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E-Book

Spielverderber

Mein Leben zwischen Rap & Antifa

AutorChaoze One
VerlagPolarise
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783947619177
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,95 EUR
- Links-politischer Rapper der ersten Stunde - Hintergründe zu seiner Musik - Anekdoten aus seinem politischen Leben Entgegen des allgemeinen Medienechos ist Rap nicht nur rechts, sondern auch links-politisch aktiv. Als Musiker ist der Mannheimer Chaoze One seit 20 Jahren auf den Bühnen unterwegs. Von dort hatte er eine einzigartige Perspektive auf die politische Stimmung in Deutschland. In 'Spielverderber' berichtet er mit einer Offenheit aus seinem Leben, und zeigt, was ihn politisierte und wie das alles seine Musik beeinflusste. Es ist ein Buch, das Erlebtes schonungslos aus dem Alltag greift: die Zusammenarbeit mit Politisch-Gleichgesinnten, das Zusammentreffen mit Nazis, die Erfahrungen mit der Staatsmacht bei Demos - gerade das regt zum Nachdenken an. Manchmal muss man auf Missstände hinweisen, auch wenn es bedeutet, ein Spielverderber zu sein.

Der Mannheimer Rapper Chaoze One schreibt Songtexte, produziert Musik, dreht Musikvideos und spielt im Stadtensemble des Nationaltheater. Bei allem, was er tut, ist er ... und dabei auch ein politischer Mensch. Was ihn antreibt, ist Haltung: zum Mensch, zur Welt, zum Leben im Falschen.

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Leseprobe

4 - Danke, Antifa!


Der kurze Sommer der Diarrhoe


Mit meinem halben Dutzend Akkorden, die ich auf der Gitarre beherrschte, trieb mich lange Zeit die Idee um, eine Band zu gründen. Mitte der 1990er setzte ich das Vorhaben mit drei Freundinnen in die Tat um. Zwar träumte ich eigentlich davon, den jamaikanischen Ska mit Punk zu mischen und damit auf die Bühne zu gehen, allerdings spielten alle Blechblasinstrumentalisten, die mir bekannt waren, entweder bereits in einer anderen Band oder beim Feuerwehrmusikzug. Wir blieben also beim soliden Punkrock, der, das sollten wir bald merken, zwar technisch anspruchslos schien, aber dennoch in der Lage war, uns unsere Unfertigkeiten vorzuführen. Anja, die mit mir dieselbe Realschulklasse besuchte und deren Gegenwart mich zum Genuss diverser Kinofilme motiviert hatte, besaß seit einigen Wochen eine E-Gitarre der Marke No Name und hatte sich schon dadurch qualifiziert, Teil dieser zukünftigen Kultcombo zu werden. Thomas, in dessen Keller wir probten, weil dort sein Schlagzeug stand, hatte zum Gründungstag gerade mal elf Lebensjahre auf dem Tacho. Und Jared, der immerhin schon einen Führerschein besaß, kaufte sich kurzerhand einen Bass – damit war auch er qualifizierter Teil der Band. Was wir mit unseren mehr oder weniger vertrauten Instrumenten anzufangen hatten, würde sich dann schon beizeiten noch ergeben. Wir schrieben schnell unsere ersten Stücke, die wir auf Deutsch und Englisch vortrugen. Inhaltlich würde ich das Ganze heute als politisch überbemühten und gleichzeitig ziemlich sexistischen Funpunk betiteln. Wir nannten das ganze Projekt selbstbewusst Diarrhoe, was dem lateinischen Fachbegriff für Durchfall entspricht, und coverten zusätzlich zu drei überragenden Eigenkreationen noch vier bekannte Deutschpunkschinken, von denen mir gerade nur noch Hooligans von Hass einfällt, und Ben E. Kings Stand by me. Woche für Woche trafen wir uns im Proberaum und übten.

Nach einigen Monaten wurde aus den vier Solistinnen tatsächlich so etwas wie ein einheitlicher Soundmatsch. Da kam die Anfrage aus meiner Klasse gerade recht, die nach einer Band für das anstehende Sommerfest suchte und dabei dankenswerterweise an Anjas und meine Kapelle dachte. Keiner hatte jemals gehört, was wir da wirklich machten. Sowohl die Klasse als auch wir sahen, freilich aus unterschiedlichen Gründen, gespannt dem Tag unseres Auftritts entgegen.

