abends zu erleben: einen Überraschungsauftritt der Hamburger Punkband Slime, die für den Soundtrack des Films das Stück »Mittendrin« aufgenommen hatte.

Punkrock im Grand Hotel: Die Band kam auf die Bühne und begann mit »Gewinnen werden immer wir«, einem Song von 1982, und die Punks tanzten vor der Bühne Pogo. Die Band beschleunigte Stück für Stück, die Punks tranken immer schneller, und spätestens als die Musiker im altehrwürdigen und geschichtsträchtigen Esplanade die ersten Takte von »Deutschland muss sterben« anspielten, wurde klar, dass es ein Frieden auf Zeit gewesen war zwischen den Punks und der Glamourwelt. Kurz darauf kappte das Hotelmanagement die für die ganze Nacht versprochene Alkoholzufuhr.

Eine knappe Stunde später stürmten fünfzig Polizisten in Kampfmontur die Hotellobby. Es wurde gerempelt und geprügelt, es gab Verhaftungen, und als sich einige Beamte gerade auf einen älteren Mann mit blondierten Haaren stürzen wollten, der sie anbrüllte, dass sie sich verpissen sollten, warf sich ein Hotelangestellter dazwischen: Nein, nein, Gewalt sei hier nicht nötig, das müsse ein Missverständnis sein. Dieser Herr da sei Sänger einer Band und Gast des Hotels, und zwar auf Kosten der Filmproduktionsfirma.

»Diesem Herrn da« widmete die Berliner Zeitung zwei Tage später einen prominenten Platz in ihrer Berichterstattung: »Die Partystimmung war umgeschlagen und eskaliert, als der Sänger der Punkband Slime das Publikum beschimpfte. Ein Teil der Gäste warf Flaschen, zerstörte Glastische, urinierte auf die Teppiche, verursachte eine Überschwemmung im Toilettenbereich und zerschlug Inventar.« Bild schrieb: »Echte Hooligans, die offenbar auch in dem Film mitspielen, zerlegten das Mobiliar, zertrümmerten Glastische – Dutzende in blinder Zerstörungswut. Schauspieler Ralf Richter war mittendrin, bekam aber nichts ab. Polizei-Großeinsatz. Mehrere Festnahmen.« Der Tagesspiegel erkannte ein Muster: »Bereits Mitte Dezember war es in Kreuzberg schon einmal nach einem Auftritt von Slime zu Krawallen gekommen.« Der Sänger wiederum, Dirk Jora, verneinte später, mit dem Ärger irgendwas zu tun gehabt zu haben. Der Aufruhr sei womöglich aus Publicitygründen von der Filmproduktionsfirma inszeniert worden. Er selbst könne sich nur daran erinnern, wie er sich nach dem Konzert angeregt mit Exhandballer Stefan Kretzschmar unterhalten und sich dann mit seiner Zimmerkarte einen Weg durch ein Spalier von Polizisten und deren hasserfüllte Blicke gebahnt habe.

Hamburg, 1975. Die Geschichte von Slime begann im Stadtteil Langenhorn. Der Bezirk im Norden der Stadt war eine Arbeiterhochburg und nach 1933 ein Zentrum des antinationalsozialistischen Widerstands durch KPD, SPD und Anarchisten. In Langenhorn standen auch eine Kaserne der Waffen-SS für das »I. Bataillon der SS-Standarte 2 ›Germania‹« und die Fabriken des Rüstungsbetriebs »Hanseatische Kettenwerke«, in deren Produktion während des Zweiten Weltkriegs rund tausend Frauen arbeiteten – aus Osteuropa verschleppte Zwangsarbeiterinnen. Auch die Asklepios Klinik Nord steht in diesem Stadtteil, während der Nazi-Zeit Landesirrenanstalt Ochsenzoll genannt. Vor dem Klinikgebäude an der Langenhorner Chaussee steht heute eine Gedenktafel:

Vom Gelände dieser Klinik aus wurden während der Zeit des Nationalsozialismus 4097 Patientinnen und Patienten (…) in Tötungs- und Verwahranstalten abtransportiert. 3755 von ihnen, darunter viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, fanden dabei den Tod. Bei medizinischen Versuchen in der Kinderfachabteilung wurden zwölf Kinder getötet. Wir gedenken an dieser Stelle der Opfer. Ihr Schicksal bleibt uns in Mahnung zum würdevollen und achtsamen Umgang mit jedem Menschen.

Die Landesirrenanstalt, so hieß es anlässlich der Einweihung der Tafel im Mai 2009, »war ein Tor in den Tod«. Im Rahmen des Euthanasie-Programms, der »Aktion T 4«, auch »Aktion Gnadentod« genannt, ermordeten die Nazis über 70000 Psychiatrie-Patienten und Menschen mit körperlichen Behinderungen, darunter viele Kinder.

