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Sophie Charlotte oder Ein anderes Preußen

AutorWalther Schwerdtfeger
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl488 Seiten
ISBN9783738681642
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sophie Charlotte, 1668 geboren, vermählt mit dem erstem preußischen König Friedrich I., Mutter des "Soldatenkönigs" und Großmuter des "Alten Fritz", war eine der herausragenden Frauengestalten ihrer Zeit. Obwohl sie bereits im Alter von 36 Jahren starb, waren ihre kulturellen und politischen Initiativen und Förderungen für Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft in ihrer Zeit revolutionär und wirken bis heute nach. Nicht nur in der Namensgebung für Schloss und Bezirk Charlottenburg in Berlin lebt sie weiter. Besonders ihre Rolle für die Emanzipation der Frauen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Diese Biografie zeichnet sie in ihrer Zeit; so entsteht mit großer Detailkenntnis ein Gemälde, das farbig, kenntnisreich und umfassend ihre Beiträge zu den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wiedergibt und würdigt.

Walther Schwerdtfeger, geboren 1912 in Berlin, arbeitete als Journalist und Übersetzer. Die Person Sophie Charlotte faszinierte ihn von Schülerzeiten an sein Leben lang. Eine erste Biographie verbrannte 1943, als seine Wohnung in Berlin-Tiergarten von Bomben zerstört wurde. Nach seiner Pensionierung 1977 schrieb er sie neu, wobei ihm nach 1989 auch die Archive der ehemaligen DDR besser zugänglich waren. Walther Schwerdtfeger starb im August 1999.

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Leseprobe

2.


STUARTS UND WELFEN


Krieg gegen die weichliche Auffassung der „Vornehmheit“. - Ein Quantum Brutalität mehr ist nicht zu erlassen; so wenig als eine Nachbarschaft zum Verbrechen.

Friedrich Nietzsche,

Nachgelassene Fragmente,

Herbst 1887, 10 (114)

Sophie Charlotte wurde am 2. Oktober 1668 in der Residenz der Bischöfe von Osnabrück, dem Benediktinerkloster Iburg am Südhang des Teutoburger Waldes geboren.

Ihr Vater Ernst August war durch eine Art ökumenischer Klausel des Westfälischen Friedens als Lutheraner Herr des kleinen Bistums geworden. Diese Klausel, die immerwährende Kapitulation, legte fest, dass das Bistum abwechselnd von einem katholischen und einem evangelischen Fürstbischof regiert werden sollte. Der evangelische musste ein jüngerer Prinz aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg sein. Die Mutter Sophie war eine Tochter jenes Pfälzer Kurfürsten Friedrich, der von den evangelischen Ständen Böhmens 1619 zum König gewählt wurde, einige Monate im Prager Hradschin gefeiert hatte und als Winterkönig in die Geschichte eingegangen ist.

Nach einem Sommeraufenthalt in dem Modebad Pyrmont, wo der oft kränkelnde Ernst August seine Milz mit einer Brunnenkur belebt hatte, war er mit seiner im siebenten Monat schwangeren „Bischöfin“ auf die Iburg zurückgekehrt. Anschliessend hatte er auf Hirschjagd fahren wollen. Aber dann hatte er, der nach dem Urteil seiner Frau stets eine amourette (Liebelei) brauchte, ein reizvolleres Wild gefunden: Suzanne de la Chevallerie Manselière, eine ihrer Hofdamen. Sie war schön, geistvoll und von einer Frömmigkeit, die im Gegensatz zu ihrem leidenschaftlichen Temperament stand. Im Zwiespalt des Keuschheitsgebotes ihres himmlischen und des sündigen Verlangens ihres irdischen Herrn offenbarte sie unter Tränen der Herzogin zerknirscht, wovon längst der ganze kleine Hof der Iburg sprach. „Am nächsten Tage reiste sie ab und glaubte dadurch ihre Ehre zu retten“, erinnerte sich Sophie. Sie erreichte das Gegenteil. Man erzählte, sie sei schwanger. „Ich brachte vor ihrer Abreise ein Mädchen zur Welt, das ihr durch seine zarte weiße Haut ähnelte“ berichtet sie in ihren Memoiren über die Geburt der Tochter - ein Satz, der die ganze höfische Welt erkennen lässt, in der das kleine Mädchen aufwachsen sollte.