Die Feier fand in einem Weingut unter freiem Himmel statt. Das Weingut gehörte dem Stiefvater eines meiner Klassenkollegen, der uns die Gartenwirtschaft zur Verfügung gestellt hatte. Die Krux bei der Sache war allerdings, dass sich neben unserer Klasse auch ganz normale Kundschaft auf dem Anwesen befand. Menschen, die von Hamburg oder aus dem Elsass in die Pfalz fuhren, um sich inmitten der Weinbergidylle auf einem Winzergut authentisch mit Riesling zuzulöten. Letzteren Plan verfolgte wohl auch Jared, unser Bassist, denn bereits kurz vor unserem ersten Song war der nicht mehr als nüchtern zu bezeichnen, während Schlagzeuger Thomas gerade mit seiner Mutter aushandelte, ob er eine Cola trinken durfte.

Was bleibt zu erzählen? Wir spielten unser Set und sorgten so zwar einerseits für erstaunte Gesichter bei der Realschulklasse 10 E, andererseits aber auch dafür, dass das Weingut bald nur noch von uns belebt wurde. Der Bitte nach einem Konzertabbruch kamen wir jedenfalls nicht nach, wir zogen durch und danach von dannen, roten, aber erhobenen Hauptes. Und noch etwas geschah an diesem Abend. Anja, Thomas, Jared und ich wollten gute Freunde bleiben. Diarrhoe war Geschichte.

Nazi-Luchs und mein Ausflug aufs humanistische Gymnasium


Die Tage in der neunten Klasse bestimmte vor allem die Sorge um meine Versetzung. So manchen Nachmittag habe ich damit verbracht, auszurechnen, womit ich welches Fach ausgleichen könnte, um den Sprung in die zehnte Klasse zu schaffen. Für mich waren gerade andere Dinge wichtig. Politik und Partys, Mädchen und Musik. In der zehnten Klasse jedoch hatte ich mich wieder einigermaßen gefangen und war besser in der Lage, aus meinen Ressourcen zu schöpfen. Wenn ich zurückdenke, waren die zwei Jahre die besten Schuljahre meines Lebens. Ich kann mich daran erinnern, dass ein Elternabend einberufen wurde, weil die Lehrerinnen es nicht schafften, in unserer Klasse Konkurrenzdenken aufkommen zu lassen. Der Wettbewerb blieb aus und damit ein Motivationsmittel, das die Pädagoginnen brauchten, um ihren Stoff in unsere Köpfe zu bringen. Selbst wenn jemand von uns Scheiße gebaut hatte, hielt die Klasse dicht, völlig ungeachtet der Rollen, die wir in diesem Gefüge innehatten. Vielleicht schaue ich zu romantisch zurück, aber wir hatten im schönsten Sinne des Wortes eine Solidargemeinschaft, die zusammenhielt. So eine Story nebenbei: Auf einer Klassenfahrt in ein Landschulheim bei Hochspeyer hatten wir gerade unsere Zimmer bezogen und spielten draußen eine Runde Basketball, als plötzlich mehrere Autos mit Nazis vorfuhren und anfingen, die »Scheiß-Kanaken« unter uns anzupöbeln. Augenblicklich standen wir, inklusive unseres Klassenlehrers, wie eine Römerformation zusammen und drängten die Faschos so lange zurück, bis die aufgaben. Wer schwänzte, wurde erstmal nicht verraten, bei der Anwesenheitskontrolle sagte jemand »Ja«, damit die fehlende Person ihren Haken neben dem Namen bekam, was immerhin ein paar Mal funktionierte, bis wir erwischt wurden.

Im Nachhinein betrachtet sind es, glaube ich, genau diese Momente, in denen man begreift, dass eine Gemeinschaft aus sehr unterschiedlichen Menschen funktionieren kann. Aber irgendwann geht eben auch die schönste Zeit zu Ende und nachdem ich meine mittlere Reife in der Tasche hatte, wechselte ich auf ein humanistisches Gymnasium, um mein Abitur zu machen.