In Langenhorn steht auch das Gymnasium Heidberg. Als »Eliteschule des Fußballs« ist das Gymnasium eine Quelle für lokale Fußballtalente wie Thomas von Heesen oder Benedikt Pliquett. 1975 trafen sich dort die beiden Schüler Michael »Elf« Mayer und Sven »Eddie« Räther. Sie trugen Jeansjacken mit Aufnähern von Status Quo, Slade, Alice Cooper und Kiss und hatten alles andere im Kopf als Schule und Fußball. Gemeinsam mit anderen wuchsen sie schnell zu einer kleinen Gang pseudoharter Jungs zusammen, die auf den Klassenfesten ihre Musik durchsetzten.

Dann kam das Jahr 1976, »und die Ramones veränderten alles«, sagt Elf und steckt sich in seiner Wohnung in Bremen eine Zigarette an. Befreundete Hippiemädchen hatten die jugendlichen Rocker mit Warum geht es mir so dreckig? und Keine Macht für Niemand bekannt gemacht, Alben der Berliner Hausbesetzer-Rockband Ton Steine Scherben aus den Jahren 1971 und 1972. Sie fanden die Texte gut, man fühlte sich verstanden, nur die Musik passte den jungen Rockern nicht so recht. Die Musik, die ihm passte, fand Elf, als er das erste Album der Ramones in einem Einkaufszentrum an der Hamburger Straße entdeckte: »Diese Rocker-Vögel mit ihren zerrissenen Jeans vor einer zerstörten Wand – nicht verkleidet, kein Glitterkram, Foto in Schwarz-Weiß –, die mussten einfach geil sein. Und so war es auch: Die Musik traf mich wie ein Blitz. So etwas hatte ich noch nie gehört. Es war ja auch die erste Punkplatte, die man überhaupt in Deutschland kaufen konnte. Und sofort war mir klar: Das ist es, was ich will. Das ist der beste Weg, meine ganze Wut rauszulassen.«

Vier Wochen lang sparte Elf, bis er genug Geld für die Platte zusammenhatte. Er hörte sie rauf und runter, und damit war der 14-Jährige nicht allein. Schnell bildete sich in Hamburg eine Punkszene aus rund hundert Leuten, die sich regelmäßig in einer Kneipe beim Fischmarkt trafen, dem Krawall 2000. »Ein Freund brachte mir Black-Sabbath-Riffs bei. Kurz darauf ging es auch schon los, und zwar im Musikraum unseres Gymnasiums.«

Elfs Vater arbeitete als Beamter bei der Bundeswehr, die Mutter als Sekretärin bei einer Versicherung. »Sie waren feine Leute. Aber sie verloren die Nerven, als ich nach dem mit Ach und Krach bestandenen Abitur nur noch eines machen wollte: Punkrock. Aber ich ließ mich nicht umstimmen. Ich wusste, das ist mein Weg. Und den bin ich gegangen. Bis heute.«

Eddie am Bass und Elf an der Gitarre holten Peter »Ball« Wodok hinzu, einen befreundeten Hafenarbeiter, der Schlagzeug spielte. Jetzt brauchten sie bloß noch einen Sänger. Sie nötigten ihren Klassenkameraden Thorsten »Scout« Kolle, der als Sänger absolut talentfrei und sogar für Punkrock zu unmusikalisch war. Die einzige Anforderung, nämlich den Takt zu treffen, erfüllte er schon einmal nicht. Stattdessen verpasste er den Einstieg, platzte irgendwo mitten in das Stück hinein und brüllte wie ein Irrer. Das erste Stück, das die vier übten, hieß »Polizei SA/SS«: ein schneller, harter Beat, drei Akkorde, radikaler Text, wütend und schnell heruntergespielt – das wurde zum Markenzeichen der Band, die sich zuerst Slime 79 and the Sewer Army nannte. Elf: »Wir waren Fans der Scherben, was die Texte betraf, waren links angehaucht, gingen auf Demos gegen Atomkraft und vor allem gegen den Bau des Atomkraftwerks in Brokdorf in der Nähe von Hamburg. Die Bullen waren wegen der ganzen RAF-Geschichte heftig drauf, haben bei den Demonstrationen ständig Leute verprügelt. Da ergab sich das automatisch, politische Texte zu machen und ordentlich zu provozieren.«

Ihr lieben Polizisten in der BRD

Ich will euch mal was sagen – hört mal alle her

Ihr seid moderne Nazis, das steht für uns fest

Kommt lasst uns doch in Ruhe, ihr seid schlimmer als die Pest

Bullenschweine, Bullenschweine

In der ganzen Welt

Söldner aller...

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