Aus dem Haut-Vergleich wird nicht nur Sophies kühle Arroganz deutlich. Man erkennt auch die Resignation einer Frau, die mit ihren 38 Jahren schon silver haar hatte und bei einigen Geburten am Rande des Todes gewesen war. In zehn Ehejahren hatte sie erfahren, mit wie leichter Hand Ernst August lästige Bindungen zu lockern wusste. Aus Italien küßte er der schönsten Jungfrau (pusselle) der Welt brieflich die Hände und jagte anschließend einer aufregend schönen Französin von Venedig bis Rom nach. Sophie gönnte ihm das kleine Stückchen Fleisch, das er bei Gräfinnen wie bei Kammerzofen fand, achtete aber darauf, dass aus keiner dieser Liebeleien eine dauernde Beziehung wurde. Als die schöne Suzanne nach einigen Jahren zurückkehrte schlug der Herzog vor, sie zur Ehrendame der kleinen Sophie Charlotte zu machen. Trotz des Hinweises, Sophie wisse doch, wie tugendhaft das Fräulein sei, holte er sich eine Abfuhr. Sophie sagte ihm, sie halte es mit dem Worte Cäsars, es genüge nicht, dass seine Frau keusch sei; die Leute müssten auch glauben, dass sie es sei.

Die Geburtsanzeige, die verwandten und befreundeten Höfen von Kurieren überbracht wurde, ist im förmlichen Kanzleistil gehalten. Der Fürstbischof teilt mit, dass „Unsere freundliche liebe Gemahlin Ld.(Liebden) ihrer bishero getragenen fräulichen Bürde in gnaden entbunden, undt Uns am vergangenen Freytag, wahr der 2/12 ietzo scheinenden Monats morgens zu 7 Uhren mit einer jungen wohlgestalten Tochter mildväterl. erfreuet.., wofür undt das Mutter undt Kindt sich bis noch bey zimblich ertraglichen Zustandt befinden, Wir seiner Göttl. Allmacht hertzinniglich dank sagen.“ Gegeben in „Unsrer fürstl. Residence Iburg den 5/15 Octobris Anno 1668.“

Als fünfzehn Jahre später über eine Heirat der Tochter mit dem Kurprinzen von Brandenburg verhandelt wurde, bat der Berliner Hof um das der Prinzessin bei der Geburt gestellte Horoskop. Aber Vater und Mutter waren kühle Vernunftmenschen: Sie hielten nichts von Tierkreisen, Himmelshäusern und Planeteneinflüssen. Und was sollten die Sterne auch einem Mädchen verheißen, dessen Vater ein kleines, nicht vererbbares Bistum regierte und sechs unversorgte Söhne hatte, und dessen Mutter das zwölfte Kind einer aus ihrem Königreich vertriebenen Witwe war, deren Haus in Den Haag von Ratten ebenso wimmelte wie von Lieferanten, die auf Bezahlung ihrer Rechnungen drängten.

Es gab nicht einmal Taufpaten von Rang für das kleine Mädchen auf der Iburg. Man trug die Patenschaft einer Nichte der Mutter, der sechzehnjährigen Liselotte an, Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz. Liselotte, die zwar nicht selbst aus Heidelberg kommen konnte und sich durch ihre ehemalige Hofmeisterin Frau von Harling vertreten ließ, dankte den Eltern für die Ehre, sie „zu einer Taufzeugin zu erwehlen undt gndl.(gnädiglich) Dero Fräulein den nahmen Sophie Charlotte geben zu laßen.“ Ihrem Patenkinde wünschte sie, dass es in allen christfürstlichen Tugenden aufwachsen möge und dazu gedeyliche prosperitaet. Unter die Kanzlistenhand malte sie in feiner Jungmädchenschrift:

„E.L.