The kids are not alright (1997)

Wenn ich an die Zukunft dachte, sah ich mich Journalismus studieren, später würde ich einer von denen sein, die dreckige Geschichten aufdeckten und der Justiz damit ein bisschen Beine machten. Und um das erleben zu können, war es leider nötig, Abitur zu machen. So begann ich einigermaßen motiviert, musste mich bald aber diversen Hindernissen stellen. Zum einen war die beinahe einhellige Meinung im Kollegium, wir Neuankömmlinge aus der Realschule seien »Mogelabiturientinnen«, die sich nach zehn Jahren Müßiggang jetzt in drei Jahren erschlichen, was die »richtigen« Gymnasiastinnen in dreizehn Jahren harten humanistischen Lernens vollbringen mussten. Zum anderen gab es auf diesem Gymnasium einen ganz speziellen Lehrer, mit dem ich schnell »Freundschaft« schloss. Die Klasse nannte ihn »Nazi-Luchs«, weil sein Familienname Luchs war (Name geändert). Herr Luchs war zuständig für Erdkunde und Geschichte, diese Personalbesetzung war ein Volltreffer auf ganzer Linie. Der Mann liebte seinen Beruf und brachte uns begeistert Deutschlands Grenzen vor 1945 näher – unter Ausschluss einer Mitschülerin, die ein Kopftuch trug. Offensichtlich hatte ich trotz Irokesenschnitts und bunter Haare den Vorteil, wenigstens ein »rrrrrichtiger Deutscher« zu sein. Zum Ende einer Stunde rief er mich nach vorne, um mich vor der Klasse zu befragen, ob ich BAföG erhalte. Ich verneinte und vermieste ihm damit die weitere Argumentation, was ihn dennoch nicht davon abhielt, weiter über mich zu zetern: »Sie sind ein Schmarotzer. Sie stinken.« Ab diesem Tag blieb ich seinem Unterricht fern, ungeachtet aller Konsequenzen. Und weil ich schon mal dabei war, verweigerte ich dann auch fast den gesamten restlichen Unterricht mit Ausnahme von Kunst und Italienisch. Nach nur sechs Monaten hatten mich die »humanistischen« Sektiererinnen so weit, dass ich die weiße Fahne hisste. Na ja, fast jedenfalls. Es kam der Tag, an dem die Schule traditionell einen Waldlauftag veranstaltete. Frei nach Turnvater Jahn quasi »frrrrisch, frrrromm, frrrröhlich, frrrrei« (das R muss rrrroll’n!) marrrrschierrrrte die gesamte Schule, selbstverständlich unter der Führrrrung von Nazi-Luchs, in den Orrrrdenswald. Dass der Biolehrer eindringlich vor den Fäden der Seidenspinnerraupe gewarnt hatte und dazu riet, den Tag ausfallen zu lassen, konnte diesen Mann natürlich nicht aus dem Konzept bringen. Was zählen schon gesundheitliche Risiken wie Asthmaanfälle und allergische Schocks gegen eine Ehrrrrung als Sieger? Deutschland ist ein Athlet (Songtitel von Schlagzeiln). Gewonnen hatte, wer als Erster im Ziel war, selbstverständlich, und alles, was sich irgendwie auf zwei Beinen fortbewegen konnte, wurde auf die Piste geschickt. Als Raucher wurde ich stinkender Schmarrrrotzer vom Marrrrathon-Krrrruppstahlmann argwöhnisch begutachtet. Wenn ich an diesen Lauf dachte, sträubte sich alles in mir. Weniger Motivation ging nicht. Der Plan war, sich nach kurzer Strecke in einen Busch zu schlagen, eine Abkürzung hatte ich auch schon ausgesucht. Ich hoffte, dass der alte Fuchs nicht auch noch Wachen im Streckenverlauf postiert hatte, die Meldung machten. So trabte ich lustlos drauflos und dachte nach. Und lief. Und lief. Irgendwas passierte in mir, jedenfalls jagte ich irgendwann in einem Affenzahn durch diesen Scheiß-Wald. Und dann sah ich ihn. Erst von Weitem, dann immer näher kommend. Ich setzte an, überholte Luchs, grüßte freundlich und lief durch bis ins Ziel. Seit diesem Tag war Ruhe. Kein Gezeter mehr, keine Hasstiraden. Ich ließ es ebenfalls auf sich beruhen, musste aber doch sehr lachen, als ein Freund aus meiner Antifa-Gruppe, der die Schule zwei Stufen unter mir besucht hatte, bei der Abifeier eine Luchs-Parodie auf die Bühne brachte. Führer Luchs verließ im Anschluss die Wolfsschanze mit geschwollener Halsschlagader. Ich brach nach sechs Monaten ebenfalls meine Zelte ab und verließ die Schule nach...

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