Dienstwillige Muhm Gevatterin undt Dienerin

ELISABETH CHARLOTTE“

Getauft wurde Sophie Charlotte nach lutherischem Ritus in der evangelischen Kapelle, die Ernst August in der Iburg hatte einrichten lassen. In dem kleinen hellen Raum mit weiß lackierten Holzbänken. zeigte zwischen klassischen Säulen das Altarbild einen Christus, dessen Kreuz in einer lieblichen italienischen Landschaft stand. Das entsprach dem Geschmack der Eltern mehr als die Schädelstätte Golgatha.

Wer waren diese Eltern?

Vater und Mutter hatten zweierlei gemeinsam: Armut und einen großen Namen. Ernst August kam aus dem acht Jahrhunderte alten Welfenhause, das mit Karolingern und Staufern versippt war. Sein berühmtester Vorfahr war Heinrich der Löwe, der mächtigste Fürst seiner Zeit, Herr über Sachsen und Bayern, Gründer der Städte Lübeck und München, Vetter des Kaisers Friedrich Barbarossa. Seine Herrschaft erstreckte sich von der Ostsee bis Bozen. Aber nach einem stürmischen Leben aus Feldzügen, Aufständen, Siegen und Flucht, Triumphen und Reichsacht hinterließ er, als er 1195 in Braunschweig starb, seinen Erben nur Trümmer. Den Welfenschatz mit dem Millionen-Evangeliar erwarb für ein Spottgeld erst Sophie Charlottes Onkel Johann Friedrich von den Braunschweiger Domherrn. Er, der Intellektuelle im Quartett der Brüder, war es auch, der einmal seufzte, für die Welfen wäre es besser gewesen, wenn ihr Vorfahr statt des Löwen-Namens sich den Namen Heinrich das Lamm verdient hätte. Der Reichtum der späteren Welfen war meist nur Kinderreichtum. Sie zeugten so viele Söhne, dass der braunschweigische Restbesitz der Familie in immer mehr und immer kleinere Fürsten- und Herzogtümer aufgeteilt werden musste, um alle zu versorgen: Calenberg, Celle, Dannenberg, Gifhorn, Göttingen, Grubenhagen, Wolfenbüttel. Ernst Augusts Großvater hinterließ sieben Söhne und acht Töchter. Um den in die politische Bedeutungslosigkeit führenden Teilungen ein Ende zu machen, einigten sich die Söhne auf die Regelung, dass der älteste das ganze Land erben, aber nur einer der sieben heiraten und erbberechtigte Kinder zeugen dürfte. Dieser eine wurde durch das Los bestimmt. Die anderen mussten ehelos bleiben oder zur linken Hand (unstandesgemäß) heiraten. Das Los fiel auf den sechsten Sohn, Georg.

An Georgs Hof ging es bescheiden zu. Die Suppe, die um morgens sieben Uhr Frühstück aufgetragen wurde, fiel freitags aus. Nüchtern wären die Herren besser auf die an jedem Freitag stattfindende Wochenpredigt eingestimmt, meinte der Herzog. Wein gab es nur am Fürstentisch, und Fürstliche Gnaden prüften jeden Montag selber die Wochenrechnung für Küche und Keller, Backhaus und Futterboden.

Als Georg starb, wurde doch wieder geteilt. Der älteste der vier Söhne, Christian Ludwig, erhielt den einträglichsten und größten Teil des Lands, das Fürstentum Lüneburg mit der Hauptstadt Celle. Der zweite Sohn, Georg Wilhelm, bekam das Fürstentum Calenberg, verlegte aber seine Residenz bald nach Hannover. Die beiden jüngeren Brüder Johann Friedrich und Ernst August erhielten von den älteren eine kleine Rente. Ernst August wohnte bei seinem Bruder Georg Wilhelm in Hannover.

Geheiratet hatte nur Christian...

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